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Nach seinem Geheimreport erscheinen hier erstmals Zuckmayers deutschlandpolitische Überlegungen - ein bedeutendes Zeugnis deutscher Mentalitäten nach 1945.1946 reiste Carl Zuckmayer (1896-1977) als ziviler Kulturoffizier im Auftrag des Kriegsministeriums der USA für fünf Monate nach Deutschland und Österreich und verfaßte anschließend zwei Berichte über die dortige Lage. Adressaten seiner Berichte waren hohe amerikanische Militärs, Entscheidungsträger amerikanischer Deutschlandpolitik, die er durch seine reports beeinflussen wollte. Dies versuchte er weniger mit Statistiken als mit szenischen…mehr

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Produktbeschreibung
Nach seinem Geheimreport erscheinen hier erstmals Zuckmayers deutschlandpolitische Überlegungen - ein bedeutendes Zeugnis deutscher Mentalitäten nach 1945.1946 reiste Carl Zuckmayer (1896-1977) als ziviler Kulturoffizier im Auftrag des Kriegsministeriums der USA für fünf Monate nach Deutschland und Österreich und verfaßte anschließend zwei Berichte über die dortige Lage. Adressaten seiner Berichte waren hohe amerikanische Militärs, Entscheidungsträger amerikanischer Deutschlandpolitik, die er durch seine reports beeinflussen wollte. Dies versuchte er weniger mit Statistiken als mit szenischen Berichten, kurz: mit Literatur, die die harte Realität Deutschlands in paradigmatischen Szenen und Gestalten erfaßt. Mit dem Blick des lange Abwesenden betrachtet er den Überlebenskampf seiner Landsleute in einem vom Krieg verwüsteten Land und vor allem die Situation und Verwahrlosung der Jugendlichen.Neben seinem 1943/44 entstandenen Geheimreport sind die hier veröffentlichten Dokumente weitere bedeutende Zeugnisse der deutschlandpolitischen Überlegungen Zuckmayers, mit denen er damals gängigen Einschätzungen couragiert widersprach. Daher überrascht es nicht, daß sein Engagement sowohl von anderen Emigranten als auch von Mitarbeitern der amerikanischen Regierung äußerst argwöhnisch betrachtet wurde - allerdings aus diametral entgegengesetzten Gründen: In Emigrationskreisen galt er als hoffnungslos reaktionär, Mitarbeiter der amerikanischen Regierung verdächtigten ihn dagegen kommunistischer Umtriebe.Der Band enthält neben den beiden Deutschlandberichten auch alle anderen Texte Zuckmayers zur Deutschlandpolitik, die in den Jahren zwischen 1946 und 1949 entstanden sind. In ihrer Einleitung beschreiben die Herausgeber ihre Entstehungsgeschichte auf der Grundlage bislang unveröffentlichter Briefe. Sie konfrontieren Zuckmayers Position mit anderen zeitgenössischen Deutschlandberichten, skizzieren seine Vorschläge zu politisch-dokumentarischen Filmen, die Gründe, aus denen sie nicht realisiert werden konnten, und sie zeigen, welche Bedeutung Zuckmayers Stellungnahmen für die Erforschung der deutschen Mentalitätsgeschichte zwischen 1945 und 1949 heute haben.
Autorenporträt
Carl Zuckmayer (1896-1977) war einer der erfolgreichsten Autoren der Literatur-, Theater- und Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung zog er sich ins Exil in Henndorf am Wallersee zurück, wo sein Haus zu einem wichtigen Ort der Künstlerbegegnung wurde. 1939 emigrierte er in die USA. 1928 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.

Gunther Nickel lehrt als außerplanmäßiger Professor Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Universität Mainz.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.10.2004

