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Drei Texte von Francois Jullien, Karine Chemla und Jacqueline Pigeot zu einer sehr alten chinesischen und japanischen Praktik.Vom alten Sumer bis zu Rabelais, von der Bibel bis Jules Vernes wimmelt es nur so von Aufzählungen und Listen. Eine Liste der Listen zu erstellen wäre eine riesige Aufgabe. So gibt es auch in der chinesischen und japanischen Kunst und Literatur zahllose Listen. Listen zum Erlernen einzelner Künste, wie etwa der Malerei, des Zitherspieles, des chinesischen Boxens oder der Liebeskunst. Anhand der Listen zur Dichtung wird deutlich, dass es sich nicht nur um technische…mehr

Produktbeschreibung
Drei Texte von Francois Jullien, Karine Chemla und Jacqueline Pigeot zu einer sehr alten chinesischen und japanischen Praktik.Vom alten Sumer bis zu Rabelais, von der Bibel bis Jules Vernes wimmelt es nur so von Aufzählungen und Listen. Eine Liste der Listen zu erstellen wäre eine riesige Aufgabe. So gibt es auch in der chinesischen und japanischen Kunst und Literatur zahllose Listen. Listen zum Erlernen einzelner Künste, wie etwa der Malerei, des Zitherspieles, des chinesischen Boxens oder der Liebeskunst. Anhand der Listen zur Dichtung wird deutlich, dass es sich nicht nur um technische Gebrauchsanweisungen handelt.Der Aufbau der Liste zeigt sich als eine eigenständige Kunst, die auf ihre Weise Anteil am großen Tao hat. Sogar mathematische Listen sind mehrdeu-tig und verweisen auf kulturelle Praktiken. Die japanischen Listen, wie sie im Kopfkissenbuch und in den Aufzeichnungen in Mußestunden vorkommen, er-scheinen auf den ersten Blick völlig willkürlich und bunt zusammengewürfelt. Aber gerade dieser scheinbare Mangel an Logik ermöglicht es, die Kräftever-hältnisse darzustel-len, die in einer Gesellschaft wirksam sind. Was allerdings den Spaß an der spielerischen Zusammenstellung widersprüchlicher Dinge nicht ausschließt.
Autorenporträt
François Jullien ist Philosoph und Sinologe. Er ist Professor an der Universität Paris VII und Direktor des Institut Marcel Granet und einer der bedeutendsten Kenner Chinas, wo er lange Jahre lebte. Anfang der achtziger Jahre gründete er die Zeitschrift "Extrême Orient Extrême Occident". Daneben ist er als Wirtschaftsberater französischer Unternehmen, die Projekte in China durchführen, tätig. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Auf dem "Umweg" über das chinesische Denken widmet seine Philosophie sich einer Dekonstruktion Europas "von außen".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2004

Jullien und Cheng erfahren Kunst

Bei der Flut von Lebenshilfe-Büchern, die "Zen" oder "Tao" im Titel tragen und deren Zweck ein eher therapeutischer, wenigstens kompensatorischer zu sein scheint, vergißt man leicht, wie stark das frühe chinesische Denken immer wieder auch die ästhetischen Avantgarden des letzten Jahrhunderts inspiriert hat. Bezeichnenderweise waren es meist Außenseiter des akademischen Betriebs, die in verschiedenen Phasen westliche Künstler und Schriftsteller zu entzünden vermochten. Eine überwältigende Wirkung hatten etwa die Übersetzungen von Laotse, Zhuangzi und Liezi, die der deutsche China-Missionar Richard Wilhelm von 1910 bis 1912 bei Diederichs herausgab. Der Einfluß war um so weniger mit geschmäcklerischer Chinoiserie zu verwechseln, als er Stile und Autoren erfaßte, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: eben nicht nur Hermann Hesse, sondern auch Döblin, Brecht und Kafka ("im Grunde bin ich ja Chinese und fahre nach Hause", schrieb dieser damals an Felice). Eine andere Phase setzte Anfang der fünfziger Jahre ein, als der hochbetagte japanische Zen-Mönch Daisetz Teitaro Suzuki an der Columbia University lehrte und dort den Komponisten John Cage, den Schriftsteller Jack Kerouac und die gesamte Beat-Generation mit Zen und Daoismus in Berührung brachte. Das Bewußtsein für die Tragweite dieser Begegnung nahm solche Ausmaße an, daß John Cage in einem Vortrag sagte: "Die Bewegung mit dem Wind des Orients und die Bewegung gegen den Wind des Okzidents treffen sich in Amerika."

Nunmehr, weitere fünfzig Jahre später, scheinen sie sich eher in Frankreich zu treffen. Wieder liegen in den Kunstbuchhandlungen und Museumsshops Abhandlungen über zweitausendvierhundert Jahre alte chinesische Texte aus, von denen man sich offenbar einen Ausweg aus ästhetischen Sackgassen erhofft. Im Zentrum der Bewegung steht diesmal der Pariser Sinologe und Philosoph François Jullien. Die meisten seiner Bücher gibt in Deutschland der Berliner Merve Verlag heraus. Julliens weitgespanntes Unternehmen, der westlichen Rationalität durch einen "Umweg über China" wieder die nötige Spannung zu geben (siehe F.A.Z. vom 13. 11. 2002), hatte immer schon einen ästhetischen Subtext - vor allem in seinem Lob der "Fadheit", durch die die chinesische Kunst in der Lage sei, einen allen Unterscheidungen und Ausgrenzungen vorausliegenden "Immanenzgrund" der Wirklichkeit zu evozieren.

