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Der Kunst- und Kulturhistoriker Carl Justi gehört zu den bedeutenden deutschsprachigen Gelehrten des19. Jahrhunderts. Seine Briefe sind wichtige Dokumente zur kunsthistorischen Wissenschaftsgeschichte undBerliner Museumsgeschichte. Sie werden in dieser Auswahl durch die bisher nur in Ausschnitten bekannteAphorismensammlung 'Moderne Irrtümer' (entstanden zwischen 1906 und 1912) ergänzt.

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Produktbeschreibung
Der Kunst- und Kulturhistoriker Carl Justi gehört zu den bedeutenden deutschsprachigen Gelehrten des19. Jahrhunderts. Seine Briefe sind wichtige Dokumente zur kunsthistorischen Wissenschaftsgeschichte undBerliner Museumsgeschichte. Sie werden in dieser Auswahl durch die bisher nur in Ausschnitten bekannteAphorismensammlung 'Moderne Irrtümer' (entstanden zwischen 1906 und 1912) ergänzt.
Autorenporträt
Carl Justi (1832-1912) widmete sich vor allem der spanischen Kunstgeschichte. Seine Werke zu Velázquez, Winckelmann und Michelangelo sind nicht nur von anschaulicher Tiefe und kulturhistorischer Dichte, sie sind auch fester Bestandteil der deutschen Kunstliteratur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2012

Ein Weltreisender in Sachen Kunst

Viele Bilder in der Alten Nationalgalerie in Berlin verdanken sich seinen Winken und Expertisen: Ein Band versammelt Briefe und Aufzeichnungen des Bonner Kunsthistorikers Carl Justi.

Bei Dürer in Nürnberg, bei El Greco in Düsseldorf, bei Raffael in Dresden steht das Publikum Schlange. Die Gemäldegalerie in Dresden und die Pinakothek in München werden, zumal im Sommer, vom Publikum geflutet. Warum bleiben solche Ströme in der nicht weniger glanzvollen, wenn auch bürgerlicheren Berliner Gemäldegalerie aus? Sie wartet mit keinem Palast auf, das städtebauliche Ambiente stößt ab, die Zugangsbereiche sind wenig einladend. Im Inneren aber entfaltet sich ein fast makelloses Bilderparadies. Das freilich ließe sich noch besser erschließen und näherbringen, wenn die Regie nicht mit Informationen geizte und die Inhalte und Geschicke, die Herkunft und Geschichte der Bilder uns vorenthielte.

In der Vermittlung ist die National Gallery in London den Berlinern weit voraus. Die Bildetiketten sind hier einsilbig, man erfährt nichts darüber, wann Caravaggio, Tizian oder Rembrandt in die Sammlung kamen, ob sie aus kurfürstlichen oder friderizianischen Zeiten, aus der römischen Sammlung Giustiniani oder von Solly, Suermondt oder Simon stammen und welcher der berühmten Berliner Direktoren sie erwarb. Der Besucher erführe auch gern, was in der Nachkriegszeit dazugekommen ist, ob die bedrängte Galerie, wie heute polemisch behauptet, wirklich stagnierte. Hinweisen wäre zu entnehmen, dass der Erwerbseifer nach 1945 sich nicht hinter den großen Epochen zu verstecken braucht, dass eine Fülle von Meisterwerken dazukam und man die Kriegsverluste auszugleichen versuchte.

Die spannenden Bilddebatten, Entdeckungs- und Erwerbsgeschichten leben wieder auf, wenn man sich in eine neue Edition ausgewählter und sorgfältig kommentierter Briefe von Carl Justi, dem Bonner Kunsthistoriker (1832 bis 1912) vertieft. Kernstück ist die Korrespondenz mit dem jüngeren Wilhelm Bode, dem Berliner Museumsgranden (1845 bis 1929). Justi war der Hauptvertreter einer gründerzeitlichen Kunstgeschichtsschreibung, der Monographien von literarischem Rang Winckelmann, Velázquez oder Michelangelo widmete. Er entwarf sie als Bilder großer und autonomer Männer, die Geschichte machten, als Beispiele auch von Vollendungsidealen, die er seiner eigenen, bedürftigen Epoche als Vorbilder vor Augen stellen wollte. Justi war keineswegs bloß akademischer Büchermensch, er war Kenner, Forscher, Entdecker, ja Weltreisender in Sachen Kunst, der Europa von Valencia bis St. Petersburg durchstreifte, der italienische Sammlungen durchsuchte, den höchst ergiebigen englischen Kunstmarkt beobachtete und Bode Hinweise gab, der sich immer wieder gedrängt fühlte, seine "Anschauung aufzufrischen" und sein Urteil an den Originalen zu überprüfen.

