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Es ist das Jahr 1981, als sich Nori Laezius, Historikerin und Frau eines Bonner Regierungsbeamten, in ihre Geburtsstadt Kolberg, jetzt Kolobrzeg genannt, aufmacht. Über ihren Kinderjahren liegt das Dunkel des Vergessens, und sie hofft, dass vielleicht in der alten Heimat die Erinnerung wiederkommt. In Kolberg lernt sie den polnischen Intellektuellen Adam kennen und lieben, doch die überwältigende Erfahrung dieser Liebe wirft Nori aus der Bahn. Voller Angst flieht sie nach Bonn zu ihrem Mann, doch dessen Interesse gilt nur noch der Politik und kostbaren Weinen. Nori begreift, dass sie für ihre Liebe kämpfen muss.…mehr

Produktbeschreibung
Es ist das Jahr 1981, als sich Nori Laezius, Historikerin und Frau eines Bonner Regierungsbeamten, in ihre Geburtsstadt Kolberg, jetzt Kolobrzeg genannt, aufmacht. Über ihren Kinderjahren liegt das Dunkel des Vergessens, und sie hofft, dass vielleicht in der alten Heimat die Erinnerung wiederkommt. In Kolberg lernt sie den polnischen Intellektuellen Adam kennen und lieben, doch die überwältigende Erfahrung dieser Liebe wirft Nori aus der Bahn. Voller Angst flieht sie nach Bonn zu ihrem Mann, doch dessen Interesse gilt nur noch der Politik und kostbaren Weinen. Nori begreift, dass sie für ihre Liebe kämpfen muss.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.12.2000

