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Das lyrische Werk des Peter-Huchel-Preisträgers Ludwig Greve in einem Band.Ludwig Greve war 37 Jahre alt, als er 1961 mit einem schmalen Band »Gedichte« an die Öffentlichkeit trat. Einige davon hatte er zuvor bereits als »Gedichte aus dem Itinerar« in einem Privatdruck eher versteckt als veröffentlicht. Der Titel weist das Thema des Zyklus aus: Selbstvergewisserung anhand der Stationen der eigenen Biographie und die Arbeit an einer Sprache dafür. Die zwanzig dichtgefügten, meist gereimten Gedichte erregten die Aufmerksamkeit Werner Krafts, der erwartete, daß auf »schöne Gedichte« »schönere«…mehr

Produktbeschreibung
Das lyrische Werk des Peter-Huchel-Preisträgers Ludwig Greve in einem Band.Ludwig Greve war 37 Jahre alt, als er 1961 mit einem schmalen Band »Gedichte« an die Öffentlichkeit trat. Einige davon hatte er zuvor bereits als »Gedichte aus dem Itinerar« in einem Privatdruck eher versteckt als veröffentlicht. Der Titel weist das Thema des Zyklus aus: Selbstvergewisserung anhand der Stationen der eigenen Biographie und die Arbeit an einer Sprache dafür. Die zwanzig dichtgefügten, meist gereimten Gedichte erregten die Aufmerksamkeit Werner Krafts, der erwartete, daß auf »schöne Gedichte« »schönere« folgen würden.Die von Greve in der Folgezeit verfaßten, nun ungereimten, oft energisch ausgreifenden Gedichte sind von beweglicher Syntax; ihr spannungsreicher Rhythmus erlaubt, sich angesichts naher und nächster Phänomene und Personen zu fassen, er läßt Dankbarkeit zu, manchmal »einen Unterton von Glück« (Greve).Der vorliegende Band enthält erstmals alle von Greve veröffentlichten Gedichte, nach »Sie lacht und andere Gedichte« (1991) auch die in frühere Sammlungen nicht aufgenommenen und die verstreut gedruckten Texte, außerdem Greves Rede vor Freiburger Studenten »Warum schreibe ich anders?« (1979). Der Anhang bietet neben den nötigen Nachweisen und dem editorischen Bericht Druckvarianten, Erläuterungen und bisher unveröffentlichte Selbstzeugnisse.
Autorenporträt
Ludwig Greve, 1924 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren, überlebte die NS-Zeit in Luccheser Verstecken. 1945 wanderte er mit seiner Mutter nach Palästina aus, kehrte jedoch 1950 nach Deutschland zurück und siedelte sich 1955 in Stuttgart an. Er gehörte zum Freundeskreis um HAP Grieshaber, wurde 1957 Mitarbeiter des Deutschen Literaturarchivs in Marbach und leitete von 1968 bis 1988 dessen Bibliothek. Im Sommer 1991 ertrank er vor Amrum. Für seine Gedichte erhielt er posthum den Peter-Huchel-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2006

Das Leichte hält sich besser
Um das Schwerste zu sagen: Ludwig Greves gesammelte Gedichte

Trotz allem, "malgré tout", im Vollkommenen enden - keiner hat diese Bedingung der Kunst so rein erfüllt wie Ludwig Greve. Als der Zwanzigjährige 1944 in Lucca Gedichte zu schreiben begann, hatte er soeben seine Mutter auf abenteuerlicher Flucht gerettet, doch Vater und Schwester an die faschistischen Verfolger verloren. Er war keine zehn gewesen, als er und seine Familie in Berlin "zu Juden ernannt wurden", die nach vergeblicher Irrfahrt bis Havanna und dann, durch ganz Frankreich gehetzt, Italien erreichten, ehe eine Granate sie aus dem Versteck trieb und die Familie tödlich zerbrach. Nun saß Greve im Schutze der Franziskaner und des Bischofs von Lucca und versuchte Worte zu finden.