Die Übergangsgesellschaft
Ein Lehrbeispiel für den Irak? Carl Zuckmayers Reisen nach Deutschland 1946 und 1947
Die vier Jahre zwischen der Kapitulation 1945 und der Währungsreform 1949 gehören zu den vergessensten der jüngeren deutschen Geschichte. Die triste Schwarzmarktwelt mit ihren Millionen Wohnungslosen, dem stockenden Beginn des Wiederaufbaus, der Entnazifizierung, wird im Rückblick überdröhnt von den Feuergarben des Untergangs einerseits und dem lärmenden Beginn des Wirtschaftswunders samt Wunder von Bern, gierigem Konsum, genannt Fresswelle, und der dramatischen Aufteilung Deutschlands auf die zwei Weltmachtblöcke andererseits.
Die Vierzonenzeit dazwischen erscheint undeutlicher, und auch, wenn man so will, geistiger. Die Menschen froren und hungerten, aber sie dürsteten auch nach Selbstbesinnung und Aufklärung, stürmten die Theater und Universitätssäle. Abgezehrte Soldatenmienen hingen an Professorenmündern. Deutschland war noch nicht ins Eis des Kalten Kriegs gelegt, auch nicht in den Aspik des wirtschaftlichen Erfolgs, sondern musste noch einmal als unterworfenes Ganzes für sich stehen, während es in seinen Stämmen und Ländern von Grund auf reorganisiert wurde.
Die offene Mitte
Diese lang gestreckte Übergangsstunde findet nun ein lebhaftes aktuelles Interesse durch die Analogie der amerikanischen Besatzung Iraks. Wie gelang es, nach einer monströs unmenschlichen Diktatur und einem vollständigen materiellen Ruin Freiheit und Demokratie zu etablieren? Die Berichte aus Deutschland, die Carl Zuckmayer, damals immer noch Emigrant und im Dienst des amerikanischen Kriegsministeriums, über zwei lange Reisen ins besiegte Vaterland verfasste, halten die offene Mitte dieser vier Jahre fest: 1946 und 1947.
Sie erreichen nicht ganz die mitreißende Kraft der vor zwei Jahren publizierten Psychogramme des Kulturbetriebs im Dritten Reich, die Zuckmayer in genialer Ferndiagnose für den amerikanischen Geheimdienst schrieb. Denn Zuckmayers Feld war die Psychologie, die Seelenkunde der Diktatur, ihrer Gegner, Mitläufer, Nutznießer, nicht die soziologische Generalisierung, wie sie Inspektionsreisen ins besetzte Gebiet erforderten. Hier sollten Überblicke, allgemeine Lageeinschätzungen, unterfüttert durch Beispiele, gewonnen werden, was auch heißt, dass alles Einzelne der Beobachtung etwas Übergeordnetes repräsentieren soll – und so ein Anspruch läuft der literarischen Gestaltung eher zuwider.
Trotzdem sind diese Deutschlandberichte wiederum höchst lesenswert, bestechend durch Anschaulichkeit, Vernünftigkeit und Warmherzigkeit. Zuckmayer ist jede moralische Richterpose zuwider, er sucht nicht, was er finden will, wie so viele andere Reporter, sondern nähert sich der alten Heimat mit herzklopfender Neugier. Er ist zunächst erschüttert von der winterlichen Not im Land, wobei die Kälte noch schlimmer als der Hunger erscheint. Auf den Tapeten der verbliebenen Wohnräume liegt weißer Frostschimmer, der schwerkranke Verleger Peter Suhrkamp arbeitet im Bett, platzende Rohre in den Toiletten richten unbeschreibliche Verheerungen an.
Zuckmayer glaubt nicht an den ewigen Nazi und sucht immer wieder Gespräche mit desorientierten und verbitterten jungen Leuten, die auf ihre Zukunft warten. Und dabei erweist sich: Gerade die amerikanische Besatzung war zunächst alles andere als ein Erfolg. Es gelang nicht, die Herzen der Deutschen zu erobern, und Zuckmayer benennt unzweideutig die Ursachen: wirtschaftliche Not und moralische Demütigung. Es ging zunächst nur mühsam voran, die persönlichen Aussichten der Einzelnen schienen miserabel, und die Jahre des Wartens wurden zu lang. Es habe, so wurde behauptet, 1945 bei der Kapitulation weniger Nazis gegeben als im Hungerwinter 1947/1948.
