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Was ist der Tauschwert der Liebe?
Belauern sich zwei: ein junger Mann wittert die Chance, schnell zu erben; und eine todkranke, einsame Frau sieht die Gelegenheit, noch einmal jemanden an sich zu binden, der ihr jeden Wunsch von den Lippen abliest.
Matthias gibt den Frauen nur, was sie wollen; er ist kein schlechter Mensch. Dass er seiner Mutter erzählt, er werde wahrscheinlich bald in den diplomatischen Dienst aufgenommen, ist eine Art Notlüge zur Rettung des Selbstbewusstseins.Er kann ja schlecht zugeben, dass er von der Versicherung, bei der er Vertreter war (in ihren Augen ohnehin…mehr

Produktbeschreibung
Was ist der Tauschwert der Liebe?

Belauern sich zwei: ein junger Mann wittert die Chance, schnell zu erben; und eine todkranke, einsame Frau sieht die Gelegenheit, noch einmal jemanden an sich zu binden, der ihr jeden Wunsch von den Lippen abliest.

Matthias gibt den Frauen nur, was sie wollen; er ist kein schlechter Mensch. Dass er seiner Mutter erzählt, er werde wahrscheinlich bald in den diplomatischen Dienst aufgenommen, ist eine Art Notlüge zur Rettung des Selbstbewusstseins.Er kann ja schlecht zugeben, dass er von der Versicherung, bei der er Vertreter war (in ihren Augen ohnehin ein unwürdiger Job), gerade gefeuert wurde. Seiner Nachbarin erzählt er, er suche seine entlaufene Katze (obwohl es die eines anderen ist) - wie sonst hätte er mit ihr in Kontakt kommen und eine Affäre anfangen können? Und die verschiedenen Profile in den Dating-Börsen des Internets braucht er nur zum Geldverdienen; sein Herz hängt da nicht dran.Als er Annemarie Funk, eine todkranke, einsame Frau kennenlernt, drängt er sich nicht auf. Sie ist es, die ihm verrät, dass sie so gern einen Sohn gehabt hätte. Und sie kommt auf die Idee, sein Name »Matthias« heiße schließlich »Geschenk Gottes«, er könne doch bei ihr einziehen.Doch seine Hoffnung, schnell und einfach zu einem Erbe zu kommen, wird auf eine harte Probe gestellt: Unvermutet blüht Annemarie in seiner Gegenwart auf, scheint sich auf wundersame Art zu verjüngen.Und das Ringen beginnt - um die kurze Zukunft von Annemarie, um das, was sie zu erzählen hat, um das, was sie hinterlassen wird, und darum, was einem Menschen, der nicht mehr lange zu leben hat, wirklich wichtig ist: die Wahrheit oder eine schöne Illusion.
Autorenporträt
Boehning, LarissaLarissa Boehning, Jahrgang 1971, ist in Hamburg aufgewachsen und lebte eine Zeit lang in Spanien. Seit 2007 wohnt sie mit ihrer Familie wieder in Berlin. Larissa Boehning arbeitet als Grafikerin, Dozentin und freie Schriftstellerin. Für eine Geschichte aus "Schwalbensommer" erhielt sie den Literaturpreis Prenzlauer Berg (2002). Ihr Romandebüt "Lichte Stoffe" (2007) war auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wurde mit dem Kulturpreis der Stadt Pinneberg und dem Mara-Cassens-Preis für das beste Debüt des Jahres 2007 ausgezeichnet. 2011 erschien "Das Glück der Zikaden", 2014 "Nichts davon stimmt, aber alles ist wahr".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2014

