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Dass Jan Karski, eine der zentralen Figuren des polnischen Widerstands, die Alliierten schon 1942/43 mit der Realität des Holocaust konfrontierte, hat ihm in Israel einen Platz unter den »Gerechten« eingetragen. Sein Lebensbericht »Story of a Secret State«, 1944 unmittelbar unter dem Eindruck der Ereignisse geschrieben, wurde in den USA zu einem Sensationserfolg. Danach schienen Autor und Buch verschollen, bis Claude Lanzmann den herausragenden Zeitzeugen für seinen Film »Shoah« interviewte. Heute wird Jan Karski neu entdeckt, und erstmals liegen seine außergewöhnlichen Memoiren auf Deutsch…mehr

Produktbeschreibung
Dass Jan Karski, eine der zentralen Figuren des polnischen Widerstands, die Alliierten schon 1942/43 mit der Realität des Holocaust konfrontierte, hat ihm in Israel einen Platz unter den »Gerechten« eingetragen. Sein Lebensbericht »Story of a Secret State«, 1944 unmittelbar unter dem Eindruck der Ereignisse geschrieben, wurde in den USA zu einem Sensationserfolg. Danach schienen Autor und Buch verschollen, bis Claude Lanzmann den herausragenden Zeitzeugen für seinen Film »Shoah« interviewte. Heute wird Jan Karski neu entdeckt, und erstmals liegen seine außergewöhnlichen Memoiren auf Deutsch vor - ein Dokument allerersten Ranges, Zeitgeschichte, die sich wie ein Kriminalroman liest.Als Hitler Polen überfällt, flieht der junge Offizier mit der zerschlagenen Armee gen Osten - und läuft den Sowjets in die Arme, die ihn an die Deutschen ausliefern. Damit beginnt die abenteuerliche Odyssee Karskis durch ein Europa in Krieg und Aufruhr. In tollkühner Flucht schlägt er sich zur polnischen Untergrundbewegung durch, wird rasch mit wichtigen Missionen betraut. Jüdische Partisanen schleusen ihn heimlich ins Warschauer Ghetto und ein Konzentrationslager, wo er Augenzeuge der Judenvernichtung wird. Karski gerät in die Fänge der Gestapo, wird gefoltert, flieht erneut. Seine wichtigste Mission als Kurier für den Widerstand führt ihn schließlich 1942 quer durch Nazi-Deutschland nach England und Amerika, um Anthony Eden und Roosevelt persönlich Bericht zu erstatten.Jan Karski, »Botschafter des Holocaust aus eigener Anschauung« (Spiegel) und ein mitreißender Erzähler, legt Zeugnis ab - »ein wertvolles, tief erschütterndes historisches Dokument« (Arte), »ein außerordentlicher Schicksalsbericht, der nichts von seiner Kraft eingebüßt hat« (Le Figaro littéraire).
Autorenporträt
Karski, Jan§Jan Kozielewski wurde 1914 in Lodz geboren, 1942 nahm er den Namen Karski an. Seit 1939 Kurier der polnischen Untergrundbewegung, gelangte er 1943 in die USA und wurde von Präsident Roosevelt empfangen. Er blieb dort nach seiner Enttarnung und lehrte bis zu seinem Tod im Jahr 2000 als Professor für Politikwissenschaften an der University of Georgetown in Washington
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.04.2011

