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Es ist 1953. Eldert Haman tritt eine Arbeitsstelle als Lehrer an in einem katholischen Internat. Bald schon überredet ihn Vater Benedictus, dem Kloster beizutreten und alles Weltliche aufzugeben. Eldert, ein Moralist und überzeugter Pädagoge, entscheidet sich für das Kloster - und gegen die attraktive Patricia, die ihn vor die Wahl zwischen mönchischem Leben und der Liebe stellt. Im Kloster wird er mehr und mehr zum Außenseiter, der mit ansehen muss, wie nicht nur ein Mönch psychische und sexuelle Gewalt gegen die Schüler ausübt. Gefangen in der Komplizenschaft mit einem diktatorischen System…mehr

Produktbeschreibung
Es ist 1953. Eldert Haman tritt eine Arbeitsstelle als Lehrer an in einem katholischen Internat. Bald schon überredet ihn Vater Benedictus, dem Kloster beizutreten und alles Weltliche aufzugeben. Eldert, ein Moralist und überzeugter Pädagoge, entscheidet sich für das Kloster - und gegen die attraktive Patricia, die ihn vor die Wahl zwischen mönchischem Leben und der Liebe stellt.
Im Kloster wird er mehr und mehr zum Außenseiter, der mit ansehen muss, wie nicht nur ein Mönch psychische und sexuelle Gewalt gegen die Schüler ausübt. Gefangen in der Komplizenschaft mit einem diktatorischen System und in Angst um seine Zukunft, gerät Eldert in ein Dilemma, aus dem ihn nur Patricia retten kann.
Jeroen Brouwers erzählt subtil und hautnah vom Internatsalltag mit all seinen unfassbaren Abgründen. Zwischen internen Machtkämpfen, pervertierten Weltansichten und Liebeseskapaden sucht Eldert nach einem Weg in eine bessere und für ihn "richtige" Zukunft.
Autorenporträt
Brouwers, Jeroen
Jeroen Brouwers, geboren 1940 im indonesischen Batavia, gilt als einer der wichtigsten niederländischen Autoren. In Deutschland erschien zuletzt der Roman Geheime Zimmer bei der DVA. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise, u.a. den Prijs der Nederlandse Letteren, den Multatuli Prize sowie 2015 den ECI Literatuurprijs. Brouwers lebt in Zutendaal, Belgien.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zwei niederländische Romane, die einiges gemeinsam haben, stellt Volker Breidecker vor: Jeroen Brouwers' "Das Holz" und A.F.Th. van der Heijdens "Das Biest". Beide handeln von sexuellem Missbrauch und seinen Folgen, beide spießen das engherzige katholische Milieu der niederländischen Nachkriegsgesellschaft auf, beide pflegen einen flamboyanten spätbarocken Stil und beide sind glänzend übersetzt, befindet Breidecker. Brouwers "Das Holz" erzählt zwar vom sexuellen Missbrauch von Kindern in einer katholischen Einrichtung. Man liest den Roman aber anders, so Breidecker, wenn man weiß, dass Brouwers selbst in einem solchen Internat erzogen worden war. Seine Mutter, die 1943 nach der japanischen Invasion in Indonesien mit ihrem Sohn in einem Gefangenenlager interniert wurde und wie alle Frauen massiver körperlicher und sexuelelr gewalt ausgesetzt war, hatte ihn nach der Ankunft in den Niederlanden dort hingegeben, erzählt Breidecker. Brouwers verzieh ihr das nie. Der Roman schildert detailliert, "pornografisch und zotig" die Demütigungen und Misshandlungen, die die Kinder über sich ergehen lassen müssen, so der Rezensent. Ihm imponiert die Sprachgewalt Brouwers, dessen Gleichsetzung von Katholizismus mit Faschismus schadet dem Roman jedoch, findet er. Als hätte es in protestantischen Einrichtungen keinen Kindesmissbrauch gegeben.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2016

