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Ein tragikomisches Roadmovie - auf den Spuren einer gesamtdeutschen Familiengeschichte
Karl ist 21 und vorbestraft, weil er seine eigene Mutter an ihrem Sparkassenschalter überfallen hat. Nicht aus Gier - Karl kann mit Geld wenig anfangen -, sondern in der liebevollen Absicht, sie von ihrer akuten RAF-Phobie zu heilen. Nun fährt er in einem VW-Bus, der ihm nicht gehört, von der Lüneburger Heide nach Brandenburg: zur Beerdigung seines Großvaters, einst selbst als Hausmeister bei der Sparkasse angestellt, der aus dunklen Gründen in die DDR floh. Karl, damals noch ein Kind, will die Rätsel…mehr

Produktbeschreibung
Ein tragikomisches Roadmovie - auf den Spuren einer gesamtdeutschen Familiengeschichte
Karl ist 21 und vorbestraft, weil er seine eigene Mutter an ihrem Sparkassenschalter überfallen hat. Nicht aus Gier - Karl kann mit Geld wenig anfangen -, sondern in der liebevollen Absicht, sie von ihrer akuten RAF-Phobie zu heilen. Nun fährt er in einem VW-Bus, der ihm nicht gehört, von der Lüneburger Heide nach Brandenburg: zur Beerdigung seines Großvaters, einst selbst als Hausmeister bei der Sparkasse angestellt, der aus dunklen Gründen in die DDR floh. Karl, damals noch ein Kind, will die Rätsel endlich lösen. War sein Großvater wirklich ein Informant des Verfassungsschutzes? Seine Suche führt Karl in die tragikomische Vergangenheit einer Familie zurück, deren Schicksal untrennbar mit der Modernisierung der heimatlichen Sparkasse verknüpft bleibt. Sie führt ihn aber auch in die Arme der schönen Streetworkerin Nane, die mehr über seinen Großvater zu wissen scheint, als sie preisgeben möchte ... "Geld od
er Leben" ist zugleich Roadmovie und Entwicklungsroman, mit skurrilem Witz und poetischem Mehrwert. Sein Held wehrt sich gegen die Vorstellung, Lebensglück über Jahrzehnte anzusparen, er fordert es hier und jetzt - und fährt einen wahren Schatz an Erfahrungen ein.
Autorenporträt
Jan Böttcher, geb. 1973 in Lüneburg, lebt als Autor und Singer/Songwriter in Berlin. Er hat deutsche und skandinavische Literatur studiert und arbeitet auch als Werbetexter, Herausgeber und Veranstalter von Lesungsreihen sowie des LAN-Festivals für junge Literatur. Seit zehn Jahren singt und textet er für seine Band Herr Nilsson. Jan Böttcher hat beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb den Ernst-Willner-Preis gewonnen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Karl ist 21 und vorbestraft, weil er seine eigene Mutter an ihrem Sparkassenschalter überfallen hat. Nicht aus Gier - Karl kann mit Geld wenig anfangen -, sondern in der liebevollen Absicht, sie von ihrer akuten RAF-Phobie zu heilen. Nun fährt er in einem VW-Bus, der ihm nicht gehört, von der Lüneburger Heide nach Brandenburg: zur Beerdigung seines Großvaters, einst selbst als Hausmeister bei der Sparkasse angestellt, der aus dunklen Gründen in die DDR floh. Karl, damals noch ein Kind, will die Rätsel endlich lösen. War sein Großvater wirklich ein Informant des Verfassungsschutzes? Seine Suche führt Karl in die tragikomische Vergangenheit einer Familie zurück, deren Schicksal untrennbar mit der Modernisierung der heimatlichen Sparkasse verknüpft bleibt. Sie führt ihn aber auch in die Arme der schönen Streetworkerin Nane, die mehr über seinen Großvater zu wissen scheint, als sie preisgeben möchte ... "Geld oder Leben" ist zugleich Roadmovie und Entwicklungsroman, mit skurrilem Witz und poetischem Mehrwert. Sein Held wehrt sich gegen die Vorstellung, Lebensglück über Jahrzehnte anzusparen, er fordert es hier und jetzt - und fährt einen wahrenSchatz an Erfahrungen ein.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2006

Das Sparbuch im Kopf
Deutsch-deutsche Kontenbewegung: Jan Böttchers Roman

Die Sparkasse ist als Gedächtnisort in der deutschen Literatur bislang noch so nicht gewürdigt worden, wie sie es verdient hat. "Wenn's um Geld geht, sind meine Erinnerungen nicht zu stoppen", sagt Karl, der Ich-Erzähler von Jan Böttchers neuem Roman. Karl ist einundzwanzig, er kommt aus einer Familie von "Sparkasslern" aus der tiefsten westdeutschen Provinz, dem niedersächsischen Zonenrandgebiet. Böttcher selbst, geboren 1973, stammt aus Lüneburg, wo schon sein schmales Debüt von 2003, die schöne Adoleszenzgeschichte "Lina oder: Das kalte Moor", spielte.