Der Zeuge
Jan Karski sah den Massenmord an den Juden mit eigenen
Augen – vergeblich bat er die Alliierten einzuschreiten
Nein, das Buch des 1914 in Lodz geborenen Jan Kozielewski, der sich von 1942 an Karski nannte, ist nicht der Versuch, den West-Alliierten zuzurufen: Ihr auch! Ich habe euch doch schon Ende November 1942 nach meiner Ankunft in London und im Juli 1943 in Washington von dem systematischen Mord an den Juden berichtet, den ich selbst gesehen habe – und ihr habt nichts getan, sondern später behauptet, ihr hättet nichts gewusst!
Nur Felix Frankfurter, der US-Bundes-Richter, sagte Karski damals, er glaube ihm nicht. Trotzdem hat niemand der Übrigen etwas getan. Karski war vom britischen Außenminister Anthony Eden und von US-Präsident Roosevelt empfangen worden. War es ihnen recht, was Hitler tat? Warum haben sie nicht wenigstens die Bahngleise zu den KZs bombardiert?
Das Buch über das deutsche Wüten in Polen erschien schon 1944, also noch im Krieg, in den USA und war ein großer Erfolg – 400 000 Auflage. Gleich darauf kamen die englische, eine schwedische, norwegische und französische Ausgabe heraus. Dann geriet der Autor in Vergessenheit. Die erste polnische Ausgabe erschien 1999, kurz vor Karskis Tod. Dieses wichtige, sehr gut geschriebene, grauenerregende Buch ist nun endlich auch auf Deutsch zu lesen.
Es beginnt Ende August 1939, als der Unterleutnant Karski den Mobilmachungsbefehl nach Auschwitz erhielt, wo seine Einheit stationiert war. Er schildert die Verwirrung, die der deutsche Blitzkrieg in seinem Land anrichtete. Während seine Einheit nach Osten floh, überschritten die Russen die Grenze und nahmen die Polen gefangen. Nachdem Hitler und Stalin ihren Pakt geschlossen hatten, wurde Karski auf eigenen Wunsch an die Deutschen ausgeliefert: „Die deutschen Offiziere blickten uns mit arrogantem, gierigem Hochmut an.“
Auf der Fahrt in ein deutsches Lager ließ sich der Autor samt anderen aus dem Zugfenster schubsen. Zu Fuß erreichte er Warschau und wurde dort von einem alten Freund mit falschen Papieren versorgt und in den Untergrund geholt. Er bekam kleinere Aufträge und reiste erst in Polen und dann über Budapest, Mailand und Paris zur polnischen Exilregierung nach Angers.
So wurde er Kurier des mehr und mehr zusammenwachsenden Untergrundstaates. Er machte sich zum zweiten Mal nach Frankreich auf, als die Deutschen dort schon einmarschierten. Kurz vor der ungarischen Grenze fiel er der Gestapo in die Hand, wurde eingesperrt, verhört, geschlagen und gefoltert. Karski beging einen erfolglosen Selbstmordversuch und wurde schließlich bewusstlos ins Krankenhaus gebracht. Abermals konnte er fliehen. Er war wieder ein freier Untergrund-Kurier, erkannte aber, dass die vielen polnischen Misserfolge darauf zurückzuführen waren, dass die Mehrheit meinte, der Krieg werde bald zu Ende gehen – man hatte die Stärke Frankreichs und Großbritanniens überschätzt.
1941 war Karski zunächst in Krakau aktiv und wurde dann nach Warschau versetzt. Er schmuggelte unter schwierigen Umständen Dokumente nach Lublin. So schildert er seine Aufträge, seine Reisen, das komplizierte Werk einer Untergrund-Organisation, die jederzeit mit dem Auftauchen der Gestapo rechnen, die immer wieder mit neuen Papieren ausgestattet werden und dauernd umziehen musste.
1942 wurde er nach London geschickt: Er sollte die polnische Exilregierung besuchen und die West-Alliierten über die Zustände in Polen unterrichten. Aber vor der Abreise wurde er ins Warschauer Ghetto und das Vernichtungslager Belzec geschmuggelt – und was er darüber in zwei Kapiteln schreibt, ist das Erschütterndste und Anrührendste des ganzen Buches; er wusste, „dass noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte etwas geschehen war, das sich mit dem vergleichen ließ, was die jüdische Bevölkerung erdulden musste“. Für drei Millionen Juden gab es keine Aussicht, keine Hoffnung auf Rettung. Im Lager Belzec sah Karski mit an, wie ein langer Güterzug mit Juden vollgestopft wurde. Der Zug fuhr ab – 130 Kilometer weiter hielt er an und blieb so lange stehen, bis alle Insassen tot waren.
Über Berlin, Brüssel, Lyon, Perpignan und Barcelona schlug Karski sich bis Gibraltar durch und wurde schließlich nach London geflogen, wo es zu den folgenlosen Treffen mit Anthony Eden und zahlreichen britischen Politikern kam. Dann versuchte er es in den USA, seiner nächsten Station. Der unermüdliche Kämpfer für Gerechtigkeit sprach dort mit Präsident Roosevelt und US-Politikern – ebenso vergeblich. Nach einigen weiteren Reisen blieb Karski in den USA und wurde Professor an der Georgetown University, wo er 1968 auch den jungen Studenten Bill Clinton unterrichtete.
Natürlich verfolgten ihn die Erinnerungen daran, was er in Polen erlebt hatte. Bei allen Grausamkeiten, die die Deutschen verübten, darf man nie vergessen, dass es keinen Befehlsnotstand gab, dass niemand zum Morden gezwungen wurde – eine trostlose Bilanz. „Die unvorstellbare Niedertracht der Deutschen wird nie vergeben und vergessen sein“, schrieb Karski 1944. Wird es, darf es dabei bleiben? HEINRICH SENFFT
JAN KARSKI: Mein Bericht an die Welt - Geschichte eines Staates im Untergrund. Hrsg. von Céline Gervais Francelle. Aus dem Englischen von Ursel Schäfer und Franka Reinhart. Verlag Antje Kunstmann, München 2011. 620 S., 28 Eu ro .
Der Rechtsanwalt und Publizist Heinrich Senfft schreibt u.a. für die „Blätter für deutsche und internationale Politik“.
Der Zug stand auf freier Strecke, so
lange, bis alle Insassen tot waren.
Zeugnis ablegen: In Diktaturen wird es unterbunden. Jetzt feiert der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun die Araber, die sich endlich nicht mehr den Mund verbieten lassen. Der Pole Jan Karski fand zwar Gehör bei westlichen Politikern, aber seine Berichte blieben folgenlos. aug / Zeichnung: Ernst Kahl
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2011

