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Produktdetails
  • Critica Diabolis Bd.122
  • Verlag: Edition Tiamat
  • Seitenzahl: 398
  • Erscheinungstermin: 3. Quartal 2009
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 428g
  • ISBN-13: 9783893200771
  • ISBN-10: 3893200770
  • Artikelnr.: 12884066
Autorenporträt
Alex Bellos, geb. 1970, der sich selbst als Fußballnarr bezeichnet, hat während seiner Tätigkeit als Südamerika-Korrespondent für den "Guardian" und den "Observer" vier Jahre lang die Geschichte des brasilianischen "Futebol" bis ins kleinste Detail recherchiert.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ohne jede Einschränkung enthusiastisch zeigt sich der Rezensent Thomas Klemm angesichts dieses Buches, das sich dem brasilianischen Fußball von allen erdenklichen Seiten nähert. Also nicht nur den uns vertrauten positiven, Straßenfußball und Spielkultur, technischer Zauber und ein unerschöpfliches Reservoir von Genies. Hier ist dagegen einiges über die Schattenseiten zu erfahren, etwa über den "Albtraum der Talente", die verschachert werden und sich, dies ein Fallbeispiel, etwa auf den Faröer Inseln wiederfinden. Nicht zu kurz kommt der Zusammenhang von Fußball und Religion, Alex Bellos sieht im Fußball dabei "eine Ausdrucksform brasilianischer Religiosität". Dazu gehört die selbstverständliche Ausbildung des medizinischen Vereinsbetreuers in Schwarzer Magie und das eine oder andere Opferritual, das zu Siegen verhelfen soll. Herausgekommen ist dabei, so Klemm, ein "fulminantes" und "famoses" Buch, dessen "Rechercheaufwand" enorm ist und sich durchweg auszahlt. 

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2004

Ersteigert und verkauft: Wenn Träume zum Albtraum werden

Für die Fußballwelt gilt Brasilien als Schlaraffenland. Je größer die Entfernung von dem südamerikanischen Staat, desto lebendiger das Klischee von den jungen Spaßfußballern an den Stränden, von den vielen Talenten im Landesinnern, die auf Bolzplätzen ihr Geschick am Ball beweisen und nur darauf zu warten scheinen, daß findige Berater aus Brasilien oder Handlungsreisende ausländischer Fußballklubs daherkommen und sie vom Fleck weg verpflichten. Schließlich ist das Land nicht nur der weltgrößte Exporteur von Zucker und Kaffee, sondern auch von Fußballspielern. Allein im Jahr 1999 heuerten 650 brasilianische Kicker bei ausländischen Vereinen an, so daß die Zahl der außerhalb ihrer Heimat aktiven Berufsspieler auf mehr als 5000 stieg. Rund um den Globus zelebrieren sie ihre Fußballkunst: in den gelobten europäischen Spitzenligen, aber auch im Libanon, in Vietnam, Australien oder Haiti. Der brasilianische Fußballtraum ist ein doppelter: Die Kicker aus dem größten Land Südamerikas träumen von der großen weiten Welt, und die Fußballwelt träumt von brasilianischen Spielern.

Die Kehrseite beschreibt Alex Bellos in seinem fulminanten, mit enormen Rechercheaufwand geschriebenen Buch "Futebol - die brasilianische Kunst des Lebens": nämlich den Albtraum der Talente, von einem Geschäftsmann mit falschen Versprechungen gelockt und irgendwohin ins Ausland verschachert zu werden. "Der brasilianische Fußball ist ein riesiger, unkontrollierter Markt, auf dem Spieler, vor allem talentierte Jugendliche, für den Profit von einzelnen ersteigert und verkauft werden - eine moderne Form der Sklaverei", analysiert der englische Autor Bellos, der als Korrespondent für die Zeitungen "Guardian" und "Observer" vier Jahre lang in Rio de Janeiro lebte, arbeitete und auf der Jagd nach Geschichten durchs Land reiste.

