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Der rasante Aufstieg der Schas-Partei zur drittstärksten Kraft ist eine der wichtigsten Entwicklungen im politischen System Israels während der letzten beiden Dekaden.
Schas ist nicht nur die stärkste religiöse Partei in der Geschichte Israels, sondern auch die erste Partei auf ethnischer Basis, die sich fest im israelischen Parteiensystem etablieren konnte. Die Wähler von Schas sind überwiegend orientalische Juden der Unterschicht, die in den ökonomisch schwachen Entwicklungsstädten und den Armenvierteln der Großstädte leben. Das vorliegende Buch analysiert die historische Entstehung…mehr

Produktbeschreibung
Der rasante Aufstieg der Schas-Partei zur drittstärksten Kraft ist eine der wichtigsten Entwicklungen im politischen System Israels während der letzten beiden Dekaden.

Schas ist nicht nur die stärkste religiöse Partei in der Geschichte Israels, sondern auch die erste Partei auf ethnischer Basis, die sich fest im israelischen Parteiensystem etablieren konnte. Die Wähler von Schas sind überwiegend orientalische Juden der Unterschicht, die in den ökonomisch schwachen Entwicklungsstädten und den Armenvierteln der Großstädte leben. Das vorliegende Buch analysiert die historische Entstehung dieses Milieus und seine Mobilisierung, das Verhältnis zum Zionismus und das dichte Netzwerk von Lehr- und Erziehungssituationen.

Sachgebiete: Israel, Parteiensystem
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.02.2001

