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DIE ENTDECKUNG DER NATUR ist eine Erfahrungsgeschichte, deren Anfänge ins 14. Jahrhundert zurückreichen. Ein lebendiges Panorama ihrer Schauplätze und Protagonisten entwirft Jürgen Goldstein in sechzehn Kapiteln: von Petrarcas Mont-Ventoux-Erlebnis über Georg Forsters Tahiti-Reise und Georg Christoph Lichtenbergs Überfahrt nach Helgoland bis hin zu Reinhold Messners Besteigung des Mount Everest. Anhand von acht Bergbesteigungen und acht Horizontüberschreitungen durch Seefahrten zeichnet er einen Entwicklungsbogen nach, der von der zaghaft einsetzenden Lust am Schauen über die spektakulären…mehr

Produktbeschreibung
DIE ENTDECKUNG DER NATUR ist eine Erfahrungsgeschichte, deren Anfänge ins 14. Jahrhundert zurückreichen. Ein lebendiges Panorama ihrer Schauplätze und Protagonisten entwirft Jürgen Goldstein in sechzehn Kapiteln: von Petrarcas Mont-Ventoux-Erlebnis über Georg Forsters Tahiti-Reise und Georg Christoph Lichtenbergs Überfahrt nach Helgoland bis hin zu Reinhold Messners Besteigung des Mount Everest. Anhand von acht Bergbesteigungen und acht Horizontüberschreitungen durch Seefahrten zeichnet er einen Entwicklungsbogen nach, der von der zaghaft einsetzenden Lust am Schauen über die spektakulären Naturerkundungen bis zur heutigen Anschauungsmüdigkeit reicht. Aus den historischen Erfahrungsberichten spinnt Jürgen Goldstein eine dichte, fast literarische Erzählung der sich wandelnden Wahrnehmung der Natur, die diese Entdeckungserlebnisse zu unmittelbarem Leben erweckt. Indem er jene oft brillanten Schriftsteller wie Goethe und Darwin oder Claude Lévi-Strauss und Peter Handke selbst zu Wort kommen lässt, gelingt es ihm, die Erzählung als Wissensform zu rehabilitieren und die Leser an der Unmittelbarkeit ihrer Eindrücke teilhaben zu lassen. Was die Reisetagebücher, Briefe, Notizen und Erzählungen der Anschauungsnomaden verbindet, ist die Liebe zur Welt.
Autorenporträt
Jürgen Goldstein, geboren 1962, lehrt als Professor für Philosophie an der Universität Koblenz-Landau. Maßgeblich von Hans Blumenberg inspiriert, widmen sich seine Studien der Genese und dem Profil der Moderne. Seine Bücher befassen sich mit der Herausbildung der neuzeitlichen Subjektivität und Rationalität, der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts und der Geschichte der Naturwahrnehmung. Für sein Buch Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt erhielt er 2015 den Gleim-Literaturpreis und 2016 den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch / Essayistik.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ganz begeistert ist Cord Riechelmann von Jürgen Goldsteins Naturerfahrungsgeschichte, vom Autor zugespitzt mit individuellen Dramen bei Petrarca, Chateaubriand, Goethe und: Reinhold Messner. Dass der Autor Letzterem nicht in Nietzsches Übermenschenpathos folgt, sondern dem Zähne zusammenbeißenden Gipfelstürmer die Gnade einer Innensicht angedeihen lässt, findet der Rezensent nebenbei groß. Ansonsten besticht der Band für ihn durch exakte Quellenbehandlung und die mimetische Fähigkeit Goldsteins, der so in der Lage ist, sich die Erfahrungen seiner Naturbegeher zueigen zu machen. Und sogar aus der ein oder anderen Umgehungsleistung des Autors, etwa die schnöden Bedingungen, Finanzierung, Abhängigkeiten etc., der jeweiligen Naturerfahrung betreffend zieht Riechelmann Gewinn. Er nimmt's philologisch sportlich.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.07.2013

