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Die »Gettoverwaltung Litzmannstadt« war als städtisches Amt eine gemeindliche Verwaltungseinrichtung ohne Beispiel: Sie beutete Juden bis zur tödlichen Erschöpfung aus, zog gleichzeitig deren finanzielle Forderungen ein und führte die Bücher des Vernichtungslagers Kulmhof. Sie steht exemplarisch für die initiative Beteiligung der zivilen Bürokratie am Holocaust.
Peter Klein beleuchtet das Zusammenspiel der verschiedenen mit dem Getto befassten Behörden auf allen Entscheidungsebenen und verwendet hierzu das soziologische Konzept des Netzwerks, um deren Wirken vor Ort zu analysieren. Das in
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Produktbeschreibung
Die »Gettoverwaltung Litzmannstadt« war als städtisches Amt eine gemeindliche Verwaltungseinrichtung ohne Beispiel: Sie beutete Juden bis zur tödlichen Erschöpfung aus, zog gleichzeitig deren finanzielle Forderungen ein und führte die Bücher des Vernichtungslagers Kulmhof. Sie steht exemplarisch für die initiative Beteiligung der zivilen Bürokratie am Holocaust.

Peter Klein beleuchtet das Zusammenspiel der verschiedenen mit dem Getto befassten Behörden auf allen Entscheidungsebenen und verwendet hierzu das soziologische Konzept des Netzwerks, um deren Wirken vor Ort zu analysieren. Das in Litzmannstadt entstandene »Netzwerk« der Verfolgung war keineswegs nur von chaotischen Strukturen geprägt, sondern erzeugte eine effiziente Zielgerichtetheit: Dynamik der Verfolgung nicht aufgrund von Konkurrenz, sondern als Ergebnis von Kooperation.

Erstmals wird eingehend an einem bedeutenden Fallbeispiel beleuchtet, wie eine bislang wenig beachtete Tätergruppe des nationalsozialistischen Regimes - die Angehörigen der lokalen zivilen Verwaltung - sich aktiv am Holocaust beteiligte.
Autorenporträt
Peter Klein, Dr. phil., Historiker, von 1999 bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Sprecher im Team der Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2009

Im Getto "Litzmannstadt"
Die deutsche Verwaltung unter Leitung von Hans Biebow: Raub, Zwangsarbeit und Massenmord

Nach dem deutschen Einmarsch und der Zerschlagung des polnischen Staates im September 1939 wurde Ende Oktober ein Teil Westpolens als Gau "Wartheland" dem Deutschen Reich angegliedert. Bald darauf kam noch das Industriegebiet um Lodz hinzu. Lodz - ab April 1940 Litzmannstadt - war fortan die sechstgrößte "deutsche" Stadt und verfügte über die reichsweit größte jüdische Gemeinde. Anfang Februar 1940 wurde hier ein Getto eingerichtet - das nach Warschau größte für polnische Juden. Doch lag dieser bald hermetisch abgeriegelte "jüdische Wohnbezirk" mit seinen etwa 158 000 Insassen - unter ihnen über 36 000 Kinder - nicht auf besetztem, sondern auf Reichsgebiet und wies daher besondere Strukturen auf.

In Abgrenzung zur nicht geringen Zahl von Veröffentlichungen über dieses Getto geht es Peter Klein in seiner umfangreichen, dokumentengesättigten Studie um die deutsche Gettoverwaltung und ihren Leiter Hans Biebow. Sie agierte als lokale Zivilbehörde im Reichsauftrag, aber mit eigenen Interessen und war Instrument der Judenverfolgung im Spannungsfeld zwischen Reichspolitik und Kommunalverwaltung. Die Abläufe innerhalb des Gettos und die Umsetzung der Forderungen seitens deutscher Behörden musste Chaim Rumkowski als Chef der jüdischen Selbstverwaltung organisieren. Während die deutsche Seite alles daransetzte, die im Getto eingeschlossenen und vermeintlich reichen Juden systematisch zu berauben, galt es für Rumkowski, die Ernährung zu sichern sowie Strategien für ein Überleben zu entwickeln. Rumkowski sah als einzige Möglichkeit, Lebensmittel und den laufenden Betrieb zu finanzieren, das Getto in einen Produktionsstandort der Textilbranche umzuwandeln, auszuweiten und zu professionalisieren. Biebow wiederum versuchte, vor allem militärische Auftraggeber zu gewinnen, wobei es ihm nicht um die Versorgung des Gettos, sondern - Kaufmann, der er war - um Profit ging. Trotz aller Bemühungen konnte Rumkowski die Verelendung der Juden als Folge deutscher Misswirtschaft, Fehlplanung und rasseideologischer Verachtung nicht verhindern.