Dazu kam ein gleichermaßen pedantisches wie oberflächliches Entnazifierungsverfahren, das zu einer gigantischen Denunziationsmaschine und Weißwäscherei zugleich zu werden drohte und das nicht zuletzt die echten Opfer mit Abscheu betrachteten. Das anfängliche Fraternisierungsverbot hielt Zuckmayer mit gutem Grund für einen verhängnisvollen Fehler, schon weil es dazu führte, dass die wohlversorgten Besatzer die Bedürfnisse der ihnen anvertrauten Bevölkerung gar nicht zutreffend einschätzen konnten. Auf deutscher Seite folgte auf diese Misshelligkeiten eine unangenehme Mischung von Selbstmitleid und Zynismus. Der Antisemitismus, befeuert durch Emigranten in Offiziersuniformen und agile Displaced Persons auf den Schwarzmärkten, erlebte eine hässliche Nachblüte.
Der gemeinsame Feind
All diese scheußlichen Erfahrungen, die Zuckmayer keineswegs verschweigt, machen den Reisenden nicht irre in seinem grundlegenden Optimismus und seinem freundlichen Vertrauen vor allem in die Jugend. Und die Geschichte hat bewiesen, dass diese Haltung realistischer war als die moralisch so naheliegende Schwarzseherei. Warum wurde in den westlichen Zonen die Besatzung doch noch zu einem Erfolg? Wir kennen natürlich einige Antworten, die Zuckmayer noch nicht sehen konnte: Der enorme wirtschaftliche Aufschwung, welcher die Flüchtlinge zu integrieren erlaubte, ist die wichtigste; danach die Einbindung Westdeutschlands in den Widerstand gegen einen gemeinsamen äußeren Feind, den imperialistischen Kommunismus, spektakulär initiiert durch die Berliner Luftbrücke.
Dazu kommt aber, vor Ort, ein wachsendes kulturelles Verständnis zwischen Okkupanten und Okkupierten, wie es sich vor allem in der intensiven Kulturarbeit der Besatzungsmächte entwickelte. Theater und Film waren bei diesem Annäherungsprozess einflussreiche Größen. Die Armeen der Sieger hielten sich nicht ohne Grund eigene Theateroffiziere, die nicht nur die Bühnen wieder ins Laufen brachten, sondern auch die Spielpläne beeinflussten. Die Zuschauer bedankten sich mit ausverkauften Häusern, debattierten über Thornton Wilder und humanistische Klassiker, und sie erwiesen sich dabei, wie Zuckmayer voller Genugtuung feststellt, immer noch als urteilsfähig.
Mitten in diese Lernprozesse leuchten die Berichte Zuckmayers. Ob sie Lehrstücke für den Irak bieten können, vermag man von der Ferne kaum zu beurteilen. Denn trotz der verheerenden Katastrophe hatten sich im besiegten Deutschland unter den Trümmern noch viele Strukturen und Bildungsvoraussetzungen der bürgerlichen Gesellschaft erhalten. Presse und Kultur florierten auf Anhieb und fanden ihr Publikum. Die lokalen Verwaltungen funktionierten erstaunlich flexibel weiter, die gummiartige Beständigkeit der modernen Bürokratie erlebte damals eine triumphale Belastungsprobe. Die Niederlage war doch eindeutig genug, um ideologische Kämpfe und allzu aggressive Ressentiments zu unterbinden. Die Aufgaben im Irak dürften also viel schwieriger sein. Dass man die Flinte gleichwohl nicht vorzeitig ins Korn werfen sollte, zeigen diese, übrigens vorzüglich kommentierten Reportagen aus der finstersten Nachkriegszeit.
GUSTAV SEIBT
CARL ZUCKMAYER: Deutschlandbericht für das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten von Amerika. Herausgegeben von Gunther Nickel, Johanna Schrön und Hans Wagener. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 307 Seiten, 28 Euro.
Berlin nach dem Krieg: Blick auf den Kurfürstendamm
Foto: Landesarchiv Berlin
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2005

