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Produktdetails
  • Verlag: iudicium
  • Seitenzahl: 678
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 930g
  • ISBN-13: 9783891296509
  • ISBN-10: 3891296509
  • Artikelnr.: 09724130
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2001

Nur im Theater sind die Japaner die besseren Preußen
Sushi und Sake statt Bier und Schinkenstulle in Briefen an die Frau Mama: Die Leiden des jungen Rechtslehrers Georg Michaelis im Tokio der Meiji-Zeit

"Im Großen u. Ganzen komme ich aber dahinter, daß Japan wohl kaum berufen sein wird, eine große Rolle in der Zukunft Asiens zu spielen. Seine merkwürdige Kultur, seine Kunst, die Schönheit seines Landes wird Viele interessieren u. entzücken, eine Kraft wird von diesem Lande aber nicht ausgehen." Dies schrieb am 22. März 1886, "Kaisers Geburtstag", wie es in der Briefüberschrift heißt, Georg Michaelis aus Tokio an seine Mutter in Frankfurt an der Oder. Ein halbes Jahr zuvor war der junge preußische Gerichtsassessor in die japanische Hauptstadt gekommen, um an der dortigen Schule des Vereins für deutsche Wissenschaften als Rechtslehrer zu dozieren. Fast vier Jahre lang, bis August 1889, sollte er dieser Tätigkeit nachgehen.

In Japan war das eine aufregende Zeit, eine Zeit des Umbruchs in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Reformer und Konservative rivalisierten miteinander, um die Geschicke des Landes zu lenken, das sich seit dem Sturz des Shogunats und der Restaurierung kaiserlicher Macht 1868 in einer halsbrecherischen Aufholjagd mit den imperialen Mächten des Westens befand. Zu der politischen Ungewißheit trugen auch die ausländischen Berater bei, die von der japanischen Regierung in großer Zahl ins Land geholt worden waren, um den Modernisierungsprozeß zu begleiten. Zu dieser Gruppe hochprivilegierter Experten gehörte auch der junge Michaelis.

Seine japanischen Eindrücke und Erfahrungen hielt er in Tagebuchaufzeichnungen und einer ausführlichen Korrespondenz vor allem mit seiner Mutter fest. Zusammen mit einigen Zeitungsartikeln und anderen Dokumenten hat Bert Becker dieses Material jetzt in dem vorliegenden Band zugänglich gemacht. Sorgfältig ediert und mit zahlreichen zeitgenössischen Fotos illustriert, bietet er interessante Einblicke in das Japan der mittleren Meiji-Zeit, gefiltert durch die Brille eines passionierten deutschnationalen Spießers.

Georg Michaelis war kein bedeutender Mann, auch wenn er am Ende seiner Karriere während des Ersten Weltkriegs für einige Wochen deutscher Reichskanzler wurde. Aber vielleicht spricht gerade deshalb aus seinen Schriften sehr unvermittelt der Geist der Zeit, eine sehr starke Strömung dieses Geistes jedenfalls. Das Deutschtum zu verbreiten war ihm ein selbstverständliches Anliegen, das als Reflex der politischen Verhältnisse in Europa mit einer feindseligen Haltung gegenüber den Großmächten einherging. In Japan ging es um Einfluß. "Die englischen Zeitungen hier toben über diese Überschwemmung mit Deutschen", schreibt Michaelis. Zwar zählte die deutsche Kolonie in Tokio wie die anderen Ausländergemeinden nur wenige Dutzend Mitglieder, aber die deutsche Präsenz war in diesen Jahren tatsächlich nicht zu übersehen.

Michaelis dachte in nationalen Kategorien. Pauschalurteile über "den" Japaner flossen ihm ebenso leicht aus der Feder wie über die europäischen Nachbarn und die Amerikaner. Am deutlichsten zum Ausdruck kommt seine Schubladenmentalität freilich gegenüber dem "Juden Mosse", wie er einen anderen preußischen Juristen im japanischen Staatsdienst habituell nennt. Antisemitische Äußerungen finden sich in den Briefen immer wieder. An einem Abendessen des Rechtsanwalts Droß teilzunehmen, der eine Jüdin zur Frau hatte, hieß für ihn, "die Anspruchs-Schnalle enger ziehen".

