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Den »Feind Nummer eins« der neapolitanischen Camorra hat Roberto Saviano seinen Freund Raffaele Cantone genannt, der durch seine Prozesse gegen die großen Clans zur Symbolfigur des Kampfes gegen das organisierte Verbrechen geworden ist. Cantones aufsehenerregende Autobiografie liefert zum ersten Mal eine schonungslose Innensicht aus der Perspektive der Ermittler.Wie Saviano ist Cantone mitten im Land der Camorra aufgewachsen. In dem kleinen Ort Gugliano bei Neapel sind Morde alltäglich, die Aufstiegschancen gering. Cantone studiert Jura, als Flucht und aus Protest, spezialisiert sich auf…mehr

Produktbeschreibung
Den »Feind Nummer eins« der neapolitanischen Camorra hat Roberto Saviano seinen Freund Raffaele Cantone genannt, der durch seine Prozesse gegen die großen Clans zur Symbolfigur des Kampfes gegen das organisierte Verbrechen geworden ist. Cantones aufsehenerregende Autobiografie liefert zum ersten Mal eine schonungslose Innensicht aus der Perspektive der Ermittler.Wie Saviano ist Cantone mitten im Land der Camorra aufgewachsen. In dem kleinen Ort Gugliano bei Neapel sind Morde alltäglich, die Aufstiegschancen gering. Cantone studiert Jura, als Flucht und aus Protest, spezialisiert sich auf Wirtschaftskriminalität, wird schließlich an die Spitze der Antimafia-Behörde berufen. Mit seinen akribischen Ermittlungen setzt er bald die Bosse der »Casalesi« unter Druck, deckt Netzwerke bis tief in den Staatsapparat auf, bewegt zahlreiche Camorristi zur Aussage. Fortan ist sein Leben auch mit Leibwachen nicht mehr sicher. Drohungen, Rufmordkampagnen und Erpressungsversuche muss ein Mafiajäger aushalten. Anderes geht tief unter die Haut: wenn halbe Kinder in Bandenkriegen ihr Leben lassen, ein Clanchef sich noch als Kronzeuge brutaler Morde brüstet und so mancher Nachbar lieber nicht neben der Familie Cantone wohnen will. »Allein für die Gerechtigkeit«, das monatelang auf den italienischen Bestsellerlisten stand, dokumentiert wie kein anderes Mafiabuch die Korrosion der Zivilgesellschaft. Und ist in seinem unbeirrbaren Beharren auf Recht und Gerechtigkeit zugleich selbst zu einem Meilenstein im Kampf gegen die Camorra geworden.
Autorenporträt
Cantone, Raffaele§Raffaele Cantone, geb. 1963 in Neapel, befasste sich schon als Anwalt mit Wirtschaftskriminalität. Von 1999 bis 2007 war er als leitender Staatsanwalt der Antimafia-Behörde in Neapel an allen großen Prozessen gegen die Camorra-Clans beteiligt. 2008 wurde er ans Kassationsgericht in Rom berufen. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in der Nähe von Neapel.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.09.2009

Die Post des Paten
Und der Fortgang der Geschäfte: Andrea Camilleri und Raffaele Cantone rechnen mit Cosa Nostra und Camorra ab
Wenn ein Autor wie Andrea Camilleri ein Buch über die Mafia schreibt, kann man einen Selbstläufer erwarten. Der mit 84 Jahren immer noch höchst produktive Doyen der italienischen Kriminalliteratur ist – auch wenn er inzwischen in Rom lebt – ein Sizilianer mit Leib und Seele. Und es gibt kaum einen Roman aus der Serie seines Commissario Montalbano, in dem die Cosa Nostra nicht mitspielt. In „M wie Mafia” nimmt sich Ca-milleri nun einer mythischen Figur der sizilianischen Mafia an. Es geht um Bernardo Provenzano, den bislang letzten Paten der Verbrecherorganisation. Provenzano wurde im April 2006 in seinem Versteck, einer Feldhütte am Rande der Ortschaft Corleone, festgenommen, nachdem er 43 Jahre lang im Untergrund gelebt hatte.