Das Familiensilber war im bundesrepublikanischen Kleinbürgertum aus billigerem Metall: Karls Vater ist ein Banker, der sich nach der Wende aus Karriere- und anderen Gründen ins "Beitrittsgebiet" absetzte, die Mutter steht tagein, tagaus hinter dem Kassenschalter der kleinen Filiale, so daß Karl das Gefühl hat, "das ganze Leben lang mit tonnenschwerem Münzgeld in den Hosentaschen herumzulaufen". Karls Kindheit riecht nach Kupfer und Messing, selbst das Essen hatte den metallischen Geschmack von hart erspartem Kleingeld: "Vor allem die Suppen, in denen viel geschnipseltes Gemüse war, als hätte Ma lauter Groschen und Pfennige reingeworfen und mitgekocht."

Angstlust am Untergrund

Doch noch auf ganz andere Weise hat die Sparkasse Karls Jugend ihren Quittungsstempel aufgedrückt. Er ist wegen Bankraubs vorbestraft. Gemeinsam mit seinem Kumpel Dennis unternahm er einen Überfall auf die örtliche Filiale, ein folgenreicher Dummejungenstreich, der jedoch nicht persönlicher Bereicherung dienen sollte. Nein, er verfolgte das hehre Ziel, die Mutter durch eine Art Schocktherapie von ihrer schweren RAF-Neurose zu heilen: Seit dem deutschen Herbst mit seiner Medienhysterie und den allgegenwärtigen Fahndungsplakaten hatte sich die kleine Provinzkassiererin in die Zwangsvorstellung hineingesteigert, nicht nur ein unvermeidliches Opfer, sondern sogar eine geheime Komplizin der für ihr kostspieliges Untergrundleben auf Bares angewiesenen Terroristen zu sein. Obwohl Karl tatsächlich eine Art Katharsis bei der täglich mit dem Überfall rechnenden Mutter auslöste, muß er die Zeche zahlen. Denn die Aktion lief aus dem Ruder, es wurde geschossen, Karl bekam eine Jugendstrafe, die er als Hilfskraft in den "Heiligen Heilstätten", einem Behindertenheim, verbüßte. Seinen Zivildienst hängte er gleich dran, das Abitur fiel ins Wasser. Das Erwachsenwerden hat er so ein paar Jahre aufgeschoben, getreu dem Glaubenssatz der Pfennigfuchser, wonach das längere Warten sich am Ende in Zinsen auszahlt: Geld oder Leben? Die titelgebende Räuberfrage (die ja eigentlich "Geld her oder du bist tot!" meint) will Karl für sich persönlich nun endlich anders beantworten als seine Elterngeneration.

Zu Beginn des Romans, der etwa um die Jahrtausendwende spielt, ist er unterwegs Richtung Osten, in ein brandenburgisches Dorf, zur Beerdigung seines Großvaters. Trotz des traurigen Anlasses liegt eine fast euphorische Aufbruchsstimmung in der Luft, der Osten ist für Karl Neuland, mit jedem Kilometer Autobahn läßt er sein reichlich verkorkstes Leben, seine zerrüttete Familie, den trägen Alltag mit den "Behindos" hinter sich. Fehlt zum neuen Leben nur noch die neue Liebe, der Karl wie bestellt beim Leichenschmaus im grauenhaft auf "gutbürgerlich" getrimmten Landgasthof in Gestalt der Aushilfskellnerin Nane begegnet.

Doch wo ein Neustart gelingen könnte, wird Karl von seinem Erbe eingeholt. Böttcher folgt hier dem Genremuster der Familiengeschichte, wonach rückblickend die dunklen Geheimnisse zu Tag treten. In der düsteren, dunkeldeutschen Pinte, die ausgerechnet "Gasthof Licht" heißt, wird Karl von den anderen Trauergästen in die zwiespältige Vergangenheit seines Großvaters eingeweiht, die ihm nur vom Hörensagen bekannt war: Der Fallschirmjäger der Wehrmacht gehörte nach dem Krieg zu einer von den Amerikanern unterstützten Geheimtruppe, die sich in westdeutschen Mittelgebirgen mit Manövern und Waffenlagern auf einen möglichen Partisanenkampf gegen die Rote Armee vorbereitete, deren Einmarsch man jederzeit befürchtete. Kein Nazi, aber doch fanatischer Antikommunist, wandelte der charismatische Anführer seine Truppe in einen logenartigen Kameradschaftsbund um, dessen Abgrenzung zu Neonazi-Kreisen immer durchlässiger wurde. Doch noch vor der Wende siedelte er in die DDR über, um dort in der brandenburgischen Provinz sein Partisanentum unter umgekehrten ideologischen Vorzeichen zu pflegen.

