Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 15,00 €
Produktdetails
  • Edition Text Bd.2
  • Verlag: Stroemfeld
  • 2000.
  • Seitenzahl: 127
  • Deutsch, Englisch
  • Abmessung: 315mm
  • Gewicht: 892g
  • ISBN-13: 9783878777397
  • ISBN-10: 3878777396
  • Artikelnr.: 08315675
Autorenporträt
William Faulkner, am 25. September 1897 in New Albany im Staat Missisippi/USA geboren, wuchs in der Nachbarstadt Oxford auf. Im I. Weltkrieg war er Kampfflieger. Nach seiner Rückkehr studierte er Literatur, schlug sich danach in verschiedenen handwerklichen Berufen durch, arbeitete aber auch als Journalist. Schließlich ließ er sich in seiner Heimatstadt als Farmer nieder. Faulkner schrieb zunächst Gedichte später Prosa. Erst die Zuerkennung des Literatur-Nobelpreises im Jahre 1949 machte ihn einem weiteren Publikum bekannt. Viele Themen zog er aus seinem eigenen Hintergrund der niedergegangenen Südstaatenwelt. Der Schriftsteller, der seine Farm in Oxford nie verlassen hat, starb dort am 6. Juli 1962 an einem Herzschlag.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2000

Mississippi beginnt in der Lobby eines Hotels in Memphis, Tennessee
Erstmals deutsch: William Faulkners Essay über das Leben mit Old Man River
Im Anfang das Ende vorwegzunehmen und ein Ganzes aufleuchten zu lassen: Die Kunst des Erzählers setzt sich fort in der Phantasie des Lyrikers. Albert Ostermaiers Gedicht „mississippi” – erst kürzlich in dieser Zeitung veröffentlicht – knüpft an den Eingangssatz von William Faulkners erstmals 1954 in der Zeitschrift Holiday erschienenem, aber erst jetzt deutsch vorgestelltem Prosastück Mississippi an. „Mississippi beginnt in der Lobby eines Hotels in Memphis, Tennessee . . .” heißt es bei Faulkner. Ostermaier antwortet mit „ein gedicht beginnt in der lobby / eines hotels . . .”. Was hier geschieht, hat weniger mit Nachempfindung als mit Einfühlung und Interpretation zu tun. Während Ostermaier in seinem Zwanzigzeilengedicht optische und akustische Sensationen mit einer Geschmacksreminiszenz zu seiner Mississippi-Vorstellung verschmilzt, schöpft Faulkner sowohl aus dem Fundus seiner Romane und Erzählungen als auch aus dem Speicher seiner subjektiven Erinnerung. Das Rückgrat dieser Hommage an eine gleichermaßen fiktive wie real existierende Provinz bilden Informationen, die zum Erfahrungsschatz eines Südstaatlers gehören, der Dichter und Bauer ist.
An einem 20. August – der Brief könnte 1938, aber ebenso gut 1951 geschrieben worden sein – teilt Faulkner seinem Verleger Robert K. Haas mit, dass er daran gedacht habe, seine Memoiren zu schreiben. „. . . es soll ein Buch in der Form einer Biographie werden, aber im Grunde etwa zur Hälfte Dichtung, mit Kapiteln, die wie Aufsätze über Hunde und Pferde und Familiennigger und Verwandte sind, Kapitel, die auf wirklichen Ereignissen beruhen, aber ,verbessert‘ werden, wo Dichtung hilft, also wahrscheinlich Kurzgeschichten. Ich würde gern ein paar Fotografien benutzen. Vielleicht ein paar von meinen eigenen Zeichnungen. Es würde etwa Romanlänge haben und ein bisschen hin- und herspringen, sich jedoch meistens auf mein Stadthaus Rowan Oak und die Farm Greenfield beschränken. ”
