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Die Briefe des Lyrikers und Literaturwissenschaftlers an den jüngeren Kollegen erzählen die Zeit- und Literaturgeschichte der 1960er bis 1980er Jahre mit einer menschlichen Stimme.Der Auftakt zum Briefwechsel zwischen dem Jerusalemer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Werner Kraft und dem Philosophen und Übersetzer Curd Ochwadt in Hannover waren die Zusendung der Rimbaud-Übersetzung Ochwadts an Kraft und dessen Dank dafür. Die ein knappes Vierteljahrhundert (1962-1986) dauernde Korrespondenz spielt sich stets unter dem Zeichen angeregten freundschaftlichen geistigen Austauschs ab, den…mehr

Produktbeschreibung
Die Briefe des Lyrikers und Literaturwissenschaftlers an den jüngeren Kollegen erzählen die Zeit- und Literaturgeschichte der 1960er bis 1980er Jahre mit einer menschlichen Stimme.Der Auftakt zum Briefwechsel zwischen dem Jerusalemer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Werner Kraft und dem Philosophen und Übersetzer Curd Ochwadt in Hannover waren die Zusendung der Rimbaud-Übersetzung Ochwadts an Kraft und dessen Dank dafür. Die ein knappes Vierteljahrhundert (1962-1986) dauernde Korrespondenz spielt sich stets unter dem Zeichen angeregten freundschaftlichen geistigen Austauschs ab, den auch dort ein unverändertes Einvernehmen kennzeichnet, wo die Verschiedenheit des Denkens der Partner ihren Anspruch meldet.Gegenstand der Briefe sind u.a. die Literatur- und Zeitgeschichte der 60er bis 80er Jahre, Krafts Stellungnahmen zum Geschehen in Israel und die Projekte der beiden zu Arthur Rimbaud, Martin Heidegger und dessen Philosophie und politischer Haltung nach 1933 sowie zu dem Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe. Eine besondere Rolle in der Korrespondenz spielen die Begegnungen Krafts mit Persönlichkeiten der deutschen und deutsch-jüdischen Literatur des 20. Jahrhunderts (u.a. Rudolf Borchardt, Karl Kraus, Walter Benjamin, Gershom Scholem, Else Lasker-Schüler, Martin Buber und Ludwig Strauß) sowie das eigene dichterische Schaffen - Kraft hatte seinen Briefpartner um ein Urteil zu zahlreichen Gedichten gebeten, die in diesem Band zum Teil zum ersten Mal erscheinen.Die Edition der 78 Briefe Krafts wird ergänzt durch einen Kommentar und ein Nachwort mit Curd Ochwadts persönlichen Erinnerungen an Werner Kraft.
Autorenporträt
Werner Kraft (1896-1991) wurde nach dem Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie zum Bibliothekar ausgebildet. 1925 promovierte er in Frankfurt. 1928-1933 war er Bibliotheksrat in Hannover. 1933 Emigration über Paris nach Jerusalem, wo er als Bibliothekar und, nach der Pensionierung, als freier Schriftsteller tätig war.

Ulrich Breden, geb. 1950, Bibliothekar, arbeitet seit 1982 an der Niedersächsischen Landesbibliothek, wo er die Werner Kraft-Bibliographie als Datenbank betreut.

Curd Ochwadt (1923-2012), studierte von 1950 bis 1953 Philosophie sowie deutsche und französische Literatur in Freiburg. Schriftsteller, Übersetzer (Rimbaud und Char) und Herausgeber u.a. der Schriften und Briefe des Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe und eines Teils der Werke Heideggers.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.01.2005

