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Benn und Berlin das scheint eher eine Selbstverständlichkeit. Seit Beginn seines Studiums 1904 ist er mit der Stadt eng verbunden, arbeitet hier, hat hier seine ersten literarischen Auftritte und Erfolge. Trotzdem weiß man über Benns Leben in Berlin relativ wenig; man kennt vielleicht seine Praxen in der Belle-Alliance-Straße (heute Mehringdamm) und in der Bozener Straße, aber die Lebensumstände, seine Gewohnheiten, seine eigene Welt, aus der heraus er die berühmten Texte und Gedichte schrieb, sind bisher nicht genauer erzählt worden. Das hat auch mit Benns Verschlossenheit zu tun: er liebte…mehr

Produktbeschreibung
Benn und Berlin das scheint eher eine Selbstverständlichkeit. Seit Beginn seines Studiums 1904 ist er mit der Stadt eng verbunden, arbeitet hier, hat hier seine ersten literarischen Auftritte und Erfolge. Trotzdem weiß man über Benns Leben in Berlin relativ wenig; man kennt vielleicht seine Praxen in der Belle-Alliance-Straße (heute Mehringdamm) und in der Bozener Straße, aber die Lebensumstände, seine Gewohnheiten, seine eigene Welt, aus der heraus er die berühmten Texte und Gedichte schrieb, sind bisher nicht genauer erzählt worden. Das hat auch mit Benns Verschlossenheit zu tun: er liebte die Anonymität, er mochte nicht die Eitelkeiten der künstlerischen Eliten, wollte nur in seinen Texten in Erscheinung treten und nicht als öffentliche Person.
Joachim Dyck, Benn-Biograph und bekannter Literaturwissenschaftler, schreibt unterhaltsam und detailreich von einem schwierigen Genie, das mitten in der politisch und kulturell brodelnden Großstadt Berlin jahrzehntelang sein ganz eigenes Leben führt.
125. Geburtstag Benns 2011.
Autorenporträt
Prof. Joachim Dyck lehrt Germanistik an der Universität Oldenburg und arbeitet an einer Benn-Biographie.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.12.2010