Ein grauenhaftes Wiedersehen, wunderbar und herrlich
Reise ins Inferno der zerstörten Heimat: Carl Zuckmayers "Deutschlandbericht" aus dem Nachkriegsjahr 1946

Also abermals: Zuckmayer. Jüngst überraschte uns sein "Geheimreport" mit den Porträts seiner in Deutschland verbliebenen Zeitgenossen. Obwohl geschrieben mit den wogenden Gefühlen des Exils, spürte man den klärenden Blick der Entfernung, seine gebliebene Liebe und sein verhärtetes Grollen. Im Ganzen: seine schmerzende Nähe zu Deutschland. Auch im amerikanischen Exil war Zuckmayers Denken immer hier. So wurde sein Report aus Amerika ein Dokument unserer eigensten Geschichte, die auch in den abgetrennten Gliedern weiterging. Er hatte noch im Exil ein untrügliches Gefühl, wie Menschen sich, auch in schlimmen Systemen, Rollen suchen, sich bewähren, sich vergessen, wie der Verstand sich betäuben kann, selbst an den Abgründen. Ohne seinen Menschensinn wäre sein Schauspiel "Des Teufels General" nicht so wahr geworden. Er kritisierte aus dem Verstehen, und urteilte, weil er Ehrfurcht hatte vor dem Leben. Seine Lebensfreude war enorm. Er wollte sie auch für andere. "Mit dir kann man lachen, auch wenn es gar nichts zu lachen gibt", sagte Brecht, als er ihn besuchte auf der Farm im Vermont.

Zwölf Hitlerjahre lang wurde auch in Deutschland nicht vergessen, daß Zuckmayer einst, in den schlimmen Jahren der ersten Republik, mit seinen Komödien, dem "Fröhlichen Weinberg", dem "Hauptmann von Köpenick", eine ganze Generation zum Lachen gebracht hatte. Er hörte es dankbar aus den Worten der Überlebenden, sah es am frohen Erkennen in ihren Gesichtern, als er zum ersten Mal wieder auf deutschem Boden stand.

Juli 1946. Er war einer der ersten Emigranten, die wieder einreisen durften, um die schlimme Wahrheit zu sehen: und Bericht zu erstatten, was zu tun sei in dem verwüsteten Land. Er sah nun: Es war wahr geworden, was er einst, der Krieg war noch nicht zwei Wochen alt, in Hollywood geschrieben hatte, Herbst '39: "Ich weiß, ich werde alles wiedersehn. Und es wird alles ganz verwandelt sein. Ich werde durch erloschne Städte gehn, Darin kein Stein mehr auf dem andern Stein . . ., Und nichts mehr finden, was ich einst verlassen." Zerstört das Haus des Vaters in Mainz, das eigene Wohnhaus in Berlin. Dem Bericht sind Fotos beigegeben von den Ruinenstädten. Sie zeigen die erkalteten Überreste der überall durchlebten Bomben- und Feuerstürme.

Es wurde eine schwere Reise. Ungeduld hatte ihn getrieben, sich um einen Auftrag zu bewerben. Häme und Beleidigungen von den Freunden im Exil hatte er abgeschüttelt. Er kam als Ziviler Kulturbeauftragter der amerikanischen Regierung für Deutschland, unterstehend dem Kriegsministerium; aber nicht als uniformgeschützer Sieger, nicht als Vollstrecker von Paragraphen, ein Beobachter eher. Er könne die Chance nicht auslassen, schrieb er an Fritz Kortner, den Freund, "mit eigenen Augen zu sehen, was drüben vorgeht - und vielleicht doch ein wenig helfen zu können". Das hieß: "Freunde und Bekannte aufsuchen, wertvolle Berichte machen, Vorträge halten", mit den jungen Menschen sprechen. Erkunden, was zu tun sei. Sein Bericht über Gesehenes, Erlebtes, zu Erkennendes war ein Auftrag. Er machte sich keine Illusionen über seine Reise. "Ich stelle sie mir durchaus als einen Besuch im Inferno vor, äußerst problematisch und nicht einmal ungefährlich." Die Reisenotizen sagen: Abreise 4. November, Ankunft in Frankfurt 10. November. Sätze aus den Eintragungen: "Stand auf den Trümmern des Römerbergs, wie in einem Albtraum, aus dem man nicht erwachen kann." Dann Berlin: "Es ist so, daß ich erst einmal sechs Monate schweigen möchte." Die Gründe: Das Elend, plötzlich die deutsche Sprache, Wiedersehen mit den Freunden. Die Erlebnisse: "Unwiederbringlich, fast unbeschreiblich". Er fühlt sich als Heimkehrer "in einem Dschungel", Wege suchend. In solchen Sätzen, solchen Worten haben sich die Gefühlsstürme versteckt; wenn man sie sich aufschließt, kann man die Überwältigungen nachfühlen, die schlimmen wie die frohen. Und er sieht die Aufgabe. Zuckmayer nennt sie "Reorientierung", also Rückbesinnung auf Lebensmöglichkeiten, Lebensregeln, Lebenswerte in einem hungernden, auch geistig ruinierten Land.

