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Produktdetails
  • Verlag: Lamuv
  • Seitenzahl: 240
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 367g
  • ISBN-13: 9783889775979
  • ISBN-10: 3889775977
  • Artikelnr.: 24073413
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001

Liebe geht auf die Knie
Zwischen den Welten: Leila Aboulelas Roman "Die Übersetzerin"

Die Nachfrage regelt das Angebot. Im Moment konzentrieren sich die Medien darauf, der Leserschaft den Islam, die islamische Welt und ihr Verhältnis zum Westen näherzubringen. Verleger geben immense Summen für Bücher aus, die noch nicht geschrieben sind, von Autoren, die sie nicht kennen, in Sprachen, die sie nicht verstehen. Dabei bemühen sich seit Jahren gerade kleinere Verlage, die deutschsprachigen Leser mit fernen, außereuropäischen Kulturen vertraut zu machen. Eine mühevolle Sisyphusarbeit gegen deutsche Lesegewohnheiten und Rezeptionsroutinen, an denen auch Nobelpreise für V. S. Naipaul, Wole Soyinka oder Nagib Machfus wenig geändert haben. Hin und wieder schafft es so ein Buch in Amerika oder England in die Bestsellerlisten und erkämpft sich damit eine kurze Aufmerksamkeit, dann kehrt man wieder zur Literatur aus dem englischsprachigen Westen und zur Nabelschau der eigenen eurozentristischen Befindlichkeit zurück.

Angebot und Nachfrage regeln auch einen anderen Markt. In diesen Wochen dürfte neben dem Sicherheitsbeamten eine weitere Profession hoch im Kurs stehen - der Übersetzer, vor allem aus dem Arabischen und aus anderen Sprachen, die in der islamischen Welt beheimatet sind. Übersetzen macht Mühe, erfordert Konzentration und Fleiß und wird selten gut honoriert, was dazu geführt haben mag, daß die Tätigkeit überwiegend eine weibliche Profession ist.

Von ebendieser Kunst der Traduktion handelt der Roman "Die Übersetzerin" von Leila Aboulela. Es geht nicht so sehr um Sprachen, sondern um die Übertragung kultureller Werte zwischen den Welten, ums Verstehenwollen und Nichtverstehenkönnen, um den Islam und den säkularen Westen. Die politische Brisanz rührt aus der Perspektive. Sammar, die Protagonistin, stammt aus Khartum, aus dem städtischen Bürgertum, das weltoffen und gebildet ist. In den achtziger Jahren verschlägt es sie ins schottische Aberdeen, wo ihr Mann Medizin studiert. Bei einem Autounfall kommt der junge Sudanese ums Leben, und die Witwe kehrt mit dem Sarg und einem Kleinkind nach Khartum zurück. Dort fühlt sie sich im Hause der omnipotenten Schwiegermutter überflüssig und unwohl. Sie überläßt den Sohn der Verwandten und fliegt zurück nach Aberdeen. Die Witwenjahre vergehen mit der Übersetzungsarbeit und einem zurückgezogenen Leben in der Anonymität eines Universitätswohnheims.

Der Leser begegnet Sammar während des Golfkrieges. Im Mutterland des Commonwealth, das wie kein anderes in Europa Erfahrung mit Fremden aufzuweisen hat, spürt die bekennende Muslimin plötzlich Feindseligkeit und Kälte. Daß sie akzentfrei Englisch spricht, daß sie in England geboren und britische Staatsbürgerin ist, daß sie einer Arbeit nachgeht, spielt keine Rolle. Ihre Haut ist dunkel, sie trägt ein Kopftuch. Im Schreibtisch lagert ein Gebetsteppich, wird er dem Ritus entsprechend benutzt, verschließt Sammar die Bürotür sorgfältig. Auf Toleranz will sie auch an einem Institut für Politik und Islamwissenschaft lieber nicht vertrauen. Rae, Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Nahost, ein linksliberaler Achtundsechziger mit reichlich Weltanschauung, zwei geschiedenen Ehen und einer asthmatischen Erkrankung im Gepäck, vermag Sammars Einsamkeit aufzubrechen. Nicht nur die Arbeit, eine geplante Studie über islamistische Extremisten in Ägypten, verbindet.

Rae vermittelt Sammar einen Dolmetscherauftrag in Kairo, von dort könne sie nach Jahren der Trennung zu ihrer Familie nach Khartum reisen. Doch vor dem Abflug endet die harmonische Liebesbeziehung jäh. Sammar bittet um Gewißheit, um Loyalität, will eine Heirat. Rae spricht von Empathie, von Verständnis, von Überzeugung und meint Unsicherheit und Distanz. Ein nahezu klassischer Geschlechterkonflikt, wäre da nicht der Glaube. Rae, der Atheist, soll die Shahadah, das Bekenntnis zu Allah, ablegen und damit Muslim werden. Anders ist eine Ehe für Sammar nicht denkbar. Er, der westliche Individualist, der Skeptiker, der Ungläubige fühlt sich überrannt, unsicher; sie wittert Betrug, ist enttäuscht, schließlich habe er, der Korankundige, um ihren Glauben und dessen Regeln gewußt. Nicht politische Überzeugungen trennen, nicht Bildung, nicht das Nichtwissen um die andere Kultur. Es geht um Lebensentwürfe und Identitäten, um Individualismus und eingeforderten Gemeinsinn, um Glauben, wie wir ihn kaum noch kennen. Und natürlich um Würde, ein Wert, der in der islamischen Kultur höher steht als der der Freiheit.