Er weiß Bescheid
Spezialist an einer sehr berlinischen Ecke: Joachim Dyck folgt dem Großstadtmenschen Gottfried Benn in die Kaschemme und die Staatsbibliothek
Benn war Berliner, ein zugewanderter. In Mansfeld, Westprignitz war er 1886 geboren, in Sellin in der Neumark aufgewachsen. Aber schon 1904, nach zwei Semestern in Marburg, kam er nach Berlin. Dort studierte er, dort praktizierte er als Arzt, dort schrieb er und dort starb er. Im Herbst 1935, die Wehrmacht hatte den reaktivierten Sanitätsoffizier nach Hannover geschickt, schrieb er einem Freund über einen Wochenendbesuch in Berlin: „Wie hat mich diese Stadt wieder erregt (. . .) ihr monströser Genussapparat, ihre Sicherheit, ihr Mördergesicht, ihr kaltes Zerschmettern alles Provinziellen, Kläglichen, kärglichen Nur-Wollens, hier heißt es Formwerden u. Vollbringen!“
„Benn in Berlin“ heißt ein schmales, schön gestaltetes Buch des Germanisten Joachim Dyck, eines ausgewiesenen Kenners seines Gegenstandes. Vor vier Jahren veröffentlichte er eine ungeheuer detailgenaue Studie „Der Zeitzeuge. Gottfried Benn 1929-1949“, davon profitiert das neue Buch, das sich in seiner Kürze an ein breiteres Publikum wendet. Es erzählt mehr von den äußeren und inneren Lebensumständen Benns als von seiner literarischen Arbeit. Aber der Zusammenhang erschließt sich dem Leser sofort. Benn nahm am Leben der Stadt stärker Teil als Brecht oder als Thomas Mann an München. Als Arzt hatte er es wirtschaftlich nicht leicht, aber er hatte einen guten Ruf: „Und wenn Sie wüssten, wie viele Mädchen von der Friedrichstraße nur von ihm untersucht und behandelt werden wollen, weil er nicht hochmütig ist und fast nichts rechnet.“ Nach dem Krieg, während der Blockade wird er verpflichtet, an den Nachtdiensten seines Bezirks teilnehmen: „Dort ein alter Mann mit Herzanfall, hier eine Alkoholvergiftung bei einem Kellner, ein Hirntumor in extremis, ein Typhus, der ins Krankenhaus muss, eine Frau, die blutet (. . .) – kurz kein lyrisches Idyll. Aber alles das muss sein, es ist gemäß und ich möchte es nicht missen.“
Schon in den zwanziger Jahren schreibt der Schriftsteller Max Herrmann-Neiße in einer Kritik der „Gesammelten Prosa“ Benns: „Mit der Verdächtigung der Weltabgewandtheit, des Ästhetentums kann man ihm nicht beikommen. Er ist Arzt, Spezialist für Haut- und Geschlechtskrankheiten, an einer sehr berlinischen Ecke: Belle-Alliance- und Yorck-Straße. Er weiß Bescheid.“ Deshalb interessieren die Verhältnisse, in denen Benn lebt. Der alte Kellner, die krebszerfressenen Körper, die blutende Frau – alles ja auch Momente der Bennschen Gesichte, Wirklichkeitpartikel, die mehr als nur Farbe und Anschauung geben, ohne die von Kunst und Form und Nichts zu reden substanzlos wäre. Sie tragen zu dem bei, was Herrmann-Neiße „das schroffste Gegenteil von Sentimentalität“ nannte.
Und deshalb will man auch von Dramburg hören, „eine wahre Kaschemme . . . Schnaps u Bier 10 - 20 Pf. billiger als sonst, von morgens an immer überfüllt u. schmutzig, da schiebe ich abends manchmal ein.“ Er liebte es, nach der Praxis in der Kneipe zu sitzen, „etwas Alkohol, leichtes Stimulans u. die Bilder kommen u gehn“. Es gehört zu der berlinischen Ecke, sich als Zeitgenosse zu verstehen: „In einer Zeit, wo so neue, interessante Dinge sich prägen, – historisch sein, ist das gut?“ Benn verachtete das programmatische Bekenntnis der Dichter zur Sache des Proletariats, aber er stand dem Leben der ärmeren Leute nicht fern. Der Chefarzt des Oskar-Helene-Heims, der den sterbenden Benn behandelte, war fassungslos, als er dessen Wohnung sah. Nie habe er „einen gebildeten Menschen von solch trostlosem Ambiente umgeben gesehen, wobei der Kasten Bier unter dem Stuhl neben der Zimmertür noch das Geringste“ gewesen sei.
Benn war Großstadtmensch, Berlin für ihn, wie er einer Freundin schrieb, „die Zweiheit aus 1) Anonymität, Unbürgerlichkeit, guter Verborgenheit des einzelnen u. 2) der Staatsbibliothek unter d. Linden“. Größe und Anonymität machen es möglich, immer wieder einen neuen Blick und einen neuen geistigen Standort zu probieren. Hochschätzung der Wissenschaften und Geringschätzung des Fortschrittssoptimismus; Verachtung und dann wieder Bewunderung des Gesellschaftlichen; das lustvoll „Ungestüme, Sichhineinwerfende, das Tätliche der Essayistik“ und dagegen das Desinteresse am Meinungshaften – Benns geistige Physiognomie hat in diesen jähen Wechseln (und gelegentlich auch Gleichzeitigkeiten) selbst das Beweglich-Großstädtische, das er an Berlin so liebte.
Im Alter reif und milde zu werden, verachtete er. Zuletzt aber erreichten ihn die Ehrungen, die der Betrieb zu vergeben hat. Den Büchner-Preis erhielt er 1951, 1953 das Bundesverdienstkreuz. Zu seiner Beerdigung 1956 sprach der Berliner Kultursenator Tiburtius, das Rias-Jugendorchester spielte den Contrapunctus Nr. 1 und 2 aus der „Kunst der Fuge“. Der Drehorgelmann, der mittwochs in die Bozener Straße zog und von Benn, der dort seit 1937 wohnte, jedes Mal ein Geldstück bekommen hatte, der war aber auch zum Begräbnis bestellt. Und das will man doch auch wissen. STEPHAN SPEICHER
JOACHIM DYCK: Benn in Berlin. Transit Buchverlag, Berlin 2010. 150 Seiten, 16,80 Euro.
Der Stadtmensch Gottfried Benn war nicht gern in der freien Natur. Zu Ausflügen ins Grüne konnten ihn nur die Hindemiths überreden. Im Mai 1930 fotografierte Gertrud Hindemith den Dichter zusammen mit der Schauspielerin Elinor Büller im Grunewald.
Fotos: Transit-Verlag/ Paul-Hindemith-Stiftung, Blonay
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Angetan zeigt sich Stephan Speicher von diesem Buch über den Arzt und Dichter Gottfried Benn in Berlin, das der Germanist Joachim Dyck vorgelegt hat. Er schätzt den Autor als hervorragenden Kenner Benns und erinnert an dessen umfangreiche und detaillierte Studie "Der Zeitzeuge. Gottfried Benn 1929-1949", die vor vier Jahren erschien. Der vorliegende schön aufgemachte Band, der sich an ein breiteres Publikum wendet, profitiert in seinen Augen von dieser Studie. Gespannt folgt er dem Autor durch das Berlin Benns, in die Kaschemmen, die Arzt-Praxis, die Staatsbibliothek. Dycks Schilderung der Lebensumstände des Dichters in Berlin findet Speicher jederzeit interessant und aufschlussreich. Deutlich wird für ihn, dass Benn ein Großstadtmensch war, der in seiner geistigen Physiognomie viel mit der Stadt gemein hatte, die er liebte.

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