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Berlin ist keine Stadt, Berlin ist eine Verheißung. Menschen vonüberall her strömen in die angesagteste Metropole der Welt, umdem Versprechen von Hedonismus, Kreativität und Freiheit nachzujagen.Doch dieses Zentrum lebenskünstlerischer Avantgardebildet in Wirklichkeit nur den Vorposten einer neuen Herrschaftsform,kritisiert der italienische Philosoph Francesco Masci in seinemstreitbaren Essay: Eine absolut gewordene Kultur assimiliertjedes politische Denken und Handeln; die von der Vergangenheitso gezeichnete Stadt verabschiedet sich aus der Geschichte. Wasbleibt, sind leere Individuen, die…mehr

Produktbeschreibung
Berlin ist keine Stadt, Berlin ist eine Verheißung. Menschen vonüberall her strömen in die angesagteste Metropole der Welt, umdem Versprechen von Hedonismus, Kreativität und Freiheit nachzujagen.Doch dieses Zentrum lebenskünstlerischer Avantgardebildet in Wirklichkeit nur den Vorposten einer neuen Herrschaftsform,kritisiert der italienische Philosoph Francesco Masci in seinemstreitbaren Essay: Eine absolut gewordene Kultur assimiliertjedes politische Denken und Handeln; die von der Vergangenheitso gezeichnete Stadt verabschiedet sich aus der Geschichte. Wasbleibt, sind leere Individuen, die ihre fiktiven Subjektivitäten feiern- und sich umso leichter beherrschen lassen. Ein Theorie-Projektilgegen den Berlin-Hype. Und ein Signal an alle Berghain-Gänger,1. Mai-Randalierer und Offspace-Künstler: Die Party ist vorbei.
Autorenporträt
Francesco Masci, Philosoph, geboren 1967 in Perugia, hat sich in Frankreich durch seine scharfe Kritik an der llusionären Freiheit unter der Herrschaft des Entertainment einen Namen gemacht.

Daniel Fastner, 1976 geboren, promovierte über materialistische Ansätze der Sprachtheorie. Seit 2005 übersetzt er aus dem Englischen und Französischen. Er lebt in Berlin, in den vergangenen Jahren auch zeitweise in China.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2014

Kunst an der Macht
Der Soziologe Francesco Masci deutet Berlin - als Fiktion

Im Berlin der Gegenwart hat die Sicherheit der Kultur das Risiko des politischen Lebens abgelöst. Moderne Städte waren schon immer auch abstrakte Ideen, mentale Bilder, die von Bürgern aufgrund wechselseitiger Vereinbarung für ihre praktischen Zwecke aufgebaut wurden, wie der Architekt Arata Isozaki 1962 in seinem Essay "Institut für Stadtzerstörung GmbH" schrieb. In Berlin aber sind die Ideen von der Stadt zu Phantombildern geworden, die nicht mehr von ihren Bewohnern selbst geschaffen werden, sondern wie Waren aus zweiter Hand übernommen worden sind. Das behauptet jedenfalls der italienische Soziologe Francesco Masci in seinem gerade auf Deutsch erschienenen Buch "Die Ordnung herrscht in Berlin". Und eines seiner Beispiele für die neue, politikfreie Gestaltung der Stadt ist die Bebauung des Potsdamer Platzes, an der auch Arata Isozaki mitwirkte. Am Potsdamer Platz sei die politische und damit einhergehende geografische Teilung der Stadt so wirksam ohne alle geschichtliche Spuren überwunden worden, dass das Verschwinden der Politik aus der Stadt fast greifbar geworden sei. Die Bagger folgten hier einer imaginären Spekulationsbewegung, in der die materiellen Bedingungen einem spielerisch-kulturellen Willen unterworfen sind und nicht andersherum, wie Masci schreibt. Der Potsdamer Platz ist aber nur eines der Beispiele, die Masci für die Herrschaft der absoluten Kultur in Berlin anführt, in der die politisch schöpferischen Bewohner merkwürdigerweise fehlen. Beziehungsweise haben sie sich die beliebigen und ungeschichtlichen Bilder, die die Brachen wie am Potsdamer Platz füllen, zu eigen gemacht.

In Berlin ist die totale Mobilmachung der Bilder, die Antriebskraft der Moderne überhaupt, an ihr Ziel gelangt. Die Stadt, die wie keine andere durch die Wirtschaftskrise der 1920er Jahre, die Machtübernahme der Nazis, die Zerstörungen des Weltkriegs, den Einmarsch der Kommunisten und die Zweiteilung der Stadt von politischen Kämpfen gezeichnet wurde, ist bloß noch ein imaginäres Feld, auf dem Politik nicht mal mehr symbolisch ausgefochten wird. Die Menschen der Stadt sind keine Pioniere mehr auf der Suche nach dem "neuen Menschen", sie sind nur noch späte Kolonisten, die sich auf einem bereits eroberten Terrain niederlassen wollen, das alle Eigenheiten verloren hat, die an seine hochpolitische Geschichte geknüpft waren.

