Produktdetails
  • Verlag: Radius-Verlag
  • Seitenzahl: 64
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 124g
  • ISBN-13: 9783871732430
  • ISBN-10: 3871732435
  • Artikelnr.: 10683912
Autorenporträt
Reiner Kunze, geb.1933 in Oelsnitz im Erzgebirge; Bergarbeitersohn, Studium der Philosophie und Journalistik in Leipzig. 1977 Übersiedlung in die Bundesrepublik. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise, u. a. den Büchner-Preis, den Trakl-Preis, den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg sowie den Kunstpreis zur deutsch-tschechischen Verständigung. Seine Lyrik und Prosa wurden in dreißig Sprachen übersetzt. Im Mai 2004 wird Reiner Kunze der Preis 'Premia Bohemica' verliehen. Die Gemeinschaft der Schriftsteller Tschechiens vergibt die Auszeichnung an "ausländische Übersetzer, die sich um die tschechische Literatur besonders verdient gemacht haben". Reiner Kunze hat immer wieder Übertragungen aus dem Tschechischen veröffentlicht, Werke von insgesamt über 60 Autoren hat er im Laufe der Jahre übersetzt. 2009 wurde ihm der Thüringer Literaturpreis verliehen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nach der Lektüre von Reiner Kunzes "Büchlein" über die Folgen der Rechtschreibreform blieb Rezensent Karl Corino eigenem Bekunden zufolge nur noch "Empörung über die freche Gängelung der deutschen Sprachgemeinschaft durch eine Handvoll Kulturbürokraten" und über den Verlust von Möglichkeiten sprachlicher Feinjustierung, welche von der Reform etymologieverdunkelnd vorgenommen wurde. "Feinjustierung, die niemand missen möchte, für den unser geliebtes Deutsch ein geistiges Präzisionswerkzeug bildet" schreibt Corino und treibt einen mit diesem Tremolo fast in die Arme der Reformbefürworter (Recht (!) nicht Linkschreibreform). Dabei hat er, vermutlich anhand von Kunze, zuvor noch einmal sehr überzeugend gegen die sogenannte Reform argumentiert. Für den ehemaligen DDR-Autor selbst, lässt der Rezensent wissen, hat mit der Rechtschreibreform "seine zweite Ausbürgerung aus deutschen Schullesebüchern" begonnen, da er sich den neuen Regeln nicht beugen will.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2003

Die Lämmer sind zu bedauern
Unbeugsam: Reiner Kunze und das Elend der Rechtschreibreform

Daß viele Schüler und Erwachsene Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung haben, ist unbestritten. Daß der Deutschunterricht in Klassen mit Kindern aus mitunter mehr als zwanzig Nationen eine Sisyphusarbeit ist und häufig nur zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, bleibt unleugbar. Daß in der deutschen Rechtschreibung, wie sie bis gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts üblich war, nicht wenige Ungereimtheiten zu beherzigen waren und daß die Frage einer Rechtschreibreform gestellt werden durfte, scheint ebenso unabweislich. Man konnte also etwa überlegen, ob man - um die Leiden der Legastheniker und anderer orthographisch Leidgeprüfter zu heilen - nicht wieder eine gemäßigte Kleinschreibung einführt, wie sie etwa mutatis mutandis im Mittelalter gepflogen wurde und von manchen zeitgenössischen Autoren benutzt wird.

Eine solch radikale Reform, die ja auch Österreich und die Schweiz einzubeziehen hatte, wollten die Expertenkommission und die deutsche Kultusministerkonferenz nicht wagen. Die Lösung, die der deutschen Sprachgemeinschaft schließlich oktroyiert wurde, ist ebenso undemokratisch wie teuer und widersinnig in vielen Details. Das Ergebnis ist, daß Zeitungen wie diese oder Verlage wie Suhrkamp zur alten Rechtschreibung zurückkehrten und daß sich viele Autoren weigern, ihre Texte den neuen Vorschriften anzupassen. Dies führt mitunter zu komplizierten Problemen bei Nachdrucken und auch zu Rechtsbrüchen, wenn etwa Schulbuchverlage die Texte von Schriftstellern wider deren Verbot den neuen Regeln konform machen.