Greves erste Gedichte direkt "vom Stabreim zur Empörung" müssen ziemlich krude gewesen sein, doch als er sie unter den Augen des Bischofs aus Ritzen hervorholte, erhielt er von diesem so etwas wie den Dichtersegen: "Ecce poeta!" Eine gute Prophezeiung war es allemal. Greve ging 1945 nach Palästina, als Berufe verzeichnet die Vita "Hafenarbeiter, Bürohilfskraft, Autobusbillettverkäufer". Mit den Freunden Max und Margot Fürst kehrte er 1950 aus Israel nach Deutschland zurück. Es folgten einige Jahre im Künstlerkreis um den Graphiker Grieshaber, bis das "wilde, wüste Leben" eine feste Bahn bekam. Die Ehe mit der Musikerin Katharina Maillard schuf Greves Glück und familiäre Pflichten. Helmut Heißenbüttel traf Greve in einem Stuttgarter Reisebüro, und bald darauf begann er 1957 als freier Mitarbeiter am Literaturarchiv Marbach, wo er mehr als dreißig Jahre, ab 1968 als Leiter der Bibliothek und Kurator großer Ausstellungen, blieb.

Der Alltag beim - wie er 1988 zum Abschied in der ihm eigenen Tonlage formulierte - "Küchenpersonal" der deutschen Literatur schärfte Greves Blick zu mikroskopischer Feinheit und historischer Tiefe, reduzierte aber die freien Stunden auf ein Minimum. 1961 erschienen zwanzig "Gedichte", 1974 gab es vierundzwanzig "Neue Gedichte" mit dem Titel "Bei Tag". Greve fand unvergleichliche Leser in Friedhelm Kemp, Werner Kraft, Wilhelm Lehmann, den Marbacher Freunden und namhaften Germanisten, und trotzdem erschien noch im Frühjahr 1991 einer der wichtigsten Gedichtbände der deutschen Nachkriegszeit fast unvermerkt: vierzig Gedichte, alte, neue "und andere", versteckt hinter dem Titel "Sie lacht". Auch der Rezensent erfuhr erst durch Harald Hartungs ergreifenden Nachruf in dieser Zeitung von diesem Buch und daß es zu spät war, die Stimme des Dichters zu hören. Ludwig Greve ist am 12. Juli 1991 beim Bad in der Nordsee ertrunken.

Nun endlich liegen Greves lange vergriffenen Gedichte gesammelt vor, von den Freunden Reinhard Tgahrt und Waltraud Pfäfflin nach Marbacher Maßstäben ediert und erläutert; der Wallstein Verlag hat sie gediegen ausgestattet. Das kundige Nachwort und reiche Briefzitate machen den umfangreichen Anhang zu einem Lesevergnügen und im Verbund mit Greves gleichfalls abgedruckter Freiburger Rede zu einer individuellen Schule des Dichtens nach 1945: Wie es Greve gelang, im Dichten den "Panzer" abzulegen und ganz leicht zu werden, obwohl und gerade weil er, wie die Freiburger Rede belegt, Adornos Verdikt über die Barbarei eines Gedichtes nach Auschwitz persönlich nahm. Allerdings ging Greve, wie Uwe Pörksen, der Initiator der Freiburger Rede, soeben in einem Vergleich mit Celans Büchnerpreis-Rede zeigte, einen diametral anderen Weg als Paul Celan. Greve hatte keine Tradition, nicht Rilke-Klang noch Surrealismus, sondern "wie ein Flüchtling nach und nach seine Habe wegwirft, suchte ich das Verworfene Stück für Stück zusammen". Dieser Vergleich wendet die Erfahrung der Flucht in Sammlung und kehrt dabei den Sinn der Worte um: Aus der Habe wird das Verworfene, und das Verworfene wird Material der Rekonstruktion. Die Rückführung der Sprache in ihre Wörtlichkeit, die Konzentration auf Syntax und Rhythmus, der Verzicht auf Reim, Rhetorik und Bildlichkeit, diese Poetik ist es, die Greve sich anerzog. "Ich mußte doppelt und dreifach Lehrgeld zahlen, ehe mir aufging, daß das Leichte sich besser hält."