Dann beginnt das Erspüren: Wie groß ist der Haß auf die Sieger, wie fest sind die Restbestände der NS-Ideologie, gibt es auch Dankbarkeit für das Zerschlagen der Diktatur? Zuckmayer findet Spuren von allem. Und erfährt, daß der Hitlerismus schon vor Hitlers Tod am Sterben war, daß in der Lethargie ein Suchen nach der Zukunft steckt. Seine Beobachtungen bringt er immer wieder auf den Begriff, doch das Gesehene verwandelt er in Erzählungen von Menschen: von Gestrandeten, von Heimatlosen, von solchen, die bewundernswert das Elend meistern, sich durchschlagen, in den Ruinen eine Praxis, ein Geschäft einrichten, sich auf den Schwarzen Märkten herumtreiben. Er beschreibt das Menschengeschiebe auf den Bahnhöfen, erlebt das Hin und Her der Vertriebenen, der heimkehrenden Kriegsgefangenen. Eine glückliche Stunde ist das Wiedersehen mit den Eltern. Er berichtet von Gesprächen mit Studenten, vom Fleiß dieser Generation, die ihre Bildung erneuern muß, die arbeitet wie keine zuvor. Er beobachtet, wie der größte Teil des geschlagenen Volkes auf Sauberkeit hält, wie es sich nicht gehen läßt, spürt sein Verlangen nach Ordnung und Moral, wertet alles als Zeichen noch vorhandener Vitalität. Er sieht die vollbesuchten Theater, das Verlangen nach Kunst, nach Füllung des tristen Alltags, den Hunger nach Büchern. Der Besuch bei dem kranken Peter Suhrkamp, dem wiedergefundenen Freund, ist wie ein Paradigma all dieser Begegnungen: es gibt noch das besondere im Allgemeinen.

Sorge um eine Jugend

im Niemandsland

Immer wieder ergreift ihn die Sorge um die Jugend, ihre Vereinsamung, ihr "Leben im Niemandsland". Für seine langen, zehrenden Gespräche mit den jungen Leuten, sogar mit Angehörigen der Waffen-SS in Dachau nimmt er die Kraft aus seiner Erinnerung. Er hat, als Rückkehrer aus dem Ersten Weltkrieg, erlebt, wie damals die Jugend allein gelassen wurde, begriffslos blieb und so Hitlers Parolen zum Opfer fiel. Sein Tun ist die Konsequenz aus dieser Erfahrung. Er erwähnt es ausdrücklich. Zuckmayer ist einer der wenigen, die aus dem Aufbruch von 1919 die Maximen ihres Lebens gewonnen und behalten haben. Noch dieser "Deutschlandbericht" ist ein Zeugnis dafür.

Wer die Jahre nach dem Krieg selbst durchlebt hat, erkennt sie hier wieder; wer sie nicht kennt, dem prägen sie sich ein. Es ist ein Erzähler am Werk, der den amerikanischen Empfängern des Berichts die deutschen Zustände miterlebbar machen will. Verständnis wecken, das sieht der Berichterstatter als seinen Auftrag. In Amerika für die deutsche Situation, bei den Deutschen für Amerika. Es ist eine langwierige, Geduld und Besonnenheit fordernde Arbeit.

Das Besatzungsstatut macht aus der besetzten Zone ein Ghetto, die Entnazifizierung sucht in dem Dschungel von Motivationen, Lügen und Ausflüchten meist vergeblich nach Gerechtigkeit und befördert eher eine Renazifizierung; Zuckmayer befürwortet darum eine Amnestie für die Mitläufer, fordert Hinwendung der Militäradministration zu diesen menschlichen Problemen. Denn er sieht die Gefahr, daß die Besatzungsmacht die keimenden Hoffnungen auf Versöhnung, auf Freiheit, auf ein Ende der Not enttäuscht. Er kritisiert die Besatzungspolitik: "Wir erreichen die Menschen nicht. Wir finden keinen Weg in ihre Köpfe und Herzen!" Sein Satz "Was wir den Deutschen heute antun, werden wir uns selbst antun" ist die Essenz all seiner Beobachtungen im Jahr 1947.

