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Die Edition präsentiert in einem umfangreichen Band Mickels großen Roman »Lachmunds Freunde«, Teil 1 in vom Autor revidierter Fassung, Teil 2 erstmals überhaupt.In »Lachmunds Freunde«, seinem einzigen Roman, unternimmt Karl Mickel ganz Außerordentliches: Er erzählt die Geschichte dreier Freunde - Abenteurer, Boxer, Radrennfahrer, Studenten, Herumtreiber in Kneipen und Frauenhelden -, und er verlegt diese Geschichten in ein poetisches Königreich Sachsen, das mit den 40 Jahren eines deutschen Teilstaates im 20. Jahrhunderts so gar nichts und auf vertrackte Weise doch alles zu tun hat.…mehr

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Produktbeschreibung
Die Edition präsentiert in einem umfangreichen Band Mickels großen Roman »Lachmunds Freunde«, Teil 1 in vom Autor revidierter Fassung, Teil 2 erstmals überhaupt.In »Lachmunds Freunde«, seinem einzigen Roman, unternimmt Karl Mickel ganz Außerordentliches: Er erzählt die Geschichte dreier Freunde - Abenteurer, Boxer, Radrennfahrer, Studenten, Herumtreiber in Kneipen und Frauenhelden -, und er verlegt diese Geschichten in ein poetisches Königreich Sachsen, das mit den 40 Jahren eines deutschen Teilstaates im 20. Jahrhunderts so gar nichts und auf vertrackte Weise doch alles zu tun hat. Realistisches, Phantastisches, Surreales, Todtrauriges und Urkomisches gehen hier Hand in Hand. Lange vor dem von der Zensur immer wieder verzögerten Erscheinen des ersten Teils war »Lachmunds Freunde« ein Mythos. Als der Roman endlich herauskam, 1989, waren jedoch die Menschen in der DDR mit der Beseitigung einer Staatsform beschäftigt, weniger mit dem Lesen von Romanen. Das Echo blieb begrenzt, und der Autor setzte sich an die Fortsetzung der Geschichten seiner drei Helden im Lichte neuer historischer Erfahrungen. Die Arbeit an »Lachmunds Freunde 2« blieb Mickels wichtigstes literarisches Projekt bis unmittelbar vor seinem Tod im Jahr 2000. Er schrieb mehr als 250 Seiten, konnte aber das Schlußkapitel nicht mehr vollenden. Der Herausgeber Klaus Völker kommentiert auf der Grundlage des Nachlasses Mickels ästhetische Verfahren und seine Pläne, diesen großen Roman abzuschließen.
Autorenporträt
Karl Mickel (1935-2000) gehört zu den bedeutendsten Lyrikern, Dramatikern, Essayisten und Erzählern in »diesem besseren Land«.

Klaus Völker, geb. 1938, ist Literatur- und Theaterkritiker und Übersetzer aus dem Französischen. Von 1969-1985 war er leitender Dramaturg in Zürich, Basel, Bremen und Berlin. Von 1985-2001 war er Leiter des »Stückemarktes« bei den Berliner Festspielen und von 1993-2005 Rektor der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Er hat zahlreiche Publikationen, u.a. über Brecht, Wedekind, Yeats und O'Casey veröffentlicht und ist Herausgeber der Gesammelten Werke von Max Herrmann-Neiße, Alfred Jarry sowie Boris Vian.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.04.2006

