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Wer heute die Gesellschaft zu beschreiben versucht, stößt auf ein grundlegendes Problem: Die alten Grenzziehungen funktionieren nicht mehr. Früher war man rechts oder links, progressiv oder konservativ, liberal oder sozialdemokratisch. In diesen Containern ließen sich alle Probleme vortrefflich lösen. Aber vor der Komplexität unserer Welt muss solch eindimensionales Denken kapitulieren und sich entweder in moralischen Appellen verlieren oder immer schon wissen, was richtig ist. Die Alternative ist ein neues vernetztes Denken, das mit Instabilität rechnet und Abweichungen liebt. Nassehi seziert…mehr

Produktbeschreibung
Wer heute die Gesellschaft zu beschreiben versucht, stößt auf ein grundlegendes Problem: Die alten Grenzziehungen funktionieren nicht mehr. Früher war man rechts oder links, progressiv oder konservativ, liberal oder sozialdemokratisch. In diesen Containern ließen sich
alle Probleme vortrefflich lösen. Aber vor der Komplexität unserer Welt muss solch eindimensionales Denken kapitulieren und sich entweder in moralischen Appellen verlieren oder immer schon wissen, was richtig ist. Die Alternative ist ein neues vernetztes Denken, das mit Instabilität rechnet und Abweichungen liebt. Nassehi seziert messerscharf gängige Zeitdiagnosen und Diskurse, die auf naive Einsicht
oder auf die `richtige Einstellung oder Moral setzen. Ein Buch gegen die Selbstüberschätzung und Selbstüberhöhung derer, die ihrem Publikum nach dem Mund reden.
Das Buch enthält u. a. den lehrreichen Briefwechsel mit einem Verleger aus dem rechtskonservativen Milieu, einem Milieu, mit dem üblicherweise kein öffentlicher intellektueller Diskurs stattfindet. Es könnte jedoch, so Nassehi, ein fataler Fehler sein, das totzuschweigen. Im Gegenteil: Es sollte geradezu ein Akt intellektueller Redlichkeit sein, die Restriktionen und Illiberalität rechten
Denkens im Dialog zu enthüllen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.04.2015

Links reden,
rechts leben
Armin Nassehi über die
Heuchelei der Gesellschaft
Früher war die deutsche politische Landschaft überschaubar. Es gab die SPD, die FDP und die CDU/CSU. Man war links oder rechts. Die Fronten waren klar. Und heute? Gibt es noch das klassische Links-rechts-Schema in Zeiten, wo in Griechenland Linkspopulisten mit Rechtsextremen koalieren? Der Soziologe Armin Nassehi argumentiert, dass die alten Grenzziehungen nicht mehr funktionieren. Er meint, dass wir heute links reden, aber rechts leben.
  An der CDU lässt sich studieren, dass sich der Diskurs nach links verschoben hat: Mindestlohn, Frauenquote, Abschaffung der Wehrpflicht. Und einst linke Rebellen haben sich längst mit den Segnungen der Marktwirtschaft arrangiert. Man begrüßt die Energiewende, will aber kein Windrad in seinem Hinterhof haben. Man redet von Chancengleichheit und Inklusion, schickt das eigene Kind dann aber doch lieber aufs Gymnasium mit geringem Migrantenanteil anstatt auf die Gesamtschule. Dem Bildungssystem komme eine „janusköpfige Rolle“ zu, schreibt Nassehi. Wer links denkt, plädiere für Bildung für alle. „ Zugleich“ schreibt Nassehi, „ist das Bildungssystem aber auch das stabilste Medium des Distinktionsgewinns.“
  Nassehi legt die Widersprüchlichkeit und Scheinheiligkeit unserer Gesellschaft schonungslos offen. Links und rechts relativieren sich, wenn man auf der Suche nach Distinktionsgewinnen die eigenen Ideale über Bord wirft. Universalistische Argumente, so Nassehis Erfahrung, verstärken die Reflexe und Überforderungsängste der Menschen. In der Entfremdung und Überforderung, einem Lebensgefühl der Moderne, liege es näher, rechts zu leben. Gedacht werde aber links, „weil man auf diese Überforderungen fast nur im Modus der Überforderung“ reagieren könne.
  Wer sich heute als konservativ bezeichnet, muss erst definieren, was im Zeitalter der Kontingenz überhaupt konservierbar ist. Die Rechte sei als Kategorie abhandengekommen, konstatiert Nassehi. Der Autor vertritt eine dezidiert linke Sichtweise, ohne dabei Reflexe zu bedienen oder auf marxistische Theorien aus der Mottenkiste zurückzugreifen. Nassehi ist am Erkenntnisgewinn und nicht an ideologischen Auseinandersetzungen interessiert.
  Die Lektüre des stilistisch ansprechenden Buchs ist lehrreich. Nassehi doziert nicht, sondern unterwirft sein eigenes Denken einer kritischen Revision und sagt offen, was er nicht erklären kann. Einzig die Conclusio des Werks fällt dann doch ein wenig unscharf aus: Die Theorie der vernetzten Intelligenz bleibt unscharf und vermag nicht so recht zu überzeugen. Nassehi ist ein wortgewaltiger Autor und ein ausgezeichneter Zeitdiagnostiker. Mit seinem Buch hat der Soziologe eine brillante Zustandsbeschreibung unserer Gesellschaft vorgelegt.
ADRIAN LOBE
  
