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Der vorliegende Band enthält Beiträge mit psychoanalytischen Interpretationen von einigen literarischen Werken Annette von Droste-Hülshoffs, die im Oktober 2002 auf einem Symposion der Droste-Gesellschaft in Münster vorgetragen und diskutiert wurden. Es wird ein Bogen geschlagen von der Erzählung "Die Judenbuche" über einige Gedichte bis zu dem Novellenfragment "Ledwina". Die Autoren der hier versammelten Arbeiten vermitteln neue Aspekte über unbewußte Dimensionen an der Entstehung, dem Inhalt, der Struktur und der Wirkung dieser Dichtungen. Das Buch will dazu anregen, der Rezeption dieser…mehr

Produktbeschreibung
Der vorliegende Band enthält Beiträge mit psychoanalytischen Interpretationen von einigen literarischen Werken Annette von Droste-Hülshoffs, die im Oktober 2002 auf einem Symposion der Droste-Gesellschaft in Münster vorgetragen und diskutiert wurden. Es wird ein Bogen geschlagen von der Erzählung "Die Judenbuche" über einige Gedichte bis zu dem Novellenfragment "Ledwina". Die Autoren der hier versammelten Arbeiten vermitteln neue Aspekte über unbewußte Dimensionen an der Entstehung, dem Inhalt, der Struktur und der Wirkung dieser Dichtungen. Das Buch will dazu anregen, der Rezeption dieser Werke neue Anstöße zu geben und eine weitere vertiefende Auseinandersetzung mit dem Werk der Droste zu fördern. Es möchte eine Brücke von der Psychoanalyse zur Literaturwissenschaft bauen und den Dialog zwischen den Disziplinen weiter intensivieren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2003

Tiefenwitz im tiefen Ernst
Die Poesie Annette von Droste-Hülshoffs, psychoanalytisch gesehen

Bei großen, total rezipierten Dichtern lockt die psychoanalytische Interpretation selten jemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Für eine Figur wie Annette von Droste-Hülshoff gab es immer eine Doppelansicht: ältliche Jungfer, sitzt am Bodensee auf der Meersburg, hat die schönste Aussicht Deutschlands und schreibt Gedichte von Kindern, die durch nördliche Grusellandschaften wandern. Für eine ganze Reihe von existentialistischen Poesie-Durchpflügern jedoch, die danach suchen, wo ein Gedicht an die Quelle der menschlichen Existenz geht, spielte sie immer eine Rolle. Jetzt macht gerade die psychoanalytische Beschäftigung deutlich, wie sehr diese Liebhaber recht hatten, wie modern sie ist. Ihre Sprache geht bis ins Mark der Sprache, wo Sprache das Nichtsprachliche faßt, bis in das Herz der Finsternis.

Die psychoanalytische Ausgrabungskampagne, die vier Psychoanalytiker (Hermann Beland, Gisela Greve, Herta E. Harsch, Rolf Vogt) und eine Literaturwissenschaftlerin, die inzwischen verstorbene Renate Böschenstein, durchgeführt haben, liefert nicht eine weitere Facette, sondern macht den Grund ihrer Unverbrauchtheit klar. "Die Judenbuche" wird von Gisela Greve unter dem Aspekt der gespaltenen Vaterimago, des Doppelgängers, innerer und nach außen projizierter Gewissensqualen gelesen. Im Fragment "Ledwina" ergründet Renate Böschenstein die selbstanalytischen Fähigkeiten der Dichterin, die zu einer Überwindung von Todestrieb und narzißtischer Verengung führen. "Der Knabe im Moor" wird gleich zweimal interpretiert. Hermann Beland liest das Gedicht als Dokument der Erzeugung von Angstpsychosen zu Erziehungszwecken. Rolf Vogt ergänzt diesen Aspekt durch die Lust am Grauen.