Mit diesem Vorschlag an seinen Verleger liefert Faulkner zumindest in groben Umrissen das Exposé zu einem Text, den er Jahre später im Rahmen eines Magazins veröffentlicht.
Roland Reuß und Peter Staengle haben jetzt eine Reproduktion des Originaltyposkripts ihrer deutschen Fassung dieses Romanessays gegenübergestellt und mit „begleitenden Materialien” ergänzt. Der wissenschaftliche Anspruch – es handelt sich um eine Edition des Instituts für Textkritik – entspricht dem Niveau, das ähnliche Unternehmungen des Stroemfeld-Verlags – es sei nur an Kafka, Keller und Hölderlin erinnert – seit eh und je auszeichnet. Doch wären jene schlecht beraten, die in dieser Edition nur Lesestoff für Hermeneutiker und Amerikanisten vermuteten. Was hier vorliegt, lässt an Sherwood Anderson denken, der dem jungen Faulkner geraten hatte, dessen Erfahrungen mit dem Land seiner Kindheit in Literatur zu verwandeln: „. . . alles was Du kennst, ist der kleine Fleck da oben in Mississippi, wo Du herkommst. ”
Der Geist des Freibeuters
Wenn die Herausgeber der jetzt veröffentlichten zweisprachigen Ausgabe von Faulkners „Schlüsseltext” sprechen, bezieht sich dieser Terminus keineswegs nur auf stoffliche Kriterien. Roland Reuß unterstreicht in seinen „Notizen” zu Faulkners Mississippi, dass diese Prosa „weder essay noch story . . . sei, sondern etwas anderes, eine Mischung, Vermischung von Dichtung und Wahrheit”. Der Herausgeber registriert „das Ausbleiben der geläufigen Ordnungsstruktur”, also ein Kriterium, das auch auf Romane wie The Sound and the Fury und As I Lay Dying zutrifft.
In Mississippi, diesem Text eines Mittfünfzigers, lodert noch der Geist des Freibeuters, dem Faulkner als junger Mann verpflichtet war; die neue Dimension einer zugleich aufnehmenden und reflektierenden Welterfahrung wird dort sichtbar, wo der Autor zwar an einer gemeinsamen Aktion teilnimmt – etwa an einem Bootsausflug –, gleichzeitig aber insofern von ihr Abstand nimmt, als es dem „Mann mittleren Alters” vorkommt, als ob er „zum Teil nicht mehr in der Schaluppe” sei, „sondern ungefähr zehn Fuß davon entfernt”. So bildet er sich ein, sich und die Crew zu beobachten; „und er dachte, dass etwas Derartiges einem nur einmal im Leben passiert”. Hinter dieser Erwähnung eines für Unbeteiligte scheinbar trivialen Vorfalls verbirgt sich eine fundamentale Einsicht: Der Poet mutiert zum Poetologen, der an einem einfachen Beispiel die Bedeutung der Perspektive erklärt.
Faulkners literarisches Pasticcio bleibt nie auf das Allgemeine beschränkt. Caroline, eine ehemalige Haussklavin – „frei seit vielen Jahren, aber nicht willens fortzugehen” –, statuiert ein Exempel: Es sind „die unbezähmbaren alten Frauen, die nie kapituliert hatten und noch immer, fünfunddreißig oder vierzig Jahre später, einige der ehemaligen Haussklaven zusammenhielten: Frauen auch sie, die genau wie die Weißen es ablehnten, sich weigerten, die alten Gepflogenheiten aufzugeben und die alten Qualen zu vergessen”.