Armin Nassehi: Die letzte Stunde der Wahrheit: Warum rechts und links keine Alternativen mehr sind und Gesellschaft ganz anders beschrieben werden muss. Murmann, 2015. 344 S., 20 Euro.
Adrian Lobe ist freier Journalist.
Wer sich heute konservativ nennt,
muss erst einmal sagen, was
überhaupt konserviert werden soll
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Zwar betrachtet der bekannte Politologe Claus Leggewie die Thesen Nassehis kritisch, das hindert ihn aber nicht, das Buch als sehr anregend weiter zu empfehlen. Für Leggewie ist nach der Lektüre noch deutlicher, dass das Begriffspaar "Links -Rechts" in der politischen Auseinandersetzung erhalten bleiben sollte, unter anderem, um komplexe politische Fragen auf "handhabbare parteiförmige Grundmuster" herunter zu brechen. Gerade die von Nassehi beklagte Komplexitätsreduktion stellt sich für Leggewie somit als Vorteil dar. Nassehis Plädoyer für ein "vernetztes Denken" erscheint ihm dagegen als maue Alternative. Am Ende nimmt Leggewie aus Nassehi aber doch Ideen zu eine neuen Beschreibung der politischen Landschaft mit.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Gesellschaft jenseits politischer Schubladenkategorien begreifen

'Die letzte Stunde der Wahrheit' ist eine 'soziologische Analyse öffentlichkeitswirksamer Selbstbeschreibung der modernen Gesellschaft nebst Hinweisen darauf, warum und wie diese Beschreibungen das Problem der gesellschaftlichen Komplexität verfehlen'. Autor Armin Nassehi ist Soziologe und formuliert in seinem Buch scharfe Kritik am Denken und Begreifen von Gesellschaft in den konventionellen politischen Dimensionen von 'rechts' und 'links'. Schubladen, die nicht (mehr) ausreichen, um die Komplexität der sozialen Strömungen ausreichend zu erfassen.

Links reden, rechts handeln

Nassehi belegt auf hohem intellektuellen Niveau, dass das politische Lagerdenken keine gesellschaftlichen Erklärungsmodelle (mehr) hergeben kann, 'weil wir links reden und rechts leben'. Spannend in diesem Zusammenhang ist sein Briefwechsel mit dem rechtskonservativen Verleger Götz Kubitschek, Herausgeber der Zeitschrift 'Sezession', den er vollständig als Anhang abdruckt. Hier bemerkt Nassehi, dass 'der Nationalsozialismus eher eine linke Bewegung war, weil er es eben nicht bei der anthropologischen Schwächediagnose belassen hat, sondern die revolutionäre Herstellung des Neuen Menschen wollte'. Ein Ziel, das die ultra-rechten und -linken Vordenker gleichermaßen für sich in Anspruch nehmen.

Soziale Digitalisierung

Spürbar und erlebbar wird die Verschmelzung ehemals politischer Kategorisierung in den sozialen Medien ('Soziale Digitalisierung'), die im virtuellen Raum ideologische Grenzen verschieben. Und gleichzeitig die Unmittelbarkeit und Anonymität für die permanente Meinungsäußerung bereitstellen. PEGIDA ist kein ostdeutsches Phänomen, sondern ein Abfallprodukt der Social Channels: 'Die moderne Gesellschaft ist so komplex, dass konkurrierende Gruppen unsichtbar, also digitalisiert werden. Genau das macht es so plausibel, in angeblich sichtbaren sozialen Gruppen, etwa sogenannten Fremden, eine Adresse für Ablehnung zu finden.'

Roter Reiter - Fazit: Der Münchener Soziologe Armin Nassehi forciert mit seinem Buch 'Die letzte Stunde der Wahrheit' einen anspruchsvollen und vor allem anregenden Diskurs über einen neuen Gesellschaftsbegriff, der die bestehende Komplexität annimmt und nicht mehr in Kategorien wie 'links' und 'rechts' packt." (Oliver Ibelshäuser, www.Roter-Reiter.de vom 23.04.2015)
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