Die Zöglinge dieses Erzkonservativen bildeten die künftige Elite des japanischen Staates. Sie politisch beeinflussen zu wollen entsprach der Selbstverständlichkeit, mit der Vertreter westlicher Länder damals versuchten, Japan zu einem Land nach ihrem Bild und so zu einem Verbündeten im imperialistischen Wettkampf zu machen. In dieser Hinsicht durfte Michaelis im letzten Jahr seines Aufenthalts in Tokio einen Triumph erleben. Japan erhielt eine Verfassung nach westlichem Vorbild, von der er Grund hatte zu befürchten, daß sie "hauptsächlich an englische oder amerikanische Muster sich anschließen würde". Wie groß war deshalb seine Befriedigung, als das neue Gesetzeswerk am 11. Februar 1889 feierlich verkündet wurde: "Eine kurze, schneidige konservative Verfassung, nach preußischem Muster, aber viel einschränkender mit Bezug auf Parlament u. Volksrechte, eine Verfassung mit einem mächtigen Monarchen u. vernünftiger Kontrolle des Ministeriums." Und das trotz des "einflußreichen Juden Mosse", der nach Michaelis' Meinung "kein geeigneter Rathgeber" war.

In Lebensart und Überzeugung war Michaelis unerschütterlich. Nach einem japanischen Diner des Staatsrats Yamawaki, bei dem er "mit Todesverachtung" Sake trank, ging er nach Hause und "aß eine ordentliche Schinkenstulle und trank ein Glas Bier". Moral und Religion der Japaner galten ihm nicht mehr als ihre Küche. Er bescheinigte ihnen einen "völligen Mangel ethischer Gefühle nach unseren Begriffen". Das "gewöhnliche Volk hängt noch fest an seinem Aberglauben", womit Michaelis den Buddhismus meinte. Es jammerte ihn, "zu sehen, wie das Volk Rettung sucht am todten Holz", einer Plastik nämlich im großen Tempel von Asakusa. Wenn er sich positiv über die Kultur des Gastlandes äußert, steckt meist ein anderes Motiv dahinter. "Im Theater sind uns Deutschen u. überhaupt Europäern die Japaner eigentlich über", merkt er an. Warum aber ist das so? Weil "der Japaner eigentlich nur nationale u. zwar in der Regel ernste Schauspiele kennt".

Einzig der Naturschönheit Japans begegnet Michaelis unbefangen und offenen Auges und läßt sich von ihr bezaubern. Mehrmals unternahm der begeisterte Wanderer längere Reisen durch das Land, auch in abgelegene Gegenden wie die nördlichste der Hauptinseln, Hokkaido, die vor ihm erst wenige Europäer besucht hatten. Michaelis' Naturbeschreibungen sind äußerst detailliert und viel lebendiger als das, was er über die Menschen und Städte zu sagen hat. Wer die von ihm bereisten Orte selbst gesehen hat, liest seine Berichte über die vielen idyllischen Plätze mit Interesse und einiger Betroffenheit, da er die meisten von ihnen nur als Betonwüsten kennt. Sie entschädigen ein wenig für die sonst eher anstrengenden Ausführungen des Berufsdeutschen Georg Michaelis.

FLORIAN COULMAS

Bert Becker (Hrsg.): "Georg Michaelis". Ein preußischer Jurist im Japan der Meiji-Zeit. Briefe, Tagebuchnotizen, Dokumente 1885-1889. Iudicium Verlag, München 2001. 678 S., Abb., geb., 58,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Rezensent sagt es rundheraus: Georg Michaelis war kein bedeutender Mann. Was er zu Papier gebracht hat, erscheint Florian Coulmas durchwirkt von Pauschalurteilen über Japan und die Japaner, von Antisemitismen und schwer erträglicher Deutschtümelei. Dennoch weiß Coulmas zwei Gründe zu nennen, die für dieses Buch sprechen: Erstens sei es womöglich gerade jene Bedeutungslosigkeit des Mannes, die sehr unvermittelt den Geist der Zeit aus dessen Schriften reden lässt. Und zweitens seien die Naturbeschreibungen des Japanreisenden Michaelis schlicht bezaubernd.

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