So schreitet Faulkner von einem familiengeschichtlich motivierten Erinnerungsporträt – Caroline, „eine Stammutter mit rund zwanzig Nachkommen” – zu einer familiensoziologisch orientierten Aussage fort, ohne dabei den politischen Hintergrund auszusparen. Doch auch die autobiografischen Passagen von Mississippi ordnen sich einer Objektivierungstendenz ihres Autors unter: Das Ich wird von der dritten Person abgelöst, der Erzähler versteckt sich hinter dem „weißen Kind”. So wahrt der Dichter die Einheit in der Vielfalt einer literarischen Vergangenheitsbeschwörung.
Alle Themen kommen zur Sprache, die mit dem Namen Mississippi assoziiert sind: die Prohibition ebenso wie der Ku-Klux-Klan; der Eisenbahnbau gleichermaßen wie die Baumwolltransporte; und immer wieder die Nord-Süd-Spannung, die begreifen lässt, dass es hier wie dort keinen Gleichtakt der Uhren gibt und alte Rivalitäten auch in den neuen Konstellationen nicht beendet werden. Ein Stichwort gibt das andere: Es versteht sich von selbst, dass Faulkner dem Old Man, also dem Mississippi-Strom, gebührende Reverenz erweist; er behandelt ihn wie einen guten Freund; selbst dort, wo der Big River Katastrophen größeren Ausmaßes vom Zaune bricht, wird ihm die Absicht unterstellt, „dem Menschen eine neue Chance zu geben, nicht ihm, sondern sich selbst zu beweisen, wieviel der menschliche Körper zu ertragen, auszuhalten, durchzustehen vermag . . .” Es ist das Schauspiel eines Kräftemessens, das Faulkner in seiner Huldigung an den Old Man beschreibt.
Der Arm eines Schankmädchens
Faulkners Versuch über Mississippi hat einen ausgeprägt emotionalen Kern. Der Chronist macht kein Hehl aus seiner Liebe zum Yoknapatawpha County, seinem fiktiven Ebenbild des Landes am Großen Strom. Erinnerungsblitze illuminieren Faulkners Schauplätze. Oft sind es nur Gesten – wie etwa der ausgestreckte Oberarm eines Schankmädchens hinter der Theke eines Drugstore –, die das scheinbar Nebensächliche zu einer Haupt- und Staatsaktion für den Betrachter machen. Ein Hauch von Nostalgie liegt über diesem Text. Die Polyphonie von Mississippi – einer Mischung aus Retrospektive und Gegenwartskritik – lässt viele Lesarten zu; nicht zuletzt führt dieser Nachruf auf die patriarchalischen Strukturen im Süden der USA an die Wurzeln von Faulkners literarischem Mikrokosmos.
Jenseits von verklärender Schönfärberei gipfelt Mississippi in einer Liebeserklärung: Sie richtet sich nicht nur an Caroline, die hundertjährige Magd; sie gilt auch dem Haus und seinen Bewohnern; wie Schwarz und Weiß zusammenleben, folgt nicht den Regeln der political correctness, sondern dem Codex einer Großfamilie, in der alle aufeinander angewiesen sind. So ist Mississippi ein Spiegel von Faulkners native land: In unserer Sprache mögen wir es – zwar zögernd, aber ohne falschen Zungenschlag – Heimat nennen.
HANSJÖRG GRAF
WILLIAM FAULKNER: Mississippi. Faksimile des Originaltyposkripts und Übersetzung. Im Auftrag des Instituts für Textkritik übersetzt und herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle. Stroemfeld Verlag, Frankfurt/M. 2000. 128 Seiten, mit Abbildungen, 98 Mark.
William Faulkner (1897– 1962). Die Aufnahme entstand 1954. Im selben Jahr wurde Mississippi in der Zeitschrift Holiday erstveröffentlicht.
Foto: AP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000