Als Damoklesschwert über allen Handlungen hing die Ungewissheit, wie lange das Getto überhaupt bestehen würde. Insbesondere Gauleiter Arthur Greiser drängte auf eine beschleunigte "Entjudung" des Warthegaus und eine Auflösung des Großgettos im Rahmen der "Germanisierung" und wollte ein allzu starkes "Hineinregieren" von Reichsinstanzen unterbinden. Erst im Frühjahr 1941 wurde deutlich, dass das Getto Bestand haben würde, aber nur für "arbeitsfähige" Juden. Entsprechend waren die Lebensmittel rationiert. Bereits im Sommer gab es seitens der SS Überlegungen - wie es zynisch hieß -, "Unproduktive" als "humanste Lösung" zu vergiften. Offensichtlich, so Peter Kleins Interpretation, genehmigte Hitler ein solches Vorgehen bei einem Besuch Greisers im Führerhauptquartier "Wolfsschanze" am 16. Juli 1941 persönlich. Unerwartet trafen Biebow und Rumkowski die Pläne der SS, zusätzliche 20 000 Juden aus dem Altreich und 5000 burgenländische "Zigeuner" in das Getto "einzusiedeln". Trotz aller behördlichen Zwistigkeiten trafen im Oktober und November zwanzig Transporte ein. Die Proteste der Kommunalpolitiker führten, wie Klein nachweist, unmittelbar zur Einrichtung einer Vernichtungsstätte in Kulmhof am Ner - der einzigen auf Reichsgebiet. Ab dem 6. Dezember 1941 wurde dort mit der Vernichtung von Juden aus dem Warthegau in "Gaswagen" begonnen; ab Januar 1942 auch von Juden aus Lodz sowie der deportierten Roma und ab Mai von arbeitsunfähigen Juden aus den Reichstransporten.

Eine besondere Tragik für Rumkowski stellte der Umstand dar, dass es seiner Verwaltung auferlegt wurde, die Todeskandidaten zu bestimmen, ohne den Arbeitsprozess zu gefährden. Im September 1942 gab es im gesamten Reichsgau Wartheland bis auf Arbeitslager keine jüdischen Zwangssiedlungen mehr. Die Verwertung der hinterlassenen Habseligkeiten und die "Leichenfledderei" der Ermordeten waren ein Millionengeschäft für die Gettoverwaltung in Lodz. Die Planung der "Entjudung" und ihre wirtschaftliche Durchführung lagen dabei in den Händen Greisers. Um die eigene Abwicklung zu verzögern, baute Biebow die Produktion im Getto weiter aus, bis im Sommer 1944 dessen Auflösung verfügt wurde; über 74 000 Juden wurden in Kulmhof und Auschwitz ermordet, 19 000 in KZ-Außenlager verschleppt. Polen verurteilte Greiser und Biebow 1946/47 zum Tode.

Klein stellt die Gettoverwaltung en détail dar, zeigt Konkurrenzen zwischen einzelnen Instanzen und weist das "effiziente" Zusammenspiel verschiedener Behörden bei der mörderischen Ausbeutung von Juden und beim Holocaust minutiös nach. Doch er vermag es an vielen Stellen nicht, sich in der Beschreibung von Verwaltungsstrukturen und -abläufen vom Beamtendeutsch und Detailreichtum seiner Dokumente zu trennen; so entstehen teilweise nicht unerhebliche Längen. Trotzdem kann seine über 640 Seiten lange "mikrohistorische" Studie als wichtiger Beitrag für das Verständnis dieses besonderen Gettos und seiner Akteure gelten.

UWE NEUMÄRKER

Peter Klein: Die "Gettoverwaltung Litzmannstadt" 1940-1944. Eine Dienststelle im Spannungsfeld von Kommunalbürokratie und staatlicher Verfolgungspolitik. Verlag Hamburger Edition. Hamburg 2009. 683 S., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Uwe Neumärker schätzt Peter Kleins umfangreiche Studie über die Verwaltung des Gettos Litzmannstadt von 1940 bis 1944. Im Mittelpunkt sieht er dabei - im Unterschied zu den meisten Arbeiten über dieses Getto - die deutsche Verwaltung unter Leitung von Hans Biebow, die als lokale Zivilbehörde im Reichsauftrag agierte. Er attestiert dem Autor, anhand einer Fülle von Dokumenten die Tätigkeiten dieser Behörde detailliert zu schildern, die Konkurrenz zwischen einzelnen Abteilungen und Akteuren aufzuzeigen und die effektive Zusammenarbeit diverser Behörden bei der Ausplünderung der Juden und schließlich ihrer Vernichtung akribisch nachzuweisen. Einziger Kritikpunkt ist für Neumärkter, dass es dem Autor bei der Beschreibung von Verwaltungsstrukturen und -abläufen oft nicht gelingt, sich vom Beamtendeutsch seiner Dokumente zu lösen, mit der Folge von teils "nicht unerheblichen Längen". Nichtsdestoweniger sieht er in der Arbeit einen bedeutenden Forschungsbeitrag zum Getto Litzmannstadt.

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