Eine Nuss, zwei Schranzen
Das Faustische, der Boxsport und die DDR als Kalauer: Karl Mickels Romanfragment „Lachmunds Freunde”
Die DDR hat es schwer, auswärtige Anerkennung zu erlangen. Das soll nun anders werden. Eine Gesandtschaft bricht in die Südsee auf, die sich allerdings aus Kostengründen auf ein einziges Mitglied beschränkt, „Wolf-Dieter Irrgang of Finsterwalde Esq. - Consul of the German Democratic Republic”; so steht es auf seiner Visitenkarte. Zwar verfügt er über einen Wartburg Kombi als Dienstwagen, doch dieser nützt ihm in den Wasserwüsten des Pazifiks nahezu nichts. Stattdessen reist er als eine Art Anhalter auf dem Gaffelschoner Flibbertygibbet mit und berichtet von seinen Erlebnissen - „Ich nahm den Teertopf und einen Packen Kalfaterweg und enterte die Wanten” - mit einer nautischen Begeisterung, die sogleich den Binnenländer erkennen lässt. Endlich ist es so weit: Wolf Dieter wird empfangen von seiner Majestät, König Mapihu XVII., er schreitet im Smoking die Ehrenformation ab, Muschelhornbläser stimmen die Hymne des Arbeiter- und Bauernstaates an.
Da sieht er sich plötzlich mit einem Ritus konfrontiert, der seine Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart aufs Äußerste herausfordert: Der König legt sich auf die linke Handfläche eine Kokosnuss, ergreift mit der Rechten eine Machete und schlägt zu. „Dies getan, hielt der König mir die offene linke Handfläche entgegen: sie war unverletzt, ohne den mindesten Ritz. Sein noch immer geschlossener Mund lächelte. Ich streckte die Linke, erhielt die Nuss, streckte die Rechte, erhielt die Machete, führte den linken Arm nach vorn, holte rechts überkopf aus, und hieb. Zwei Schranzen haschten die Hälften. Meine Hand war ohne jeglichen Ritz; ich wies sie meinerseits dem Monarchen. Da nun öffnete er den Mund und sprach: ,Nu mei Gudsder, du hast aber de Milch verschwäbberd.‘”
Sprünge, die kein Ende nehmen
So, als Farce und Traum, gestaltet Karl Mickel die imaginierte Zukunft des Staates, der damals schon im größeren „einig Vaterland” aufgegangen war. Es handelt sich um die Fortsetzung des Romans „Lachmunds Freunde”, über der Mickel im Jahr 2000 starb. „Zweiter Teil soweit ich komme” lautete der Arbeitstitel; denn dass er nicht mehr bis zum Ende kommen würde, sah er wohl ab. Es scheint ihn nicht eigentlich beunruhigt zu haben. Und es lässt sich auch wirklich kaum angeben, welches organische Ende es mit diesem Gebilde hätte nehmen können, das von Sprung zu Sprung lebt und der Willkür seiner Einfälle, die teils sehr witzig sind und teils den Witz in eine eher zähe Länge dehnen, nicht die mindeste Gewalt antut. Ein Alterswerk ist es, das sich eine vorher undenkbare Freiheit gönnt, losgelöst nunmehr von den Vorgaben der sozialistischen Kulturpolitik und ebenso unbekümmert um die Forderungen des Modischen und Verkäuflichen im neuen System; hier äußert sich ein auf vergnügte Weise Missvergnügter.
Am spürbarsten wird das in den Paralipomena, in die das unvollendete Werk ausfranst. Mickel lehnt sich zurück und sieht die neue Welt im Fernsehen. Verächtlich wendet er sich ab vom Literarischen Quartett, befindet, dass Schröder ein „kleiner hässlicher ungebildeter Sozialdemokrat” sei, Lafontaine aber ein „Pinocchio”, und erblickt tiefen Sinn im scheinbar zufälligen Faktum der Moderatoren-Namen: früher Lueg und Pleitgen, heute Fliege, Pflaume, Jauch. Schlichten Freuden lässt der Schriftsteller die Zügel schießen, dem Kalauer, dem gereimten Merkspruch. „Wenn Ulbricht tut vom Himmel scheißen / Wird Karl-Marx-Stadt wieder Chemnitz heißen”, das klingt wie eine bäuerliche Wetterregel. Und heiter sagt er auch den heute Maßgeblichen ihr Ende voraus: „Wenn die Russen hier wieder einrücken, sind sie nicht von GPU diszipliniert. Sie werden Euch die Bäuche aufschlitzen.”
Mickel, geboren 1935 in Dresden, der nach einem wechselvollen Leben einen Literatur-Lehrstuhl einnahm, erweist in beiden Teilen seines Werks, durch direkte Nennung oder durch Anspielungen (mit einem Seitenblick zum Leser, ob er denn auch verstanden habe), Goethe die Reverenz. Es sollte darum niemanden wundern, wenn er „Lachmunds Freunde” als seinen Faust begriffen hätte: Der zweite Teil, vom ersten durch Jahrzehnte getrennt, übernimmt dessen Personal auf eine gewisse zerstreute Weise, weitet den Blickwinkel, gibt nicht mehr allzu viel auf die zusammenhängende Fabel und scheint von Beginn an als postumes Privatprojekt konzipiert. Der erste Teil, ab den frühen Sechzigern geschrieben und schon publiziert, erzählt dagegen linear die Geschichte dreier Freunde, die sich ihren Weg durch den neuen Sozialismus bahnen, wie sie studieren, lieben, Bücher und Kartoffeln lesen. (Es gibt sogar eine Art Urfaust, die „Lachmundnovelle”.)
