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Der italienische Philosoph Mario Perniola konstatiert in dieser tiefgreifenden Studie, die nun endlich auf Deutsch erscheint, dass sich das Wesen des Katholizismus nicht in Lehre und Dogma ausdrückt, sondern in einer bestimmten Art zu fühlen. Bezugnehmend u.a. auf Ignatius de Loyola definiert er einen autonomen kulturellen Katholizismus, der geprägt ist von einem objektiven, rituellen, in der antiken römischen Welt wurzelnden äußerlichen Fühlen. Perniola macht dabei auch einen traditionellen Formalismus stark und geht so weit, darin die Möglichkeit zur Rettung einer Welt zu sehen, die sich durch ihren sentimentalen Subjektivismus selbst zersetzt.…mehr

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Produktbeschreibung
Der italienische Philosoph Mario Perniola konstatiert in dieser tiefgreifenden Studie, die nun endlich auf Deutsch erscheint, dass sich das Wesen des Katholizismus nicht in Lehre und Dogma ausdrückt, sondern in einer bestimmten Art zu fühlen. Bezugnehmend u.a. auf Ignatius de Loyola definiert er einen autonomen kulturellen Katholizismus, der geprägt ist von einem objektiven, rituellen, in der antiken römischen Welt wurzelnden äußerlichen Fühlen. Perniola macht dabei auch einen traditionellen Formalismus stark und geht so weit, darin die Möglichkeit zur Rettung einer Welt zu sehen, die sich durch ihren sentimentalen Subjektivismus selbst zersetzt.
Autorenporträt
Mario Perniola, geboren 1941, studierte u.a. Kunstgeschichte in Rom. Der Philosoph und Kunstkritiker lehrt Ästhetik an der Universität Tor Vergata in Rom und ist Herausgeber der Zeitschrift Agalma. Seine Schriften befassen sich mit Avantgarde, der Situationischen Internationale, der Postmoderne und der kritischen Theorie.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.07.2013