Stünd ich vor dir allein
Vom Kampf mit Berggipfeln, Vulkanen, Steilwänden und Wildnissen: Der Philosoph Jürgen Goldstein inszeniert
die Entdeckung der Natur als eine Folge individueller Dramen
VON CORD RIECHELMANN
Die Natur ist heute kein politischer Kampfbegriff mehr. Wer im botanischen Garten von Singapur dem Rundweg folgt, landet in einem Kinosaal mit bequemen Stühlen und Bänken. Zu sehen gibt es dort einen Film über die Verheerungen des Klimawandels und die damit einhergehende Verwüstung der Erde. Die Bilder sind glanzpoliert wie die ganze Stadt und erzeugen keinen Kontrast zu den nur unweit vom Garten in langen Schlangen auf dem Meer vor dem Hafen wartenden Containerschiffen, die die Waren in die Stadt bringen, mit deren Umschlag Singapur reich geworden ist. Konsum und Natur kommen unter dem Signum der Erde im Naturpark zusammen.
  Wenn es um „the Whole Earth“ geht, fügt sich zusammen, was Gott getrennt hat. Ökonomie und Ökologie blinzeln sich in den Verlautbarungen der Deutschen Bank genauso freundlich an wie in den Erklärungen chinesischer Staatskonzerne. Das war nicht immer so. Judith Schalansky liefert mit den Bänden zwei und drei der von ihr im Verlag Matthes & Seitz herausgegebenen Reihe „Naturkunden“ Dokumente des politischen Naturbegriffs wie seiner Neutralisierung. Dadurch führt sie in ihre Reihe einen Kontrast ein, der schärfer nicht sein könnte und deshalb politisch im Sinne einer Kontrast- und Widerspruchsverschärfung ist.
  Während John Muirs „Die Berge von Kalifornien“, im amerikanischen Original 1894 erschienen, ein Werk des militanten Kampfes gegen die Privatisierung der Natur durch die Kolonisierung des amerikanischen Wilden Westens ist, ist Jürgen Goldsteins „Die Entdeckung der Natur“ das Gegenteil: die hochkomplizierte Akzeptanz der Privatisierung der Natur. Muir gilt als Vater der Nationalparkidee in den USA. Vergessen wird dabei, dass der amerikanische Nationalpark aus einer Bewegung hervorging, der eine nie veraltete Erfahrung zugrunde liegt: Die Naturschönheiten, vor allem die Ur- und Regenwälder, lassen sich nur erhalten, wenn man sie dem privaten Besitz und damit der Ausbeutung entzieht.
  Das war in den USA nicht nur im Wilden Westen ein Kampf um Leben und Tod. Von Henry David Thoreau über John Muir bis zu Gary Snyder und Robert Pogue Harrison haben amerikanische Naturdenker immer darauf bestanden, dass die Natur nur als besitzloser Gemeinschaftsraum betrachtet werden kann. Damit wollten und wollen die Aktivisten auch ein uneingelöstes Versprechen der amerikanischen Revolution wachhalten: die Tatsache, dass sich im amerikanischen Traum das Naturschöne und das Sozialschöne nicht ausschließen, sondern zusammengehören.
  Auch bei Goldstein geht es in einigen Etappen der Erfahrungsgeschichte der Naturwahrnehmung um Leben und Tod, doch geht es in den von ihm geschilderten Kämpfen nicht um die Gestaltung von Räumen zum sozialen Gebrauch. Goldstein inszeniert die Kämpfe mit der Natur als individuelle Dramen. Seine Protagonisten scheitern allein an Steilwänden, Berggipfeln oder in der Wildnis Alaskas. Es geht ihm um eine Geschichte der rein kontemplativen Betrachtung der nackten Tatsachen der Natur. Und mit nackten Tatsachen beginnt er auch.