Dabei hat ihm Karl Kraus, den er noch in Israel gelesen hatte, "als guter Lehrer das Schreiben schwergemacht", aber auch gezeigt, "wie Kraus seiner Sprache inne wurde". Innewerden benennt treffend das poetologische Prinzip Greves: Seine Sprache war schon da, so wie er sie sprach. Er mußte nur, was "bedeutungsschwer, steil und vertrackt" war, das Dunkle und die "Inbrunst" weglassen, um das Schwerste sagen zu können. Ein glücklicher Fund ließ ihn bei Rudolf Borchardt die Form der Ode entdecken. Nicht die Larve hohen Tons, als die sie gilt, sondern die silbengenaue Spanne gesprochener Zeit, als Regel, "qui corrige l'émotion" (Braque). Diese Klärung ermöglichte 1965/66 das Gedicht "Mein Vater". Der 1944 versäumte Ruf, um den Vater und die Schwester von jenem Gang zurückzuhalten, der in den Tod führte, jenes von Greve selbst als tiefste Schuld empfundene Movens seines Dichtens, wird jetzt zögernd nachgeholt in der Gewißheit, allein, ohne Gegenüber zu sprechen. Die Unvorstellbarkeit des Geschehens führt zu einem tastenden Hantieren mit den Worten, und erst die äußerste Ungewißheit - "Genügt die Trauer?" - schlägt um in den Dank für das durch den Vater ermöglichte eigene Glück: Im Kinderlachen, im Hören auf die nächste Generation, findet die Nachfolge in den Tod ihren "unerschöpflichen" Grund. Die 28 alkäischen Verse schließen, im Zögern sich festigend, die Generationenfolge über den mörderischen Bruch hinweg. Das klingt hoffnungslos simpel, aber auch wer nach fünfzehn Jahren Vertrautheit mit dem Gedicht es Wort für Wort hersagt, dem verschlägt es den Atem, ehe sich Glück ausbreitet: nicht im geringsten, weil man als Deutscher entlastet würde, sondern aus Freude für den, dem das Gedicht gelang.

Es hatte auf Greve eine spürbar befreiende Wirkung, änderte es doch das Vorzeichen vor allem: Sein Glück der verbleibenden Jahre gehörte nicht mehr ihm selbst, sondern den Menschen um ihn. Greve, der sein Werk schonungslos kritisierte, hat von den nach 1966 verfaßten Gedichten nur eines als "zu angestrengt" ausgesondert. Den Rest ließ er gelten. Zu Recht, denn diese Gedichte bewahrheiten einen Satz Klopstocks, den Greve einmal brieflich zitierte: "Überhaupt wandelt das Wortlose in einem guten Gedicht umher wie in Homers Schlachten die nur von wenigen gesehenen Götter." Ein Junitag in der Stadt, Freunde, Hannah Arendt, die schwäbische Landschaft, die Nordsee, der Krankenhaustod der Mutter, Greves Töchter und vor allem Greves Frau sind jene Wirklichkeiten, die zwischen den Worten erscheinen. Als Beispiel dafür mögen Verse aus einem Liebesgedicht von 1964 dienen: "Du gehst in Gedanken, meinen ... So biete / den schönsten mir, deiner Augen / Tiefe und grünen Spott zur Erfüllung".

Mit jedem Komma, jeder Pause schwingt die Perspektive zwischen Sprecher und Bewunderter hin und her, doch der erotische Blickwechsel geschieht allein durch die Fügung der Worte. Daß diese Kunst des Tonwechsels und der gleichzeitigen Fokalisierung mitten im Satz letztlich aus der Prosa kommt, kann man der unvollendet gebliebenen Autobiographie ("Wo gehörte ich hin?", 1994) und den kleinen Schriften Greves ("Besuch in der Villa Sardi", 2001) entnehmen. Wie in den Briefen finden sich dort die Ansätze des Hörens der eigenen Stimme so explizit, wie es in der Lyrik nur selten geschieht: "Ich höre mein eigenes Wort / leichthin gesprochen - wars ein Nachbar / oder die Brise? es klang wie Jubel, ...". Staunend hört da ein Überlebender, während die Juninacht ihn nicht schlafen läßt, seine Stimme im träumerischen Reflex.

Darf man ein so leises, intimes Werk wie dasjenige Greves neben jenes Celans stellen, dessen Editionen, Übersetzungen und Sekundärliteratur Bibliotheken füllen? Man muß es tun, doch Greves Spott ist dem Frager sicher: "Ja, es ist schon so, daß wir selbst die Scheibe beschlagen, durch die wir sehen wollen." Mit dem Wunder seiner letzten, vollkommenen Klarheit ließ er uns allein.

THOMAS POISS

Ludwig Greve: "Die Gedichte". Herausgegeben von Reinhard Tgahrt in Zusammenarbeit mit Waltraud Pfäfflin. Mit einem Nachwort von Harald Hartung. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 268 S., geb., 24,- [Euro].

