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Die Weimarer Minderheitenpolitik war zweischneidig: Nach außen hin wollte man sich im Interesse der Auslandsdeutschen vorbildlich zeigen, im Inneren blieb jedoch das Ziel, die "Fremdsprachlichen" zu assimilieren. In diesem Konflikt entwickelten Regierung und Verwaltung eine Geheimpolitik, die sich gegenüber den Minderheiten in Deutschland taktisch großzügig gab, hinter dieser Fassade gezielt auf einen Sieg der deutschen "Volkstumskräfte" setzte. Dieses Kalkül eines "demokratischen Volkstumskampfes" ging indes nicht auf. Thomas Göthel zeigt das am Umgang des deutschen Nationalstaats mit der…mehr

Produktbeschreibung
Die Weimarer Minderheitenpolitik war zweischneidig: Nach außen hin wollte man sich im Interesse der Auslandsdeutschen vorbildlich zeigen, im Inneren blieb jedoch das Ziel, die "Fremdsprachlichen" zu assimilieren. In diesem Konflikt entwickelten Regierung und Verwaltung eine Geheimpolitik, die sich gegenüber den Minderheiten in Deutschland taktisch großzügig gab, hinter dieser Fassade gezielt auf einen Sieg der deutschen "Volkstumskräfte" setzte. Dieses Kalkül eines "demokratischen Volkstumskampfes" ging indes nicht auf. Thomas Göthel zeigt das am Umgang des deutschen Nationalstaats mit der dänischen Minderheit in Schleswig und der polnischen Minderheit in den preußischen Ostgebieten. Von einem "Randproblem" kommend, beleuchtet die Analyse eine grundsätzliche Problematik der Weimarer Republik: den schließlich völlig überspannten Dualismus zwischen Nation und Rechtsstaat.
Autorenporträt
Dr. phil. Thomas Göthel, geboren 1965, studierte Geschichte und Politische Wissenschaft in München. Er arbeitet als freier Lektor für verschiedene wissenschaftliche Publikumsverlage.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2002

Gewinnen oder unterdrücken?
Nationale Minderheitenpolitik im Deutschen Reich zur Zeit der Weimarer Republik

Thomas Göthel: Demokratie und Volkstum. Die Politik gegenüber den nationalen Minderheiten in der Weimarer Republik. SH-Verlag, Köln 2002. 446 Seiten, 49,80 [Euro].

Historiker entwickeln ihre Fragestellungen in und aus der Gegenwart - wo und woher auch sonst? Daher wandeln sich die bevorzugten Forschungsgegenstände und die an sie herangetragenen Fragen mit den Wandlungen unserer Welt. So ist es nicht erstaunlich, daß die Minderheitenfrage, deren wissenschaftliche Betrachtung ihren Höhepunkt mit den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts schon lange überschritten zu haben schien, seit der Auflösung der Bipolarität und dem massiven Wiederauftauchen der Minderheitenfrage in der Weltpolitik unserer Gegenwart wieder vielfach Gegenstand historischer Forschung wird.

Die Minderheitenpolitik der Weimarer Republik hatte ihren besonderen Ausgangspunkt im verlorenen Weltkrieg, in den nachfolgenden Abtretungen von Reichsgebieten, in denen bisher große fremde Minderheiten gelebt hatten, und in den Volksabstimmungen über strittige Grenzgebiete. Letztere ließen die Entstehung weiterer Minderheiten erwarten - aber nun auf beiden Seiten der künftigen Grenze, also auch deutsche Minderheitengruppen in Nachbarstaaten. Artikel 113 der Weimarer Reichsverfassung verkündete ein Diskriminierungsverbot für die "fremdsprachigen Volksteile des Reichs", die "in ihrer freien, volkstümlichen Entwicklung" nicht beeinträchtigt werden durften. Göthel untersucht jedoch nicht nur, ob und wie dieser Artikel 113 in der Praxis umgesetzt wurde, sondern vor allem, welche theoretischen Annahmen und Ziele die Minderheitenpolitik der Weimarer Republik bestimmten. Er entwickelt dazu analytische Raster und konfrontiert sie mit dem empirischen Quellenmaterial der verschiedenen staatlichen Ebenen, die in der Minderheitenfrage involviert waren - vom Reich über Preußen bis hin zu dessen Provinzen, Kreisen und Städten. Vornehmlich betrachtet er (auch vergleichend) die Behandlung der dänischen Minderheit, die nach der Volksabstimmung von 1920 in Schleswig verblieb, sowie der weitaus größeren polnischen Minderheit in den preußischen Ostprovinzen, also vornehmlich Ostpreußen und Oberschlesien.