  In dem Schock, der Charles Darwin befiel, als er am 18. Dezember 1832 auf seiner langen Reise mit der Beagle den ersten Ureinwohner Feuerlands sah, verdichtet sich eine Epochen übergreifende Erfahrung, die alle Naturentdecker auf eine ähnliche Art machen. Der Feuerlandindianer mit seinen verfilzten Haaren, seiner rauen Stimme und seinen gewalttätigen Gesten hatte nichts mit dem zu tun, was Darwin bis dahin über die „Wilden“ wusste. Um dem Anblick, der sich ihm bot, angemessen begegnen zu können, musste Darwin alles bisher Gehörte und Gelesene aus seiner Wahrnehmung ausschließen. Das ist eine Erfahrung, die Petrarca bereits 1336 machen musste, als er in einer wesentlich ruhigeren Gegend als dem unwirtlichen Feuerland den Mont Ventoux bestieg. Petrarcas Blick vom Mont Ventoux, heute vor allem als eines der Bergetappenziele der Tour de France bekannt, kann als Beginn der europäischen Landschaftsbetrachtung gelten. Und um den Berg als Landschaft zu sehen, wie sie geschaffen worden ist, muss Petrarca wie Darwin alles bisher Geschriebene vergessen.
  Für Schreibmenschen wie Petrarca ist das keine leichte Aufgabe. Chateaubriand muss sich, als er 1804 den Vesuv besteigt, schon „geradezu anstrengen“, um sich von dem Vulkan überwältigend beeindrucken zu lassen, wie Goldstein schreibt. Die Unmittelbarkeit des Natureindrucks überhaupt erst zu erreichen, ist ein komplizierter Vorgang und was dabei herauskommt, hängt eben auch von dem Temperament ab, das sich dieser Erfahrung aussetzt.
  Goldmann schafft es in fast schon mimetischer Perfektion, sich zum Diener der Erfahrungen seiner Helden zu machen. Das mit Abstand langweiligste Kapitel des ersten Teils des Buches erzählt von Goethes Besteigung des Brocken 1777 und wird damit beidem – Goethe und dem Brocken – absolut gerecht. Wobei mit ersten Teil keine Kapitel- oder Seiteneinteilung gemeint ist, sondern eine Erfahrungsbewegung. Es geht im ersten Schritt der Naturerfahrungsgeschichte darum, wie eine noch nicht bestimmte und vermessene Natur als Außen in die Inneneinsicht des Menschen vordringen kann, ohne im Strom der Konventionen als Natur abzusaufen.
  Die Helden dieser Erfahrungslinie heißen bei Goldstein Charles Darwin und Alexander von Humboldt. Das Problem ist nur, dass bei durch und durch intellektuellen Naturen wie Humboldt und Darwin, Goldsteins Methode, die Erfahrungen seiner Helden durch lange und phantastisch flüssig in den eigenen Text eingebaute Zitate zu beglaubigen, nicht ohne Verkürzungen zu haben ist.
  Humboldt wie Darwin wussten sehr genau, dass Beobachtungen mit den Wahrnehmungsapparaturen der Zeit zu tun haben. Beide kontrollierten zum Beispiel den Druck ihrer Bücher mit den Abbildungen äußerst aufmerksam und kleinlich genau. Eine Genauigkeit, die Darwin während seiner Reise auf der Beagle um die Welt, um deren Beschreibung es Goldstein geht, nicht immer an den Tag legte. Die Schlampigkeit, mit der Darwin etwa seine auf Galapagos gesammelten Vögel etikettierte, ist mittlerweile legendär.