Der Überbringer einer unerhörten Botschaft

Für Polen und die Aufklärung der Welt über die Vernichtung der Juden: Jan Karskis Bericht über seine Missionen im Zweiten Weltkrieg liegt erstmals auf Deutsch vor. Yannick Haenel nähert sich dem Thema mit fiktionalen Mitteln.

Er hieß in Wirklichkeit Jan Kozielewski, wollte Diplomat werden, und alles deutete darauf hin, dass der Wunsch des jungen Mannes aus katholischem Elternhaus im multinationalen Lodz in Erfüllung gehen würde. Zumal er gebildet war und mehrere Sprachen beherrschte. Doch statt dessen wurde er kurz nach Kriegsbeginn zum Mitglied und dann zum Kurier des polnischen Untergrunds. Der Wechsel von Identitäten wurde zu seiner zweiten Natur, und als er zu seiner wichtigsten Mission aufbrach, nahm er den Decknamen Jan Karski an, der ihm für den Rest seines Lebens den eigenen ersetzen sollte.

Schon damals, im Sommer 1942, genoss er den Ruf eines Helden: Während eines früheren Kuriergangs nach Frankreich war er von der Gestapo verhaftet und gefoltert worden. Um keine Geheimnisse zu verraten, versuchte er, seinem Leben ein Ende zu setzen, und wurde daraufhin in ein Krankenhaus verlegt. Trotz strenger Bewachung gelang ihm von dort die Flucht, und schon nach kurzer Zeit war er wieder im Untergrund tätig. Nun, zwei Jahre später, reiste er erneut in den Westen, diesmal mit zwei Aufträgen: die polnische Exilregierung über die Situation im Land und die Alliierten über die Vernichtung der Juden zu informieren.

Um einen möglichst glaubhaften Bericht zu liefern, hatte Jan Karski sich ins Warschauer Ghetto und in das KZ Izbica Lubelska einschleusen lassen. Die Schreckensbilder vor Augen, konnte er kaum erwarten, den Alliierten die Botschaft seiner jüdischen Kontaktmänner zu überbringen: Sie sollten alles Erdenkliche tun, um das Massaker an den Juden zu stoppen: deutsche Städte bombardieren, Bahngleise zu den Vernichtungslagern zerstören, Flugblätter an die deutsche Bevölkerung verteilen. Karski führte den Auftrag mit höchstem Engagement aus, doch die von ihm erhofften Reaktionen blieben aus. Sowohl in London, wo er mit hohen Politikern, etwa mit Außenminister Anthony Eden, sprach, als auch in Washington, wo er sogar von Präsident Roosevelt empfangen wurde, schenkte man seinem Bericht keinen Glauben oder man blieb gleichgültig. Enttäuscht und entmutigt, schwor er bei Kriegsende, über das Thema nie wieder zu sprechen.

Doch zuvor schrieb er ein Buch, in dem er seine Erlebnisse festhielt: den Bericht "Story of A Secret State", der erst jetzt, knapp siebzig Jahre später, auf Deutsch erscheint. Mag sein, dass dies auf seinen einstigen Erfolg zurückzuführen ist: Als er im Herbst 1944 herauskam, waren die vierhunderttausend Exemplare sofort ausverkauft; doch nach Kriegsende geriet er in Vergessenheit. Dabei ist er nicht nur ein Zeitdokument ersten Ranges, sondern auch ein erschütterndes Zeugnis von Mut, Patriotismus und Menschlichkeit.