Seelische Wundheilung
Love, love, love: Marielouise Janssen-Jurreits Romandebüt
Marielouise Janssen-Jurreit, die 1976 als Verfasserin des Bestsellers Sexismus – Über die Abtreibung der Frauenfrage” bekannt geworden ist, hat auch für ihren ersten Roman ein aufregendes Thema gewählt. Es geht um das Miteinander und Zusammenspiel von Zeitgeschichte und Psychologie, um das Leiden an Wunden, die in den Zeiten des Faschismus und des Leninismus/Stalinismus geschlagen wurden.
Nori Laezius, die 38-jährige Ich-Erzählerin, Historikerin an der Bonner Universität, führt eine „lautlose Existenz”; sie lebt in einer „unaufregenden” Ehe mit Leonhard. Er arbeitet in gehobener Position im Bundespresseamt und schreibt unter anderem Interviewtexte für den von ihm verehrten Helmut Schmidt. Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands” liegt auf seinem Nachttisch.
Leonhard vernachlässigt Nori und pflegt stattdessen seine teure Leidenschaft für Bordeaux- und Burgunder-Weine: Nori wiederum schreibt an einer Habilitationsschrift über das Thema „Der Einfluss von Darwins Entwicklungslehre auf Politik und Literatur im Dritten Reich”. Ihr Interesse für die Vergangenheit hat einen ganz persönlichen Grund: Von ihrer Mutter, einer wohlhabenden Apothekerin in Westberlin, war sie im Alter von sieben Jahren in ein Internat gegeben worden. Danach ist nichts in ihrem Gedächtnis haften geblieben, was sich vor ihrem vierzehnten Lebensjahr ereignet hat: Amnesie, „ein schwarzes Loch”.
Die Scham der Nachgeborenen
In ihm beginnt es gefährlich zu brodeln, als die Mutter mit Nori im Sommer 1981 nach Polen reist, um ihr das Geburtshaus in Kolberg, heute Kolobrzeg, zu zeigen. Es kommt zu einem inneren Erdbeben: Nori verliebt sich in den Warschauer Philosophiedozenten Adam, der der freien Gewerkschaft „Solidarnosc” angehört. Wieder nach Bonn zurückgekehrt, beginnt sie plötzlich unter Angstanfällen zu leiden, einem „Gefühl der Trauer und des Grauens”; Panikattacken und Herzanfälle setzen ihr zu. Da auch ihre wie jede Biografie zwischen Vergessenkönnen und Erinnernwollen schwanke, empfiehlt der zu Hilfe gerufene Therapeut Erinnerung.
Monate später trifft Nori Adam in Westberlin wieder, wo er an der Freien Universität eine Gastdozentur über Bergson wahrnimmt. Zum ersten Mal in ihrem Leben bestätigt der Geliebte sie in ihrer „Existenz als Körper”. Diese Erfahrung der erotischen Selbstfindung bringt auch etwas Licht in das Dunkel von Noris Kindheit. Traumatische Erlebnisse haben durch ihre Ungeheuerlichkeit seelische Wunden geschlagen und das Vergessenmüssen ausgelöst: Als kleines Mädchen hatte Nori nach der Scheidung der Eltern in der luxuriösen Grunewaldvilla des Großonkels, eines deutschnationalen Bildhauers, eine grotesk-grausame Szene miterleben müssen: Bevor er sich erhängte, hatte der Großonkel, das Seil bereits um den Hals, nackt auf einer Leiter stehend und in einen Spiegel sehend, sich gezeichnet – und dabei Nori gezwungen, ihn anzusehen. Die Reaktion des Kindes: ein „leeres totes Kindheitsgedächtnis”.
Zu den seelischen Wunden, die die Vergangenheit Nori geschlagen hat, fügt Marielouise Janssen-Jurreit jene Schäden hinzu, die die Eltern-Generation durch ihr Mitmachen im NS-Regime bei ihren Kindern bewirkt hat. Nori und Leonhard haben sich im Bundesarchiv in Koblenz kennen gelernt, als sie die NS-Vergangenheit ihrer Eltern ausforschten; Leonhards Mutter war Gau-Studentenführerin und die Geliebte des Reichsjugendführers Baldur von Schirach; Noris Vater wiederum, ein pensionierter Brigadegeneral der Bundeswehr, war zwar – zu Noris Erleichterung – kein Kriegsverbrecher, immerhin aber hatte Hitler ihn bei einem Leutnantsappell ins Gespräch gezogen. Und der Vater von Noris Freundin Sonja hatte sogar seine eigene Frau bei der Gestapo denunziert. Am stärksten empfindet Janssen-Jurreits auf ihr Leben zurückblickende Ich-Erzählerin die „Scham der Nachgeborenen” jedoch in Warschau, wo sie sich des ganzen Ausmaßes und der Grausamkeit der von Deutschen angerichteten Zerstörung bewusst wird.
Marielouise Janssen-Jurreit ist im Sommer 1982, kurz nach der Ausrufung des Kriegsrechts, das erste Mal nach Polen gereist. Während die offizielle Politik der Bundesregierung in abwartender Distanz zu „Solidarnosc” und aus Sorge um den Frieden im Festhalten am Status quo bestand, dokumentierte die Journalistin Janssen-Jurreit in Interviews den Widerstand der polnischen Gewerkschaftsbewegung. Statt des geplanten Sachbuchs hat sie schließlich diesen Roman geschrieben. In dessen erster Hälfte ist es ihr gelungen, Zeitgeschichte und Romanpersonal ökonomisch aufeinander zu beziehen und in unangestrengtem Erzählfluss zu entfalten. Dann jedoch sprengt die komplexe Stoff-Fülle den Erzählrahmen.
Die Geschichte Adams – der, als über Polen das Kriegsrecht verhängt wird, nach Warschau zurückkehrt, sich für die polnische Selbstbestimmung engagiert und, von Polizisten niedergeknüppelt, schwere Gehirnschäden erleidet – wird mit einer ausführlichen Familiengeschichte befrachtet, und die ist mindestens so kompliziert wie die Geschichte Polens, des geplagten Landes zwischen Russland und Deutschland. Statt auszusparen und auf Repräsentatives hin zu verknappen, idealisiert Janssen-Jurreit den Widerstandskämpfer Adam. Um keine Facette des Gesamtbildes auszulassen, arbeitet sie Lebensläufe ein und zeichnet manches nach Schnittmustervorlage: So fährt Noris alter Vater einen kleinen Sportwagen, trägt die Mutter ein „Kostüm von Missoni”; so müssen es unbedingt „geblümte französische Kretonne-Vorhänge” sein; nicht mehr ganz taufrisch heißt es: „Adam war mein Élan vital, meine solare Energieversorgung, sein Körper war für mich der Schutzwall gegen den Tod” oder etwas verrutscht: „Wir liebten uns wund, unermüdlich darin, über die Grenzen unserer Schleimhäute hinaus das galaktische Zentrum des anderen zu erreichen, um Zeit und Raum und die entsetzliche Schwerkraft unserer Matratze zu überwinden. ”
Gescheiterte Liebe
Doch über die vermehrten Darstellungsunsicherheiten im zweiten Teil sei nicht zu übersehen, dass in diesem Romandebüt etwas sehr Schwieriges versucht worden ist: Nämlich auf dem Hintergrund der polnischen, russischen und deutschen Geschichte am Beispiel der nach Selbstbestimmung strebenden „Solidarnosc” das Scheitern einer Liebesgeschichte zwischen einer deutschen und einem polnischen Intellektuellen so zu erzählen, dass eben jenes Scheitern plausibel vermittelt wird. Anders aber als es der Verlegenheitstitel Das Verbrechen der Liebe in der Mitte Europas” aussagt: In diesem Roman überwindet die Liebe am Ende doch das politische Verbrechen.
STEPHAN REINHARDT
MARIELOUISE JANSSEN-JURREIT: Das Verbrechen der Liebe in der Mitte Europas. Roman. Verlag Rowohlt-Berlin, Berlin 2000. 320 Seiten, 39,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2001