  In Goldsteins Individualerfahrungserzählung würde die Abhängigkeit des Beobachters von den Bedingungen die Emphase des Augenblicks nur stören und so umgeht er sie. Das tut er aber sehenden Auges, wenn er den Satz schreibt, Humboldt werde alle seine Reisen selbst finanzieren, einschließlich jener nach Sibirien. Aber so war es nicht: Humboldt war vor seiner Russlandreise 1829 das Geld ausgegangen. Er hat sie sich vom Zaren, dem reaktionärsten Vertreter der damaligen Restaurationszeit, finanzieren lassen und war in dessen Auftrag unterwegs. Daraus ist allerdings Humboldts prekärstes, spannendstes und bis heute in Deutschland nicht eingeholtes Werk entstanden: „Zentral-Asien“ heißt es, ist 1840 zuerst in Paris erschienen und liegt seit 2009 auch auf Deutsch in einer herausragend edierten Prachtausgabe vor.
  Die Lücke in Goldsteins Text, die der Fehler nicht verdecken kann, öffnet aber das Denken auf Humboldts Zentral-Asien, und das macht im Widerspruch gute Laune. Wobei der philologische Furor, mit dem man Goldstein von der ersten Seite an liest, auch durch seine exakte Behandlung der zitierten Quellen befeuert wird. Außerdem schreckt er auch vor sonst verschwiegenen Wahrheiten nicht zurück, wie Darwins Diktum, nach dem es gut wäre, „wenn alle Wissenschaftler im Alter von sechzig Jahren stürben“, weil sie danach gegen alle neuen Lehren seien. Und nicht zuletzt führt er seine Naturerfahrungsgeschichte in ein furioses Finale. Was bleibt einem denn noch zu tun, wenn die Welt dank der Humboldts und Darwins endgültig vermessen ist und die Natur kein unbekanntes Außen mehr bietet?
  Im Glanzkapitel des Buches – Reinhold Messner besteigt 1980 den Mount Everest – führt Goldstein es vor: Wenn das Außen vermessen ist, kann man es nur noch im Innen finden, als Kampf gegen seine eigenen Grenzen, als stetiges Eigenblutdoping. Goldstein schafft es, dass man mit Messner selbst in diesen Kampf gegen eine Natur eintritt, die einem komplett egal ist, die nur als Anlass für die Steigerung der eigenen Fähigkeiten taugt. Man fällt dabei mit Messmer acht Meter tief in eine Gletscherspalte, kommt wieder raus und ist oben auf dem Gipfel tatsächlich der Tatmensch, der es allen verweichlichten Nieten gezeigt hat.
  Wenn da nicht der Goldstein wäre, der Philosophie lehrt und in Münster neben Philosophie auch katholische Theologie studiert hat. Diesem Goldstein fällt nämlich in der eigenen Hingabe an die Messner’schen Erfahrungen der Name Nietzsche ein, dessen Übermenschen-Heroismus Messner, darauf angesprochen, auch immer wieder bedient. Für Goldstein ist der Nietzsche-Weg aber nicht begehbar, also muss er Messner und seine Erzählung vor diesem Abgrund retten und das schafft er auch. Er dreht den Messner-Heroismus der Berggipfeleroberung in eine Innenansicht um, wie sie Augustinus in seinen Confessiones gepriesen hat. In eine Schau der Grenzen des Selbst, die man aber – folgt man Augustinus – auch erleben kann, wenn man ganz ruhig zu Haus in einem Zimmer bleibt.
  Durch diese Spannung wird „Die Entdeckung der Natur“ zu einem Buch, mit dem sich zu arbeiten lohnt.
Jürgen Goldstein: Die Entdeckung der Natur. Ein Panorama in sechzehn Kapiteln. Verlag Matthes & Seitz (Reihe Naturkunden), Berlin 2013. 310 Seiten, 38 Euro.
Chateaubriand musste sich 1804
richtig anstrengen, um vom
Vesuv beeindruckt zu sein
Nach der Vermessung der Welt
bleibt das Innere
Jürgen Goldstein geht es in seiner „Entdeckung der Natur“ um eine Geschichte der rein kontemplativen Betrachtung der nackten Tatsachen der Natur. Schon die Unmittelbarkeit des Eindrucks zu erlangen, bedarf einiger Anstrengung. Blick auf die Everest-Gruppe.
FOTO: DPA
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.2013