In der letzten Szene des Buches beschreibt Karski das Gespräch, das er am 28. Juli 1943 mit dem amerikanischen Präsidenten im Weißen Haus hatte. Anschließend machte er einen Spaziergang, bei dem er seine Kriegserlebnisse überdachte: "In meinem Kopf schwirrten zusammenhanglose Gedanken und Bilder herum: der exquisite Salon des portugiesischen Botschafters in Warschau und dann abrupt und übergangslos Hitze, Staub und Dunst des Kampfes und die Bitterkeit der Niederlage." Danach folgt eine lange, flashartige Aufzählung von Situationen und Begegnungen aus den Kriegsjahren. Als der Krieg ausbrach, war er nur ein junger Mann, der sich auf seine Diplomatenkarriere vorbereitete und in vollen Zügen das Leben in Warschau genoss. Als sein Bericht fertig war, hatte er Mühe, die ursprünglichen tausend Seiten auf einige hundert zu kürzen, in denen die wichtigsten Ereignisse unterkommen mussten.

Doch es ist nicht allein die Brisanz des Stoffes, die Karskis Bericht so spannend macht. Es sind auch stilistische Qualitäten: die plastische Erzählweise, die lebendigen Dialoge, die Suggestivität mancher Bilder. "Diese Unglücklichen", so die Beschreibung einer Judendeportation, "begannen auf die Köpfe und Schultern derer zu steigen, die sich schon in den Waggons befanden." Diese "konnten nur mit verzweifeltem Geheul auf jene reagieren, die versuchten, über sie hinwegzuklettern, die sich an ihren Haaren und Kleidern festhielten, auf ihre Nacken, Gesichter und Schultern traten, Knochen brachen und in besinnungsloser Rage schrieen."

Eines darf man allerdings nicht vergessen: Karskis Mission galt nicht allein der Aufklärung über die Judenvernichtung, und diese ist auch nicht das wichtigste Thema seines Buches. Zu dieser Annahme verleitet der Haupttitel der deutschen Ausgabe: "Mein Bericht an die Welt". Er wirkt, als wollte man damit erreichen, dass wir in Karski erneut - wie schon nach seiner Aussage in Claude Lanzmanns Film "Shoah" - nur den gescheiterten "Botschafter des Holocaust" sehen. Doch das wäre falsch: Er war damals Kurier des polnischen Widerstands, der zusätzlich im Auftrag des jüdischen agierte. In seinem Buch widmet er seinem Einsatz für die Juden die letzten fünf Kapitel, ansonsten erzählt er darin seine Erlebnisse vom August 1939 bis November 1943 und zugleich das, was der Untertitel signalisiert: die "Geschichte eines Staates im Untergrund".

Die polnische Widerstandsbewegung war im damaligen Europa insofern beispiellos, als sie sich nicht nur als eine Streitkraft im Kampf gegen den Besatzer, sondern auch als ein Organismus verstand, der "zusammen mit der Exilregierung die Kontinuität des polnischen Staates sichern sollte". Ihre Aufgaben und Strukturen beschreibt Karski mit derselben Präzision und Lebendigkeit, mit der er seine eigenen Erlebnisse schildert, zumal es ihm durchaus bewusst war, dass die Außenwelt sie kaum nachvollziehen konnte: "Die Tatsache, dass ein Staatsapparat im Untergrund normal funktionieren konnte, mit einem Parlament, einer Regierung, einem Justizwesen und einer Armee, war für sie reine Fantasie." So lesen sich auch die Kapitel, die sich explizit auf das Thema beziehen und ein trockenes Referieren von Fakten und Zahlen befürchten lassen, nahezu wie die Episoden eines Agententhrillers. Und sie sagen eine Menge über die gesamte Geschichte Polens aus, denn sie beschreiben Konspirationsregeln, die im neunzehnten Jahrhundert, in der Zeit der Teilungen und Aufstände, ausgearbeitet und nicht nur im Zweiten Weltkrieg, sondern auch später noch , etwa nach der Zerschlagung der Gewerkschaft "Solidarnosc", angewendet wurden.