Von Hannover nach Jerusalem
Ein deutscher Selbstdenker: Werner Kraft in seinem Briefwechsel mit Curt Ochwadt
Dreißig Stufen ging es außen am Haus hinunter in den Garten und zu einer Souterrainwohnung; darin war es schattig und kühl, und es gab Pulverkaffee und Plätzchen in der Alfasi Street 31 im deutschjüdischen Jerusalemer Stadtteil Rehavia. Werner Kraft wartete immer auf Besuch aus Deutschland oder von noch Deutsch lesenden Israelis. Denn er, der 1933, nach Erlass des „Gesetzes zur Wiederherstellung des deutschen Beamtentums”, mit 37 Jahren seine Stelle als Bibliotheksrat in Hannover verloren hatte und 1934 nach Jerusalem gekommen war, lebte weiter in der deutschen Sprache und Literatur, auch als er 1946 die Möglichkeit ausgeschlagen hatte, in den niedersächsischen Bibliotheksdienst zurückzukehren.
Zu ihm pilgerte man als an klassischer deutscher Literatur Interessierter; er war in Israel der Statthalter Goethes und Walter Benjamins, Stefan Georges und Karl Kraus‘, Johann Gottfried Seumes und Carl Gustav Jochmanns, die im Gespräch mit ihm gleich so präsent, selbstverständlich und aktuell waren wie in kaum einem Bürger- oder Germanistenhaushalt in Deutschland nach 1945. Und drei Straßen weiter wohnten Ernst Simon, der Pädagoge (und große Schwarm Else Lasker-Schülers) und der Kabbala-Forscher Gershom Scholem, mit dem man über Paul Scheerbart und Jean Paul plaudern und sich manche edel-zionistische Fuchsenstunde abholen konnte: eine wahrhaft gediegene Gesellschaft!
Das Verdikt über Heidegger
In dem Maße, in dem der Ruhm des Autors von Büchern über Rudolf Borchardt und Heinrich Heine, Franz Kafka und Hugo von Hofmannsthal in seiner alten Heimat ab Mitte der fünfziger Jahre langsam wuchs, nahm auch die Zahl der Briefe zu, die an seine deutschen Leser gingen, und das waren meist Briefe noch in einem alten, emphatischen Sinne, was man sich vielleicht vorstellen kann, wenn man Krafts lustige, aber ganz ernst gemeinte Maxime liest: „Ich möchte einen Verein der Leute gründen, die Briefe aus Überzeugung mit der Hand schreiben.” Glücklicherweise ist nun ein erster Band mit den Briefen Werner Krafts an einen deutschen Adressaten, in diesem Fall den hannöverschen Autor Curd Ochwadt erschienen; die Briefe stammen aus den Jahren 1962 bis 1986 und sind von Ulrich Breden und Curd Ochwadt vorzüglich erläutert und mit einem Lebensabriss ergänzt, der ausführlicher ist als der 1996 in dem Werner Kraft gewidmeten Marbacher Magazin Nr. 75 enthaltene.
Der alte Herr tritt einem mit jener Lebhaftigkeit, mit jener Selbstverständlichkeit des Lebens in Literatur und mit jenem Zeitmaß des Denkens, Bedenkens und Formulierens entgegen, das dem Zeitgefühl einer vergangenen Epoche entstammt: vor E-Mail und den anderen „Facilitäten der Communication”, welche Goethe - „der große Goethe”, wie ihn Kraft immer wieder apostrophiert - so bewunderte wie fürchtete. Über Jahre bespricht man hier brieflich die Frage, wie Rimbauds „Je est un autre” ins Deutsche zu übersetzen sei; Stefan Georges doppeldeutige Rolle im Heraufführen von 1933 wird wiederholt beunruhigt erwähnt, doch einen der bedrohlichsten Orgelpunkte in diesem Briefwechsel können wir eigentlich nur erschließen: Es ist Krafts Verwerfung Martin Heideggers als einer moralischen Existenz nicht nur wegen der Rektoratsrede von 1933 (die Kraft vor lauter Abscheu gar nicht präzise hat lesen können), sondern weil er Heideggers Nähe zum Nationalsozialismus als eine geradezu vulgäre Nähe eines Philosophen (bei dem er selbst zwei Semester lang gehört hat) zum nihilistischen Verbrecher empfinden musste.
Was Heidegger nie in klaren Worten widerrief, konnte Werner Kraft, der Moralist, auch nicht vergeben; doch ist er in dieser Sache auch nicht rechthaberisch, denn wie das Verhältnis zwischen Charakter und philosophischem Ingenium Heideggers schließlich zu beurteilen wäre, beleuchtet er selbst in einem atemberaubenden Bericht über einen Wortwechsel zwischen Ernst Simon und Gershom Scholem, und Kraft lässt das Problem großartig ungeschlichtet. Dass Curd Ochwadt allerdings - als der Überlebende automatisch das letzte Wort behaltend - im Kommentar über 15 Seiten hinweg Krafts Verdikt über die „grauenhafte Rektoratsrede” zurechtrücken willund Kraft überdies als ungenauen Leser der Rede hinzustellen versucht, ist ungehörig, weil es - gerade wenn ein solcher Kommentar von einem Heidegger-Schüler und -Herausgeber kommt - weit über die notwendige Erläuterung einiger Briefstellen hinausgeht.