Seht nur, wie die alte Zuckerkiefer sich hält!

Wiederbelebung der Naturgeschichte: Die ersten Bände der Reihe "Naturkunden" bieten überzeugende Beispiele des genauen Blicks auf eine Natur, die von Kultur nicht zu scheiden ist.

Im englischen Sprachraum gibt es eine Tradition des "nature writing". Dabei wird Natur nicht nur für Spezialisten, sondern auch ein allgemeines Publikum dargestellt. Im neunzehnten Jahrhundert entstanden in Deutschland ebenfalls Bücher dieser Art von Naturgeschichte, aber später wurde dieses Gebiet vernachlässigt. Viele meinen, es reiche aus, wenn es Bestimmungsbücher und (populär-)wissenschaftliche Werke gibt. Doch muss man sich mit Natur aus zahlreichen Blickwinkeln auseinandersetzen: Judith Schalansky gibt eine neue Buchreihe mit dem Titel "Naturkunden" heraus, um genau dies zu demonstrieren.

Unter den ersten drei Bänden der Serie ist ein Klassiker des "nature writing" aus den Vereinigten Staaten, John Muirs grandiose Beschreibung der Berge Kaliforniens aus dem Jahr 1894. Muir stammte aus Schottland und kam als Kind in die Neue Welt. Er war kein Wissenschaftler, eher ein Abenteurer, aber mit damals neuen wissenschaftlichen Resultaten sehr gut vertraut: Er wusste, dass viele hohe Gebirge in den Eiszeiten von Gletschern bedeckt gewesen waren, und auch, dass sich die Vegetation in der Nacheiszeit von Grund auf verändert hatte. Kaliforniens Berge waren einst vergletschert und baumlos gewesen; später bildeten sich Bergseen und Wälder, die zu den eindrucksvollsten der Welt gehören.

Muir stellte diese Landschaft nicht nur so dar, wie sie ihm entgegentrat, sondern bedachte den tiefgreifenden Wandel, der von einer Kältesteppe zu Wäldern mit Mammutbäumen und Borstenkiefern geführt hatte. Beide Pflanzen erreichen ein sehr hohes Alter; ihre Stämme können mehrere tausend Jahresringe aufweisen. Das Bild der Landschaft, das vor den Augen der Leser entsteht, ist nicht nur schön, sondern auch von erheblicher Dynamik geprägt. Nichts ist nur einfach "da": Berge kommen und gehen, Schnee fällt und schmilzt, das Wetter ändert sich, Seen entstehen und verschwinden, Bäume breiten sich aus und werden von anderen verdrängt. Der Wind "reißt ein Blatt oder einen Ast ab, falls dies erforderlich ist, oder schafft einen ganzen Baum oder Hain beiseite, mal durch die Zweige flüsternd und krähend wie ein schläfriges Kind, mal brüllend wie der Ozean; der Wind segnet den Wald, der Wald den Wind, mit unbeschreiblicher Schönheit und Harmonie als unfehlbarem Resultat."

Muir setzte sich für die Bewahrung der kalifornischen Bergwelt ein; er gehörte zu den ersten Naturschützern. Die zu schützende Natur ist für ihn genauso wenig starr wie die beschriebene Natur. Eine Bewahrung der Kräfte von Natur, eine Bewahrung der Dynamik, ist viel wichtiger als der Schutz einzelner Seen, Pflanzen- oder Tierarten. Es geht vor allem darum, Entwicklungen zu erkennen und sie zu ermöglichen. Solche Gedanken sind etlichen Naturschützern nicht fremd, aber es ist wichtig, dass ein Schutz von Naturkräften, wie er John Muir vorschwebte, in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Denn es muss immer wieder von neuem entschieden werden: Welche Natur wollen wir schützen, und welchen Naturschutz wollen wir? Und "wir", das sind wirklich wir alle, nicht nur "die Experten".

Natur als etwas Lebendiges und daher Dynamisches stellt auch Cord Riechelmann im ersten Band der "Naturkunden" dar, und zwar am Beispiel der Krähen. Diese Singvögel, die nach allgemeiner Meinung nicht singen können, lassen sich Tag für Tag neu erkennen. Dazu regt das Buch an: Riechelmann geht es darum, durch Beobachten ein kulturelles Verständnis für eine Tierart zu entwickeln. Wer das Buch gelesen hat, ist von den Tieren fasziniert. Man möchte die Beobachtungen sofort überprüfen, ergänzen, ausbauen.