Reiner Kunze, der in seinen Gedichten seit Jahrzehnten einer eigenen Version der gemäßigten Kleinschreibung folgt, gehörte zu den Kritikern dieser Reform, sobald deren Inhalte ruchbar wurden. Er hat nun im Radius Verlag eine Denkschrift unter dem Titel "Die Aura der Wörter" vorgelegt, in der er das ganze Elend, bestehend aus dem Übermut der Ämter und der Inkompetenz der sogenannten Fachleute, noch einmal beschrieben und mit Zitaten von Kronzeugen untermauert hat. Es liegt zum Beispiel auf der Hand, daß die Schreibung von "daß" mit ss statt mit scharfem ß nicht zu einer Minderung der Fehler führen wird, solange die Schüler nicht zwischen einem Konsekutiv- und einem Relativsatz unterscheiden können. Ferner ist offenkundig, daß die Reform eine Reihe von Volksetymologien sanktioniert hat, die die sprachliche Herkunft bestimmter Vokabeln verdunkelt. Der Tolpatsch ist eben niemand, der wie toll in den Dreck patscht, sondern der Begriff stammt aus dem Ungarischen und bedeutet ursprünglich Fußsoldat. Der Mesner, der heute mit ss geschrieben werden soll, hat aber nichts mit der Messe zu tun - Mesner gibt es zudem auch bei der evangelischen Kirche, die keine Messe kennt -, kommt vom Lateinischen "mansionarius". Das Quentchen, das man früher mit e schrieb und jetzt mit ä schreiben soll, leitet sich eben nicht von Quantum, sondern von Quintum, dem Fünftel, ab. Belemmert - mit e - zeigte seine Herkunft aus dem niederdeutschen belemmeren, hindern, hemmen, schädigen - es hat nichts mit den Lämmern zu tun, die ja normalerweise eine Bereicherung für den Schäfer sind. Daß diese falschen Etymologien, die durch die neue Schreibung nahegelegt werden, die Schreibnot der Schüler mildern werden, ist recht unwahrscheinlich, da es die Tendenz gibt, das ä immer mehr wie e auszusprechen, so daß eine neue Differenz zwischen Sprechen und Schreiben besteht. Das macht auch die neue Vorschrift des ä in "Stängel" oder in "aufwändig" so fragwürdig.

Die neue Rechtschreibung hat also eine Tendenz zur dümmeren Lesart, ohne daß den Zweifelnden damit geholfen sein dürfte. Reiner Kunze zeigt, daß im Lauf der Entwicklung sich eine Tendenz zur Differenzierung durchgesetzt hat, die es uns erlaubt, zwischen "wohlüberlegt" - ein Wort - und "wohl überlegt" - in zwei Wörtern - zu scheiden oder ebenso zwischen "wiedersehen" und "wieder sehen". Diese Tendenz wird von den Reform-Fuzzis nun zunichte gemacht durch die Vorschrift, Wörter, die früher zusammengeschrieben wurden, nun auseinander zu schreiben.

Der Öffentlichkeit wurde die Reform mit der Behauptung schmackhaft gemacht, die Rechtschreibregeln seien von 212 auf 112 verringert worden, eine Behauptung, die nicht den Tatsachen entspricht. Den 112 amtlichen Regeln könne man nur dann gerecht werden, schrieb Werner H. Veith von der Universität Mainz, wenn man 1106 Ausnahmebestimmungen berücksichtige und 105 Wortlisten mit zusammen 1180 auswendig zu lernenden oder nachzuschlagenden Wörtern. Die neuen Regeln bedeuteten nicht nur keine Lernerleichterung, sondern sie anzuwenden hänge mehr denn je vom Bildungsgrad des Schreibenden ab.

Die Konsequenz ist, daß sich ein neuer Pluralismus ausbreitet. Nicht wenige Zeitungen haben für ihre Mitarbeiter eigene orthographische Regeln aufgestellt, und Leute, die mit der alten Rechtschreibung unzufrieden waren und bei der neuen einige positive Vorschläge fanden, schwören auf eine persönliche Mischung. Was nach der Lektüre von Kunzes Büchlein bleibt, ist die Empörung über die freche Gängelung der deutschen Sprachgemeinschaft durch eine Handvoll Kulturbürokraten und über den Verlust an sprachlicher Feinjustierung, einer Feinjustierung, die niemand missen möchte, für den unser geliebtes Deutsch ein geistiges Präzisionswerkzeug bildet.

Für Reiner Kunze hat mit der Rechtschreibreform seine zweite "Ausbürgerung aus deutschen Schullesebüchern" begonnen. Da er sich den neuen Regeln nicht beugen will, die für die bayrischen Lehrbücher bindend sind, lernen die bayrischen Schüler die Leiden der "Wunderbaren Jahre" im Deutschunterricht offenbar nicht mehr kennen. Da kann man also wie Kunze Träger des Bayerischen Maximiliansordens für Kunst und Wissenschaft sein, aber für den Schriftsteller Kunze als Rechtschreiber heißt es nun wie für einen ungezogenen Schüler: "Setzen, Sechs!"

KARL CORINO

Reiner Kunze: "Die Aura der Wörter". Radius Verlag, Stuttgart 2002. 59 S., geb., 16,- [Euro].

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Ohne Kunze wäre die deutsche Literatur wahrlich unvollständig, nicht einmal die Poesie, die er einige Jahrzehnte mitgeschaffen hat, würde ohne ihn im Kontext der Genres einen so würdigen Platz einnehmen, wie wir ihn ihr heute bescheinigen können ... Die Poesie von Reiner Kunze gehört heute zum goldenen Fonds der deutschen Literatur. (Revue der Weltliteratur, Bratislava, 2002)