Vom Tauschwert
der Liebe
Larissa Boehning verteidigt das wahre Gefühl
Die Heldin kann ihr Glück kaum fassen. Erst läuft ihr eine Katze zu, die sich so behaglich in die leeren Räume ihrer Altbauwohnung schmiegt, dass das abendliche Nachhausekommen zum Vergnügen wird. Dann steht auch noch ein gut aussehender Mann vor ihrer Tür. Sein Lächeln wirkt vertraut. „Ich kenne dich“, scheint es zu sagen. Umso größer ist der Schreck, als er ihr sein Handy vor die Nase hält. Auf dem Foto erkennt sie die zugelaufene Katze. Sie leugnet, das Tier gesehen zu haben, und lässt ihn nicht in ihre Wohnung. Er aber antwortet charmant, sie könne ihm die Katze jeder Zeit vorbeibringen. Er heiße Matthias Thies und wohne im Hinterhaus, vierter Stock.
  Der Roman umschnurrt uns so sanft wie die Katze die Heldin, in einer treffsicheren, auf elegante Weise sparsamen Prosa. Er liefert uns Bilder des Wohlbehagens und der Euphorie, während er andeutet, dass seine Geschichte einen doppelten Boden hat. Es gibt hier Falltüren wie bei „Alice im Wunderland“. Doch sie sind nicht surrealer Natur. Larissa Boehnings dritter Roman spielt zum größten Teil im Hamburg der Gegenwart, kurz nach Beginn der Finanzkrise. Wie schon in ihrem Debütroman „Lichte Stoffe“ erkundet die 1971 geborene Autorin das heikle Terrain der Gefühle, wie es sich uns heute präsentiert: als Gegenstand mannigfaltiger Manipulationen.
  Ihre Heldin, ein Teil des Romans ist aus ihrer Perspektive erzählt, arbeitet als Texterin in einer Werbeagentur. Sie weiß, wie man Gefühlen den Anschein von Echtheit gibt. Stundenlang sitzt sie mit Grafikern vor dem Bildschirm und tüftelt beispielsweise herum, ob man den Himmel noch ein wenig dunkler machen muss, die Oberfläche einer Wand noch ein wenig rauer, um das Paar im Auto, das beworben werden soll, zum Inbild des Glücks zu verschmelzen. Trotzdem ist sie rettungslos verloren, als sich der Nachbar aus dem vierten Stock so passgenau ihren Wünschen anschmiegt, dass sie mit ihm im Bett landet. Kaum meint sie, den idealen Partner gefunden zu haben, geht er nicht mehr ans Telefon. Doch wozu wohnt man im selben Haus? Jeden Morgen frühstückt sie nun im Café gegenüber und beobachtet sein Kommen und Gehen.
  Eines Morgens parkt eine elegante ältere Dame vor der Tür und holt Matthias ab. Das muss seine Mutter sein, schließt die Erzählerin Juliane messerscharf. Hat er sie nicht als Galeristin beschrieben, die in dritter Ehe mit einem vermögenden Mann verheiratet ist? Doch alles ist anders, als es scheint. Die Dame heißt Annemarie Funk und wohnt in einer Villa mit Elbblick in Blankenese. Sie hat Krebs mit einer Lebenserwartung von höchstens sechs Monaten. Matthias und Juliane schleichen sich aus unterschiedlichen Gründen bei ihr ein. Er hofft auf ein großes Erbe, die Gunst der Stunde nutzend, dass die Witwe eines Lufthansa-Piloten in ihm den Sohn sieht, den sie niemals hatte. Sie will hinter Matthias’ Fassade blicken und lässt sich schließlich von Annemarie in die Pflicht nehmen. Die nämlich möchte, dass ihre Erinnerungen nicht verloren gehen.
  Es entspinnt sich eine Dreiecksgeschichte der besonderen Art. Sie schickt den Leser durch einen halsbrecherischen Parcours der Gefühle. Ist es einfach nur verwerflich, die Einsamkeit einer älteren Frau auszunützen und sich in ihr Herz zu schleichen? Oder gibt ihr Matthias etwas, das ihr sonst keiner geben würde? Führt sie ihn womöglich genauso am Gängelband wie er sie? Immerhin muss er sich durch die gesamte Speisekarte des „Engelwirts“ essen, des oberbayrischen Wirtshauses, in dem Annemarie aufgewachsen ist. Manchmal schläft er in ihrem Haus, das angefüllt ist mit Häkeldecken, Krimskrams und Porzellanpuppen, lauter bleichen Ersatzkindern, die mit traurigen Augen auf den Erbschleicher blicken. Dass es Matthias entschieden zu weit treibt, wenn er Annemarie auch körperlich verführt, ist eindeutig. Aber woher rührt die Befremdung, wo ein solches Verhältnis bei umgekehrter Geschlechterkonstellation beinahe gewöhnlich ist?
