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Ein Übersetzer aus Kassel mit gedrechselter Sprache und Liebe zum Abseitigen. Ein schräger Schriftsteller aus München mit Frau und singenden Zwillingssöhnen in Ulanen-Uniformen oder Pinguinfräcken. Eine junge, attraktive Veranstalterin von Literaturfestivals aus der Verlagsbranche. Und Vögel über Vögel. Das ist das Personal dieses sprachprallen, vor erzählerischem Übermut berstenden Romans.

Produktbeschreibung
Ein Übersetzer aus Kassel mit gedrechselter Sprache und Liebe zum Abseitigen. Ein schräger Schriftsteller aus München mit Frau und singenden Zwillingssöhnen in Ulanen-Uniformen oder Pinguinfräcken. Eine junge, attraktive Veranstalterin von Literaturfestivals aus der Verlagsbranche. Und Vögel über Vögel. Das ist das Personal dieses sprachprallen, vor erzählerischem Übermut berstenden Romans.
Autorenporträt
Schlüter, WolfgangWolfgang Schlüter, 1948 in Königslutter geboren, lebt als freier Autor und Übersetzer abwechselnd in Wien und Irland. Nach seinem Studium in Hamburg, Berlin und Wien promovierte er in Musikwissenschaften und Philosophie. Von 1984 bis 1993 arbeitete er für die Arno Schmidt Stiftung Bargfeld.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.2011

Sie waren traurig, betrugen sich heiter

Verschwörung der Frauen: Wolfgang Schlüter skizziert in seinem Roman die bildmächtige, sinnliche, verrückte Welt des britischen Regisseurs Peter Greenaway.

Ein Streit, von außen betrachtet, sieht ungefähr so aus: "Eins schreit. Ein anderes schreit zurück. Zwei schreien sich an. Er hat die Augen zu Schlitzen verengt. Sie reißt sie weit auf. Er faucht und sie kreischt. Blutdruck und Pulsfrequenz sind erhöht. Gallensaft und Magensäure durchbittern die Eingeweide. Auf Vorwurf folgt Anwurf, auf Vorhalt Rechtfertigung, auf Angriff Verteidigung." Was klingt wie ein Ausschnitt aus dem Stück "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", ist tatsächlich Wolfgang Schlüters wie von sirrendem Schlagwerk begleiteter Start in seinen vierten Roman "Gruß, Greenaway!": eine kleine Phänomenologie des Streits.

Nun mag man sich fragen, was dieser Prolog mit dem extravaganten britischen Filmregisseur Peter Greenaway zu tun hat, mit Filmen wie "Ein Z & zwei Nullen" oder "Verschwörung der Frauen", die Schlüter anspielungsreich in den Roman webt. Dazu müssen wir die kurze Szene ein wenig weiterverfolgen. Es streitet hier ein gebildetes Paar und offenbar nicht zum ersten Mal. Er sagt, sie verzerre "gröblich" die Realität; sie bezichtigt ihn eines "typisch männlichen Dominanzwillens". Und so geht das fort. "Schnappfallen. Spiralen. Kreis- und Irrgänge", pointiert Schlüter im Staccato - und führt uns, nach einer kurzen Fermate, zum finalen Stillleben dieses Streits: Die Frau sitzt auf einem Stuhl und trocknet Tränen der Wut. Der Mann steht beiseite, schaut aus dem Fenster in einen weitläufigen Park und sinniert über dies und das. "Und da will ihm wohl scheinen, wie schief ins Leben gestellt ein jedes Sagen und Meinen doch ist." Kann man vornehmer über die Unbill des Lebens nachdenken?

Auf nur vier Seiten hat Wolfgang Schlüter hier zum Einstieg in die bildmächtige, Greenaway-Welt nicht nur die Grundbewegungen eines Streites skizziert, sondern diesen Vorgang ins Ästhetische gewendet. Die Choreographie beruht auf immergleichen Figuren - Fauchen, Vorwerfen, Weinen, Schweigen. Kurzum: Die Szene entfaltet ihre Wirkung überhaupt nur deshalb, weil Autor wie Leser die Grundregeln kennen. So weit, so schön. Schlüters Roman als Perle zu heben heißt, in der Anschauung dieses irren Spiels auch Genuss zu empfinden. "Gruß, Greenaway!" ist dafür eine reiche Quelle. Aus dem gleichen Grund funktionierte in der Barockmusik die Affektenlehre so gut. Schlüter macht literarisch etwas ähnliches. Er weiß, dass er eine Geschichte erzählt, wie sie schon oft erzählt wurde, über Liebe und Verrat. Aber er erzählt sie wie von außen, mit spürbarer Freude am Ornamentalen dieses ewigen Kreislaufs. Er lässt seinen Roman weniger aus den Gefühlen seiner Figuren entstehen, vielmehr aus deren wundersamen Attitüden. Und das kommt in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur so selten vor, dass man allein deswegen diesen erzählerischen Zugriff hervorheben muss.