Während man Karskis Buch nicht genug Leser wünschen kann, ist der schmale Roman des französischen Autors Yannick Haenel, "Das Schweigen des Jan Karski", weniger empfehlenswert. Angesichts der Kraft und Genauigkeit von "Mein Bericht" wirkt er sogar eher störend, um nicht zu sagen: überflüssig. Auch die Bezeichnung "Roman" scheint übertrieben: Es ist ein dreiteiliger Text, dessen erster Teil minutiös Karskis Auftritt in Lanzmanns "Shoah" protokolliert, der zweite eine Zusammenfassung seines Buches liefert und der dritte - in der Ich-Form gehalten und als Karskis Monolog zu verstehen - von dem Misserfolg seiner "jüdischen" Mission, der Schuld der Alliierten, seinen Empfindungen angesichts der ausgebliebenen Reaktionen und seinem jahrelangen Schweigen handelt. Dazwischen sind etliche Glossen zu Polen, Stalin, Kommunismus, Kafka und einigem mehr gestreut.

Vor allem dieser dritte Teil ist problematisch: Haenel macht von den Regeln der Fiktionalisierung reichlich Gebrauch und legt seinem Protagonisten Sätze in den Mund, die sich bei aller Dehnbarkeit des Begriffs "künstlerische Freiheit" gegen die Realität behaupten müssen. Denn Karskis eigener Bericht lädt regelrecht dazu ein, genau zu überprüfen, ob die im "Monolog" formulierten Vorwürfe an die Adresse Englands und Amerikas, am Holocaust mitschuldig zu sein, oder die antikommunistischen Tiraden den politischen Überzeugungen Karskis entsprechen.

Das gilt auch für manches Ereignis, so vor allem für Karskis Begegnung mit dem amerikanischen Präsidenten, für deren Schilderung Haenel die Mittel der Karikatur wählt. Allerdings hinterlässt sein Einfall, Roosevelt als einen Lustmolch zu zeigen, der sich mehr als für die Weltlage für die Beine seiner Sekretärin interessiert und angesichts des Berichts über den Judenmord "ein Gähnen unterdrückt" und "die richtige Position für ein Nickerchen sucht", einen schalen Nachgeschmack, so wie das Buch insgesamt.

Man braucht keine literarische Fiktion, um als unbegreiflich zu empfinden, was Karski als Realität erlebte: das Scheitern seines Versuchs, der Welt über das größte Verbrechen des letzten Jahrhunderts die Augen zu öffnen. Es trifft allerdings auch zu, dass die meisten Beweise der Dankbarkeit, die er später bekam, ebendiesem Versuch galten. Er erhielt unzählige Preise, ein Baum an der "Straße der Gerechten" in Yad Vashem trägt seinen Namen, Israel machte ihn zu seinem Ehrenbürger. Dennoch zog er als seinen Nachkriegswohnsitz die Vereinigten Staaten vor, wo er jahrelang Politikwissenschaften an der University of Georgetown lehrte. In sein eigenes Land, das er, wie sein bewegendes Buch zeigt, leidenschaftlich liebte, kehrte er nie wieder zurück.

MARTA KIJOWSKA.

Jan Karski: "Mein Bericht an die Welt". Geschichte eines Staates im Untergrund. Hg. und mit einer Einführung von Céline Gervais-Francelle.

Aus dem Englischen und Französischen von Franka Reinhart und Ursel Schäfer. Antje Kunstmann Verlag, München 2011. 528 S., geb., 28,- [Euro].

Yannick Haenel: "Das Schweigen des Jan Karski". Roman.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2011. 187 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

67 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung erscheint Jan Karskis "Bericht an die Welt" auch auf Deutsch. Dass es so lange gedauert hat, liegt nicht nur an deutscher Ignoranz, weiß Rezensent Gerhard Gnauck zu berichten, sondern auch daran, dass Karski lange keine deutsche Ausgabe wollte, schließlich habe er aus seiner Abneigung gegen die Deutschen darin kein Hehl gemacht. 1944 hat Karski seine wahnwitzigen Erlebnisse als Kurier des polnischen Untergrunds aufgeschrieben. Durch halb Europa reiste er im Dienste der Heimatarmee, wurde von der Gestapo gejagt, gefasst und gefoltert und schnitt sich einmal sogar aus Angst, er könnte der Folter erliegen, die Pulsadern auf. Er schaffte es, in Washington mit Roosevelt zusammenzutreffen (in London wollte ihn Außenminister Eden nicht zu Churchill vorlassen), um von den Schrecken zu berichten, die sich im besetzten Polen zutrugen. Gnauck hat dies alles mit angehaltenem Atem und sehr beklommen gelesen, bereitet aber auch darauf vor, dass dieses Buch durchaus seiner Zeit und damaligen diplomatischen Prioritäten verpflichtet ist.

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