Der Witz von Mascis Diagnose ist, dass er die kürzlich retrospektiv so gefeierte Subkultur des West-Berlins der 1980er Jahre bereits in einer Linie mit den Bildern und der Feier des wattierten Glücks, der auf ihnen verewigten fiktiven Subjektivitäten sieht. Dadurch wird sein Essay, zwischen der Achtziger-Retromode des vergangenen Jahres und der demnächst nach Berlin kommenden David-Bowie-Ausstellung, zu einem aktuellen Einspruch. Bowie hatte mit seinem Song "Where Are We Now" ja nicht wenig zum Hype um die Trümmerpartys in der Mauerstadt beigetragen. Für Masci ging in dem Hype aber etwas Entscheidendes verloren, und das war die eminent politische Kraft, die in den Revolten von Punk, Post-Punk und auch frühem Techno steckten und immer noch stecken. Sein Problem ist, dass die latente Kraft der Punk- und Subkulturrevolte und ihr noch nicht enthüllter Sinn sich fast immer in einer Repräsentation ohne Denken verliert. Es ist so, wie es im letzten Jahr war, die Achtziger-Subkultur verliert sich in Namen und Bildern: in Iggy Pop in einer Telefonzelle in Schöneberg, in Karl Lagerfeld in einer Szenekneipe oder in einem Feuerkünstler an der Mauer. Kein Mensch und kein Text fragt mehr nach der Wirklichkeit der Körper, alle folgen sie den Bildern, die sich in ungeduldiger Aufregung immer schneller abwechseln, um zwischen ihnen zu wechseln, wie von einem Turnschuh oder einem Automodell zum nächsten. Masci will dagegen wieder ein Begehren ins Spiel bringen, das sich am Realen, an den realen Körpern orientiert und nicht an den Bildern. Mascis Essay steht so in einer Reihe mit Rainald Goetz und Alain Badiou, die in gerade erschienenen kurzen Texten Ähnliches fordern: nämlich den wirklichen Bewegungen und Handlungen von Körpern im Öffentlichen wieder mehr Beachtung zu schenken. Goetz tut dies in einem mit "Spekulativer Realismus" überschriebenen Essay in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Texte zur Kunst", Badiou in einem Vortrag zur "Pornographie der Gegenwart". Gemeinsam ist den dreien dabei, das sie nach einer Politik ohne Fetische suchen, nach einer Politik, die sich buchstäblich auf die Körper konzentriert und dabei nach deren Handeln fragt.

CORD RIECHELMANN

Francesco Masci: "Die Ordnung herrscht in Berlin". Matthes & Seitz, 108 Seiten, 14,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Gestus von Francesco Mascis "Die Ordnung herrscht in Berlin" ist nicht neu, weiß Alexander Cammann: der "Moloch Großstadt" soll als Verkörperung einer fehlgehenden Kultur enttarnt werden. Doch was zeitgenössische Kulturkritik angeht, ist Mascis Buch immerhin eine der spannenderen Lektüren, lobt der Rezensent, auch wenn er das stilistische Raunen stellenweise unnötig verschwurbelt findet. Masci beschreibe "die totale Entertainisierung der Stadt", die alle politischen und ökonomischen Differenzen in Trends und Modefragen auflöse, erklärt Cammann. Die Partywelt Berlins suggeriert die absolute Freiheit von Herrschaft, die sie deshalb umso mehr festigt - irgendwie erinnert das Buch den Rezensenten an eine auf Berlin gemünzte Neufassung der Passagen über die Kulturindustrie in Horkheimers und Adornos "Dialektik der Aufklärung".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2014