Ein verblüffendes Beispiel für eine solche hart am Rande der Unauffälligkeit balancierende Fadheit präsentiert Jullien nun mit der "Kunst, Listen zu erstellen" (aus dem Französischen von Ronald Voullié. Merve Verlag Berlin 2004. 121 S., br., 9,80 [Euro]). Das Thema kann auch dem mit Asien völlig unvertrauten Konsumenten von Zeitschriften auf Anhieb einleuchten, insofern das Prinzip der Liste dort seit langem ein beliebtes Mittel ist, ob es nun Objektivität suggeriert oder ironisch mit Subjektivem spielt. Es liegt auf der Hand, daß die immer neue Zusammenstellung von zuvor zerschlagenen Ganzheiten heute endlose Anschlußmöglichkeiten eröffnet. In diesem Sinn präsentiert auch Jacqueline Pigeot in dem von Jullien herausgegebenen Band das berühmte "Kopfkissenbuch", das um das Jahr tausend herum eine japanische Hofdame namens Sei Shonagon geschrieben hat. Das Buch besteht aus lauter Listen von Dingen, die nur das sehr persönliche, durch ebensoviel Poesie wie Humor gebrochene Empfinden ihrer Autorin zusammenhält, ob es nun um Insekten ("die Zikade des Abends") oder um "Beunruhigendes" ("die Mutter eines Mönches, der für zwölf Jahre fortgegangen ist, um zurückgezogen im Gebirge zu leben") geht. Pigeot interpretiert dieses Spiel mit Fragmenten als "eine Art Maschine zur Rauscherzeugung". Jullien selber analysiert keine Kunstwerke, sondern höchst praktische Anweisungen der chinesischen Tradition für Kalligraphie und Schattenboxen, Zitherspielen und Poesie. Überall werden die Anordnungen in Listen zusammengestellt, die schon dadurch irritieren, daß sie kein Kriterium für die beanspruchte Vollständigkeit angeben; sie genügen sich selbst ohne jede weitere Erklärung. Jullien deutet diese Listen als "komplexe Magnetfelder", deren innere Spannung die Spannung spiegele, die gemäß chinesischem Denken in der Struktur der Wirklichkeit selbst zu finden ist. Die Aufgabe der Liste sei, diese Spannung im Sinne einer größtmöglichen Dynamisierung und Selbsterneuerung auszunutzen. Man merkt schon, wie sich auch dieser kleine Mosaikstein in das Gewebe von Julliens Gesamtentwurf der chinesischen "Heterotopie" fügt, wo eines das andere erklärt und der bisweilen sich einstellende Eindruck von Wiederholung gern in Kauf genommen wird.

Bodenständiger kommen da François Chengs Betrachtungen über "Fülle und Leere" in der chinesischen Malerei daher, die ebenfalls Merve herausgibt (aus dem Französischen von Joachim Kurtz. Merve Verlag Berlin 2004. 184 S., br., 20,- [Euro]). Der Autor, ein in Paris lebender Dichter, Kunstkritiker und Kalligraph, der 2002 als erster Asiate in die Académie Française aufgenommen wurde, bietet mit zahlreichen Zitaten von frühen Theoretikern und Malern eine sehr ergiebige Materialsammlung zur chinesischen Ästhetik. Cheng zeigt, wie die unbemalte Fläche - in der Song- und Yuan-Zeit hat sie oft zwei Drittel der Gemälde eingenommen - die einzelnen Elemente des Bildes miteinander in Beziehung setzt, ja ineinander übergehen läßt und am Ende auch den Betrachter einbezieht. Das Malen erscheint als ein "Denken in Aktion", durch das der Mensch seine Lebenseinheit suchen kann. Cheng bleibt so nah an den Quellen, daß die Verbindung zur gegenwärtigen Ästhetik der lesende Künstler schon selber herstellen muß - was im ganzen wohl auch kein Nachteil ist.

MARK SIEMONS

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mark Siemons ist ein bisschen misstrauisch. Nur ein bisschen, aber doch. Was ihn misstrauisch macht, ist, dass das westliche Denken sich immer dann, wenn es eng wird, dem fernen, weiten, weisheitsgetränkten China zuwendet, um Rat zu suchen, unter halbverdauten Schlüsselbegriffen wie "Zen" oder "Tao". Da hilft es wenig, dass auch die europäische Kunstavantgarde - von Kafka bis Kerouac - immer wieder von den chinesischen Dichtern und Denkern stark inspiriert war. Jetzt also wendet sich der Pariser Sinologe Francois Jullien, bewährt als Vermittler chinesischer Gedanken, der "Kunst, Listen zu erstellen", zu. Einen Anschluss an den von ihm zusammengestellten Band sieht Siemons in der Gewohnheit hiesiger Magazine, mit Listen zu hantieren, mit denen sie Objektivität suggerieren wollen. Unter anderem geht es in dem Aufsatzband um das vor etwa tausend Jahren von der japanischen Hofdame Sei Shonagon geschriebene "Kopfkissenbuch" und um "höchst praktische Anweisungen der chinesischen Tradition für Kalligraphie und Schattenboxen, Zitherspielen und Poesie". Diese Listen, so Jullien, seien "komplexe Magnetfelder, deren innere Spannung die Spannung spiegele, die gemäß chinesischem Denken in der Struktur der Wirklichkeit selbst zu finden ist".

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