Flucht aus dem Weinkeller
Marielouise Janssen-Jurreit rettet die Liebe vor der Geschichte

Seit es erzählende Kunst gibt, sind darin Verbrechen und Liebe verknüpft worden, so auch in dem vorliegenden Roman von Marielouise Janssen-Jurreit. Das wäre keiner besonderen Rede wert, würde nicht der Titel die Begriffsverbindung ganz anders interpretieren als üblich. Er signalisiert nämlich, daß es hier nicht um Verbrechen aus Liebe geht oder um den Sieg der Liebe über das Verbrechen oder um den Triumph des Verbrechens über die Liebe. Vielmehr ist hier das Gefühl selbst die Untat. Vor den mörderischen Ereignissen des zwanzigsten Jahrhunderts wird privates Glück zum Unrecht, weil es vom gebotenen Widerstand ablenkt. Ohnehin sind in Schreckenszeiten die Seelen der Menschenverkrüppelt, daher unfähig, unbefangen zu empfinden.

Einen Seelenschaden haben alle, die uns im Verlauf der Handlung vorgeführt werden, voran die Heldin, genannt Nori. Sie stammt aus vielseitigen Verhältnissen. Einige familiäre Wurzeln reichen zurück ins deutsche Viertel des alten St. Petersburg und in die einstigen deutschen Ostgebiete. In der vertriebenen, enteigneten Sippschaft gab es peinliche rechtslastige Verstrickungen. Die Nachfahrin, 1943 in Kolberg geboren, weiß zu Beginn ihres Rückblicks davon nur wenig, was aber keineswegs aus der Gnade ihrer späten Geburt resultiert. Vielmehr leidet Nori an einer Amnesie, verursacht durch ihre Erzieher. Die Mutter ließ Mann und Kind im Stich, verzog sich mit ihrem begüterten amerikanischen Lover nach Übersee und kehrte erst zehn Jahre später als wohlhabende Witwe zurück. Der mittellose Vater und das Töchterchen krochen bei einem bildhauernden Onkel unter, dessen schöpferisches Credo die Einheit von Künstler und Soldat gewesen war. Nach dem Zweiten Weltkrieg lockte das keinen Hund hinter dem Ofen hervor, so hängte der Onkel sich auf und ließ das Kind dabei zuschauen. Der Vater steckte die nunmehr unbeaufsichtigte Siebenjährige ins allerbilligste Internat, wo bigotte Nonnen ihr die Seele verbogen. Vor all diesen Erinnerungen schützte die erwachsene Nori sich durch absolute Verdrängung.