Noch hatte er die Hoffnung, seine Berichte würden "wie eine Bombe einschlagen, Riesenwirbel machen", entweder seine Entlassung bewirken oder "die sofortige Einsetzung eines neuen Stabes für drüben, in dem ich dann eine entscheidende Stellung übernehmen würde". Seine Bereitschaft war groß, seine Erwartung ein Trugbild. Als er am 30. März auf dem La Guardia Airfield in New York landete, war die Truman-Doktrin schon zwei Wochen in Kraft, die die Eindämmung des Kommunismus verlangte und die kurze, heftige und fatale Epoche McCarthys einleitete. Wohl schon aus diesem Grunde war Zuckmayer der Besuch in der sowjetischen Besatzungszone von den amerikanischen Behörden nicht mehr erlaubt worden. Die Einladung dazu lag vor. Die wachsenden Spannungen mit Rußland unterbrachen auch die guten Beziehungen der Kulturoffiziere der Besatzungsmächte in Berlin, die er noch erlebte. Die ",Investigatoren" der heraufziehenden McCarthy-Zeit beschäftigten sich auch mit der amerikanischen Kulturpolitik in Deutschland, für die Zuckmayer mit dem Ausbau der Theater, mit der Entwicklung von Dokumentarfilmen in gesonderten, sachlich gut fundierten Berichten Anregungen gab. Sie gehören zu seinem Deutschlandbericht. Es sind Dokumente der Zeitgeschichte. In ihnen steht mehr, als die Texte zu belegen scheinen. Man trifft auf die ganze Ratlosigkeit in prekärer Situation, spürt die Schwierigkeiten, ein besiegtes, verarmtes Volk für sich zu gewinnen, dieses mit seiner Niederlage und Zerstörung zu versöhnen, Gespräche wieder in Gang zu bringen, ein neues Denken zu begründen, Zuversicht zu stiften. Und in Amerika Platz zu schaffen für die damals fast unmögliche Wahrheit "daß das Problem, mit dem wir in Deutschland konfrontiert sind, nicht einfach ein deutsches, sondern ein allgemein menschliches ist." Man spürt, wie hilfreich Helfer der Zuckmayerschen Art sind, die mit Freundlichkeit Mauern brechen und mit Bestimmtheit Lebensgrundsätze vermitteln; und sie selbst verkörpern.

Was sich heute so leicht, so überlegen liest, ist der Extrakt fünf Monate langer Arbeit, die Summe von Gesprächen, Besuchen, von Recherchen, langen Bahnfahrten, in den Bahnhöfen hocken. Zuckmayers Notiz von der Rückkehr sagt genug: "Kam als ein Wrack hier an". Im Brief an Fritz Kortner vom 17. Juni 1947 benennt er als Gründe: "die ungeheuere Erschütterung und das kaum Erträgliche dieses monatelangen Wiedersehens. Es war grauenhaft, das Land in seinem heutigen Zustand wiederzusehen. Es war wunderbar und unbegreiflich herrlich, viele Freunde wiederzusehen und - trotz allem - in einer Luft zu atmen, für die unsere Lunn gemacht sind. Aber gerade das, auch die Wiederbegegnung mit dem Theater, das hier schlechter, dort besser, aber in seinen Wurzeln und in seiner Wesensart halt das unsere ist, war recht schwer auszuhalten, da es so deutlich zeigte, was wir verloren haben. Dazu kommt die große Ungewißheit, was wird sich davon wieder erobern und wieder herstellen lassen - oder aber neu schaffen - für uns und für die da drüben?" Und er litt unter dem "verzweifelten Versuch, einen Einfluß auszuüben, zu dem einem die nötige Macht fehlt".