Don Giovanni und Ilse im Bett
Leichter liest sich natürlich der erste Teil. Er handelt nicht nur von jungen Leuten, er hat auch dazu passend den Gestus einer spielerischen Kraftmeierei, die sich schon in den Namen der Protagonisten ankündigt: Sie heißen Bär, Amboss genannt Hammer (na, Leser?) und eben Lachmund (Vornamen überflüssig), und zu dem Gleichgewicht aus Körperstärke, Charakter und Intellekt, das sie anstreben, gehört, dass sie nebst dem Studium der philosophischen Klassiker besonders den Boxsport pflegen: Das ist die Wendung, die Mickel dem Faustischen erteilt. Lachmund, der nahezu olympiareife Faustkämpfer, darf einen frühen Goethe-Essay Mickels als eigenes Werk vorlegen; und Bär, der am 17. Juni 1953 brachial gegen einen Agent provocateur aus Westberlin vorgeht, schafft es durch seine kecke Interpretation des Don Giovanni, die weit ältere Ilse ins Bett zu locken.
Als typisch für diesen frühen Stil Mickels, der auf nüchterne Knappheit zielt und stolz darauf ist, können vor allem die an Lavater geschulten Porträts gelten, die wie umschriebene Gesellenstücke ins Ganze des Texts eingesetzt sind: „Psiakrzewski, Franz (48), der Brigadier. 1,78 m; 82 kp. Bürstenschnitt, eisengraue Haare mit großem Durchmesser; ein Haarkeil ragte in die mittelhohe, gutgewölbte, quergefurchte Stirn. Die Nase platt und rechtsgekrümmt; eine tiefe Narbe vom linken Mundwinkel zum entsprechenden Kinnwinkel. Kleine, anliegende Ohren. Festes Auge unter derben Brauen. Der Nacken stark und die Schultern abfallend; etwas Bauch, doch viel Muskel hinter der dünnen Fettschicht. Brust und Rücken schwarz behaart. (. . .) Familie vermisst: wahrscheinlich zerbombt. Hat, wo er hinkommt, gleich eine Frau, meist Mitte 30, die ein Kind hat. Repariert der Frau, was zu reparieren ist, und ist dem Kind angenehme Autorität. Zieht aber grußlos weiter, sobald der Arbeitsort wechselt.” Nicht verschwiegen sei allerdings, dass die kantigen Porträts Psiakrzewskis und seiner Brigade eine ziemlich kitschige Passage abschließen, in der Hanna, Geliebte Bärs und nachmalige Ehefrau Hammers, nackt durch den Wald schreitet, begleitet von Hirsch, Fuchs und Wildschwein wie eine heilige Genoveva; dann erst darf sie heraustreten, um die sieben handfesten Mannsbilder beim Gleisbau zu verwirren.
Nun also liegen die beiden so verschiedenen Teile als ein einziger dicker Band vor, so abgeschlossen wie das Leben ihres Autors es zuließ. Wer schwebt ihm als Leser vor? Das letzte Wort des Buchs überhaupt lautet: „Ob ein Wessi das versteht? Antwort: sollte es einen Wessi geben, der Jean Paul versteht, der versteht das.” Da ist nun freilich in der Stille mancherlei vorausgesetzt: nicht nur der eigene Rang des Autors, und dass der Leser sich gefälligst ohne Hilfe durch alle Kauzigkeiten und Bildungsfrüchte einschließlich der (oft genug fehlerhaften) lateinischen Wendungen kämpfen soll, während Jean Paul immerhin zuweilen die Gnade der Fußnote gewährt; sondern auch ein Ideal-Ossi, der, sollte es ihn je gegeben haben, so nicht mehr existiert; der jedenfalls nicht mehr nachwächst.
Ich erinnere mich einer Kollektiv-Lesung an der TU Chemnitz (die Stadt hieß schon wieder so), die mit Vertretern der „Sächsischen Dichterschule” bestückt war, darunter Tragelehn, Rosenlöcher - ob auch Mickel selbst, der noch lebte, mir damals aber noch kein Begriff war, daran erinnere ich mich leider nicht mehr. Die Dichter seufzten, mit nur halb gespielter Nostalgie, nach ihrem alten DDR-Zensor: So einen aufmerksamen Leser fänden sie nie wieder! Das Publikum bestand überwiegend aus einheimischen Studenten der Germanistik und verharrte vor Tragelehns deutschen Distichen in freundlichem Unverständnis.
BURKHARD MÜLLER
KARL MICKEL: Lachmunds Freunde. Roman. Erstes und Zweites Buch. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 597 Seiten, 29 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2006