In der Ausgangslage nach dem Weltkrieg war für alle Beteiligten auf deutscher Seite eindeutig: Es ging um die "Rettung" der bedrohten Gebiete für das Reich. Doch in der Methodik der Abwehr zeigten sich bereits Unterschiede, und zwar je nachdem, wo sich der einzelne deutsche Repräsentant positionierte: Die neuen republikanischen Machthaber propagierten hauptsächlich die Methode der "Gewinnung", die auf die langfristige Assimilation der Minderheit setzte; rechte Kräfte wollten eher "Unterdrückung" sehen. Die Vorstellung von "Autonomie", die wiederum eine Vorstellung von "Volkstum" voraussetzte, gewann erst vermehrt nach den Volksabstimmungen an Boden. Dann wurde sie jedoch - zumindest nach außen - die vorherrschende Lehre und konkretisierte sich gerade in den Streitigkeiten der zwanziger Jahre über Minderheitenschulen.

Göthel legt breit dar, wie diese Auseinandersetzungen zu Schulordnungen für Schleswig und die Ostprovinzen führten, die trotz aller Einschränkungen die greifbarste Ausformung von Artikel 113 wurden. Was nach außen als Gewährung gleicher Rechte oder zumindest als Diskriminierungsverbot deklariert wurde, kann Göthel auf andere Ziele zurückführen: "Gewinnung" der "Fremdsprachlichen" blieb innenpolitisch das erwünschte Resultat jeder Minderheitenpolitik; und außenpolitisch zielte unter Stresemann eine gewisse, vom Auswärtigen Amt anderen Behörden abgerungene Großzügigkeit taktisch darauf, Deutschland internationales Prestige und damit für die erwünschte Revision der Ostgrenze eine günstige Ausgangsposition zu verschaffen.

Göthel sieht diese Politik allerdings nicht so negativ, wie es auf den ersten Anschein wirkt: Er weist zu Recht darauf hin, daß der Zielkonflikt zwischen Nationalstaat und Minderheitenrechten nicht leicht aufhebbar ist. Am Beispiel Schleswigs zeigt sich denn auch, daß mit der Beruhigung dieser Grenzregion die "Gewinnungspolitik" zwar nicht ihr Ziel erreichte, aber zumindest zur Stabilisierung der Verhältnisse führte. In den preußischen Ostgebieten trug dagegen die Diskrepanz zwischen erklärter Volkstumspolitik und dem intern vorgegebenen Gewinnungsversuch, die durch bürokratische Handhabung der Minderheitenpolitik noch zu zusätzlichen Widersprüchen führte, mehr zum Scheitern eines Ausgleichs bei.

WOLFGANG ELZ

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfgang Elz findet es folgerichtig, dass sich Thomas Göthel mit dem Thema Minderheiten in seiner Studie intensiv auseinandersetzt, stehe dieses Thema doch gerade nach der "Auflösung der Bipolarität" wieder auf der Tagesordnung des Weltgeschehens, meint der Rezensent. Der Autor nun habe sich mit der "Minderheitenfrage" in der Weimarer Republik beschäftigt und führe dem Leser anhand der Auseinandersetzungen über Schulordnungen in Schleswig und den Ostprovinzen vor, wie sehr der Staat darum bemüht war, das "Fremdsprachliche" zu "gewinnen". Dafür habe Göthel "analytische Raster" entwickelt und empirische Quellen intensiv ausgewertet. Besondere Zustimmung erteilt der Rezensent dem Autor darin, dass er auf die Schwierigkeiten zwischen dem Nationalstaat und Minderheitenrechten hinweise. Die seien nämlich, stimmt Elz zu, nur sehr schwer auflösbar.

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