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Aus Joachim Ritters "Collegium Philosophicum" sind bedeutende Vertreter der deutschen Gegenwartsphilosophie hervorgegangen, darunter Hermann Lübbe, Odo Marquard und Robert Spaemann. Einige von ihnen wirkten als Publizisten und Sachverständige, in politischen Ämtern und Gremien, in Rechtswesen oder Kirche weit über die akademische Sphäre hinaus. Diese "Ritter-Schule" hat den wissenschaftlichen Diskurs und das geistige Leben der Bundesrepublik geprägt, etwa in den Auseinandersetzungen um die Grundlagen der freiheitlich-demokratischen Ordnung, die Erneuerung der praktischen Philosophie oder die…mehr

Produktbeschreibung
Aus Joachim Ritters "Collegium Philosophicum" sind bedeutende Vertreter der deutschen Gegenwartsphilosophie hervorgegangen, darunter Hermann Lübbe, Odo Marquard und Robert Spaemann. Einige von ihnen wirkten als Publizisten und Sachverständige, in politischen Ämtern und Gremien, in Rechtswesen oder Kirche weit über die akademische Sphäre hinaus. Diese "Ritter-Schule" hat den wissenschaftlichen Diskurs und das geistige Leben der Bundesrepublik geprägt, etwa in den Auseinandersetzungen um die Grundlagen der freiheitlich-demokratischen Ordnung, die Erneuerung der praktischen Philosophie oder die Aufgabe der Geisteswissenschaften.
Heute tritt die Bedeutung des Kreises zunehmend hervor und wird im Horizont aktueller Debatten um Zivilgesellschaft, Geschichtskultur
und die Rückkehr der Religion erörtert.
Autorenporträt
Mark Schweda ist Professor für Ethik in der Medizin an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die eigene Schule als blinden Fleck erkennt Rezensent Lorenz Jäger in Mark Schwedas, wie er findet, großartiger Zusammenschau von Ritter-Schülern und ihren unterschiedlichen Wegen. Die Kunst, derart Disparates auf Problemstellungen in den Theorien Joachim Ritters zurückzuführen, scheint Jäger beträchtlich. Schwedas Darstellung von Odo Marquards Arbeit in diesem Zusammenhang scheint ihm bemerkenswert. Ebenso, wie der Autor die Rechtstheorie Martin Krieles an Ritters Rechtsstaatlichkeitspostulat zurückbindet oder Valentin Tombergs "Großen Arcana des Tarot" kontextualisiert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2016

Seine Linken, seine Rechten
Mark Schweda kennt die Schule des Joachim Ritter

Der in Münster lehrende Joachim Ritter (1903 bis 1974) gehörte einer Alterskohorte an, die das Studium der Philosophie unter Radikalisierungsbedingungen aufgenommen hatte. Er war es, der das denkwürdige Davoser Gespräch zwischen seinem Lehrer Ernst Cassirer und Martin Heidegger protokollierte. Auf eine einfache Formel gebracht: Cassirers "Philosophie der symbolischen Formen" erhielt in Ritters Denken einen modernebewussten gesellschafts- und politiktheoretischen Unterbau, ein gewisser hegelianisch-marxistischer Äther seiner Begriffsbildungen ist unverkennbar - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Vor allem aber: Aristoteles war zu rezipieren. Vernunft kristallisiert sich in der Polis aus; in der industriegesellschaftlichen Moderne herrscht "Entzweiung", die nicht durch Willens- und Willkürakte zu überwinden ist.

Das Pathos von Ritter war eines des Aushaltens, der Tapferkeit angesichts der Wirklichkeit, wie es einem Offizier des Zweiten Weltkrieges gemäß sein mochte. Den Geisteswissenschaften kam eine besondere Rolle zu. Die entfesselte Moderne forderte sie sogar, indem nur sie ein reflektiertes, der kritischen Subjektivität angemessenes Verhältnis zur geschichtlichen Überlieferung ermöglichten. Und so kann man sagen, dass auch die geisteswissenschaftliche Beilage dieser Zeitung noch an der Ritter-Schule partizipiert: Ins Leben gerufen wurde sie von Joachim Ritters Sohn Henning.

