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An Günter Grass hat der nachkriegsrepublikanische Zeitgeist das Sprechen gelernt, an seiner Gegenrede arbeitet er sich nun seit fünf Jahrzehnten ab. Diese Wechselbeziehung erlaubt uns Einblicke in Konfliktlinien und Mentalitätsstrukturen der Geschichte der Politischen Kultur dieses Landes. Zu Beginn der sechziger Jahre mußte sich die Republik an einen Typus linker Nonkonformität gewöhnen, der Grass` bärbeißig vitaler Erscheinung überaus ähnlich sah. Und noch heute ist es dieser Wort- und Bildkünstler, der den Nimbus seiner Literatur und die Publizitätskraft seiner Erscheinung in politische…mehr

Produktbeschreibung
An Günter Grass hat der nachkriegsrepublikanische Zeitgeist das Sprechen gelernt, an seiner Gegenrede arbeitet er sich nun seit fünf Jahrzehnten ab. Diese Wechselbeziehung erlaubt uns Einblicke in Konfliktlinien und Mentalitätsstrukturen der Geschichte der Politischen Kultur dieses Landes. Zu Beginn der sechziger Jahre mußte sich die Republik an einen Typus linker Nonkonformität gewöhnen, der Grass` bärbeißig vitaler Erscheinung überaus ähnlich sah. Und noch heute ist es dieser Wort- und Bildkünstler, der den Nimbus seiner Literatur und die Publizitätskraft seiner Erscheinung in politische Erregungsenergie umzumünzen versteht. Das konfliktreiche öffentliche Verhältnis zwischen den Deutschen und Günter Grass, zwischen politischem Tagesstreit und kulturellem Diskurs ist Thema dieses Buches.
Autorenporträt
Harro Zimmermann, 1949 in Delmenhorst geboren, studierte Germanistik, Philosophie, Politikwissenschaft und Pädagogik in Kiel und Göttingen. Seit 1988 leitete er das Ressort Literatur bei Radio Bremen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.08.2006

Der Mann, der immer recht hatte
Frisch veraltet: Harro Zimmermann über Grass und die Deutschen
Seit jeher sind Bücher arm dran, wenn sie bereits bei Erscheinen veraltet sind. Zu den aparteren Fällen gehört neuerdings auch Harro Zimmermanns umfassendes Buch „Günter Grass unter den Deutschen”, das im April 2006 ausgeliefert wurde. Der Untertitel weist es als „Chronik” aus, man könnte es aber auch „Festschrift” oder gar „Hagiographie” nennen. Harro Zimmermann gehört seit langem zum engen publizistisch aktiven Kreis um den Nobelpreisträger, und sein Buch ist deswegen als Informationsquelle sehr interessant: wir sehen alles so, wie Grass selbst es objektiv und distanziert dargestellt sehen möchte.
Zimmermann trägt viel Material zusammen, getreu seinem Anspruch: „Für- und Widerreden zum Thema sollen im größeren Kontext der Zeit-, Kultur- und Literaturgeschichte abwägend vorgeführt werden.” Solch ein umfassendes Quellenstudium ist schon an sich ein Verdienst, und darin liegt zweifellos der Wert dieses Buches. Allerdings stellt sich schnell jenes Problem ein, das derlei nüchtern und dokumentarisch daherkommende Texte oft mit sich bringen: der Autor, der Sichter des Materials, macht nicht deutlich, wann er zu werten beginnt. Und er wertet ständig. Denn es stellt sich jedes Mal heraus: Grass hat Recht. Grass ist auch literarisch immer auf der Höhe, ob als Lyriker, als Dramatiker oder als Prosaautor. Und Grass ist auch zu allen Zeiten gleichbleibend gut.
Das ist ein bisschen schade. Denn Grass hat ja wirklich gute Bücher geschrieben. Und er hat ja wirklich oft Recht gehabt. Seine Einschätzung der Achtundsechziger zum Beispiel wirkt aus heutiger Sicht souverän und weitsichtig. Aber sie war offenkundig auch Teil eines bloßen Generationskonfliktes (da wird der berühmte „Flakhelfer” doch wieder wichtig), und dieser wird als solcher nicht thematisiert. Es gäbe einige spannende Punkte, an denen man Grass‘ literarische und politische Positionen problematisieren oder gar kritisieren könnte, ohne gleich an seinem Status als herausragender Person der Zeitgeschichte zu zweifeln. Der zunehmende didaktische Impetus in seinen Büchern seit dem Trommeln für die SPD. Die Vorstellung, dass nur jedes zweite oder dritte SPD-Mitglied das neue Grass-Buch zu Weihnachten verschenken muss, um eine Startauflage von 100 000 zu erzielen. Die zuverlässig erwartbaren Wortmeldungen zu Aufrüstung, Sozialabbau, dem Treffen in Bitburg oder zum Mauerfall. Zimmermann bleibt aber immer bei der Form eines offiziellen Bulletins, das von den zuständigen Stellen gar nicht erst gegengelesen werden muss.
Das Buch wirkt darum nicht deswegen veraltet, weil die Waffen-SS darin natürlich nicht vorkommt. Harro Zimmermann hätte es gewiss nicht gegen Grass verwendet, wenn er von dieser Geschichte gewusst hätte, er hätte jedes Vertrauen seines Helden gerechtfertigt. Natürlich ist es verblüffend, dass einer der engsten Vertrauten von Grass über die betreffenden Prägungen wieder nur schreibt: „Den ehemaligen Hitlerjungen und endsieggläubigen Flakhelfer mit Kunstneigungen und ohne Abitur hatte bald nach Kriegsende der Argwohn erfasst gegenüber den geistigen Zurüstungen und wortdröhnenden Ideologien der Zeit.”
Aber das Problem liegt tiefer. Zimmermann setzt Mitte der fünfziger Jahre ein, mit dem Auftreten von Grass als Schriftsteller. Grass ist unverbrüchlich der Moralist, der Sozialdemokrat, der wackere Streiter für Willy Brandt und Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Deswegen wirkt das Buch so veraltet. Es gehorcht den Prinzipien des demokratischen Zentralismus. Es folgt den Lehren Lenins. HELMUT BÖTTIGER
HARRO ZIMMERMANN: Günter Grass unter den Deutschen. Chronik eines Verhältnisses. Steidl-Verlag, Göttingen 2006. 588 Seiten, 28 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als "frisch veraltet" beurteilt Helmut Böttiger dieses Buch über Günter Grass und die Deutschen, das Harro Zimmermann verfasst hat. Veraltet wirkt das materialreiche Werk auf Böttiger allerdings nicht, weil die Waffen-SS darin fehlt. Schließlich ist er sich sicher, dass Grass? spätes Geständnis die Loyalität Zimmermanns seinem Helden gegenüber in keiner Weise angekratzt hätte. Veraltet wirkt das Werk auf Böttiger vielmehr deshalb, weil es Grass völlig unkritisch betrachtet. Dabei will er gar nicht in Abrede stellen, dass Grass gute Bücher geschrieben und auch oft Recht behalten hat. Aber dass Grass in vorliegendem Werk rüber kommt wie der "Mann, der immer recht hatte", stört den Rezensenten dann doch erheblich.

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