Der Leser beginnt am besten mit Hermann Belands Interpretation der "Mergelgrube". An ihr begeistert, daß sie ihr das Wasser reichen kann und daß die Interpretation eines ganz großen Gedichts nicht hinter das Gedicht zurückfällt. Wenigen Dichtern ist es überhaupt gelungen, im Leben ein solches Gedicht zu machen, und auch der Droste war dies nur einmal möglich. Belands Interpretation wird zum erstenmal in der Interpretationsgeschichte diesem schwierigen - in seinen geologischen Formationen Celan vorwegnehmenden - Gedicht gerecht. Beland verweist mit Nachdruck auf die Poetologie der Droste, betont auch die meist übersehenen, fabelhaften Momente der Komik darin, geht großherzig als Gentleman mit ihr um, und nicht als Psychoanalytiker, der wie der Fuchs hinter der Gans hinter ihren Pathologien her ist. Nur ein theologisch Erfahrener kann Sintflut und Findlinge nicht als nebenherlaufende Metaphorik, sondern als ein Zentrum der Bearbeitung ernst nehmen. Damit die Landschaft, in der sie aufwächst, in eine solche identifikatorische Nähe rückt, damit Selbstanalyse durch deren Stoff hindurch möglich ist, dazu muß der Stoff aufgeladen sein durch die Katastrophen und Tötungs-und Wiederaufrichtungserfahrungen der Urzeit, und zwar nicht nur der individuellen, sondern auch der kollektiven. Und so ist diese Münsteraner Heide das immer mitgeschleppte Menschheitskollektiv. Das alles wird nicht schwärmerisch, sondern scharfsinnig psychoanalytisch durchgearbeitet und in eine traumwandlerische Balance gebracht.

Wenn man Beland gelesen hat, interessiert man sich lebhaft für die biographischen Informationen, die Herta E. Harsch in eigenen Nachforschungen aufgetan hat und die einem anfangs vielleicht nur positivistisch erschienen. Es ist eine Spezialität der Droste, daß sie immer wieder wagt, das ganze Menschenleben mit all seinen Schrecken und auch den Versuchen, diese Schrecken zu verarbeiten, in ein einziges Gedicht zu fassen. Außer in der "Mergelgrube" gelingt ihr dieser Versuch besonders in dem berühmten Stundengedicht. Bei einem derart verstörenden Gedicht wie der "Mergelgrube" ist klar, daß eine Interpretation, die ihm gerecht werden will, es mit seinem tiefen Ernst und seinem "Tiefenwitz" aufnehmen können muß.

Bei einem Gedicht wie dem ersten Ammengedicht ist es ganz und gar nicht klar, daß auch dieses ein Tod-und-Lebens-Gedicht ist. Herta E. Harsch hat dem ersten Ammengedicht, das man gemeinhin eher für ein Gelegenheitsgedicht à la Liliencron genommen hat, den Status eines Gedichts zurückgegeben, in dem es auch um das ganze Leben geht. Das ist nicht nichts. Aber es ist klar, der Solitär des Bändchens ist die völlig jargonfrei geschriebene Interpretation Belands, die die Psychoanalytikereinsicht "über das herzzerreißende Zentrum aller menschlichen Existenz, das Gefühl körperlicher Getrenntheit und über das Mittel und den Erfolg seiner Verarbeitung" weit aus der Psychoanalytikerklause und deren Community hinaustransportieren wird.

CAROLINE NEUBAUR

Gisela Greve, Herta E. Harsch (Hrsg.): "Annette von Droste-Hülshoff aus psychoanalytischer Sicht". edition diskord, Tübingen 2003. 160 S., br., 14,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit großem Gewinn hat Caroline Neubaur diesen Sammelband gelesen, der sich von psychoanalytischer Warte aus dem Werk von Annette von Droste-Hülshoff nähert. Anfangen sollte man ihrer Meinung nach mit dem Beitrag von Hermann Beland, der das Gedicht "Die Mergelgrube" ausgesprochen scharfsinnig interpretiert, dabei aber nicht "wie ein Fuchs hinter der Gans" den Pathologien der Dichterin nachjagt. Beland folgt der Droste, stellt Neubaur klar, wie ein "Gentleman". Ein solcher Einstieg in das Buch wecke hinreichend Interesse, um die übrigen Texte auch gern zu lesen, die - ob nun biografischer oder interpretatorischer Natur - allesamt deutlich machten, wie modern die Droste war, vor allem aber, wie die Rezensentin beeindruckt feststellt, wie die Dichterin mit ihrer Sprache auch alles Nichtsprachliche zu fassen bekommen habe.

© Perlentaucher Medien GmbH