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Der Begriff des Familienromans stammt aus der Feder Sigmund Freuds, eines der Väter der Jewish Fiction, der den Familienroman als Schlüsseltext einer identitätskonstituierenden Selbstbeschreibung gelesen hat. Darin entwirft sich das Individuum eine Vergangenheit, und aus diesem Mythos heraus erklärt es sich. Auf die Frage, ob man den Heranwachsenden in die Analyse schicken oder ihn Romane schreiben lassen solle, ist so zu antworten, daß die beiden Prozesse im Lebensroman konvergieren.

Produktbeschreibung
Der Begriff des Familienromans stammt aus der Feder Sigmund Freuds, eines der Väter der Jewish Fiction, der den Familienroman als Schlüsseltext einer identitätskonstituierenden Selbstbeschreibung gelesen hat. Darin entwirft sich das Individuum eine Vergangenheit, und aus diesem Mythos heraus erklärt es sich. Auf die Frage, ob man den Heranwachsenden in die Analyse schicken oder ihn Romane schreiben lassen solle, ist so zu antworten, daß die beiden Prozesse im Lebensroman konvergieren.
Autorenporträt
Dr. phil. Manuel Gogos war von 1995-2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Germanistischen Seminar der Universität Bonn. Daneben Literaturkritiker für die taz, die Jüdische Allgemeine, die NZZ und den WDR. Seit März 2003 tätig im Forschungsund Ausstellungsprojekt der Kulturstiftung des Bundes zum Thema 50 Jahre Arbeitsmigration in Deutschland tätig.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Rezensentin Susanne Klingenstein ist nicht einverstanden mit der zentralen These von Manuel Gogos' Buch über die "Psychopathologie der männlichen-deutschen Nachkriegsliteratur". Gogos sieht die Prosa jüdischer Autoren, wie Maxim Biller, Rafael Seligmann oder Leon de Winter, in der Tradition amerikanisch-jüdischer Romanciers, und hier vor allem Philipp Roth, der jüdische Literatur für ein breites Lesepublikum interessant gemacht habe. Gogos sieht hier ein Epigonentum am Werk, dass die Auseinandersetzung mit dem Holocaust vermieden hat. Die Rezensentin weist jedoch den psychoanalytischen und genealogischen Ansatz zurück. Sie stört sich sowohl an der historischen Ungenauigkeit und der sprachlichen Lässigkeit, mit welcher der Autor vorgeht, wie auch an dem Vergleich des amerikanischen Großschriftstellers mit Autoren wie Biller und Seligmann, die ihrer Auffassung nach nicht auf der gleichen ästhetischen Qualitätsstufe stehen. Am besten nehme man das Buch nicht ernst, sondern lese es als "brillante Parodie auf die Literaturkritik" oder als "postmodernen Familienroman", bilanziert Klingenstein.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2006

Jetzt assimiliert euch doch mal!
Väter und Söhne: Manuel Gogos über den jüdischen Roman

Für Vladimir Nabokov und Philip Roth sind Romanschriftsteller die begnadetsten Leser von Romanen. Natürlich. Jeder Schuster wirft auf die Leisten anderer Schuster ein professionelles Auge. So hat denn auch Sam Tanenhaus, Chef der "New York Review of Books", an eine Heerschar amerikanischer Schriftsteller die Bitte gesandt, den amerikanischen besten Roman des letzten Vierteljahrhunderts zu benennen (F.A.Z. vom 27. Mai). Das Resultat war verblüffend. Unter den zweiundzwanzig Titeln mit den meisten Stimmen waren sechs Romane von Philip Roth. Demnach wäre der 1933 in Newark, New Jersey, geborene Jude, der seine Laufbahn mit Satiren über das neobürgerliche Philister-Milieu der amerikanischen Juden der fünfziger Jahre begann, für seine Kollegen der bedeutendste Schriftsteller der Gegenwart. Seinen sarkastischen Geschichten sind schon lange profunde Auslotungen der condition humaine und ihrer Übel gefolgt, Triebverfallenheit, Krankheit, Alter, Einsamkeit. Fast möchte man den Übeln ihre gravitätischen lateinischen Namen geben, voluptas, morbus, solitudo und senectus. Denn wie bei keinem anderen amerikanischen Schriftsteller wurde Roths literarischer Höhenflug ein Erdsturz, eine Rückkehr aus der sonnig wonnigen Höhe jugendlicher Arroganz in die erdstaubtrockene Melancholie des Alters. Unmerklich fast wurde aus der levitas von "Goodbye, Columbus" (1959) die gravitas von "Everyman" (2006).

Doch setzt die Todesnähe, die von Roth immer häufiger beschworene reductio ad corporem, den Schriftsteller keineswegs schachmatt, sondern befreit nur seinen Geist. So will es schon die alte Dualität. Auf dem Totenbett haben bekanntlich die Meister des Worts noch immer die besten Sprüche auf Lager. Die Schusterkollegen sehen es sine ira et studio.