Bernardo Provenzano folgte in der Führung der Cosa Nostra auf seinen Kumpanen Toto Riina. Beide stammten aus Corleone und zusammen hatten sie in zwei blutigen Mafiakriegen die bis dahin regierenden städtischen Clans aus Palermo besiegt. Anfang der neunziger Jahre führte Riina die Organisation auf einen mörderischen Konfrontationskurs gegen den Staat, der in den Bombenanschlägen gegen die Antimafia-Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Frühjahr 1992 gipfelte. Dann, im Januar 1993, konnte Riina unter merkwürdigen Umständen (wurde er verraten?) festgenommen werden. Provenzano, wegen seines brutalen Vorgehens als „der Traktor” bekannt, galt bis dahin als ein militärischer Kopf der Corleonesen. Jetzt aber in der Führungsrolle ließ er die Mafia abtauchen. Kein Geräusch machen, hieß seine Devise, keine direkte Konfrontation mit dem Staat und möglichst wenig Mordanschläge auch gegen Verräter in den eigenen Reihen. Denn unter Riina, der mit seiner Strategie eine gewaltige Reaktion der Staatsmacht und das kritische Interesse der öffentlichen Meinung herausgefordert hatte, gingen die Geschäfte der Cosa Nostra spürbar zurück. Unter Provenzano, der die Mafia in die Stille des Untergrunds führte, blühten sie wieder auf.
Immer auf der Flucht von einem Versteck zum anderen nutzte der neue Boss der Bosse ein archaisch anmutendes System der Kommunikation. Seine Anweisungen, Forderungen, Ratschläge ver-schickte er mit kleinen maschinengeschriebenen Zettelchen, den sogenannten Pizzini. Zusammengefaltet und mit Tesafilm versiegelt passten sie unter ein Uhrarmband oder wurden in den Saum eines Hosenbeins eingenäht. Boten brachten sie auf Umwegen zu ihren Bestimmungsorten. Ein geniales System, kommentiert Camilleri. „Wäre Provenzano auf die staatliche Post oder aufs Telefon, sei es Festnetz oder Handy, angewiesen, hätte man ihn viel schneller orten können.”
Camilleris Buch, ein Jahr nach der Festnahme Provenzanos in Italien erschienen, stützt sich auf ein ganzes Archiv solcher Pizzini, das die Polizei im Feldhaus bei Corleone und bei anderen Gelegenheiten sicherstellen konnte. Die Briefchen, mit religiösen Formeln durchsetzt und teilweise in einem sizilianisch-italienischen Kauderwelsch abgefasst, das die einfache Herkunft des Paten verrät, geben aber keine Erzählstruktur etwa für einen „Pizzini-Briefroman” her. So versucht Andrea Camilleri, aus ihnen eine Art narratives Lexikon zu entwickeln. Was nicht ganz gelingt. Man spürt die Unsicherheit des Autors, der zwischen dem Thema Pizzini, der Biographie Bernardo Provenzanos und der Geschichte der Cosa Nostra schwankt. Auch bildet sich mit Stichwörtern kein Erzählfluss – auf „Abschrift” folgt „Abtauchen”, auf „Antimafia” „Arzt”.
Deutlich wird immerhin die These, dass sich die Mafia mit Provenzano endgültig vom traditionellen Bild der Cosa Nostra löst, nur noch wenig mit Coppola-Mütze und dem Lupara-Gewehr zu tun hat, dafür umso mehr mit Buchführung und Finanzspekulationen. Diese „neue” Mafia, die sich immer mehr in die bürgerliche Gesellschaft hinein verlagert hat, so lässt Camilleri durchblicken, benötigte schließlich auch keinen Paten vom Typ Provenzano mehr und konnte ihn der Polizei opfern.