Eine sichere Bank für Ariel Sharon
Die ultra-orthodoxen, orientalischen Wähler der Schas-Partei wollen ein anderes Israel – und setzen auf den neuen, starken Mann der Rechten
FELIX GREGOR NEUGART: Die alte Herrlichkeit wiederherstellen. Der Aufstieg der Schas-Partei in Israel, Schriftenreihe des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten, Bd. 35, Wochenschau Verlag, Schwalbach im Taunus 2000. 98 Seiten, 26 Mark.
Das heutige Israel wird gewöhnlich mit dem Judentum der Ashkenazim identifiziert, mit den kulturellen Werten jener Juden also, die aus Europa und Nordamerika stammen. Historisch gesehen ist das richtig: Es waren vor allem die Juden aus Polen und Russland, die die zionistische Bewegung schufen, Palästina besiedelten und 1948 den Staat der Juden gründeten. Doch weil bei weitem nicht so viele Ashkenazim wie erwartet einwanderten, wandte sich das zionistische Establishment seinerzeit an die Juden aus Nordafrika, dem Nahen und Mittleren Osten: die Mizrahim.
In den 50er und 60er Jahren wanderten 690 000 Mizrahim ein, die Mehrzahl aus Marokko und dem Irak. Die Begegnung von Ashkenazim und Mizrahim war für beide ein Schock, denn in ihrem kulturellen, traditionellen und religiösen Verständnis unterschieden sie sich eklatant. Das Ideal vom „Schmelztiegel der Diaspora” gebot es aber, ethnische Eigenheiten abzulegen und die Identität des zionistischen Neuen Juden anzunehmen. Diese Identität war indes ganz von den Ashkenazim geprägt; deren Elite betrachtete die Mizrahim als primitive „Generation aus der Wüste”. „Es sollte unser Ziel sein”, sagte der frühere Außenminister Abba Eban 1969, „ihnen einen okzidentalen Geist einzuflößen, und ihnen nicht zu erlauben, uns in einen unnatürlichen Orientalismus zu ziehen. ” Der Anpassungsdruck auf die Mizrahim war enorm und führte zur Verleugnung ihrer kulturellen Identität – die ja die des arabischen Feindes war.
Am Rand der Gesellschaft
Mittlerweile stellen Mizrahim fast die Hälfte der jüdischen Bevölkerung: Israel ist schon längst nicht mehr derselbe Staat, der er zur Gründerzeit war. Die „Furcht vor der ‚Levantisierung‘ der israelischen Gesellschaft” und damit einhergehende rassistische Tendenzen haben sich aber dennoch oder gerade deswegen gehalten. Die Diskriminierung der Mizrahim hat sich besonders auf der sozio-ökonomischen Ebene manifestiert.
In der Politik aber konnten sie sich zu einem einflussreichen Gesellschaftsfaktor entwickeln: Felix Gregor Neugarts bemerkenswerte Analyse des rasanten Aufstiegs der Schas-Partei als Repräsentantin der Mizrahim bietet einen einzigartigen Einblick in ein bislang kaum erforschtes Phänomen. Denn obwohl Schas mit 17 Sitzen in der Knesset drittstärkste Partei gleich hinter dem Likud ist und dazu die stärkste religiöse Partei in der Geschichte Israels sowie die erste auf ethnischer Basis, gibt es über sie fast gar keine wissenschaftlichen Arbeiten.
Neugart, ein 1973 geborener Politikwissenschaftler, der an der Jerusalemer Hebrew University Stipendiat war, geht auf die Ursprünge der politischen Bewusstseinsbildung der Mizrahim und die Anfänge von Schas zurück. Aufgrund des zionistischen Bestrebens, alle Juden aus der Diaspora miteinander zu „verschmelzen”, seien ethnisch begründete Sonderwege nur im Religionssystem geduldet worden, sagt der Autor.
Das war der Grund, weshalb sich Anfang der 60er Jahre „die Revitalisierung der kulturellen Tradition der Mizrahim vornehmlich in religiösen Formen artikulierte”. Der Besuch von ethnisch ausgerichteten Synagogen und die Wiederbelebung religiöser Feste, die so mancher fälschlicherweise als „Folklore” verniedlichte, wurden zum Ersatz für den Verlust alltäglicher religiöser Praxis und dienten der Mobilisierung und Stärkung der Gemeinde.
Mizrahim wählten anfänglich meist die Arbeitspartei. Diese betrachteten sie jedoch bald als Sinnbild der überheblichen ashkenazischen Elite. Menachem Begin, Chef des Likud, konnte sich das in den 70er Jahren zu Nutze machen und die Mizrahim nicht nur mit großem Erfolg als Wähler gewinnen, sondern sogar zu traditionellen Rechtswählern prägen. Seither haben es Mizrahim auch in politische Ämter geschafft – so etwa der ehemalige Außenminister David Levy und der gegenwärtige Präsident Moshe Katzav. Die Repräsentation der Mizrahim in den politischen Parteien blieb dennoch unbefriedigend, während ihre sozio-ökonomische Situation sich weiter verschlechterte. Anfang der 80er Jahre, sagt Neugart, wurde die Religion zur neuen Ressource für die Mobilisierung des ethnischen Protests der Mizrahi-Unterschicht. Es hatte sich gezeigt, dass Mizrahim sich mit religiösen Inhalten eher identifizieren konnten, als mit einer explizit ethnischen Rhetorik und der gleichzeitigen Forderung nach materieller Gleichstellung. Das wachsende Gruppenbewusstsein stärkte unterdessen ihr Selbstbewusstsein: „Der Stereotyp des ‘Orientalen‘ wurde positiv besetzt und das Stigma der ethnischen Herkunft durch die Präsentation ethnischen Stolzes ersetzt. ” Womit eine Verbrüderung mit den Arabern freilich ganz und gar nicht gemeint war.
Die Schas-Partei, deren Namen aus den Anfangsbuchstaben von „Vereinigung sephardischer Tora-Wächter” zusammengesetzt ist, entstand als Abspaltung von der ultra-orthodoxen und anti-zionistischen Agudat Israel (Vereinigung Israels). Bei den Kommunalwahlen 1983 gelangten erstmals Mizrahim auf eigenen Listen in verschiedene Gemeinderäte. In Jerusalem konnte die Schas-Liste drei Abgeordnete die Koalition von Bürgermeister Teddy Kollek senden. Ein Jahr später saßen bereits vier Schas-Abgeordnete in der Knesset. Die Partei war zunächst ein Bündnis von Mizrahi- und Ashkenazi-Haredim (Ultra-Orthodoxe), die unterschiedliche Interessen verfolgten und sich deshalb gegenseitig im Weg standen. Erst als Schas in den Wahlen 1992 – trotz der Masseneinwanderung von Ashkenazim aus der ehemaligen Sowjetunion – sechs Sitze errang, waren die Mizrahim stark genug, um sich von den ashkenazischen Bündnispartnern loszusagen.