Auch für Manuel Gogos ist Roth einer der größten amerikanischen Schriftsteller, und jener dient ihm in seinem Buch über die Psychopathologie der männlichen deutsch-jüdischen Nachkriegsliteratur "Philip Roth & Söhne" als Dreh- und Angelpunkt. Gogos verteidigt vehement die These, daß die sich vom Holocaust emanzipierende deutsch-jüdische Literatur, die Prosa etwa von Maxim Biller, Rafael Seligmann, dazu die des Holländers Leon de Winter, nicht an die deutsch-jüdische Literatur vor 1933 anknüpft, sondern "mangels eines kritischen Diskurses jüdischer Identität" auf "amerikanisch-jüdische Erzähltemperamente" rekurriert, "die als Zugpferde einer ,gehobenen Unterhaltungsliteratur' den deutschen Büchermarkt dominieren".

In einer jener spielerischen Zusammenfassungen, die ebensooft den Lektürespaß erhöhen, wie sie, historische Präzision dem Bonmot opfernd, Ursache der Ungenauigkeit der Darstellung sind, schreibt Gogos: "Im Windschatten der ,Väter', die jüdische Themen in Deutschland wieder ,genießbar' gemacht hatten, fanden die ,Söhne' den Weg in eine breite Leserschaft, die angry young men konnten sich ins gemachte Nest der amerikanischen ,Nestbeschmutzer' setzen."

Mit dieser These erreicht Gogos zweierlei: Erstens minimalisiert er dreifach die Peinlichkeit der Werke von Biller und Seligmann, indem er ihren vulgären Schmutz erstens in die Tradition der angry young men stellt, zweitens als kommerziellen Trick abtut und drittens als filialen Zwangsnachvollzug darstellt - eine Lesart, die Gogos durch psychoanalytische Theorien zu stützen sucht. Damit schiebt er den Schmutz den amerikanischen Vorläufern, insbesondere Philip Roth, in die Schuhe. Gogos ist sich des ästhetischen Qualitätsunterschieds etwa zwischen Biller und Roth bewußt. Er hält ihn aber für unwesentlich, da es ihm nur um die psychische Verwandtschaft, also um das "Judenzeug", geht, wie er sich im Anfall einer Sprachohnmacht ausdrückt.

Der zweite Effekt von Gogos' These ist, daß sich der Blick auf das Rothsche Werk verengt: auf jene narzißtischen, triebbesessenen, spätpubertären Protagonisten, die Roth in der Zuckerman-Trilogie zu Grabe zu tragen begann und im "Gegenleben" (1987) endgültig begrub. Gogos weiß um das Unlautere dieser Verengung. Aber er muß sie vornehmen, weil sonst die Unvergleichlichkeit zwischen Roth und Biller und anderen allzu eklatant vor Augen stünde. Zur Rechtfertigung führt er den Leser ganz nah an die Schlußfolgerung heran, daß die deutschen Juden in den neunziger Jahren dort ankamen, wo die amerikanischen Juden schon in den sechziger Jahren waren.

Explizit wagt Gogos das natürlich nicht zu behaupten, nicht nur, weil Thomas Nolden diese These 1995 schon sehr skeptisch in Frage gestellt hat, sondern auch, weil der Leser dann genauer über die historischen Bedingungen nachdächte und entdeckte, daß Amerika um 1960 und Deutschland um 1990 sehr wenig miteinander gemein haben. Aber es ist Gogos ja gerade nicht um geschichtliche Genauigkeit, sondern um psychische Verwandtschaft, um Familienähnlichkeit zu tun. Und für Freud klebte das historische Detail auch nur als nebensächliches Ornament an der Außenverschalung der psychischen Architektur. Was Roth betrifft, so entschädigt ihn Gogos für die Verengung nach vorn durch Erweiterung nach hinten (dies ist nicht psychoanalytisch zu verstehen). Ist jener Roth der siebziger Jahre der literarische Vater Billers und Seligmanns, so ist Roths eigener Vater der Franz Kafka zwischen "Urteil" und "Verwandlung", eine literarische Abkunft, die Roth für sich selbst wohl nicht so direkt in Anspruch nehmen würde.

Gogos generiert dadurch aber eine wunderbare Sequenz, die ihn elegant um die Ermordung der europäischen Juden herumführt. Roth, im Kontext vollauf bewerkstelligter Assimilation, rekurriert auf den assimilierten Kafka, so, wie Biller und andere in der eigenen Vollassimilation auf Roth rekurrieren. Gogos führt den Beweis der Versippung mit Hilfe psychoanalytischer Theorien und der legendären Theorie der "Einfluß-Angst" von Harold Bloom. In drei langen Kapiteln untersucht er die Mutter-, Vater- und Brudergestalten in den drei durch die Namen Kafka, Roth und Biller markierten jüdischen Literaturschichten. Gemein ist den Theorien von Freud und Bloom, daß sie literarische Figmente sind, die wie Kafkas "Prozeß" mit archetypischen Metaphern spielen und sich daher vielseitig verwenden lassen.