„M wie Mafia” hat weder die Kälte eines Lexikons noch die Wärme einer Erzählung. Der Text lebt von einer kräftigen Sprache mit vielen auch ironischen Wendungen und Anspielungen (die vielleicht einem deutschen Publikum nicht immer verständlich sein können). Es ist dem Übersetzer Moshe Khan zu verdanken, dass Camilleris Zwischentöne in der deutschen Ausgabe bei Kindler erhalten bleiben.
Ganz anders tritt das Buch des neapolitanischen Staatsanwaltes Raffaele Cantone unter dem Titel „Allein für die Gerechtigkeit” auf. Der Autor, der heute als Richter am Kassationsgericht in Rom arbeitet, war acht Jahre lang als Staatsanwalt der Antimafia-Bezirksdirektion in Neapel einer der erfolgreichsten Ermittler. Dass er besonders den Clan der Casalesen in die Enge getrieben hat, machte ihn zu einem Todfeind der Camorristen. Raffaele Cantone und seine Familie müssen noch heute rund um die Uhr mit bewaffnetem Begleitschutz leben.
Eigentlich wollte Cantone Strafverteidiger werden, entschied sich dann aber für die Laufbahn eines Staatsanwaltes. Er ist beseelt von einem Gerechtigkeitssinn, der ganz an das geschriebene Gesetz gebunden ist. „Ermitteln bedeutet forschen. Es bedeutet, den konkreten Fall mit dem Gesetzestext zu vergleichen, den Wortlaut zu ergründen, auszulegen und auf den Einzelfall anzuwenden.”
Es ist nichts Missionarisches, das seiner Auseinandersetzung mit der neapolitanischen Mafia zugrunde liegt, er will nicht das Krebsübel Camorra ausrotten, sondern „einfach das Recht anwenden und eine gute Arbeit machen”, wie Roberto Saviano in einer Kritik schrieb, als das Buch im vergangenen Jahr in Italien erschien. Der Autor von „Gomorrha”, der ebenfalls nur mit Begleitschutz leben kann, hebt hervor, dass Raffaele Cantone in demselben Gebiet aufgewachsen ist, für das er als Staatsanwalt verantwortlich war. Dorthin ist er, obgleich er in Rom arbeitet, wieder mit seiner Familie gezogen. Als er in die neue Wohnung einzog, protestierten Nachbarn und Ladenbesitzer mit einer Unterschriftensammlung gegen die geschäftsschädigende Dauerpräsenz der Polizei und die Gefährdung durch mögliche Attentate.
Wo Camilleri auf Distanz setzt, sucht Cantone die Nähe. Es ist das schrecklich Alltägliche von dem er ohne jeden heldenhaften Gestus erzählt – von den kriminellen Machenschaften, mit denen einfache Markthändler erpresst werden, von den Bluttaten der Camorra, die auch nicht davor zurückschreckt, ihre jugendlichen Mitläufer zu verheizen. Und wie man durch Verleumdung, die sogar von politischen Kreisen gefördert wurde, versuchte, seine Ermittlungen und Prozesse zu torpedieren. Besser eine Verleumdung als eine Kugel im Kopf, kommentierten die Kollegen. Doch für Raffaele Cantone war das „weitaus schlimmer als ein Akt der physischen Vernichtung”. Auch in größter Lebensgefahr habe er „nie eine solche Angst gespürt” und sich nie „so ohnmächtig gefühlt” wie damals. Raffaele Cantone besitzt nicht das sprachliche Geschick eines Andrea Camilleri. Aber unterstützt von der deutsch-italienischen Schriftstellerin Helena Janeczek ist ihm ein Buch voller Wärme gelungen, das auch die Arbeit der vielen Mitstreiter, der Kollegen, der Polizisten, der Bürokräfte, würdigt.