Da mag es zunächst verwundern, daß Bellos sein Buch fernab von Brasilien beginnt - auf den Färöern. Auch dorthin hat es brasilianische Fußballprofis verschlagen, die wie Marcelo Marcolino in Toftir vormittags Kisten mit frischem Fisch aus den Booten laden, nachmittags und am Wochenende ihren spielerischen Dienst für den Klub "B68" versehen. Seine Aufgabe sei es, erzählt der Stürmer, auf den Schafsinseln schöne Tore zu erzielen, brasilianische Tore eben. Wind und Wetter auf den Inseln zwischen Schottland und Island behagen Marcelo nicht immer, doch werden die Widrigkeiten wettgemacht, wenn er in seine Heimat zurückkehrt. In seinem Viertel gelte er nun als Persönlichkeit, sagt Marcelo. "Brasilianer respektieren dich mehr, wenn du in Europa spielst. Die Leute sehen dich mit anderen Augen."

Für Bellos sind brasilianische Fußballprofis im Ausland auch kulturelle Botschafter: "Die Worte ,brasilianischer Fußballer' haben den gleichen bedeutungsvollen Klang wie etwa ,französischer Chefkoch' oder ,tibetanischer Mönch'." Die tiefen Einblicke, die der Engländer gewonnen hat, formt er zu einer kritischen Hommage an die fußballverrückte Nation. Seit Brasilien als junge Republik 1894 dank des englischen Einwanderers Charles Miller den Fußball als Kunst des Lebens entdeckte, bildet der heiß- und innig geliebte Kick zusammen mit Religion und Karneval die Trinität der Massenkultur. Wobei Bellos meint, daß Fußball dort keine Religion sei, sondern "eine Ausdrucksform brasilianischer Religiosität". An Belegen für die These fehlt es nicht. In jedem Fußballklub ist der Masseur zugleich kundig in Schwarzer Magie, um bei den Göttern um sportlichen Erfolg zu buhlen. Im Sinne der afrobrasilianischen Religion Candomblé werden Tiere geopfert oder Fußballplätze umgegraben und nach toten Fröschen (die als Überbringer von Verwünschungen gelten) abgesucht. In Botafogo stand sogar ein Mischlingshund auf der Gehaltsliste - als Talisman, und weil er mitunter auf den Platz geschickt wurde, um die Gegner zu verwirren.

Solche für aufgeklärte Europäer wundersamen Geschichten bietet Bellos zuhauf in seinem detailreichen Panoptikum des brasilianischen Fußballs. Jeder Fährte ist der Autor gefolgt, beschreibt Dörfer mit großen Fußballstadien, zählt 37 Synonyme auf, die es im Brasilianischen für das Wort "bola", den Fußball, gibt, erklärt die wunderlichen Kosenamen der Spieler. Bellos hat Turniere mit Blindenmannschaften ebenso besucht wie Fußballspiele zwischen dem Transvestitenklub FC Roza gegen eine Auswahl von elf verheirateten Männern oder den eigentümlichen Wettbewerb Peladão, in dem 522 Teams auf dem Fußballplatz kämpfen, während ihre weiblichen Dorfschönheiten zugleich um den Schönheitspreis wetteifern. Das famose Buch wird abgerundet durch eine Beschreibung des als korrupt geltenden Fußballverbandes CBF und ein Kapitel über den 1983 verstorbenen Garrincha, das Fußballidol mit den krummen Beinen und 13 Kindern, das mehr geliebt wird als Pelé. Den Schlußpunkt setzt ein Dialog mit Socrates, dem eleganten Star aus den achtziger Jahren, der den Fußball in seiner Heimat zwar kritisch beäugt, aber die Hoffnung nicht verloren hat. "Wir sind gerade erst geboren." Die Welt horcht auf.

THOMAS KLEMM

Besprochenes Buch: Alex Bellos: Futebol. Fußball - Die brasilianische Kunst des Lebens. Edition Tiamat 2004. 400 Seiten, 18 Euro.

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