Zwischen 1872 und 1892 unternahm Justi allein zehn Spanien-Reisen. 1881 war Bode mit von der Partie. Justi figurierte als eine Art informeller Berater der Berliner Museen. Er erstellt Bode ganze Register italienischer Renaissance-Skulpturen in Spanien. Er macht die altportugiesische Malerei in Mitteleuropa bekannt und spürt auf Mallorca italienische Bilder auf. Justi empfiehlt den Ankauf spanischer Werke, die in Berlin unterrepräsentiert waren. Vor allem stöbert er altniederländische Bilder in Spanien und Portugal auf und schreibt darüber einen vielbeachteten Aufsatz. Ein Berliner Glanzstück, den "Monforte-Altar" von Hugo van der Goes, entdeckte und identifizierte Justi 1890 in einem nordspanischen Kloster: 1914 kam es zum Ankauf. 1887 bestärkt und beglückwünscht Justi Bode zum Ankauf des Berliner Damenbildnisses von Velázquez aus einer englischen Sammlung (ein Bild "von erster Güte", wie er schreibt); er will ihm auch beim Erwerb der berühmten "Venus im Spiegel" des Spaniers helfen, der aber leider nicht zustande kommt. Justi empfiehlt dringend das ihm 1874 in Venedig angebotene, fast noch berühmtere "La Tempesta" von Giorgione, ein Werk, das Bode wegen seines Erhaltungszustands zunächst skeptisch beurteilt und das durch Ausfuhrverbot am Ende in Italien verbleibt. Im Briefwechsel diskutieren Justi und Bode auch die lange vergessenen niederländischen Manieristen wie Mabuse, Jan van Scorel, Maerten van Heemskerk, Anthonis Mor oder Bernaert van Orley, von denen in Berlin ein wunderbares Ensemble aufgebaut wird.

Vor allem aber war Justi 1898 in Deutschland der Erste, der einen Aufsatz über El Greco schrieb. Er war von dem spanischen Griechen fasziniert, begriff ihn allerdings als Phänomen eines Verfalls. Justi identifizierte in der Dresdner Galerie eine "Heilung des Blinden", die Bassano zugeschrieben war, als frühen Greco aus dessen venezianischer Zeit. Für sich selbst hatte er schon 1874 in Venedig eine "Entkleidung Christi" von Greco als ein Werk Baroccis erworben, eine kleine Fassung des Altarbildes in der Sakristei der Kathedrale in Toledo. Bode drängt ihn, das Bild der Berliner Gemäldegalerie zu überlassen, worauf sich Justi aber nicht einlässt. Heute gilt das Bild als Werkstatt-Replik, während Hugo von Tschudi, der im wilhelminischen Berlin umstrittene Direktor der Nationalgalerie, nach seiner Demission eine größere und authentische Variante des gleichen Sujets 1909 für die Münchner Pinakothek erwerben konnte. Berlin besitzt heute nur ein bescheidenes Werkstatt-Bild.

Das Buch ist aus drei Teilen komponiert. Die Bode-Korrespondenz mit 46 (von 117 überlieferten) Justi-Briefen sowie zwölf Gegenbriefen Bodes an Justi ist der gewichtigste Teil. Zunächst muss man sich allerdings über eine endlose Strecke durch Briefe Justis an Charlotte Broicher, eine Vertraute, die in Berlin einen "Salon von hohem Rang" führte, arbeiten - eine Lektüre eher für Spezialisten. Man erfährt einiges über eine Gelehrtenexistenz und die Mentalität eines Geisteswissenschaftlers in Preußen. Justi, der vierzig Jahre lang in Bonn lehrte, tat sich schwer mit dem Dozieren und hatte meist nur wenige Studenten, darunter übrigens Aby Warburg, mit dem er wenig anzufangen wusste. Er kämpft um Beurlaubungen, um seine Bücher schreiben zu können, oder bemüht sich um Zuschüsse für seine ausgedehnten, meist aus eigener Tasche finanzierten Reisen. Einmal erwägt er, von der Bonner Universität an die Düsseldorfer Akademie zu wechseln, da ihm der Umgang mit Künstlern verlockender erscheint als der mit Philologen und Juristen. Ein andermal zieht er seine freiere Professur einer Berufung als Direktor ans Frankfurter Städel vor, wo, wie er zu Recht befürchtet, die Administratoren regieren und das Gehalt noch bescheidener bemessen ist.