Schon 1957 verfasste Odo Marquard eine erste ironische Darstellung: "Die Entzweiung ist Versöhnung, / Illusion, dass man sich quält, / denn dem Menschen fehlt fast gar nichts, / nur die Einsicht, dass nichts fehlt." Etwas fehlt aber immer. Und nun ist es Mark Schwedas große Darstellungskunst, die weit auseinanderstrebenden Wege der Ritter-Schüler als Entfaltungen eines Problembestandes in den Theorien ihres Lehrers verständlich zu machen. Wo "Entzweiung" war, konnte man mit Hegel auch "Versöhnung" wieder ins Spiel bringen. Die "Ritter'sche Rechte", wie sie Schweda nennt, befürchtete eine nihilistische Auszehrung der zivilen Ordnung und suchte nach einem Gegenrezept. Für den 1927 geborenen Günter Rohrmoser war dies je länger, je mehr der Protestantismus: "Der christliche Glaube in der Gestalt der Gemeinde ist der geschichtliche Ort, an dem das versöhnende Handeln Gottes aktuell wird."

Für den 1931 geborenen Bernard Willms trat ein schmerzliches Bewusstsein der Nation - die ja bis 1989 nicht mehr existierte - in die Leerstelle ein. Schweda zitiert ihn und sieht eine Antwort auf Ritter, wenn Willms schreibt: "Was für Aristoteles die Polis war, ist uns die Nation." Die "Ritter'sche Linke" suchte Versöhnung durch Emanzipation, die "Ritter'sche Mitte" setzte auf die seither zu Ruhm gelangte "Kompensation". Auftritt Odo Marquard: Schwedas Darstellung von dessen Umdeutung historischer in anthropologische Begründungen ist schlechthin glänzend.

Eine Sonderstellung nimmt Robert Spaemann ein. Gegen eine "Hermeneutik der geschichtlichen Wirklichkeit", wie sie Ritters Programm gewesen war, setzte er die These, die Philosophie könne gerade auf die Weise nicht bewahrt werden, sondern "nur durch sich selbst, durch den Vollzug metaphysischer Einsichten".

Schließlich ist die Rechtstheorie von Martin Kriele zu erwähnen, die an das Rechtsstaatlichkeitspostulat Ritters anknüpft. Traditionale Motive nimmt Kriele auf, indem er an das angelsächsische "Common Law" erinnert, das auf der Auslegung von Präzedenzfällen beruht. Schweda charakterisiert Krieles Theorie: Es "vollzieht sich eine allmähliche ,Inkarnation der Gerechtigkeit in die Wirklichkeit' durch ihre fortschreitende politische ,Verwirklichung in rechtlichen Institutionen'". Man stutzt an dieser Stelle - aber Schweda kommentiert den Begriff nicht. "Inkarnation" ist ein Wort, das seinen Platz seit dem zweiten Jahrhundert in der christlichen Theologie hat - und in der modernen Anthroposophie.

Und so kommt man auf eines der wohl merkwürdigsten Unternehmen, das aus der Schule Joachim Ritters hervorgegangen ist: die mehrbändige Edition der "Großen Arcana des Tarot" des katholisch-anthroposophisch gestimmten Mystikers Valentin Tomberg, die Spaemann und Kriele gemeinsam besorgten. Auch Tomberg hatte in den vierziger Jahren rechtsphilosophische Werke verfasst, und von ihm scheint die Formulierung von der "Inkarnation der Gerechtigkeit" ursprünglich zu stammen. Zu den begriffsgeschichtlichen Ironien gehört es, dass das von Ritter begründete "Historische Wörterbuch der Philosophie" den Begriff "Inkarnation" zwar ausgiebig diskutiert, aber nur bis zu seinem Zerfall in den modernen Theologien Paul Tillichs und Rudolf Bultmanns. Gerade die eigene Schule bleibt ein blinder Fleck.

LORENZ JÄGER

Mark Schweda:

"Joachim Ritter und

die Ritter-Schule".

Zur Einführung.

Junius Verlag, Hamburg 2015. 224 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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