Die Aktualität schreibt diese Bücher weiter und nimmt dabei lange Wellen der Geschichte auf. Wie etwa die merkwürdigen Verhandlungsversuche zwischen Mafia und Staat vor und nach den Mordanschlägen gegen Giovanni Falcone und Paolo Borsellino 1992, bei denen Provenzano eine Rolle spielte. Die Frage der Verhandlungen, in denen die Cosa Nostra Zugeständnisse im Tausch gegen Verzicht auf Gewalt gefordert haben soll, wird gerade mit neuen Zeugen wieder aufgerollt. Oder der Fall des Priesters Don Giuseppe („Peppino”) Diana, eines Märtyrers im Kampf gegen die Camorra. Roberto Saviano forderte in einem Zeitungsartikel den Vorsitzenden der Parlaments-Kommission zur Untersuchung der Öko-Mafia Gaetano Pecorella auf, sein Amt niederzulegen. Der rechtspopulistische Politiker, von Beruf Rechtsanwalt (Verteidiger unter anderem von Berlusconi), hatte kurz zuvor die Integrität des Antimafia-Priesters in Zweifel gezogen, der 1995 in seiner Kirche in Casal di Principe 1994 von einem Kommando der Camorra ermordet worden war. Pecorella verteidigt gerade einen der Hintermänner des Anschlags, der bereits in zwei Instanzen schuldiggesprochen wurde. Das Verfahren ist noch beim Kassationsgericht anhängig. Nach dem Artikel Savianos nahm Pecorella seine Anschuldigen zurück, er sei von den Medien falsch interpretiert worden. Aber die Taktik von Behaupten und Widerrufen ist zur Zeit besonders auf Regierungsbänken ein beliebtes Spiel.
Raffaele Cantone, der den Fall des Priesters in seinem Buch kurz erwähnt, nahm in einem Kommentar Pecorella in Schutz – einem Strafverteidiger dürfe man nicht seinen Mandanten zum Vorwurf machen. Aber es stelle sich, so Cantone, das Problem der Opportunität, wenn jemand seine öffentliche politische Rolle dazu benutze, in einem Gerichtsverfahren, an dem er selbst als Zivilanwalt teilnimmt, Stimmung für seinen Mandanten zu machen. Diese Verwischung der Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Interesse, zwischen Würde und Unverschämtheit, hat sich in der politischen Kultur Italiens auch durch die Art und Weise, wie dieses Land gerade regiert wird, breit gemacht. Bücher wie das von Raffaele Cantone und mit einigen Abstrichen auch das von Andrea Camilleri sind notwendig, weil sie Werte setzen und Klarheit schaffen, wo andere lieber im Nebel einer zunehmenden Begriffsverwirrung ihren Geschäften nachgehen. HENNING KLÜVER
ANDREA CAMILLERI: M wie Mafia. Aus dem Italienischen von Moshe Kahn. Kindler im Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 223 Seiten, 16,90 Euro.
RAFFAELE CANTONE: Allein für die Gerechtigkeit. Ein Leben im Kampf gegen die Camorra. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Rita Seuß. Verlag Antje Kunstmann, München 2009. 256 Seiten, 19,90 Euro
Seine Anweisungen schickte er mit kleinen Zetteln – Pizzini
Hier steht Klarheit gegen die Nebel der Begriffsverwirrung
Eine Polizeistation im Süden von Palermo: Bernardo Provenzano, der bislang letzte Pate der Verbrecherorganisation, nach seiner Festnahme im April 2006. Foto: Reuters/Marcello Paternostro
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Die "betuliche Sprache" trübt das Lektüreerlebnis des Rezensenten ein wenig. Ansonsten aber ragt das Buch des Juristen Raffaele Cantone für Rudolf Walther aus der Flut der Mafia-Bücher heraus. Walther lobt die Sachlichkeit, mit der Cantone den Leser über die mühsame Arbeit eines Staatsanwalts in der Antimafia-Behörde in Caserta informiert, über die Mängel der Kronzeugenregelung, die Verschleppung von Verfahren und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Behörden und Polizei. Dass dabei auch persönliche Belastungen und Erfahrungen zur Sprache kommen, scheint Walther in Ordnung zu finden und jedenfalls weitaus angenehmer, als die sonst für das Genre übliche mit Spekulationen gespickte reißerische Darstellung.

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