Zuckmayer endete mit diesem Bericht an das Kriegsministerium nicht, was er in Deutschland begonnen hatte. 1948 fuhr er zurück, und nun begann, ohne Auftrag, eine neue Reise durch die Universitäten. Wer dabei war, wird die langen Diskussionen nicht vergessen. Sie waren frei, eindringlich, man erlebte einen Menschen, der nicht besetzt war von Vorurteilen, der mit helfendem Argumentieren die unseren auflöste. Er war selbst dankbar für diese Diskussionen. Er machte für sich selbst eine befreiende Erfahrung. Sie steht nicht in seinem "Deutschlandbericht", sondern in seinen lebensprallen Erinnerungen "Als wär's ein Stück von mir". Sie ergänzen seinen Bericht, denn Zuckmayer mogelte sich in jenem Winter über die versperrte Grenze nach Zürich zur Uraufführung seines Stücks "Des Teufels General".

Das größte Glück:

Hicht hassen zu müssen

Das Erlebnis hat ihn bei der Niederschrift seiner "Erinnerungen" noch so bedrängt, daß er über diese Begegnung mit sich selbst und seiner Wirkung keine Worte fand oder finden wollte. Aber jene Erfahrung ist vermerkt. Der Emigrant spürte sie als das "vielleicht größte und gnadenvollste Glück, das mir in meinem ganzen Leben beschieden war: Nicht hassen zu müssen". Und noch ein Bekenntnis dort hilft zum Verstehen des Buches. "Vom ersten Augenblick an, in dem ich deutschen Boden betreten hatte . . . wußte ich, daß ich kein Amerikaner bin . . . sondern zu dem Volk gehöre, dessen Sprache und Art die meine war . . ." Auch das erklärt seine rastlosen Mühen. Der Zusammenbruch, der Herzinfarkt 1948 war die Folge. Die Betrachtung "Jugend im Niemandsland" wurde geschrieben Weihnachten 1949. Die deutschen Dinge ließen ihn nicht los.

So ist dieses Buch, das verborgene Arbeiten Zuckmayers aus dem Nachlaß zusammenführt, ein geschichtsstarkes Lesebuch. Es beleuchtet die Verhältnisse, menschliche Schicksale, die Psychologie der Sieger wie der Besiegten. Und es setzt Reflexionen über Nachkriegsstrategien zukunftsoffener Versöhnung in Gang, die gegenwärtige Assoziationen nicht ausschließen. Der Band ist sehr sorgfältig ediert. Die Herkunft von Gunther Nickel aus dem Marbacher Literaturarchiv hat ihm den Zugang zum noch gesperrten Briefwechsel Carl Zuckmayers und dessen Nutzung erlaubt. Die drei Herausgeber, Gunther Nickel, Johanna Schrön und Hans Wagener weiten das Blickfeld der Texte durch viele, zum Teil ausgreifende Anmerkungen und eine anregende Bibliographie. Man nimmt den Schriftsteller Zuckmayer wahr als eine tätige Person, die sich nicht verbarg in der Literatur, die sie hervorbrachte.

Carl Zuckmayer: "Deutschlandbericht für das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten von Amerika". Hrsg. im Auftrag der Carl Zuckmayer Gesellschaft von Gunther Nickel, Johanna Schrön und Hans Wagener. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 308 S., Abb., geb., 28,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wenig, sehr wenig ist über die unmittelbare deutsche Nachkriegszeit geschrieben worden, stellt Gustav Seibt zunächst fest - und das erweist sich nun als doppelt bedauerlich. Fast aktueller denn je sei diese Phase des Wiederaufbaus schließlich im Angesicht der US-Bemühungen nach dem Irak-Krieg. Gerade recht kommen da die Berichte aus den Jahren 1946/47, die Carl Zuckmayer für das US-Kriegsministerium verfasste. Zwar haben sie, so Seibt, nicht ganz die Klasse und Prägnanz seiner biografischen Vignetten aus dem Vorkriegsdeutschland - was auch daran liegt, dass es hier eher um Grundsätzliches und Exemplarisches gehen sollte, nicht um "literarische Gestaltung" des Einzelnen und Besonderen. Lesenswert aber findet der Rezensent das allemal, hellsichtig auch. Zuckmayers Optimismus angesichts eher düsterer Verhältnisse sei erstaunlich, aber er habe ja recht behalten, gegen den vom ihm geschilderten ersten Anschein eines weiterhin existierenden Antisemitismus und wirtschaftlicher Bedrückung. "Vorzüglich kommentiert" seien diese Reportagen zudem.

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