Von da an ging es steil nach oben: 1996 gewann Schas zehn und drei Jahre später 17 Sitze, nur zwei weniger als der Likud. In Premierminister Ehud Baraks gegenwärtigem Kabinett stellen sie vier Minister: die beeindruckende Entwicklung einer Splittergruppe zur Massenpartei.
Geldtöpfe für die Verlierer
Die meisten Schas-Wähler, überwiegend marokkanische Juden, leben in den Entwicklungsstädten der israelischen Peripherie und den Armenvierteln der Großstädte, wo das Durchschnittseinkommen besonders niedrig und die Zahl der Arbeitslosen sowie Sozialhilfeempfänger hoch ist. Ein effektives Netzwerk von sozialen und religiösen Einrichtungen bindet die Anhänger an die Partei. Diese Dienstleistungen und die Partei selbst werden allerdings fast ausschließlich durch öffentliche Gelder finanziert, wodurch Schas stets davon abhängig ist, durch Koalitionen an der Regierung beteiligt zu sein. Es war für Schas ein herber Schlag, 1999 das Innenministerium, über das die Partei seit 1984 direkten Zugang zu den Geldtöpfen hatte, an die russische Einwandererpartei abgeben zu müssen.
Schas will keine politische Partei, sondern eine religiöse „Bewegung” sein, die die Werte der Halacha, des Religionsgesetzes, umsetzt. Anstelle eines politischen Programms predigen Schas-Politiker die Wiederherstellung der Sozialstrukturen, für deren Zerstörung sie die Ashkenazim verantwortlich machen. Ihre Reden auf „Bestärkungsveranstaltungen” sind durchsetzt mit religiöser Symbolik, „Erlösungsmethaphorik” und Elementen des Volksglaubens. Im Wahlkampf von 1996 verließ Schas sich „hauptsächlich auf die Werbewirkung von Amuletten”, die ein greiser Mystiker verteilte. Dessen Popularität war so groß, dass die Tageszeitung Ha’aretz ihn „mit einer Mischung von Ironie und Entsetzen zum „Mann des Jahres”„ ernannte.
Im Verhältnis zum Zionismus bewegt sich Schas zwischen den ashkenazischen Ultra-Orthodoxen, die den zionistischen Staat prinzipiell ablehnen, und den Nationalreligiösen – zu denen die militanten Siedler zählen –, die ihn vehement befürworten. Schasmitglieder halten sich für die „wahren Zionisten”, weil sie den von den Ashkenazim geprägten, säkularen Zionismus ablehnen und einen religiösen Zionismus anstreben: „die Vorhut einer neuen ideologischen Entwicklung im religiösen Sektor”, mutmaßt Neugart. Die Haltung der Partei zum Nahost-Friedensprozess ist ambivalent.
Politisches Oberhaupt und spirituelle Integrationsfigur der Partei ist Rabbi Owadia Josef. Seine mitunter heftige Polemik gegen Ashkenazim und Araber heizt nicht nur den Kulturkampf an, sondern nährt gerade jene Vorurteile gegen die als rückständig und undemokratisch angesehenen Mizrahim, derentwegen Schas so populär werden konnte – ein Teufelskreis.
Die Verurteilung des damaligen Schas-Vorsitzenden und ehemaligen Innenministers Arieh Der’i wegen Bestechlichkeit und Betrugs nutzte die Partei 1999, um die Wählerschaft mit dem Vorwurf zu mobilisieren, die unverhältnismäßig harte Strafe zeige doch, wie die Ashkenazim Mizrahim und Religiöse diskriminierten. Die Mizrahim haben nicht vergessen, wie glimpflich der vorherige (ashkenazische) Präsident Weizmann trotz seines Bestechungsvergehens davon gekommen ist.
In den Wahlen von 1999 ist der Likud unter Bibi Netanyahu keineswegs von der israelischen Linken gestürzt worden: Netanyahu hat die Wahl verloren, weil sich die ashkenazische, rechte Elite durch seine Treue zu Schas von ihm verraten fühlte. Man nahm ihm übel, dass er „die anderen”, die Mizrahim und die russischen Juden, unterstützt hatte. Als traditionelle Rechtswähler werden die meisten Schas-Anhänger in der jetzt bevorstehenden Wahl wieder für den Likud-Kandidaten, den Hardliner Ariel Sharon, votieren. Schas-Oberhaupt Josef hat mit Sharon bereits entsprechende Vereinbarungen getroffen und sich einen Einfluss auf die Wahl des zukünftigen Erziehungsministers gesichert – denn Schas will Israels Kinder religiös erziehen.
Der Kulturkampf und die Frage nach Israels künftiger Identität – ein Staat mit europäischer oder „orientalischer” Färbung? – bleiben weiterhin erste Priorität auf der Agenda der israelischen Gesellschaft.
ALEXANDRA SENFFT
Die Rezensentin ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Naher Osten in Hamburg.
Rabbi Owadia Josef (rechts) ist das geistige und politische Oberhaupt der Schas-Partei. Mit seinen Kampagnen gegen die kulturellen Werte der aufgeklärten Juden hält er den Kulturkampf in Israel am Leben. Nach dem Wahlsieg Sharons will er den neuen Erziehungsminister bestimmen.
Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Sie verzeichnet nur 141 Mitglieder, aber konnte 430.000 Wählerstimmen auf sich vereinigen - mit diesen überraschenden Zahlen verweist Christian Bala auf ein Buch über die israelische Schas-Partei, die in letzter Zeit öfter als Mehrheitsbeschaffer verschiedener Regierungen von sich reden machte. Die Schas-Partei ist "mehr als eine gewöhnliche Partei", meint Bala, sie repräsentiert die Misrachim, die orientalischen Juden, die in Israel sowohl ökonomisch wie kulturell von den Juden europäischer Herkunft diskriminiert würden. Ihr Religionsverständnis sei traditionalistisch und schließe eine Lücke zwischen der weltlichen Mehrheit und den Ultraorthodoxen europäischen Ursprungs. Die Studie Neugarts findet Bala um so verdienstvoller, als sie nicht die üblichen Klischees von religiösen Juden reproduziere, sondern eine Partei vorstelle, wie er in der "Verknüpfung von Politik und Religion" für den Nahen Osten typisch sei.

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