Uwe Pörksen: "Ein Januartag im Gebirge". Ludwig Greve antwortet Paul Celan. Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz 2006. 32 S., br., 7,- [Euro].

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.07.2006

Da färbt ein Sonnenbiss mit Blut Havanna
Nachlass eines Verborgenen: Ein Überblick über das Werk des Lyrikers und Marbacher Bibliothekars Ludwig Greve
Wie ist Lyrik noch möglich nach Rolf Dieter Brinkmann? „Was für ein geradezu orgiastischer Ekel vor der Wirklichkeit, der von Menschen gemachten natürlich, also doch wohl vor sich selbst.” Freiburger Studenten, den Lesern und Bewunderern dieses zornigen Poeten, versuchte der 51-jährige Ludwig Greve zu erklären: „Warum schreibe ich anders?”Der Abstand der Gedichte Greves zu denen der Protestgeneration der sechziger und siebziger Jahre, aber auch zu denen der frühen Moderne, William C. Williams etwa, könnte kaum größer sein. Greves ausgeklügelte Schöpfungen verschleiern alles, was sich avantgardistisch ausnehmen könnte: harte Zeilensprünge, ein zackiges Zeilenprofil, bis zur Unverständlichkeit getriebene metaphorische Anspielungen, nie da gewesene Komposita. Die Modernismen fügt er in klassische Versmaße ein, die nur ein gebildeter, die Metren messender Leser erkennen kann. Hexameter, die alkäische, die sapphische Ode, den freien Rhythmus, das ungereimte Sonett sind für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ungebräuchlich Formen und schließen Uneingeweihte aus dem Sprachheiligtum aus.
Wenigen wurde daher Ludwig Greve, der wenig publizierte, zu Lebzeiten bekannt. Dem Berliner Juden, 1924 als Sohn einer assimilierten Kaufmannsfamilie geboren, gelang 1939 die Emigration, doch kamen Vater und Schwester im Konzentrationslager um. Mit der Mutter wanderte Greve nach dem Krieg nach Palästina aus, kehrte aber 1950 nach Deutschland zurück und leitete von da an die Bibliotheksabteilung des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Er ertrank, kurz nach seiner Pensionierung, 1991 in der Nordsee.
Die berufliche Tätigkeit bewahrte Greve vor jenem Richtspruch, der, wie Reinhard Baumgart einmal feststellte, heute über jedem Dichter schwebt: „Lebenslänglich schreiben”. Das Gedicht, so bestätigt Greve in seiner Freiburger Rede Baumgarts Diagnose, habe wie ein allein stehender Baum zu sein, dem nur langsames und unbehindertes Wachstum die schöne Form geben. Solitäre sind denn auch die Gedichte, die Greve so lange wie möglich vor einer Publikation zurückhielt - eine erste Sammlung legte er 1961 vor, im Abstand etwa von zehn Jahren folgten zögernd weitere. Greve ist der seltene Fall eines Poeten, der weniger Ruhm als Nachruhm hat: Diesen begründete die postume Verleihung des Peter-Huchel-Preises.
Versfüße mit Bodenhaftung
Eine Auswahl aus Greves Gedichten samt der Freiburger Rede hat sein Kollege Reinhard Tgahrt in einem Band zusammengestellt und mit der im Deutschen Literaturarchiv Marbach üblichen Präzision philologisch erschlossen. Der Überblick über Greves gesamtes Werk, der so gegeben ist, macht seine Nähe zu Celan unübersehbar. Jedes Wort deutet sie an, jede Zeile entzieht sich ihm wieder. Celans metaphysisches Schwergewicht kann und will Greve nicht tragen. Alle diese Gedichte sind geschrieben von einem, der nicht nur einen hochfliegenden Geist hat, sondern auch auf zwei Füßen geht. Der Radius, den der Standpunkt dem Subjekt vorgibt, ist der Horizont, den auch die Wörter nie überschreiten. Der Poet richtet seine Aufmerksamkeit von einem fixen Punkt aus auf die Wirklichkeit, auf Meereswellen und Eiskristalle, auf Kirchenkuppeln, auf „Marbach, am Bahndamm”, auf entgegenkommende Wanderer und gar einmal auf ein wasserlassendes Pferd. Nimmt man die vielen Gedichte an die Ehefrau hinzu, so scheint diese private Thematik den Dichter dem Biedermeier zuzuweisen. Einzelne Verse erinnern in ihrer Schlichtheit an die charmante Verschrobenheit derer von Emily Dickinson: „Rosen, wer rief den Frost!/ Eh es Tag wurde,/ brach seine Helle aus/ und verwandelt das Land in einen Stern./ Die Blumen erstarren.”