Wobei ich zugebe, dass über Heideggers Rektoratsrede (sie ist ja beinahe mehr lachhaft als abscheulich) fast so viel Unsinn geschrieben worden ist wie zu Adornos Sätzen über die Möglichkeit von Gedichten nach Auschwitz, ein durchdringend klares Wort also durchaus immer noch willkommen wäre - aber doch nicht im Anhang zu einer Briefausgabe! Übrigens hat Kraft, der doch Gedichte so staunenerregend genau las, wirklich auch Adornos berühmten Satz nicht besonders klar vor Augen gehabt, als er schrieb: „Adorno hat geschrieben, es gebe seit Auschwitz keine Lyrik mehr.”
Nein, das hat Adorno nicht geschrieben; aber Kraft fährt unmittelbar mit einem souveränen Satz fort, der hoch spekulativ, aber schlau und kühn ist: „Es gibt sie. Ich würde eher sagen: nur sie. Und nicht den Roman, nicht das Drama . . .”. Das sagt provozierend und tiefsinnig der Werner Kraft, der vor dreißig Jahren von der Darmstädter Akademie nicht als Literaturkritiker den Johann-Heinrich-Merck-Preis bekam, sondern den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa, was er selbst kommentiert mit dem Wort: Humbug. Denn Wissenschaftler war er nun wirklich nicht, sondern Kritiker und - mit seiner Lieblings-Selbstdefinition: „Selbstdenker”, auch wenn er bedeutende Monografien zu den Autoren Carl Gustav Jochmann und Rudolf Borchardt geschrieben hat.
Ein Mann mit Herz und Geist
Der Herausgeber Ulrich Breden beklagt am Ende seines „Lebensabrisses” von Werner Kraft, dass die Zugänglichkeit des Werkes von Kraft 14 Jahre nach seinem Tod „unbefriedigend” sei. Das kann man wohl sagen und nur hoffen, dass neben den Büchern über Heine, Goethe und George und auch über die Aufsatzsammlung „Herz und Geist” und die Autobiografie „Spiegelung der Jugend” hinaus bald nicht nur endlich der Briefwechsel mit Wilhelm Lehmann, sondern auch die höchst merkwürdige Anthologie „Wiederfinden” und weitere Bände mit Briefen von Kraft an deutsche Leser verfügbar sein werden, die ihm so viele Anregungen und traditionsstiftende Hinweise verdanken, ihm, dem aus Deutschland vertriebenen deutschen Juden, der dann mit Stolz ein Jude und Israeli wurde und zugleich immer ein hannöverscher Bibliotheksrat blieb.
JÖRG DREWS
WERNER KRAFT: Zwischen Jerusalem und Hannover. Die Briefe an Curd Ochwadt. Herausgegeben von Ulrich Breden und C. O. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 304 Seiten, 32 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Werner Kraft war der "Statthalter Goethes in Jerusalem", charakterisiert Jörg Drews den einstigen Hannoveraner Bibliothekar, der in der NS-Zeit nach Israel emigrierte und sich im Jerusalemer Stadtteil Rehavia niederließ, wo viele deutsche Juden lebten. Kraft verfasste Bücher über Heinrich Heine, Rudolf Borchardt, Franz Kafka und Hugo von Hoffmannsthal, die seinen Ruf auch in die junge Bundesrepublik trugen und ihm einen regen Briefwechsel bescherten. Einer seiner Briefpartner war der deutsche Autor Curd Ochwadt; dieser hat nun gemeinsam mit Ulrich Breden seine aus den Jahren 1962 bis 1986 stammende Korrespondenz mit Kraft herausgegeben und kommentiert. Kraft war ein Mann der alten Schule, hochgebildet, ein passionierter Briefschreiber von Hand, so Drews, der jahrelang mit Ochwadt über die Frage kommuniziert hätte, wie man den berühmten Rimbaud-Satz "Je est un autre" zu übersetzen habe. Im Hintergrund schwelte allerdings auch eine Auseinandersetzung über Martin Heidegger, die der Leser laut Drews nur erahnen kann. Kraft habe Heidegger seine Rektoratsrede von 1933 nie verziehen, erläutert er; dass Ochwadt nun im Anhang der Briefausgabe Krafts Verdikt über Heideggers Rede zurechtzurücken versucht, empfindet der Rezensent als anmaßend.

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