Hammer und Amboß
Karl Mickel erschafft das Königreich Sachsen - mitten in der DDR

Für wen schreibt ein Schriftsteller? Natürlich für die Leser, die er sich erhofft. Von ihnen, von der Öffentlichkeit also, möchte er wahrgenommen werden. Er hat ihnen was zu sagen, im Roman, im Gedicht, im Essay, und erwartet Neugier, Lesefreude, Mitdenken. Schreiben und Lesen sind also zwei Pole gegenseitigen Verständnisses - im Idealfall. Wenn dieses Beziehungssystem nicht funktioniert, dann sehen Schriftsteller wie Leser sich traurig isoliert.

Im vorliegenden Fall können nur noch die Leser trauern, der Autor weilt nicht mehr unter den Lebenden. Karl Mickel, 1935 in Dresden geboren, angesehener Lyriker der DDR, starb im Jahre 2000. Der Roman, der uns jetzt vorliegt, ist sein einziger. Mickel hat, so teilt der herausgebende Verlag mit, seit Anfang der sechziger Jahre an dem Prosawerk gearbeitet. Zuweilen veröffentlichten Zeitschriften kleinere Passagen und Auszüge aus den Vorarbeiten. Die fertige Ausgabe erschien zum ersten Mal, als just die Mauer gefallen war; sie fand kaum ein Echo - weil, so meint der Verlag der Zweitausgabe, die Menschen in der DDR damals mit der Beseitigung einer Staatsform beschäftigt waren und weniger mit dem Lesen von Romanen.

Damit sind die Ost-Leser inzwischen fertig, zudem können sie ja, mehr als anderthalb Jahrzehnte nach der Wende, durch West-Leser verstärkt werden. Das neue Buch bietet nicht nur den Inhalt des alten, sondern dazu dessen Fortsetzung, an der Mickel bis zuletzt schrieb und die er nicht mehr fertigstellen konnte. Ein Bearbeiter hat sich der Hinterlassenschaft angenommen. Klaus Völker, Literaturwissenschaftler und Dramaturg, also in den gleichen Metiers zu Hause wie einst Karl Mickel, der neben dem Gedichteschreiben als Dramaturg beim Berliner Ensemble und als Dozent an der Schauspielschule "Ernst Busch" wirkte. Völker vervollständigte den Torso des zweiten Romanteils, indem er auf 67 Seiten vom Autor hinterlassene Textbruchstücke, Betrachtungen und Bemerkungen hinzufügte, allem voran den Embryo des Romans, die "Lachmund-Novelle". Und am Ende liefert er ein ausführliches Nachwort, das viele Fragen beantwortet.

Freilich nicht alle. Das wäre auch nicht möglich gewesen, denn die meisten Fragen entstehen erst beim Lesen, wenn man von der Fülle des Mitgeteilten überwältigt wird und die Übersicht verliert. Das Maß der Desorientierung ist natürlich von Mensch zu Mensch verschieden, und ein Herausgeber ist kein Verkehrspolizist, der verzagten Fußgängern den Weg durch das Straßenchaos sichert. Zunächst scheint alles, wenn nicht einfach, so doch erfaßbar: Der Autor erzählt von drei jungen Männern, die verschiedene Interessen haben und mit der Zeit verschiedene Wege gehen, aber immer Freunde bleiben. Der eine heißt Eckart Immanuel Lachmund; der zweite heißt Günther Amboß, was ihm so wenig gefällt, daß er sich in Hammer umbenennt; der dritte trägt den Namen Bär. Alle sind auf irgendeine Weise Wiedergaben ihres Erfinders Mickel, der sich so die dreifache Möglichkeit schafft, die Welt von den verschiedensten Seiten zu betrachten und auf sie zu reagieren.

Die Welt, das ist vorzugsweise die DDR, zu der Mickel, wie sich erweist, ein vertracktes Verhältnis hatte. Als Sohn einer Arbeiterfamilie optierte er natürlich für einen Arbeiterstaat, doch die Realisierung des sozialistischen Kampfzieles hat ihm offenbar nicht so recht behagt. Das sagt der Roman natürlich nicht expressis verbis. Als phantasiestarker Dichter verfügte der Autor über genügend Fähigkeiten, das, was er meinte, in einem Wust von Worten und Bildern zu verstecken. Freilich schuf er damit auch unendliche Möglichkeiten, den Leser zu verwirren. In den beiden Romanteilen, immerhin mehr als fünfhundert engbedruckte Seiten, passiert so vielerlei, daß man schnell und immer wieder den Zusammenhang verliert. Auch wechselt Mickel ständig die agierenden Helden. In Teil eins agiert zum Beispiel ein Arbeitstrupp, der sich in Dresdens Untergrund wühlt, eine atemraubende Unternehmung, die Reste vergangener Verbrechenspolitik zutage fördert. Aber nicht Lachmund und seine Freunde stöbern dort herum, sondern ganz andere Personen, die zwar irgendwann erwähnt wurden, deren man sich aber nach vielen Seiten rasanter Inanspruchnahme für andere Taten anderer Romanfiguren nicht ohne weiteres erinnert. Eigentlich müßte man dauernd zurückblättern und Gelesenes noch einmal lesen.