Es
sind
Kinder
im
Raum
Jeroen Brouwers’ „Das Holz“
und A. F. Th. van der Heijdens
„Das Biest“ – zwei Romane
aus den Niederlanden
über sexuellen Missbrauch
VON VOLKER BREIDECKER
Der Schriftsteller Jeroen Brouwers wurde 1940 in Jakarta geboren, unter dem Namen Batavia damals noch die Hauptstadt Niederländisch-Indiens. Nach der japanischen Invasion von 1943 wurde die Familie auseinandergerissen und interniert und der Knabe an der Seite der Mutter in ein berüchtigtes Frauenlager verbracht, wo er erbarmungslose Gewalt und sadistische Grausamkeit mitansehen musste. Den alltäglichen Terror, die ritualisierten Körperstrafen, die Misshandlungen und die massive sexuelle Gewalt, die Frauen und Mütter unter den Augen ihrer Kinder erduldeten, schilderte Brouwers in dem 1984 erschienenen autografischen Roman „Versunkenes Rot“.
  Das Titelmotiv bezieht sich auf die durch brutale Gewalteinwirkung versehrte Vulva der Mutter, deren blutiger Anblick dem Knaben so unerträglich ist, dass die Mutter für ihn von diesem Moment an gestorben ist und auch alle künftigen Beziehungen zu Frauen problematisch werden. Als Mutter und Kind nach Kriegsende der Hölle, nicht aber deren Traumata entkommen, wird der Bruch ihrer Beziehung dadurch besiegelt, dass die Mutter den Knaben in eine Klosterschule schickt. Jeroen fühlt sich verraten und verkauft und entzieht sich der Mutter bis zu ihrem Tod.
  Der Leser, der um diese Hintergründe weiß, wird Brouwers jüngsten Roman „Das Holz“ anders lesen, als wenn er lediglich feststellt, dass der Autor sich offenbar von der um Jahrzehnte verspäteten Aufdeckung von Fällen sexuellen Missbrauchs an Schutzbefohlenen in katholischen pädagogischen Einrichtungen hat inspirieren lassen. Die Schilderung des Geschehens wird mit den Mitteln eines barocken Hyperrealismus überzeichnet. Und wenn es einen Schlüsselsatz gibt, der die Projektion der im japanischen Konzentrationslager erlebten Gewalterfahrungen auf ein ganz anderes, nämlich religiös-pädagogisches Umfeld verständlich macht, dann ist es ein Satz aus dem Munde des Ich-Erzählers. Sämtliche Gewalt- und Lagererfahrungen dieser Welt – „Gulag und Auschwitz, Atombomben und Napalm“ – will er hinter den Mauern eines von franziskanischen Klosterbrüdern betriebenen Internats wiederentdecken. Der Satz lautet: „Den Krieg werden wir nicht mehr los.“
  Gemeint ist der Zweite Weltkrieg, welcher der erzählten Zeit – der kurzen Spanne der Jahre 1950 bis 1953 – weiter seinen Stempel aufdrückt: Der Krieg hat die von ihm Versehrten und Traumatisierten, hat Witwen und Waisen zurückgelassen, und er spukt weiter in den Köpfen der Menschen. Er wird auf dem Schlachtfeld ihrer Leiber und Seelen ausgetragen – durch von nackter wie sexueller und sadistischer Gewalt verkorkste, frustrierte, unreife, obendrein noch immer vom Gift des Nazismus infizierte Erwachsene.
  Hier sind es Mönche vom „Orden der Armen Brüder des heiligen Franziskus“, deren unmenschlichster Vertreter sein auserwähltes Knabenopfer krankenhausreif schlägt, bevor er ihn vergewaltigt. Der detailliert geschilderte Gewaltakt ist für den Leser schwer erträglich. Das auch aus den Nachbarländern bekannte, lange Zeit tabuisierte Phänomen trifft im zölibatären katholischen Milieu auf günstige Voraussetzungen – auch des Schweigens –, es steht aber nur für eine von vielen Varianten des Grundproblems geschlossener Anstalten, gleich ob katholisch, protestantisch, weltlich oder was auch immer.
  Mit seiner furiosen Suada ist der monologisierende Ich-Erzähler lediglich Zeuge eines Geschehens, das seine Abscheu erweckt und mit ihr die Zweifel an seiner Eignung zum Klosterleben, in das er hineingeschliddert ist, samt zugehörigen Armuts- und Keuschheitsgelübden: „Wo tut’s denn weh, Bruder des heiligen Franz?“, fragt ihn – symbolträchtig – ein Zahnarzt. Für dessen Behandlungssitzungen erhält der Bruder Bonaventura die Genehmigung, die Klostermauern kurzzeitig zu verlassen. Natürlich ist es sein Geschlechtsorgan, das ihn plagt, auch wenn er, anders als manche seiner Mitbrüder, nicht den Knaben nachsetzt. Erleichterung verschafft er sich vielmehr durch exzessive Masturbation.
  Und doch naht für Bruder Bonaventura Erlösung in Gestalt einer mit allen Wassern gewaschenen jungen Witwe. Ihr Name wird bald durch das „X“ des unter ihrer Anleitung erlernten und auch praktisch durchbuchstabierten Wortes „Sex“ zum heilsbringenden Christogramm „PX“. Weder Erzähler noch Autor ficht es an, dass es gleich beim ersten Geschlechtsakt – in sprachlichem Widerspruch zur romantischen Erweckung – pornografisch und zotig zugeht. Ebenso in den sado-päderastischen „Parallelhandlungen“ des zunächst das Passions-„Holz“ seines Prügels und danach den „Klöppel“ seiner Begierden schwingenden, dazu schweinisch „grunzenden“ Schulleiters.