Wo das Subjekt
seine Freiheit aushopst
Francesco Masci fühlt sich unwohl im neuen Berlin
Das Witzigste an dem Buch „Die Ordnung herrscht in Berlin“ ist sein Titel. Dass in Berlin die Ordnung herrscht, wäre vor hundert Jahren selbstverständlich gewesen, danach war es von Fall zu Fall eine Nachricht: 1919, als Rosa Luxemburg dies verbittert feststellte – hier liegt die Quelle des Titels –, am 18. Juni 1953, dem Tag nach dem Arbeiteraufstand, oder im Juni 1967, nach dem Tod von Benno Ohnesorg. Dass in Berlin Ordnung herrschte, wenn auch eine recht aufgekratzte, war das große Wunder der Tage nach dem 9. November 1989. Man nennt es friedliche Revolution.
  All das scheint aber der italienische Geschichtsphilosoph Francesco Masci nicht zu meinen (es ist nicht ganz leicht festzustellen, was er eigentlich meint). Ihn irritiert die Ordnung an den Stätten von Kunst und hedonistischem Spaß, beispielsweise die nach dem Vortrag eines kommunistischen Modephilosophen gesittet nach Hause trottenden Besucher der Volksbühne oder die geduldige Schlange vorm Berghain, dem Tempel angeblich entfesselter Lust. Nun sind die Interferenzen von Nachtleben, Kultur, Kunstmarkt, Immobilienaufwertung in Berlin oft beschrieben worden. Die „Schlange zum Snax-Club“ – das berühmte Foto von Wolfgang Tillmans – ist heute ein ikonisches Kunstwerk, wer seinerzeit dabei war, hatte anderes im Sinn.
  So weit, so bekannt. Masci wütet furchtbar dagegen, denn all das sind ihm Geschichtszeichen für den Sieg der „absoluten Kultur“, für ihn ein Obergriff zur offenbar bösen Trias von Ökonomie, Kunst und Moral, über „das Politische“ – hier hilft allein die Übernahme von Begriffen, die wohl nur der Verfasser selbst genau versteht. Das gefällt ihm gar nicht. Hier noch eine Soundprobe: „Der Schriftzug ,Bonjour Tristesse‘ auf dem Giebel des von Álvaro Siza Vieira entworfenen Gebäudes am Schlesischen Tor zielte auf die Mauer und musste bis zu ihrer Öffnung warten, um sich voll und ganz zu bewahrheiten. Selbst die Verzweiflung der irrationalen Trennung, die Berlin aufgezwungen worden war, ist dem Glück vorzuziehen, zu dem die Stadt heute verurteilt ist: dem wattierten Glück am Morgen nach dem Rave, der kein Ende nehmen will.“ Die „Totale Mobilmachung der Bilder“ habe Berlin dem
„Nomos der Politik“ entwunden (unter Ernst Jünger und Carl Schmitt geht hier gar nichts) und endgültig die „absolute Kultur als Erbin der Naturphilosophie“, „die seit Schelling, Goethe und Gustav Theodor Fechner (!) als unterirdischer Fluss durch das 19. Jahrhundert schlängelte“, zum Sieg geführt, eine Philosophie also, die die „kantische Dichotomie von Wissenschaft und Metaphysik“ habe sprengen wollen. Hm.
  Jetzt hat sie also den Sieg errungen, und zwar wo? Im Nachtclub Tresor – einer sich furchtbarerweise bis China globalisierenden Unterhaltungsfirma –, wo entkernte, scheinhafte Subjektivitäten in passiver Zustimmung die unendliche, aber negative Freiheit aushopsen, „die dem Subjekt durch das Kultur-Entertainment aufgezwungen wird“. „Ein angesagtes Restaurant kann sich mit einem antikapitalistischen Neon-Kunstwerk schmücken, und niemand ist imstande, das Lächerliche daran zu erkennen“, behauptet Masci. Woher weiß er das? Jeder sieht das. In Wahrheit ist all das, beispielsweise der Umstand, dass aus besetzten Häusern Kunstgalerien und Touristenattraktionen wurden, längst so langweilig-selbstverständlich wie die Analyse der Krawalle am 1. Mai als Politik-Simulation. Jeder Lokal-Reporter der Berliner Morgenpost kann es herunterbeten. Masci trägt Eulen nach Athen, also Kulturkritik nach Berlin. Sein Agamben-hafter, anmaßender Ton langweilt allerdings so, dass sich wohl nur Rezensenten durch das kurze Büchlein quälen werden.
  Dabei könnte man über die Schlange vorm Berghain durchaus interessant meditieren. Tobias Rapp hat es in seinem großartigen Buch „Lost and Sound“ vorgeführt. Diese Schlange ist locker, erwartungsfroh, dabei aggressionsarm und auf ihre Weise gesittet, inzwischen übrigens einer der vielsprachigsten Orte der Welt. Ihre Unaggressivität, die sich von den darwinistischen Menschentrauben, die man aus Italien kennt, angenehm unterscheidet, ist eine Form der Kräfteersparnis für Wichtigeres, das hinter der Tür zum Club wartet. Sie zehrt von einem angelsächsischen Geist der Fairness, der endlich auch auf dem Boden Berlins Wurzeln geschlagen hat. So friedlich war die Menge auch am 4. November 1989 am Alexanderplatz. Das soll nicht politisch sein? Lächerlich.
  Zur Kenntnis nehmen müssen wir, dass an Masci die Tatsache, dass Berlin die erstaunlich lautlos arbeitende Regierungszentrale eines der mächtigsten Industrieländer der Welt beherbergt, vollkommen vorbeigegangen zu sein scheint. Ja, hier stehen keine Elysée-Paläste, und das Blaulicht wird deutlich sparsamer eingesetzt als in Paris. Auch das wäre ein interessantes politisches Thema. Liest Masci neben Thomas Morus, Carl Schmitt und Ernst Jünger auch deutsche Literatur der Gegenwart? Dann hätte ihm auffallen müssen, dass einer ihrer aufmerksamsten, nervösesten Wahrnehmer und Durchdenker, der Schriftsteller Rainald Goetz, nach dem Jahr 2000 sein Beobachtungsfeld gewechselt hat, vom Rave in die Bundespressekonferenz, von der Love-Parade in den Bundestag, von „Celebration“ zu „Dekonspiratione“.
GUSTAV SEIBT
Francesco Masci: Die Ordnung herrscht in Berlin. Aus dem Französischen von Daniel Fastner. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2014. 108 Seiten, 14,90 Euro.
Der italienische Philosoph
findet die Teilung besser als das
„wattierte Glück nach dem Rave“
Allfällige Kulturkritik
nach Berlin zu bringen, heißt
Eulen nach Athen tragen
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