Auf eine merkwürdige Weise sind die deutschen Denker nach Krieg und »Auschwitz«, nicht anders als Frau Schrader nach dem Bombenangriff im »Capitol«-Kino zu Halberstadt, unmittelbar zur alten Tagesordnung zurückgegangen. Und wenn sie dies einmal nicht taten und den eben erlebten Schrecken ansprachen, dann auf Höhen einer Abstraktion, auf denen gerade einmal – im entkonkretisierenden Plural – der Begriff »Krieg«, nicht aber ein solches Schreckenswort wie »Judenvernichtung« Platz finden konnte.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Zum Thema Philosophie im Nationalsozialismus gibt es inzwischen jede Menge Forschungsliteratur; meint Uwe Justus Wenzel, der Umgang der Philosophie der Nachkriegszeit mit dem Gebaren der Kollegen im Nationalsozialismus ist dagegen kaum erforscht. Folgerichtig begrüßt der Rezensent die Analyse von Gereon Wolters, für die er Kongressakten, Zeitschriften und sonstiges philosophisches Schrifttum der ersten Jahre nach Kriegsende durchforstet hat. Mit beklemmenden Ergebnis: "Ihm ist ein gespenstisches Schweigen entgegengeschlagen", berichtet Wenzel, "das hie und da durch ausweichendes Verklausulieren durchbrochen wird." Auch die Praxis des Vertuschens war weit verbreitet. "Aufschlussreich" findet Wenzel in diesem Zusammenhang etwa das Kapitel "Zweite Auflagen oder: die Beseitigung kognitiver Dissonanzen", in dem Wolters aufdeckt, dass Philosophen mit Affinität zum Nationalsozialismus Zweitauflagen von kompromittierenden Werken unter der Hand zu retuschieren pflegten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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