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In den Interviews "Kaputt" spricht Rainald Goetz über seine fünfbändige Gegenwartsgeschichte Heute Morgen. Die gemeinsame Arbeit an dem Westbam-Buch Mix, Cuts & Scratches, das 1997 bei Merve erschien, hat das Heute-Morgen-Projekt vorbereitet. Mit dem Jahrzehnt der schönen Frauen erscheint dazu auf der anderen Seite des Ganzen jetzt ein Abschlussband.

Produktbeschreibung
In den Interviews "Kaputt" spricht Rainald Goetz über seine fünfbändige Gegenwartsgeschichte Heute Morgen. Die gemeinsame Arbeit an dem Westbam-Buch Mix, Cuts & Scratches, das 1997 bei Merve erschien, hat das Heute-Morgen-Projekt vorbereitet. Mit dem Jahrzehnt der schönen Frauen erscheint dazu auf der anderen Seite des Ganzen jetzt ein Abschlussband.
Autorenporträt
Rainald Goetz, geboren 1954, studierte Medizin und Geschichte in München und Paris. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Preise, unter anderem den Heinrich-Böll-Preis, den Wilhelm-Raabe-Preis, dreimal den Mühlheimer Dramatikerpreis und den Berliner Literaturpreis 2012. Weiterhin wurde er mit dem Literaturpreis der Preußischen Seehandlung und der damit verbundenen Heiner-Müller-Professur ausgezeichnet. 2013 erhielt er den Schiller-Gedächtnis-Preis für sein schriftstellerisches Gesamtwerk sowie den Marieluise-Fleißer-Preis, im Jahr 2015 wurde ihm der Georg-Büchner-Preis verliehen. Rainald Goetz lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2001

Der Morgen danach
Rainald Goetz beendet die Gegenwart · Von Richard Kämmerlings

Auf der Website "www.ampool.com", einem Chatroom für Autoren, findet sich unter dem Datum des 1. Oktobers 1999 ein fiktiver Dialog über Rainald Goetz: "Aber man kann doch nicht wahllos, wie mit einem Schlauch, einfach so Worte in die Welt hinausspritzen - Genau, genau das will ich aber lesen! - Ja, und wo endet das denn dann bitte? Wenn das alle machen? Während man mal schnell beim Abendessen sitzt, wieder einen Gedichtband fertigmachen, so?". Zwei Tage später begann Goetz, dort täglich, bis zum 1. Januar 2000, ein Gedicht zu veröffentlichen, definiert als "Text, der schnell lesbar ist, weil er aus kürzeren Zeilen gemacht ist, der dabei aber irgendein Geheimnis hat".

Diese nun gesammelt vorliegende "Gelegenheitslyrik" transportiert die Spur ihrer Entstehungsbedingungen stets mit: ein mediales Umfeld nämlich, das die Literatur mit sprachlichem "Abfall" unweigerlich kontaminiert und einen Einwand wie den obigen gegenstandslos macht. Orts- und Zeitangabe werden zum integralen Bestandteil des Textes. Die radikale Kontextualisierung, die sich aus dem selbstauferlegten Zwang zum täglichen Wortgebet ergibt, wirkt sich anders aus als im "Abfall"-Projekt, wo körperliche Befindlichkeiten hinter Lektüre- und Fernsehprotokoll zurückstanden und so eine irritierende Oszillation zwischen geistigem Exhibitionismus und privater Reserve entstand. "Neue Fehler machen - die alten kennen wir schon", heißt es nun; im Schutzraum gebundenen Sprechens schleicht sich der Körper ins Bild.

Schon "Krank", Titel und Signatur der Texte zugleich, bezeichnet einen psychosomatischen Zwischenzustand; Zustände des Katers, der Müdigkeit durchziehen die Texte leitmotivisch. In der Badewanne imaginiert sich Goetz als ermordeter Marat, der die Tageszeitung sinken läßt. Eine Mischung aus Frösteln und Fieber liefert den Aggregatzustand, aus dem diese Texte hervorgehen, als Kassiber einer selbstgewählten Isolationshaft. Motive aus früheren Werken tauchen kurz an die Oberfläche des Bewußtseins: die RAF, auf die Brust tropfendes Blut, die Haßattitüde des Punkliteraten. Doch sogleich folgt die resignierende Rücknahme, als erforderte selbst die geballte Faust ebenso wie die strenge poetische Durchführung zuviel Energie: "ein Wort zum Takt / zum Text, zur Form? / ach was: ich lass den Hass / auch heute wieder weg / und bringe lieber / doch die Ouvertüre / meiner neuen Operette / leichte Kavallerie."