Teil zwei beansprucht den Leser nicht ganz so heftig. Der Autor hat ihn um einen erstaunlichen Einfall herumgeschrieben: Mitten in der DDR entsteht, von Ulbricht genehmigt, ein Königreich Sachsen, dessen Thron irgendwelchen Nachfahren der Wettiner anvertraut wird. Lachmund dient dem Monarchen als Hofrat. Freilich ist dieses königliche Sachsen nicht souverän, es macht sich nur sehr schmuck und liefert dem Arbeiterstaat hervorragende Beziehungen zu den westeuropäischen Königreichen und damit die Möglichkeit, den Konkurrenten Bundesrepublik aus dem diplomatischen Feld zu boxen. Wie das Ganze politisch enden mag, wer also das Spiel gewinnt oder verliert, erfahren wir nicht, denn der Autor starb, bevor er es uns erzählen konnte.

Es ist keine Frage, daß Mickel aus reichem historischem und politischem Wissen schöpfte, unendlich viele Einfälle hatte und dazu die Fähigkeit, Ernst und Komik eindrucksvoll zu mischen. Aber es geht uns mit seinem Roman wie mit einer überreich besetzten Tafel: Wenn einem dauernd allzuviel geboten wird, streikt der Magen, und es schmeckt nicht mehr. Dazu kommt, daß der Autor auf Gestaltung und Korrektheit seiner Sprache nicht ebensoviel Wert gelegt hat wie auf seinen Geschichtenstrauß. So heißt es von einer Figur, sie "weigerte sich unqualifizierter Arbeiten", von einer anderen, daß sie "an die Knie friere". Wir lesen "wechselseitiger Zuspruch ... beschabt das dünne Haar, an welchem das sprichwörtliche Schwert baumelt", und erfahren an anderer Stelle, daß "eine Straßenbahn krisch". Der halbwüchsige Lachmund sagt seinem Lehrer, diese oder jene Aufgabe "verweigere dezidiert sich seines Interesses". Und so weiter und so fort. Weder ein Verlagslektor noch der Herausgeber haben eingegriffen und die leider zahlreichen Patzer korrigiert.

So gesehen, war der Roman beim Erscheinen noch gar nicht fertig, weder im ersten noch im zweiten Teil. Gemessen an den Ansprüchen, die der wißbegierige Leser an einen Autor von Mickels Format stellen darf, wird uns eigentlich nur ein Entwurf präsentiert. Allerdings einer, dessen enorme Absicht überall durchleuchtet, die Absicht nämlich, eine fatal prägende Erscheinung der europäischen Politikgeschichte bis in ihr Knochenmark zu sezieren. Wenn wir das Buch so nehmen, dann lohnt sich die Lektüre immerhin, es darf uns nur die investierte Zeit nicht leid tun.

SABINE BRANDT

Karl Mickel: "Lachmunds Freunde". Roman. Erstes und zweites Buch. Herausgegeben von Klaus Völker. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 597 S., geb., 29,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die DDR als "Farce und Traum". Gern lässt sich Burkhard Müller ein auf das unvollendete "Alterswerk" Karl Mickels, auf die Unbekümmertheit eines "auf vergnügte Weise Missvergnügten", wie sie die beiden vorliegenden in einem Band vereinten sehr unterschiedlichen Romanteile herzeigen. Ist dieser Roman womöglich Mickels Faust? Möglich, meint Müller, der in der enthaltenen "Lachmundnovelle" gar "eine Art Urfaust" entdeckt. Der nüchterne "frühe Stil" des Autors und die Figurenporträts im ersten Teil erinnern den Rezensenten allerdings eher an Lavater. Dem vom Autor selbst gezogenen Vergleich mit Jean Paul will Müller nicht ohne weiteres zulassen, weil dieser "immerhin zuweilen die Gnade der Fußnote gewährt", während Mickels Leser mit allen "Kauzigkeiten und Bildungsfrüchten" allein gelassen werde. Den Ideal-Ossi, den Müller für den Ideal-Leser des Buches hält, hat er ohnehin schon lang nicht mehr gesehen.

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