Fluß ohne Rufer
William Faulkner befährt den Mississippi / Von Paul Ingendaay

William Faulkner, geboren 1897 in New Albany (Mississippi), gestorben 1962 in Oxford (Mississippi), war in Deutschland einmal ein berühmter Mann. Sein Roman "Licht im August" gehörte zu den frühen Bänden von Rowohlts Rotationsromanen, und die Leser haben dieses und andere seiner Bücher gleich nach dem Krieg verschlungen: ein Care-Paket der literarischen Moderne. Im Laufe der Jahre sind alle seine Konkurrenten, ob Hemingway oder Dos Passos oder Steinbeck, kleiner geworden neben ihm, und 1950 bekam er den Nobelpreis für Literatur. Hans Blumenberg schrieb im Zusammenhang mit seinem Werk von den "Urvorgängen, aus denen die amerikanische Welt heraufsteigt", von der "Kosmogonie des Kontinents".

Wie es sich für einen Kosmos gehört, gab es auch eine Werkausgabe: neunundzwanzig blaue Taschenbücher im Diogenes Verlag, Zürich. Es gibt sie immer noch. Aber wenn einer dieser Bände vom Markt verschwindet, muß nicht nachgedruckt werden, denn keinem Menschen scheint etwas zu fehlen.

Faulkner ist im deutschen Sprachraum mausetot, die exemplarische Klassikerleiche, ein Fall fürs amerikanistische Hauptseminar. Deshalb ist dieses Buch aus dem Stroemfeld-Verlag ein Geschenk für eine außerordentlich kleine, versprengte Schar von Lesern: Zum erstenmal erscheint in deutscher Übersetzung "Mississippi", ein vierzig Seiten starkes Prosastück teils fiktionaler, teils autobiographischer Natur, das einem raschen, aber sehnsüchtig und benommen machenden Besuch in Faulkners literarischer Region Yoknapatawpha County gleichkommt. Es gibt darin keine feste Handlung außer dem Bewußtsein einer einzigen Figur, die mal Kind, junger Mann und älterer Schriftsteller ist. Als steckte sie in einem Film, den sie zur selben Zeit sieht, bewegt sie sich außerhalb der linearen Zeit unter Figuren und Landschaften des Faulknerschen Werks. Trotz großer Ähnlichkeit sollte man sich hüten, sie mit dem Autor gleichzusetzen.

An irgendeinem 20. August, vielleicht im Jahr 1951, schrieb Faulkner seinem Verleger Robert K. Haas, er plane ein Memoirenbuch, "etwa zur Hälfte Dichtung, mit Kapiteln, die wie Aufsätze über Hunde und Pferde und Familiennigger und Verwandte sind, Kapitel, die auf wirklichen Ereignissen beruhen, aber ,verbessert' werden, wo Dichtung hilft". Zu einem ganzen Buch hat es nicht gereicht, der 1954 in einer amerikanischen Zeitschrift veröffentlichte Text "Mississippi" dürfte der einzige ausgeführte Teil dieses Projekts sein. Zu dieser Zeit lag das meiste von Faulkners Werk schon vor. Sogar Landkarten hatte der Autor angefertigt, auf denen Orte, Namen und Jahreszahlen seiner literarischen Region verzeichnet waren, zusammen mit den Titeln der Bücher, in denen sie vorkommen. Unten links stand zu lesen: "William Faulkner, alleiniger Besitzer und Eigentümer."

In einem mäandernden Strom von Assoziationen durchfließt der Text "Mississippi" den reichen Boden, aus dem fast zwanzig miteinander verzahnte, einander ergänzende Bücher entstanden sind. Der Fluß selbst, "Old Man", wird zu Schauplatz und Leitmetapher für das Werden, Vergehen und abermalige Werden dieses "mythischen Königreichs", wie Malcolm Cowley es genannt hat. "Remember", meist von einem Doppelpunkt gefolgt, ist dabei ein Schlüsselwort. Das diffuse Subjekt des Textes vermischt in seinen Gedankenbildern einen realen Strich der Südstaaten, wie er gewesen sein mag, mit Szenen, die in seiner (und Faulkners) Phantasie daraus hervorgegangen sind; im Akt dieser neuerlichen Erinnerung, dem ja das geschriebene Werk vorausgeht, fließen Soziologie und Fiktion endgültig ineinander. Ist das Gesamtwerk Poesie, liefert "Mississippi" ohne große Gebärde ein paar Mosaiksteine zu dessen Poetologie. Die "Wirklichkeit" des Südens, so der Eindruck auch dieses kurzen Textes, besteht für die meisten von uns aus Faulkners erfundenen Geschichten.

Es ist eine zwiespältige und gewalttätige Wirklichkeit. Sie dreht sich um Landnahme und Aufstieg, Schwindel und Heimtücke, um brennenden Ehrgeiz in den stumpfen Hirnen der "armen Weißen". Darum, wie die Indianer verdrängt, die Schwarzen auf die Baumwollplantagen geschickt und auch schon einmal aufgeknüpft werden, wenn das Herrenrecht es will. Bereits am Anfang von "Mississippi" steigen unter Ureinwohnern, Tieren und Pflanzen die Namen der Faulknerschen Familiendynastien hervor, die Sartoris, De Spains und Compsons, dann die McCaslins und Ewells und schließlich die Snopes, jene fürchterliche Sippe aus Faulkners grandioser Romantrilogie, die wie Heuschrecken über Jefferson und Umgebung herfällt.

Der großformatige Band der "edition Text", den Roland Reuß und Peter Staengle verantwortet haben, ist von der textkritischen Genauigkeit, wie wir sie von den Kleist-, Keller- und Kafka-Ausgaben des Stroemfeld-Verlags kennen. Links steht das Faksimile von Faulkners Originaltyposkript, rechts die deutsche Übersetzung.