Dies freilich um den Preis von Albträumen und Angstattacken, gegen die auch Ehemann Leonhard nichts ausrichten kann. Der friedliche Leonhard kommt bei der Romanautorin schlecht weg. Sie hat ihn zum Beamten im Bonner Bundespresseamt gemacht, in ihren Augen offenbar das Letzte an Langeweile und Gefühlsstumpfheit. Jedenfalls gerät nur dann Leben in ihn, wenn es um seine riesige Sammlung erlesener Weine geht. Es liegt auf der Hand, daß die sensible Nori eines Tages ausbrechen und fremdgehen wird. Das Schicksal muß ihr nur den Richtigen über den Weg schicken.

Das geschieht Anfang der achtziger Jahre. Der Richtige heißt Adam, ist Pole und Anhänger von Solidarnosc, in seiner Heimat schickt sich General Jaruzelski gerade an, das Kriegsrecht auszurufen. Adams feuriger Patriotismus elektrisiert die Bonner Beamtengattin, doch die erotische Bindung funktioniert nicht nach Wunsch, da kann auch Noris Psychotherapeut nicht helfen. Adam geht sowieso zu keinem Seelendoktor, obwohl er ihn nötig hätte, denn auch Mitglieder seiner Familie sind politisch befleckt, diesmal linkslastig, was ihm sehr aufs Selbstverständnis drückt. Der bekennende Antikommunist wird schließlich von der Jaruzelski-Polizei zum körperlichen wie geistigen Krüppel geprügelt. Aus für alle Hoffnung und jede Liebe, dem bösen Jahrhundert ist mit derlei Regungen nicht beizukommen.

Quod erat demonstrandum, sollte man meinen, wenn man des Titels gedenkt. Aber nun zeigt sich, daß die Autorin eigentlich darauf zielte, ihn zu widerlegen. Am Ende stellt sie ihre Geschichte vom Kopf auf die Füße. Oder von den Füßen auf den Kopf. Offen bleibt, ob sie ihrem Roman, dessen historische und persönliche Logik der Psycholast bisher standhielt, damit einen Gefallen tat. Hatte sie zuvor die gefühltötenden Schrecken riesig gemalt, so wachsen jetzt die Gefühle ihrer Figuren ins Riesige. Nori gebiert einen kleinen Adam und weiß ganz sicher, daß sie den großen Adam ewig lieben wird, ungeachtet seines schlimmen Zustands, sogar dann, wenn er stirbt. Das Baby veredelt die Großeltern, endlich reden die Generationen miteinander und erledigen ihre privaten wie politischen Differenzen. Obendrein beschert das Jahrhundertende den Europäern einige der Werte, für die Deutsche, Polen, Ungarn et cetera im Kampf gegen zwei Diktaturen bluteten. Die Moral von der Geschicht: Zur Millenniumswende existiert zwar nicht die beste aller Welten, aber gegen alle Erwartungen eine lebenswerte. Es darf auch wieder geliebt werden.

SABINE BRANDT

Marielouise Janssen-Jurreit: "Das Verbrechen der Liebe in der Mitte Europas". Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2000. 317 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So richtig deutlich fällt Sabine Brandt kein Urteil über Marielouise Janssen-Jurreits Roman. Darin haben alle einen Seelenschaden, verursacht aus persönlichen und politischen Umständen, berichtet die Rezensentin. Liebe kann bei Janssen-Jurreits Figuren so gar nicht gedeihen. Auch wenn sie da ist, kann sie sich nicht entwickeln - die Verhältnisse sind schuld und halten die Gefühle in ihrem Bann, informiert Brandt. Doch die Autorin will es am Ende anders und lässt die großen Gefühle doch noch aufleben. Ob sie damit ihrer Geschichte, deren historische und persönliche Logik bis dahin der Psycholast standgehalten habe, einen Gefallen erwiesen hat, lässt die Rezensentin offen. Die Moral des Romans - "es darf auch wieder geliebt werden - scheint Brandt jedenfalls nicht wirklich groß bewegt zu haben.

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