Gogos' Anwendung von Freud und Bloom auf Kafka, Roth und Biller gibt dem Buch etwas Altmodisches, als handelte es sich um eine Dissertation aus den siebziger Jahren. Dabei ist Gogos nie theorielastig, nie akademisch, nie langweilig. Er ist kühn, belesen und witzig und schreckt vor keiner Verallgemeinerung zurück. Freud und Bloom helfen ihm dabei, die jüdische Literatur als einen großen Familienroman voller Vater-Sohn-Rivalitäten zu lesen. So partizipiert Gogos noch einmal an Freuds genialem Wurf. Das Christentum hatte bereits das Judendrama von Abraham bis Joseph zum Menschendrama gemacht; Freud leistete, mit griechischer Nachhilfe, die paradoxe Reduzierung ins Universelle. Aus der Menschengeschichte wurde wieder eine Familiengeschichte, und zwar eine, die auf jeden zutraf. Bloom transponierte das Familiendrama dann in Geistesgeschichte und sprach von den ödipalen Konflikten literarischer Väter und Söhne. Gogos nun verkleinert die ganze Chose wieder auf ein jüdisches Familiendrama, wobei natürlich im hermeneutischen Kuddelmuddel aus Christentum, Freud und Bloom vom Jüdischen selbst nicht mehr viel übriggeblieben ist.

Schon die Konzentration auf die psychoanalytische Familiendynamik schließt gerade die Ebenen aus, auf denen jüdische Identität entsteht: auf der Ebene der Halacha, des jüdischen Gesetzes, das zu bestimmten ethischen, sozialen und politischen Handlungen verpflichtet und, damit verwandt, auf der Ebene der historischen Zeit, in der die halachischen Handlungen Gegenhandlungen im sozialen Umfeld hervorrufen, etwa Diskriminierung und Pogrome.

Gogos' hermeneutische Methode, ein Verweben von Freud mit Versatzstücken aus der jüdischen Sozial- und Literaturgeschichte, vermittelt durch Intellektuelle wie Bloom, Julia Kristeva oder Henryk Broder, denen einzig der Satz gemein ist "sometimes right but never in doubt", führt jedoch zu einer Darstellung jüdischer Identität von bisweilen erheblicher Klischeehaftigkeit. Aber das ist wahrscheinlich Absicht.

Wie kann man aus Gogos' Feuerwerk von einem Buch noch das Beste machen? Man darf es nicht bierernst als einen auf Wahrheitsfindung gerichteten Text lesen, sondern sollte es als brillante Parodie auf die Literaturkritik genießen oder als postmodernen Familienroman für Psychoanalytiker, in dem jüdische Stereotypen nochmals stereotypisiert und so ad absurdum geführt werden. Der Autor hat wie seine Väter Freud und Bloom alles gelesen. Wie sie und ihr weitläufiger Verwandter Don Quichote spinnt er aus dem Gelesenen mit Witz und Verve eine neue Theorie, eine Phantasie, die alle Eingeweihten bestens unterhält.

Daß es sich hier nämlich um eine Phantasie handelt, um einen Traum, eine Fiktion, können Eingeweihte klar erkennen. Denn der Traum verrät sich durch die verschobene oder verkorkste Abbildung der Wirklichkeit. So auch hier. Die wirkliche Erica Jong erscheint bei Gogos als Erica de Jong; Roths Kurzgeschichte "The Conversion of the Jews" als "The Conversation of the Jews"; Binnie Kirshenbaums Roman "Als hielte ich den Atem an" wird zu "Als hielte ich deinen Atem an"; die Gebetsreihenfolge in der Pessach-Liturgie wird umgedreht; die Motivation der Juden, Nobelpreisträger werden zu wollen, wird erklärt aus der Tatsache, daß ihre Waschlappen von Vorvätern einst in den Gebetshäusern büffelten, während ihre Frauen zu Hause die Hosen anhatten.

Gogos hat ein spritziges, unterhaltsames Buch geschrieben, eine phantastische Familiengeschichte assimilierter Juden. Wahr ist sie nicht. Aber darauf kommt es ja heute fast gar nicht mehr an.

SUSANNE KLINGENSTEIN.

Manuel Gogos: "Philip Roth & Söhne". Zum jüdischen Familienroman. Verlag Philo, Hamburg 2005. 328 S., br., 38,- [Euro].

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