  Alle Formen der Gefühlsmanipulation fließen in die Romanhandlung ein: Die Strategien der Werbeindustrie mitsamt ihren Schulungen, bei denen Mitarbeiter lernen, „Smarter Sale Stories“ zu erfinden. Technische Optimierungen des Mängelwesens Mensch durch Biotechnologie und elektronische Geräte. Partnerbörsen im Internet mit gefälschten Profilen. Aber auch jene Illusionsmaschine namens Literatur, die wir ungern in den gleichen Kontext stellen, weil sie uns kulturell so viel wert ist. Dass der Kapitalismus unsere Wünsche formt und ausbeutet, ist nicht unbedingt eine neue Erkenntnis. Doch es gelingt Larissa Boehning, einen spannenden Roman damit zu bauen.
  Ihre Dialoge wirken lebensecht, sie findet starke Körperbilder, und sie hat eine große Fähigkeit zur Empathie, die jedes Detail und jede der zahlreichen Binnengeschichten belebt. Vor allem aber hat sie einen Trumpf im Ärmel: die Geschichte von Annemaries Kindheit. Sie ist nicht ganz bruchlos in den Roman integriert und doch sein geheimes Kraftzentrum. Die Sprache ist in diesen Passagen äußerst dicht, wie komprimiert durch einen Schmerz. Die Kammer des Großvaters und der Hühnerstall mit den Küken waren die einzigen Fluchtorte in einer Welt, in der die Not regierte und die Mutter wie ein „General“ das Wirtshaus schmiss. Wenn das Mädchen nicht gehorchte, kam es in den Kohlenkeller. Einmal wurde es von einer Ratte gebissen, die es für den Teufel hielt. Im Licht dieser Geschichte wirken all die Liebesscharmützel, die Spiegelgefechte rund ums Kaufen und Begehren, die ganzen Entlastungsstrategien überforderter Individuen wie Lappalien.
  „Nichts davon stimmt, aber alles ist wahr“ verteidigt den Zufall, die Liebe, das Glück und nicht zuletzt die Erinnerung gegen ihre Herabwürdigung zum bloßen Konsumprodukt. Die Autorin weiß, dass auch ihr Roman ein solches Produkt ist. Sie ist alles andere als naiv. Für die Kindheitspassagen Annemaries hat sie auf Material zurückgegriffen, das ihr mit dem Wunsch anvertraut wurde, sie möge daraus eine Geschichte formen. Wie ernst es ihr mit der Überlegung ist, die Literatur könne trotz allem etwas von den Dingen retten, die keinen Tauschwert haben, zeigt sich auch darin, dass sie sich von diesem Ansinnen in die Pflicht nehmen ließ. Es gibt nicht viele Schriftsteller, die das machen würden. Larissa Boehning beherrscht ihr Handwerk. Aber ihr Schreiben geht weit darüber hinaus.
MEIKE FESSMANN
Larissa Boehning: Nichts davon stimmt, aber alles ist wahr. Roman. Verlag Galiani, Berlin 2014. 320 Seiten, 19,99 Euro, E-Book 17,99 Euro.
Wie schon in ihrem Debüt
erkundet die Autorin den Markt
der ausgebeuteten Wünsche
Boehning beherrscht
ihr Handwerk, aber ihre Kunst
ist viel mehr als das
Larissa Boehning , geboren 1971, lebt in Berlin als Grafikerin, Dozentin und Schriftstellerin. Ihr Erstlingsroman „Lichte Stoffe“ (2007) war auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wurde mehrfach ausgezeichnet. Foto: Julia Baier
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Zu Beginn wirkt Larissa Boehnings Roman "Nichts davon stimmt, aber alles ist wahr" wie die desinfizierte Liebesgeschichte zwischen zwei "vom Lebenserfüllungsstress gebeutelten Premium-Singles", berichtet Eberhard Falcke, aber dieser erste Eindruck täuscht, verspricht der Rezensent. Denn es tut sich eine spannende Dreieckskonstellation auf, als eine reiche, ältere Witwe ins Spiel kommt, der er ans Geld möchte, und mit der sie sich anfreundet, verrät Falcke. Schnell verschwimmt, welche der Figuren worüber warum die Wahrheit sagen - oder eben nicht, warnt der Rezensent.

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