"Heute Morgen" nennt Goetz sein Gesamtprojekt einer "Gegenwarts-Geschichte", zu dem unter anderem auch "Rave" und "Dekonspiratione" gehören. "Krank" ist als Epilog gemeint, als Abschied von den Neunzigern. Nach der Techno-Ära besingen diese "Tagelieder" das böse Erwachen, das auf die endlose Party folgt, wie zu jedem echten Rave das anschließende Dahindämmern in der Chill-Out-Zone gehört. Es ist die Zeit der Proben zur Uraufführung von "Jeff Koons", ebenfalls Teil des Gesamtprojekts, um das die im zweiten Teil dokumentierten Interviews kreisen. Während Koons für Goetz ein Künstler der glänzenden Oberfläche ist, wird hier versucht, "die Sachen realistisch dreckig zu halten, normal verschmutzt".

Diese Poetik begreift Formentscheidungen mit Luhmann als Herstellung einer unwahrscheinlichen Ordnung, die subjektiv als Glück erlebt wird: "Erlösung gibt es nur im Text." Die Verschmutzung der vom falschen Bewußtsein des Kitsches bedrohten Konzentrate erfolgt vor allem durch Fragmente der Massenmedien, die Goetz als Bedingungsraum gegenwärtigen Schreibens spürbar halten will. Spurenelemente der Tradition sind nur noch als Namen von ICE-Zügen vertreten oder in Ansätzen einer Rhythmisierung, die abbricht, sobald sie in Formzwang umzuschlagen droht.

Wie ein Mitschnitt die spontane ästhetische Ordnungsfindung des DJs nicht abbilden kann, so gilt auch für die Buchform dieser Notate eine Kluft zwischen Herstellung und Rezeption. Goetz bietet schnelle Verse im Tempo digitaler Schnittechniken, die man zwischen Tür und Angel lesen soll. Zugleich beschwört er die "Heiligkeit der Schrift", die "für alle Texte, für jeden Buchstaben" gelte: Angesiedelt zwischen dem Auratischen und dem Autistischen, führt er Sprache als "Zerstörtheitsresultat" vor, um das "kranke" Leben in jeder neu aufgeschlagenen Seite des "Klinikums Buch" zugleich zu bejahen: "unglaublich: das Jahr / die Bäume und unser Geist / wie er zittrig wie sie / nach sich selber tastet / Verstehen am Wortort / Ordnung sucht und sich fast / geschwungen, gelebt, erkannt und - / egal: es ist aus, wir haben es also / zuletzt: doch wieder geschafft."

Rainald Goetz: "Jahrzehnt der schönen Frauen". Krank und Kaputt 1999 und 2000. Taggedichte und Interviews. Merve Verlag, Berlin 2001. 216 S., br., 25,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rainald Goetz ist einer von den jungen Autoren, die mit Sprache in einer Weise experimentieren, dass der konventionelle Leser mit der Art von Literatur, die dabei entsteht, manchmal seine Mühe haben dürfte. Somit kann man Ulrich Rüdenauer dankbar sein, dass er bei der Rezension von Goetzes "Jahrzehnt der Frauen" etwas weiter ausholt. Man erfährt beispielsweise von der Vorliebe des Autors für dialogische Textformen und seinem Bemühen um eine Einbindung aller Arten von Medien in sein Werk. Der Rezensent informiert weiterhin, dass das Buch Bestandteil des Großprojekts "Heute morgen" sei und dass es sich keineswegs um neue Texte handele. Die Frage, was dieser Band eigentlich Neues zu bieten hat, beantwortet Rüdenauer wie folgt: Es werden neue Korrespondenzen und Verknüpfungen zwischen den Teilen auf gebündelte Weise sichtbar. "Jahrzehnt der schönen Frauen" sei eine Art Sammelstelle für Reflexionen, wobei diese auch von der ursprünglichen Planung abweichen können, denn auch die rasante Änderung der Versuchsanordnung gehöre zu Goetz´ Projekt, erklärt er.

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