Besser als noch in "Anmut und Gnade" (2007), Schlüters letztem Roman rund um die Pariser Oper, formt sich diesmal alles zu einer guten Geschichte. Alles, das sind tatsächlich verschiedenste Ausdrucksformen: Zeitungsnotiz, Erzählpassagen, Briefe, Tagebucheinträge, Drehbuch und rätselhaft einmontierte Abdrucke alter Gemälde - ein Lob auch dem Verlag, der das bis in die Schrifttypographien liebevoll gestaltet hat. Architektonisch gesehen ist der Roman ein Panoptikum, in dem jeder jeden spiegelt. Erzählt wird aber doch im großen Bogen als Geständnis, üppig ausgemalt vorwiegend von Ulrich Landauer im Ton eines selbst verwickelten Chronisten. Er ist, wie Schlüter selbst, Übersetzer. Wohnhaft in Kassel, meidet er Menschengruppen und räsoniert bevorzugt über die allgemeine Verschlechterung der Welt.

Manierismen wie die in Greenaways Film "Prosperus' Bücher" sind ihm lieb, ebenso zittriges, versteiftes Sütterlin. Da liegt es nahe, dass er sich zu Thomas Greenaway hingezogen fühlt, Autor im gleichen Verlag - man wird einander auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt und findet schnell Gemeinsamkeiten: das Pfeiferauchen, den bornierten Ton und skurrile Sammelleidenschaften. Greenaway spinnt auf originellen Postkärtchen weitere Beziehungsfäden, und bald kommt Landauer auf Besuch in die Münchener Sandsteinvilla. Greenaways "Eheweib" Anne kocht dort vorzüglich, feinmechanische Gerätschaften, Sextanten und allerlei seltenes Sammelwerk verbreiten mystisches Flair, im muffigen Keller präpariert man Tiere, und die Zwillingsknaben, deutlich Abkömmlinge der Greenaway-Traumfabrik, sind keine coolen Jungs von heute, eher Ariel und Cupido, Luftwesen mit wenig Erdenhaftung, die sich immer an den Händen halten und die Eltern auf Latein begrüßen. Nicht zufällig wälzt man abends beim Löffeln des Mandarinen-Soufflés immer wieder die Frage, ob das Zeichen einer Bedeutung bedürfe oder ob es schlechterdings nicht auf sich selbst verweisen dürfe. Und ganz nebenbei entsteht unter der Hand ebenjener hier vorliegende Roman, der zwar einerseits auf allerlei verweist - letztlich aber zugleich im selbstreferentiellen Spiel genügsam seine Entdeckerfreude auslebt. Wer die stiff upper lip schätzt, wer Geflügeldarstellungen flämischer Altmeister gerne mit pathetischem Sprachduktus gekreuzt sieht, wer überdies gerne Zeichen, Chiffren und Scharaden entziffert, der kommt an "Gruß, Greenaway!" kaum vorbei.

Wolfgang Schlüter wirft spürbar vergnügt Wendungen wie "respondieren" oder "retirieren" aufs Papier. Spricht er vom Schlafen, formuliert er gerne, die Figur ruhe "in Morpheus' Armen", während sie sodann, wieder erwacht, dem Geliebten "die Stätten ihrer Solitude" zeigt - Orte nämlich, wo sie noch einsam wohnte. Solch närrisches Parlieren macht Freude. Und keineswegs lahmt darunter die größere Dramaturgie des Romans. Besagter skurriler Thomas Greenaway schreibt immerhin an einer "Geschichte des Verrats" - Anschauungsmaterial schadet da nicht. Eine Frau hat sich außerdem ins Herz Ulrich Landauers geschlichen - und ihren Verschiebungen gilt fortan viel Raum. Ebenso der Stadt Berlin, wo "bezechte Disputanten" bis zum frühen Morgen kulturpolitische Themen wälzen - bis Landauer schließlich doch wieder in Kassel landet, geläutert und mit Nordic-Walking-Stöcken die Anhöhen durchpflügend.

Manch einer mag Schlüter vorhalten, er überziehe und verschnörkele bis zum Klischee. Doch schon beim nächsten Diskurs wird man entwaffnet: "Schön", so heißt es beim Betrachten der Vogelbilder, wirke etwas meist nur "aus einem gewissen Abstand betrachtet", in seinem Habitat, im pittoresken Milieu. Aus der Ferne betrachtet, wirken selbst Streitende mitunter schön. Es ist dieser Blick, der hier eine tausendfach erzählte Geschichte in neue Anmut hüllt. Schlüter rückt seinen Figuren nicht auf den Leib. Lieber verstrickt er sie in diverse Lebenslagen und schaut ihnen beim Sich-Winden zu. "Gruß, Greenaway!" ist Oper, mit Herzblut geschrieben, aber kammermusikalisch filigran komponiert.

ANJA HIRSCH

Wolfgang Schlüter: "Gruß, Greenaway!" Roman.

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2010. 216 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Große, nein, kammermusikalisch kleine Oper und mit Herzblut geschrieben, findet Anja Hirsch in diesem vierten Roman von Wolgang Schlüter. Hin- und hergerissen zwischen der Narretei eines pathetischen Sprechens, einer überbordenden, ja auch klischeeseligen Ornamentik einerseits und einer eigentlich simplen Geschichte von Liebe und Verrat andererseits, scheint die Rezensentin dem Text schließlich doch zu verfallen. Geschuldet ist das vor allem dem Zugriff des Autors, der den Text, wie Hirsch staunend und bewundernd feststellt, ausnahmsweise nicht aus den Gefühlen der Figuren entstehen lässt, sondern aus deren Attitüden. Und die sind ziemlich skurril.

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