Gerade der enge Kreis aber, aus dem heraus das lyrische Ich spricht, steigert die Intensität des Bildes, das entsteht. Die Energie der Wörter, die Celan auf die Suche nach einem höheren Sinn schickt, dient Greve der Darstellung alltäglicher Miniaturen. So braucht er nicht einmal das große Gefühl einer romantischen Liebe. Der ehelichen Freundschaft, einem wegen seiner alltäglichen Spannungslosigkeit poetisch schier unbrauchbaren Thema, gewinnt Greve durch minutiöse Beobachtung bislang unbekannte Motive ab. So beschreibt er, wie ein Lächeln auf dem Gesicht der überernsten Freundin erscheint in einem Chaplin-Film, oder er beobachtet die Reaktion des Freundes auf eine Doppelgängerin seiner Freundin, die am Strand vorbeihuscht - dies Gedicht, ein Pendant zu Baudelaires „À une passante”, macht im Unterschied zur pathetischem Melancholie des französischen Dichters die asketische Sprödigkeit des deutschen bewusst.
In hermetisches Dunkel allerdings hüllen sich oft die Gedichte über die Flucht und über die verlorene Schwester, so etwa das Gedicht „Vor Havanna”, wo das Schiff der Flüchtlinge 1939 an der Landung gehindert wurde: „Dein Name auf den Lippen Manna./ Von welchem Salze keusch bist du, Entrückte?/ der Augen? Meers? Daß jetzt die Täuschung glückte -./ Da färbt ein Sonnenbiß mit Blut Havanna.// Für Tote stampft und glitzert das Spektakel/ von Eile, deren Singen wir nicht hören,/ und Leibern, die uns unsichtbar betören./ Mulatten, nehmt uns der Gedanken Makel!”
Extravagante Bescheidenheit
Durchsichtigkeit und Schlichtheit aber, so versichert Greve seinen Freiburger Hörern, seien stets sein Ziel gewesen, und wo er es nicht erreicht habe, hätten ihm „die Leser, die ich erstaunlicherweise trotzdem fand - gerade soviel wie man Freunde haben kann -” geholfen. Kein Publikum also, sondern ein Freundeskreis trug diese Poesie, und so ist auch der vorliegende Band das Dokument freundschaftlicher Zusammenarbeit und einer Atmosphäre, ohne die Greves extravagante Bescheidenheit nicht hätte gedeihen können. Der Herausgeber Reinhard Tgahrt, der heute siebzig Jahre alt wird, war lange Mitarbeiter und dann Nachfolger Ludwig Greves. Aber auch die ästhetische Note, die sachliche Eleganz der Ausstattung des vorliegenden Buches trägt die Signatur der Marbacher Schriften. HANNELORE SCHLAFFER
LUDWIG GREVE: Die Gedichte. Herausgegeben von Reinhard Tgahrt und Waltraud Pfäfflin. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 268 Seiten, 24 Euro.
„Rosen, wer rief den Frost!” - Der Dichter Ludwig Greve (1924 - 1991).
Foto: Mathias Michaelis/DLA Marbach
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

" Mit an Ergriffenheit grenzender Begeisterung begrüßt es Rezensent Thomas Poiss, dass die lange vergriffenen Gedichte Ludwig Greves nun in einem Sammelband wieder vorliegen. Das ebenso leise wie intime Werk dieses Dichters sieht der Rezensent nämlich neben dem Werk Paul Celans stehen, Grebes Auseinandersetzung mit der Frage des Dichtens nach Auschwitz hat für Poiss tiefe Gültigkeit. Im Verbund mit der im Band gleichfalls abgedruckten "Freiburger Rede" wird die Edition aus seiner Sicht zu einer "individuellen Schule des Dichtens nach 1945". Auch die Ausstattung des Bandes und die Arbeit der Herausgeber werden gelobt. Das "kundige" Nachwort und "reiche Briefzitate" machen den Anhang für Poiss zum zusätzlichen "Lesevergnügen".

© Perlentaucher Medien GmbH"