Jürgen Goldstein hat eine Geistesgeschichte des Entdeckens geschrieben; er befasst sich mit Menschen, die wagemutig in exotische Welten vorstießen. Zu antiker Zeit meinte man: Kein Mensch könne jenseits der Meerenge von Gibraltar leben, wo man die Säulen des Herkules zu sehen glaubte. Doch Entdeckungsreisende begaben sich auf den Ozean und fanden Neuland. Andere Entdecker stiegen in die Höhen der Gebirge, mit und ohne Alpinistenausrüstung: Francesco Petrarca erfasste vom Mont Ventoux aus, dass das unter ihm ausgebreitete Land eine Landschaft war. Jean-Henri Fabre steuerte Jahrhunderte später das gleiche Ziel an und befasste sich dort mit dem Mikrokosmos der Insekten.

Petrarca und Fabre waren am gleichen Ort, aber sie machten dabei unterschiedliche Erfahrungen. Neues Land entdeckte nicht nur Christoph Kolumbus, sondern auch Georg Christoph Lichtenberg auf der Überfahrt nach Helgoland. Georg Forster entdeckte "edle Wilde" auf Tahiti, Claude Lévi-Strauss fand sie am Amazonas nicht mehr: Wie sehr hatte sich die Welt in gut anderthalb Jahrhunderten verändert. Nicht nur wurde vielerorts Wildnis durch Zivilisation verdrängt, sondern es verschwand auch das Faszinosum, das von dem Wilden ausging; es wich einer Resignation darüber, dass jede Entdeckung einen Verlust einschließt.

Goldstein lässt die Entdecker der Welt oft selbst zu Wort kommen; in die Texte sind zahlreiche Zitate eingebaut. Wörtliche Zitate werden durch Druck in einem anderen Farbton kenntlich gemacht. Das soll dem Lesefluss dienen, aber man braucht gute Augen und eine gute Lichtquelle. Ganz glücklich ist man darüber als Leser nicht.

In allen drei Büchern der neuen Buchserie wird deutlich: Natur ist nicht nur ein Objekt von Wissenschaft oder Naturlyrik. Sie muss sowohl korrekt als auch anschaulich dargestellt werden. "Von allen immergrünen Bäumen der Sierra erscheint eine alte Zuckerkiefer höchst originell und unabhängig", schreiben John Muir und sein Übersetzer Jürgen Brôcan. Sie sagen nicht, dass die Zuckerkiefer originell und unabhängig ist, womit sie den Baum vermenschlicht hätten. Auf solche Feinheiten kommt es an, wenn man ein zutreffendes Bild von Natur entwerfen will, und die damit verbundene Kultur gilt es zu fördern.

Viele Bereiche von Kultur und Kulturgeschichte finden in Buchhandlungen und bei Lesern die Beachtung, die ihnen gebührt. Aber wie ist es mit der Naturgeschichte? Bücher dazu müssten dort anders präsentiert werden als derzeit: Sie passen nicht in die Sparten Reise oder Garten, sie sind weder Bestimmungsbücher noch wissenschaftliche Werke, sondern sie repräsentieren einen eigenen Bereich von Kultur. Wir brauchen die kulturelle Sicht auf Natur, wie sie von den "Naturkunden" vermittelt wird. Zum Beobachten der Natur gehört nicht nur das Objekt, sondern auch der Beobachtende. Bei der Beschreibung muss man um die Worte, um die Metaphern ringen. Weder natürliche Parameter, etwa diejenigen des Klimas, noch die auf sie bauenden Weltbilder sind etwas Starres, sondern immerwährendem Wandel unterworfen. Alle drei "Naturkunden" zeigen dies in eindrucksvoller Weise.

HANSJÖRG KÜSTER

John Muir:

"Die Berge

Kaliforniens".

Aus dem Amerikanischen von Jürgen Brôcan. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2013. 352 S., Abb., br., 34,- [Euro].

Cord Riechelmann: "Krähen". Ein Portrait.

Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2013. 156 S., Abb., br., 18,- [Euro].

Jürgen Goldstein: "Die Entdeckung der Natur".

Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2013. 310 S., Abb., br., 38,- [Euro].

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