  Eine Klimax führt in diese Szenen. „Im Duschraum stehen die Jungen nackt herum, bevor sie in eine Kabine dürfen, Handtuch und Seifendose verlegen vor dem Unterleib. Tiburtius schwingt seine Rede. Über die Reinigung des Körpers. Jeden Freitag aufs Neue. Zur Demonstration zeigt er auf irgendeinen der Jungen, der mit hochrotem Kopf vor die Truppen nach vorne treten muss und nicht weiß, wie er gucken soll. Hände weg. Die Beurteilung dessen, was sich dahinter verbirgt, wird er auf dem Schulhof von seinen Kameraden zu hören bekommen.“
   Es bleibt nicht bei diesem Hervorzerren ins Sichtbare. Die Körper insgesamt werden physisch in Besitz genommen. „Der ehrwürdige Bruder labt sich an sadistischen Demütigungen. Der ehrwürdige Bruder befingert, betatscht, belauscht den reizenden Knaben. Der ehrwürdige Bruder zwingt den blonden Schüler, seinen Penis in den Mund zu nehmen. Der ehrwürdige Bruder penetriert den auserwählten Schüler mit dem Finger, mit der Zunge, mit dem Schwanz in der viel zu schmalen Öffnung, bis Blut fließt. Der ehrwürdige Bruder spritzt dem uns anvertrauten Zögling seinen Samen ins Gesicht. Dabei denken wir an die Güte des Heilands, dessen Leib wir täglich verzehren, und das Beispiel unseres Ordensgründers.“
  Außer drastisch pornografisch geht es auch noch blasphemisch zu. Hier posaunt einer seinen Hass auf alles Katholische in die Welt hinaus. In den mehrheitlich reformierten Niederlanden wirkt das freilich als Anbiederung, außer an militante Atheisten, an eingefleischte Katholikenfresser. Über die Gleichung „braun“ (Mönchskutte) = „braun“ (Faschismus) wird rückwirkend sogar der heilige Franziskus zum Nazi erklärt. Außerdem: „Hitler war Katholik.“ Andernorts sitzt der Erzähler als Alter ego des Autors aber auch über Christus und den Gott der Hebräer mit Hitler-Stalin-Vergleichen zu Gericht.
  Das vordergründige Anliegen, sexuellen Missbrauch anzuprangern, wird dadurch allerdings unglaubwürdig. Denn auch in den Niederlanden haben Untersuchungen ergeben, dass Missbrauch und Misshandlungen in katholischen Einrichtungen nicht häufiger vorkommen als in protestantisch-freikirchlichen und nicht-konfessionell gebundenen privaten oder staatlichen Anstalten. Zumindest dann, wenn sie – so schreibt des Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch in seinem „Sex ABC“ unter dem Stichwort „Missbrauch, sexueller“ – „wie Wagenburgen organisiert sind, nach außen abgeschottet und nach innen eine familienähnliche verschworene Gemeinschaft“. Wie die reformpädagogische „Odenwaldschule“ unter ihrem Schulleiter Gerold Becker.
  Und erst die „natürlichen“ Familien, aus denen noch weniger nach außen dringt: Beinahe nahtlos schließt daran die Lektüre von A. F. Th. van der Heijdens Roman „Das Biest“ an, ebenbürtig in seiner spätbarocken Bilderlust und Sprachmächtigkeit. Beide Romane bieten Glanzleistungen auch der Übersetzungskunst. Und wo sich bei Brouwers ein lüsternes „Hilfe, es brennt im Stall“ meldet, da lässt Van der Heijden einen Familienvater durch die eigene minderjährige Tochter deren Spielkameradin ausrichten: „Nico hat Bock“.
  Für Tientje hat die Sache Folgen, über die nicht gesprochen werden darf, die aber „weggemacht“ werden müssen. Dies übernimmt die Engelmacherin mit bloßen, unter den gespitzten Fingernägeln stark verschmutzten Händen, was die Kleine beinahe das Leben kostet, sie nach einer Notoperation für immer unfruchtbar macht. Aber kein Wort darüber, schon gar nicht, wenn es heißt: „Es sind Kinder im Raum.“ Und dabei bleibt es über Generationen – auch dieser Roman ist in einem stockkatholischen Milieu angesiedelt. Für Tientje, die für Jahre im Haus eingekerkert wird und dabei einen neurotischen Putzfimmel entwickelt, bleibt es beim einmal gepachteten Unglück, unterbrochen von rasender Wut, ewigem Zorn und unstillbarer Rachelust – bis zum Tag der Abrechnung.
  Auch Van der Heijden lässt allerhand Körperflüssigkeiten fließen, schwappen, spritzen, tränken, schmelzen, schmieren, spuken, sabbern, schleimen, schwitzen, eitern, rotzen, kotzen, sickern, schluchzen, fruchten und – wegspülen, als könnten die Niederlande doch noch einmal im Meer versinken. Die ganze zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts erscheint hier als familiäres Schreckenskabinett.
Viele geschilderte Szenen
sind kaum zu ertragen in ihrer
pornografischen Drastik
Misshandlungen kommen
vorzugsweise in abgeschotteten
Gemeinschaften vor
      