Unerquicklich, aber von zeitgeschichtlichem Interesse ist der dritte Teil, ein Erstdruck von Aphorismen, Notizen und Kurzessays aus dem Nachlass, die dem Buch den missverständlichen Titel "Moderne Irrtümer" geben. Der alte Justi erlebte, wie Macht und Glorie der Tradition, die er verkörperte, von der Moderne herausgefordert wurden. Er fühlt sein Weltbild und Wertsystem bedroht und nutzt das Tagebuch leider nicht zu intellektuellen Gefechten, sondern zu Wutausbrüchen. Aber Justi spürt auch die pseudokonservative Hohlheit der eigenen Epoche, hat unbehagliche Ahnungen bei der Inthronisierung von Wilhelm II. und fürchtet dessen "Wahnvorstellungen". Er lehnt die Surrogate des Zeitgeists ab, spottet über Lenbachs fade Manier und die "Tabaksaucen" seiner Malerei oder über den "Botticelli-Schwindel" von Burne-Jones. Langbehns Buch "Der Rembrandt-Deutsche" stößt ihn ab. Der Wagner-Kult weckt Allergien. Nietzsche ist für ihn ein "ruchloser Sophist und Gotteslästerer", der als "großer reformatorischer Moralist" verehrt wird. Rodin und Klinger, aber auch Hildebrand bringen den Bonner Professor um den Schlaf.

Justi, der sich von den Vollendungsidealen der Renaissance nicht lösen kann, protestiert auf erregte, vielfach unappetitliche Weise gegen Werke des Naturalismus und Impressionismus. Den Brückenschlag von Velázquez zu Manet kann er nicht mitvollziehen. Max Nordaus berüchtigte dreibändige Schrift "Entartung" (1892), die Rüstkammer aller kommenden Inquisitoren und Feinde der Moderne, wird ihm zur entlastenden Offenbarung. Die Ressentiments steigern sich zu antidemokratischen, antisemitischen und frauenfeindlichen Ausfällen. In seinem Todesjahr 1912 musste Justi noch den triumphalen Durchbruch der Moderne auf der Kölner "Sonderbund"-Ausstellung erleben: Sie sei "scheußlicher in Nachlässigkeit und Widersinn, als das Schlimmste, was Verfallszeiten seit Erdenklichem hervorgebracht haben. Man glaubte, den Erholungssaal eines Hospitals für frühere Epileptiker betreten zu haben."

Er, der anfangs den Kaiser skeptisch einschätzte, dient ihm nun als Kronzeuge bei seinen Kampagnen gegen die Moderne. Ein Bonner Vortragspamphlet Justis lässt Wilhelm II. 1903 auf einer Soiree öffentlich verlesen und gegen die aufgeklärte Moderne-Fraktion und Hugo von Tschudis Ankaufspolitik in der Nationalgalerie in Stellung bringen. Ludwig Justi, der Neffe des Bonner Professors, wird nach Tschudis Resignation 1909 Direktor der Nationalgalerie und versucht den "Kulturkampf", der in den dreißiger Jahren wieder brutal aufflammen wird, diplomatisch zu schlichten.

EDUARD BEAUCAMP

Carl Justi: "Moderne Irrtümer". Briefe und Aphorismen.

Herausgegeben, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Johannes Rößler. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2012. 590 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das wäre doch etwas gegen die Einsilbigkeit der Kunstvermittlung in der Berliner Gemäldegalerie, meint Eduard Beaucamp angesichts dieses Bandes mit Korrespondenzen, Tagebuchauszügen und Essays des umtriebigen Bonner Kunsthistorikers Carl Justi. Was eine spannende Bilddebatte oder eine aufregende Erwerbsgeschichte ist, kann er hier nachlesen. Etwa wenn Justi mit Wilhelm Bode korrespondiert, für Beaucamp der Kern des Bandes. Durch weitere enthaltene Briefwechsel quält er sich ein bisschen hindurch und findet die Notizen, Essays und Aphorismen des großen gründerzeitlichen Kunstgeschichtsschreibers Justi gar eher "unerquicklich", nicht zuletzt wegen Justis hier dokumentierten antidemokratischen, antisemitischen und frauenfeindlichen Wutausbrüchen.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Rößler hat sich mit der vorliegenden Publikation das große Verdienst erworben, Konturen des Kunsthistorikers Carl Justi in seinen letzten Lebensjahren deutlich werden zu lassen. Die gezielte Briefauswahl aus der Fülle des von ihm durchgesehenen Materials [...], die vollständige Edition der Aphorismen, seine ausführliche Kommentare, Literaturverzeichnis und Personenregister bilden die Grundlage für jede weitere Beschäftigung mit Justi in der Spätzeit und mit der Widersprüchlichkeit der Kunstszene und der Problematik der Museumspolitik um 1900.« - Gisela Noehles, Mitteilungen der Carl Justi Vereinigung, 2013/14 Gisela Noehles Mitteilungen der Carl Justi Vereinigung 20140201