Gemeinsam mit Nane, die als Sozialarbeiterin im lokalen Jugendtreff mit dem rechsdrehenden Milieu auf vertrautem Fuße steht, versucht Karl dieses Getrüpp aus Halbwahrheiten, Vorurteilen und Verdachtsmomenten zu entwirren: Hatte der Verfassungsschutz seine Finger im Spiel? Wurde der Großvater als Stasispitzel im rechten Sumpf eingesetzt? Und welche Rolle spielt der bestens informierte Skinhead im Dorf, den irgendwelche alten Bande mit Nane - und so, mehr als Karl lieb ist, auch mit ihm selbst - verbinden?

Aus dieser zunächst eher skurril anmutenden Provinzbiographie entwickelt Böttcher ein Panorama deutsch-deutscher Zeitgeschichte, das jedoch immer der psychologisch überzeugende Entwicklungsroman bleibt. Viele deutsche Autoren haben zuletzt versucht, das spezifische Gemisch bundesrepublikanischer Mentalität zwischen provinzieller Selbstverharmlosung und dem abnormen historischen Schuldkomplex, zwischen "Mittelmaß und Wahn" (Enzensberger) einzufangen: Rainer Merkel, Marcus Braun oder Marcus Jensen etwa, zuletzt in diesem Frühjahr Judith Kuckart mit ihrem Roman "Kaiserstraße" (F.A.Z. vom 11. März).

Böttcher dagegen erzählt in seinem leichten, leisen, manchmal jugendlich-schnoddrigen Ton, der schon sein Debüt auszeichnete, vor allem anderen eine Liebesgeschichte, in der die Auseinandersetzung über Ost- und Westbiographien, Vergangenheit und Gegenwart, Schuld und Vergebung ganz natürlich zum Gegenstand wird. Mit Nane ist ihm dabei eine wunderbare, ganz überzeugende Frauengestalt gelungen, so daß man die Höhenflüge ebenso wie die Eifersuchtsattacken des schließlich nach Berlin fliehenden Karl beinahe physisch nachvollziehen kann. Böttcher, der auch als Songschreiber und Sänger der Berliner Popband "Herr Nilsson" bekannt geworden ist, erweist sich abermals als überaus genauer Beobachter, dem Porträts trotz der entlarvenden Details nie zur Karikatur geraten.

Der Kreislauf des Geldes

Der Realismus seiner Figurenzeichnung, die Glaubwürdigkeit der Dialoge und die Selbstironie der Erzählerstimme sind es, die die komplizierte und mit viel symbolischer Bedeutung beladene Konstruktion zusammenhalten - das Fleisch verdeckt den doch sehr idealtypischen Knochenbau der Erzählung, so daß sich erst vom - offenen - Ende her die Korrespondenzen entschlüsseln. Denn die RAF-Neurose der Mutter ist natürlich auch ein Echo der Partisanen-Romantik des Großvaters. Der antigesellschaftliche Untergrund ist in beiden Fällen die dunkle Seite der Geldmünze, um die sich in der bürgerlichen Existenz alles dreht. Karl wiederum reist am Schluß, um dort Nane wiederzutreffen, mit seiner Digitalkamera zum G8-Weltwirtschaftsgipfel in Genua, einem Höhepunkt der Anti-Globalisierungsbewegung. Dort gerät er zufällig unter die Schlagstöcke der Carabinieri und erlebt in einem furiosen inneren Monolog ein politisches Initiationserlebnis. Der antikapitalistische Affekt wird so von der privaten Obsession auf die gesellschaftlichen Füße gestellt. Der Tod des - vergleichsweise unpolitischen - Benno Ohnesorg 1967 in einer ganz ähnlichen Situation war einer der Ausgangspunkte der RAF, der Großvater wiederum wurde einst als Soldat ausgerechnet in Italien von Partisanen überfallen. Wiederholt sich die Geschichte also? Ist das ewige Ringen von Geld und Leben ein fataler Kreislauf, dem man nicht entkommt?

So weit geht Böttcher nicht. Er zeigt vor allem, wie schwer es ist, ein altes Schuldkonto aufzulösen. Das kleine Sparbuch des Großvaters mit den winzigen Reichsmarkbeträgen zieht seine Spur durch die Geschichte: Alles wird irgendwo verzeichnet und muß eines Tages auf Heller und Cent zurückgezahlt werden. Ob und wenn ja, mit welchem Betrag die Liebe hier am Ende zu Buche schlagen wird, läßt Böttcher dabei mit lebenskluger, skeptischer Zurückhaltung in der Schwebe.

Jan Böttcher: "Geld oder Leben". Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2006. 304 S., geb., 19,90.

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Ein auf kunstvolle Weise schnoddrig erzählter Entwicklungsroman. Bayerischer Rundfunk