Selbstbewusster heucheln
Warum die Päpste immer protestantischer werden – und ihre katholischen Kritiker auch:
Mario Perniola wirft sich für das Römische, für Rituale und Äußerliches in die Bresche
VON MICHAEL STALLKNECHT
Als der italienische Philosoph Giorgio Agamben kürzlich laut über die Bildung eines „Lateinischen Reichs“ nachdachte, da bezog er sich auch auf den Katholizismus. In ihm sollten die romanischen Länder das gemeinsame kulturelle Band finden, das sie gegen die übermächtige nordeuropäische Wirtschaftsmacht einen könnte. Und wie Letztere seit Max Weber mit der protestantischen Ethik verknüpft wird, mag Agamben dabei an einen interessanten Essay seines Landsmanns Mario Perniola gedacht haben, der dank des Verlages Matthes & Seitz nun auch auf Deutsch zugänglich ist. In „Vom katholischen Fühlen“ definiert der Professor für ästhetische Philosophie an der römischen Universität Tor Vergata den Katholizismus vor allem als ein „Von außen Fühlen“. Er ereigne sich und gehe auf in Ritualen und frage wenig nach Inhalten und moralischen Wertungen.
  Perniola stellt erst mal klar, was man in Bayern sowieso denkt: dass der Verzehr von ein bis, sagen wir, vier Maß Starkbier zur Fastenzeit schon an sich höchst katholische Akte sind. Nur dass er zugleich eine kulturgeschichtliche Erklärung liefert, warum selbst manche Bayern das inzwischen für Heuchelei halten. Denn: „Viele Katholiken fühlen in ihrem Herzen, dass die Protestanten recht haben! Eine Untersuchung des schlechten katholischen Gewissens im Verhältnis zum Protestantismus steht noch aus.“
  Der römische Katholizismus, lautet die Erklärung, habe seine Wurzeln mindestens so sehr in der heidnischen Antike wie in der Bibel. Die Ritualhaftigkeit schreibe die strenge römische Objektivität fort, während die Gelassenheit dem Stoizismus entspreche. So führt Perniola beispielsweise die katholische Deutung der Nächstenliebe auf das antike officium zurück, das, vergleichbar modernen Charity Events, auch durch gemischte Intentionen nicht ungültig wird. Erst mit Beginn der Neuzeit fordere der Protestantismus das persönliche Bekenntnis ein. Damit stehe, so Perniola, der Objektivität plötzlich das Subjekt und der unvermittelten Körperlichkeit des Rituals die Intentionalität des Geistes gegenüber. Denn der Katholizismus ist politisch-organisatorisch, der Protestantismus theologisch-begrifflich organisiert.
  Weil „katholisch“ im griechischen Wortsinn nicht mehr als „allgemein“ meint, hat es historisch für Perniola seinen Ausdruck gerade in der „Universalität“ des gern gescholtenen Renaissancekatholizismus gefunden. (Erstaunlich, dass er nicht gleich auf das Mittelalter zurückgeht.)
  Als Reaktion auf die Reformation habe der Katholizismus aber seit dem Konzil von Trient ebenfalls auf das personalisierte Bekenntnis gesetzt und damit seine Allgemeinheit – also sozusagen sich selbst – verloren. Seitdem bewege er sich in einer „mimetischen Rivalität“ zum Protestantismus, die er nicht mehr gewinnen könne. Für die Innerlichkeit, die aus dem protestantischen Subjektivismus folgt, ist alles Äußerliche, ja im Grunde alles öffentlich Sichtbare bereits notwendig Heuchelei. Die Protestanten zerren die Katholiken am immer gleichen Nasenring von mangelnder Redlichkeit, Wahrhaftigkeit und Authentizität durch die Neuzeit.
  Die Päpste aber und ihr zunehmend erstarrender Apparat reagieren für Perniola auf die ungeschickteste Weise, indem sie die Glaubensinhalte zunehmend dogmatisieren und auf penible moralische Vorschriften drängen. Dass der Katholizismus dem „antirituellen Vorurteil“ erliege, mache ihn ideologisch. Wenn sich also heute die Päpste ebenso wie ihre Kritiker um den Gebrauch von Kondomen mehr Gedanken machen als um die Liturgie, dann wären sie nach diesem Modell – horribile dictu – fast schon Protestanten.
  Die Moderne, so Perniola, ersetze nämlich die verlorene Universalität durch Scheinhomogenisierungen. Das Fatale am gegenwärtigen Zustand des Katholizismus sieht er deshalb darin, „dass er seine ihm im Grunde zutiefst eigene weltliche, rituelle, immanente Dimension verdrängte. In heutigen Zeiten hat sich das rituelle Fühlen ins katholische Unbewusste verzogen, während die Orthodoxie unterdessen Arm in Arm mit den zeitgenössischen Ideologien (. . .) ihren Siegeszug antritt.“ Der Bekenntniszwang lässt dem Einzelnen nur noch die Wahl zwischen Nichtglauben und religiösem Fanatismus.
  Dass sich eine ganze Reihe von religiösen Bekenntnissen – nicht nur der Katholizismus – im Moment gleichzeitig auflösen und fanatisieren, trifft unübersehbar zu. Zu fragen bliebe allerdings, inwieweit der von Perniola geforderte „orthodoxiefreie Katholizismus“ überhaupt noch christlich wäre. Denn das persönliche Bekenntnis ist keine boshafte Erfindung Luthers, sondern erreicht von seinen alttestamentarischen Wurzeln über den starken Wahrheitsbegriff des Neuen Testaments die Neuzeit. Der Protestantismus wirkt nicht umsonst auch auf viele Katholiken „evangelischer“, sprich: evangeliengemäßer.
  Wenn Jerusalem und Rom traditionell als die beiden Säulen des Christentums gelten, dann gelingt dem römischen Philosophen ein Coup, indem er sich wie sonst wohl niemand zurzeit für das Römische in die Bresche wirft. Zudem schreibt er völlig jenseits der Dichotomie Glaube / Unglaube, die für religiöse Themen bisher als unabdingbar galt. Eben deshalb aber könnte er die verhärteten Fronten aufzubrechen helfen, unter denen der gegenwärtige Katholizismus unübersehbar leidet. So können Traditionalisten hier lernen, dass ein eschatologisch aufgeladenes Selbstverständnis als „letztes Häuflein“ überhaupt nicht in katholischer, sprich: stoischer Tradition steht. Wenig später aber bekommen auch die Progressiven ihr Fett weg, wenn Perniola erklärt, dass ein „Volk Gottes“, an dem der Einzelne emotional partizipieren soll, nur die ideologischen Massenbewegungen des 19. Jahrhunderts kopiere. Wo „äußerlich“ ein Schimpfwort geworden ist, da bleibt für viele Bereiche der Kultur die Frage jedenfalls fruchtbar, ob denn Innerlichkeit notwendig immer die bessere Alternative sei.
Mario Perniola : Vom katholischen Fühlen. Die kulturelle Form einer universalen Religion. Aus dem Italienischen von Sabine Schneider. Matthes & Seitz, Berlin 2013. 183 Seiten, 26,90 Euro.
Wer dem „antirituellen“ Vorurteil
erliegt, wird ideologisch
Katholizismus geht für Mario Perniola in Ritualen auf: Priesterweihe im Petersdom, 1983.
FOTO: AP
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Positionen, die sich gegen religiösen Dogmatismus oder eine Betonung der traditionellen Institutionen stellen, gibt es heutzutage so viele, dass ein Autor schon darüber hinaus gehen muss, will er Gehör finden, weiß Jan-Heiner Tück. In seinem Buch "Vom katholischen Fühlen" hat der italienische Philosoph Mario Perniola genau das getan, verrät der Rezensent. Perniolas These: das Fühlen sei der eigentliche "Wesenskern" des Katholizismus, das rituell oder institutionell vermittelte Gefühl, erklärt Tück. Allerdings unterschätzt der Autor in seiner Verteidigung der ästhetischen Dimension "die kulturprägende Kraft des Dogmas", findet der Rezensent. Perniola möchte Bereiche entkoppeln, die so sehr verzahnt sind, dass der eine ohne den anderen nicht eigentlich verstanden werden kann, kritisiert Tück.

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