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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: Steidl
  • Seitenzahl: 391
  • Erscheinungstermin: August 2000
  • Deutsch
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 602g
  • ISBN-13: 9783882437362
  • ISBN-10: 3882437367
  • Artikelnr.: 08916836
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.02.2001

Es war Tort
Gudbergur Bergssons Roman „Liebe im Versteck der Seele”
Äußerlich passiert nicht viel in Gudbergur Bergssons Roman über „die Qual, die Liebe weckt”. Der Erzähler, ein gut situierter Mittvierziger, trifft sich regelmäßig mit seinem heimlichen „Gefährten”, einem „wahren Schürzenjäger” und „Techniker auf dem Gebiet der Gefühle”, und vollzieht wohleingespielte homosexuelle Praktiken. Wie das im einzelnen geht, wird uns in einem Stilgemisch aus Kitsch und Softporno nahe gebracht, gäbe aber wohl noch nicht Stoff genug für beinahe 400 Seiten her. Und auch die Taktiken, die sich die beiden Männer ausdenken, um ihr Verhältnis vor ihren Frauen geheim zu halten, sind nicht sonderlich kompliziert. Nein, der eigentliche Stoff dieses Romans ist ein unablässiges Geschwafel, ein Mischmasch aus Gesprächen und Gedanken. Beides hat freilich seine Tücken.
Die Haupt-Tücke der Gespräche, die die beiden Männer vor oder nach dem Akt führen, ist das intellektuelle Gefälle zwischen ihnen. Der Gefährte des Erzählers ist ein „einfacher Naturbursche”. Mit ihm kann man nur einigermaßen pragmatische Dinge besprechen, etwa die Frage: „Ist das, was wir tun, nur dazu da, um den Ehefrauen eine Pause zu gönnen?” Und notfalls noch ein paar typisch männliche Weisheiten austauschen: „Wenige Frauen können still und schweigend leiden. ” Schon kniffliger als Thema ist die seltsame Herkunft des Lovers, der nämlich dem Erzähler von seinem Jugendfreund testamentarisch vermacht wurde. Und endgültig das Ende der kommunikativen Möglichkeiten ist erreicht, wenn der Erzähler seinem Freund mit philosophischen Tiefsinnigkeiten zu Leibe rückt: „Alles, was brennt, erlischt und muss früher oder später sterben, mein Gefährte. ”
Der Schwulst in dieser Formulierung ist durchaus typisch für die Erkenntnisse, mit denen der Erzähler seinen Liebhaber und seine Leser traktiert, und damit wären wir bei den Tücken seiner ausschweifenden Gedankenfluchten angelangt. Da ist ein tiefer „Brunnen, den ich in meiner Brust spüre”, und darin wiederum „eine Sehnsucht nach Worten”, die deshalb kübelsweise über uns ausgeschüttet werden. „Die Liebe der Menschen ist wie zwei düstere Wasser in einem klaren Wasser. ” Solche Maximen werden nicht nur einfach mitgeteilt, sondern gleich auch noch umständlich erläutert. Wir lernen die „vielen Geheimnisse des Mannes und die Wahrheit über das Wesen seiner Natur” kennen, und wir lernen, dass Treffen ohne Liebe „oft am reinsten und besten” sind. Die aufgeblasensten Binsenweisheiten werden breitgewalzt, und natürlich stellen sich uns immer wieder so genannte letzte Fragen in den Weg: „Was ist das für ein Leben, so zu leben? fragte ich. ”
Wo solche pseudophilosophischen Lebensfragen auftauchen, kann der Tod nicht weit sein, also wird er nach Kräften mit dem Sex verrührt. „Wir wissen, dass der Tod, solange wir leben, fortwährend Geschlechtsverkehr mit dem Leben hat”, nun ja. Natürlich kommt auch ein bisschen Aids-Hysterie vor in Bergssons Roman, und natürlich wird auch der Selbstmord als Thema nicht ausgelassen. Das Gebräu, das wir hier aus dem „Kelch des Lebens” zu trinken kriegen, ist angedickt mit allen nur erdenklichen Grübelzutaten und dennoch kraftlos und ungenießbar wie schon der pompöse Titel von der Liebe im Versteck der Seele.
Welcher Teufel hat Gudbergur Bergsson bloß geritten, nach seinem Roman Der Schwan – einem Juwel der Prosakunst – dieses öde Elaborat aus plattem Seelengeraune und derben sexistischen Sprüchen zu produzieren? Vorstellbar ist das alles eigentlich nur als Großsatire. Der Erzähler outet sich in regelmäßigen Abständen als Möchtegern-Schriftsteller; das, was wir zu lesen kriegen, ist das Tagebuch, das er in seinem Liebesnest führt. „Wenn wir ohne Umschweife alles in die Hände bekämen, würde die Sprache in unserem Mund verloren gehen. ” Daraus könnte man schließen, dass die Sprache immer bloß Wunschmaschine ist, dass also das, was hier aufgezeichnet wird, nicht wirklich erlebt, sondern von einem schreibenden Stümper herbeiphantasiert wird. Anderswo wird das Schreiben als „Selbstbefriedigung im wahrsten Sinne des Wortes” bezeichnet, und der Schreiberling sieht ein, „dass ich nichts in meinem Leben eine ästhetisch beständige Form habe geben können”. Schließlich taucht unter den Daten des Tagebuchs dann sogar ein 31. April auf, ein Tag, den auch der isländische Kalender keineswegs kennt. Ist also die Stümperei Absicht?
Wenn es so wäre, so könnte man Gudbergur Bergsson für die Grandiosität und Konsequenz seiner Parodie eines Romans nur bewundern. Lesbar wäre das Buch dennoch nur für Masochisten. Noch eine Tiefsinnigkeit gefällig? „Zu lieben bedeutet, eine besondere Magie auszuüben, die ständig neue Techniken erfordert, doch das Resultat bleibt am Ende dasselbe: Die Einsamkeit des Ergusses. ” Immer noch besser als die Qual, die die Lektüre dieses Buches weckt.
FRIEDHELM RATHJEN
GUDBERGUR BERGSSON: Liebe im Versteck der Seele. Roman. Aus dem Isländischen von Hans Brückner. Steidl Verlag, Göttingen 2000. 392 S. , 38 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Köstlich amüsiert hat sich Wolfgang Müller über den Roman des Isländers Gudbergur Bergsson, der die Beziehungen zwischen Männern und Männern und Männern und Frauen unter die Lupe nimmt. Die isländische Gesellschaft sei zwar recht übersichtlich, meint Müller, aber alles in allem gut übertragbar auf hiesige Verhältnisse. Hier wie dort gibt es richtige Schwule und ein bisschen Schwule, denen es mehr darum geht, aus dem Käfig ihrer Ehe auszubrechen. Entsprechend langweilig kommen die Ehegattinnen weg , die eine stirbt sogar an Salmonellenvergiftung (zum Thema "Schwule Klischees" in Island und anderswo sagt Müller nichts). Bergssons Humor sei staubtrocken - was zumindest Island-Fans wie Wolfgang Müller zu würdigen und zu verstehen wissen.

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