Aboulela entmystifiziert mit ihrem leisen, zwanglos-naiv erzählten Buch Vokabeln wie Integration und Assimilation, denn der Westen meinte immer nur eine Angleichung an seine Welten und seine Werte. Im Falle von Rae stellt sich die Frage nach der medialen Glaubhaftigkeit eines zum Islam übergetretenen westlichen Islamwissenschaftlers. Doch es geht nicht wirklich um Rae, nicht um die verlorenen Träume des Achtundsechzigers, für den der Orient erst ein exotisches, dann ein politisches Abenteuer war und nun zum Medium seelischer Auferstehung wird. Am Ende findet er den "Weg des Geistes", reist zu Sammar nach Khartum, weiter nach Umdurman, wo sich Weißer und Blauer Nil begegnen und Mahdi, ein islamischer Mystiker und legendärer sudanesischer Freiheitskämpfer gegen die Briten, begraben ist.

Die hölzernen politischen Kommentare im Buch kommen von Rae, Sammar bleibt in diesen Fragen stumm, wie Rae in denen des Glaubens, zwei Monologe, die sich nur in ihrer hermetischen Geschlossenheit treffen. Die im Nachwort von der Autorin bekundete Absicht, dem westlichen Leser die Offenheit und die Schönheit des Islam zu vermitteln, wird letztlich der Bekehrungsgeschichte geopfert.

Eindringlicher schildert Aboulela, selbst bekennende Muslimin mit katholischer Missionsschulerfahrung, die postkoloniale Kluft zwischen Ort und Neuverortung, zwischen place und displacement. Wie weit kann sich ein Moslem im Westen assimilieren und gleichzeitig seine kulturellen und religiösen Werte wahren, eine Frage, über die der Westen naturgemäß wenig nachdenkt, weil sie nicht die seine ist, die aber für eine wachsende Zahl kosmopolitisch gebildeter und im Westen angekommener Muslime eine prekäre ist. Sammar kämpft nicht gegen eine andere Kultur oder Religion, sie kämpft mit der eigenen: mit der nachholenden, schmerzhaften Modernisierung der islamischen Welt, mit ihren Landsleuten, die den Westen, den sie nicht kennen, in ein rosarotes Licht tauchen, mit deren Minderwertigkeits- und Ohnmachtsgefühlen angesichts der desolaten Situation in der Heimat, mit der eigenen Orientierungslosigkeit in einer sich auflösenden Herkunftskultur, die längst nicht mehr die eigene ist, während die fremde bislang nur zum ungeliebten Exil taugt. In dieser Brandung steht der Koran wie ein Fels, und Allah regiert als Gott der großen und der vielen kleinen Dinge.

Im vergangenen Jahr wurde die 1964 in Khartum als Tochter einer ägyptischen Mathematikerin und eines Sudanesen geborene, in England ausgebildete und heute in Jakarta lebende Leila Aboulela für ihre Erzählung "The Museum" mit dem Craine-Preis für afrikanische Literatur ausgezeichnet. Die Kosten der interkulturellen Erfahrung einfühlsam darzustellen, hieß es in der Begründung der Jury unter Ben Okri, sei die Stärke dieser Autorin. In der preisgekrönten Erzählung scheitert die Beziehung einer muslimischen Frau zu einem Engländer. Im Roman "Die Übersetzerin" gerät das Happy-End zur postkolonialen Antwort auf die kolonialen Erzählungen. Sammar rettet die religiösen Wurzeln in Zeiten, in denen Wurzellosigkeit zur Conditio humana avancierte. Doch was wird aus Rae? Zunächst schmerzen dem in die Jahre gekommenen Revoluzzer die Knie - vom ungewohnten Beten.

SABINE BERKING

Leila Aboulela: "Die Übersetzerin". Roman. Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Jutta Himmelreich. Lamuv Verlag, Göttingen 2001. 239 S., geb., 32,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Großes Lob spricht Rezensent Heinz Hug diesem Roman der in Schottland lebenden Sudanesin Leila Aboulela aus. Er attestiert der Autorin "eine große Sensibilität für Gedächtnis und Gegenwart". Ein Grundthema, das sich durch die Geschichte zieht, ist der Islam und seine Wahrnehmung im Westen. Doch auch dieses schwierige Thema meistert die Autorin nach Hugs Meinung ohne penetrantes Sendungsbewusstsein: Das Buch sei kein "aufdringlicher Thesenroman" geworden. Den interkulturellen Gehalt des Buches thematisiere Aboulela im Rahmen einer Liebesgeschichte zwischen der Sudanesin Sammar und einem Schotten. Dabei konzentriere sie sich hauptsächlich auf das Innenleben ihrer Protagonistin und finde zu "einer sehr dichten Sprache, einem verhaltenen Rhythmus, der Sammars innerer Entwicklung entspricht". Zudem, so Hug, lerne man in diesem Buch viel über den Islam.

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