Der Essay von Roland Reuß erlaubt sich auch gegenüber harmloseren Wörtern des Haupttextes ein freies Spiel der Deutungslust. Bei allem Respekt vor diesem Scharfsinn, so genau muß man es nicht immer wissen, und der Gedanke, jemand könnte dergleichen bei ausgewachsenen Romanen wiederholen wollen, verursacht leichten Schwindel. Anmerkungen, historische Fotografien sowie Fragmente aus dem Umfeld des Faulkner-Texts vervollständigen die Ausgabe.

Befremdlich ist allerdings, daß die Übersetzung dem Präzisionsstandard des übrigen nicht immer genügt. Hier hätten die Herausgeber einen professionellen Übersetzer und besser noch Faulkner-Kenner zum Redigieren hinzubitten sollen.

Wenn ein Mädchen "honey-haired" ist, dann hat es keine "Honighaare", sondern honigfarbenes oder honigblondes Haar. Auch der Begriff "Fischführer" (für "fishing-guide") klingt unglücklich, und "gedeihte" (statt "gedieh") ist eine Ohrensäge. Der oberste Heuler, wie Übersetzer sagen, ist zu hören, wenn der Mississippi-Fluß es "ernst meint" ("meant business indeed this time") und die Übersetzer phantasieren: (Er) "war in dieser Situation gleichbedeutend mit Geschäftigkeit". Dergleichen untergräbt das Vertrauen ins Ganze. Auch sollten Staengle und Reuß nicht einfach das Originalwort stehenlassen, wenn sie keine Entsprechung finden; für "Trumpetvine" etwa, eine orangenblütige Kletterpflanze des Südens, haben wir das schöne Wort "Trompetenblume".

Naturgeschichte und Menschengeschichte bilden bei Faulkner Teile desselben Universums und werden mit demselben Atemstrom erzählt. Wenige beschreiben so genau wie er das Wetter, die Materialen der Natur und deren Verwandlung in Hütten und Zäune. Der Fortschritt holzt Wälder ab und stampft hier Dörfer, dort Städte aus dem Boden. Dann kommt der Mississippi und setzt riesige Gebiete unter Wasser. Die ersten Autos rücken an, die erste Industrie, und wer den Aufstieg geschafft hat, wird schnell großmäulig. Man merkt, die Region erringt alle Siege gegen einen unsichtbaren Feind. Durch ständige Zeitsprünge erinnert der Text daran, daß die Demütigung durch den verlorenen Bürgerkrieg der Identität des Südens jenes trotzig-nostalgische Schwelgen in der eigenen Geschichte hinzugefügt hat, dem auch Faulkners Figuren ihre Obsessionen verdanken.

Es ist noch gar nicht so lange her, da nährten schwarze Ammen weiße und schwarze Kinder zugleich. Bei einer von ihnen, der über hundertjährigen Caroline, verweilt der Text ein bißchen länger; er wartet gewissermaßen, bis sie sich mit frischer Haube und Schürze zum Sterben bereit gemacht hat. Eine Sache von drei Seiten: Die Sprache, die Faulkner zu einem der Großen gemacht hat, seine stilistischen Gesten sind hier in Stenographie zu bewundern.

William Faulkner: "Mississippi". Zweisprachige Ausgabe mit Reproduktion des Originaltyposkripts und weiteren Materialien. Herausgegeben, erläutert und aus dem Amerikanischen übersetzt von Roland Reuß und Peter Staengle. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2000. 128 S., Abb., geb., 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Eine verdienstvolle Sache, so könnte man die Meinung des Rezensenten (Kürzel as.) zu diesem Band wohl zusammenfassen. Der Prosatext gehört zu Faulkners besseren, die Beschreibung eines Hochwassers gehört gar, findet der Rezensent, zu seinen "literarischen Paradestücken". Interessant erscheint er als Bindeglied zwischen "Biographie und Werk" und am hier veröffentlichten Fasksimile des Originaltyposkripts lasse sich "Einblick in die Entstehung eines Prosastücks" gewinnen. Bedauerlich nur, dass der Band wohl nur die Kenner reizen wird - und leider ist auch die erstmalige deutsche Übersetzung nach Meinung des Rezensenten "nicht ganz makellos".

© Perlentaucher Medien GmbH