    
    
A.F.Th. van der Heijden:
Das Biest. Roman. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016.
304 Seiten, 24 Euro.
E-Book 20,99 Euro.
                
  
  
Jeroen Brouwers: Das Holz. Roman. Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby unter Mitarbeit von Herbert Post. Weissbook Verlag, Frankfurt 2016. 240 Seiten, 24 Euro. 20,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Es
sind
Kinder
im
Raum

Jeroen Brouwers’ „Das Holz“
und A. F. Th. van der Heijdens
„Das Biest“ – zwei Romane
aus den Niederlanden
über sexuellen Missbrauch

VON VOLKER BREIDECKER

Der Schriftsteller Jeroen Brouwers wurde 1940 in Jakarta geboren, unter dem Namen Batavia damals noch die Hauptstadt Niederländisch-Indiens. Nach der japanischen Invasion von 1943 wurde die Familie auseinandergerissen und interniert und der Knabe an der Seite der Mutter in ein berüchtigtes Frauenlager verbracht, wo er erbarmungslose Gewalt und sadistische Grausamkeit mitansehen musste. Den alltäglichen Terror, die ritualisierten Körperstrafen, die Misshandlungen und die massive sexuelle Gewalt, die Frauen und Mütter unter den Augen ihrer Kinder erduldeten, schilderte Brouwers in dem 1984 erschienenen autografischen Roman „Versunkenes Rot“.

  Das Titelmotiv bezieht sich auf die durch brutale Gewalteinwirkung versehrte Vulva der Mutter, deren blutiger Anblick dem Knaben so unerträglich ist, dass die Mutter für ihn von diesem Moment an gestorben ist und auch alle künftigen Beziehungen zu Frauen problematisch werden. Als Mutter und Kind nach Kriegsende der Hölle, nicht aber deren Traumata entkommen, wird der Bruch ihrer Beziehung dadurch besiegelt, dass die Mutter den Knaben in eine Klosterschule schickt. Jeroen fühlt sich verraten und verkauft und entzieht sich der Mutter bis zu ihrem Tod.

  Der Leser, der um diese Hintergründe weiß, wird Brouwers jüngsten Roman „Das Holz“ anders lesen, als wenn er lediglich feststellt, dass der Autor sich offenbar von der um Jahrzehnte verspäteten Aufdeckung von Fällen sexuellen Missbrauchs an Schutzbefohlenen in katholischen pädagogischen Einrichtungen hat inspirieren lassen. Die Schilderung des Geschehens wird mit den Mitteln eines barocken Hyperrealismus überzeichnet. Und wenn es einen Schlüsselsatz gibt, der die Projektion der im japanischen Konzentrationslager erlebten Gewalterfahrungen auf ein ganz anderes, nämlich religiös-pädagogisches Umfeld verständlich macht, dann ist es ein Satz aus dem Munde des Ich-Erzählers. Sämtliche Gewalt- und Lagererfahrungen dieser Welt – „Gulag und Auschwitz, Atombomben und Napalm“ – will er hinter den Mauern eines von franziskanischen Klosterbrüdern betriebenen Internats wiederentdecken. Der Satz lautet: „Den Krieg werden wir nicht mehr los.“

  Gemeint ist der Zweite Weltkrieg, welcher der erzählten Zeit – der kurzen Spanne der Jahre 1950 bis 1953 – weiter seinen Stempel aufdrückt: Der Krieg hat die von ihm Versehrten und Traumatisierten, hat Witwen und Waisen zurückgelassen, und er spukt weiter in den Köpfen der Menschen. Er wird auf dem Schlachtfeld ihrer Leiber und Seelen ausgetragen – durch von nackter wie sexueller und sadistischer Gewalt verkorkste, frustrierte, unreife, obendrein noch immer vom Gift des Nazismus infizierte Erwachsene.

  Hier sind es Mönche vom „Orden der Armen Brüder des heiligen Franziskus“, deren unmenschlichster Vertreter sein auserwähltes Knabenopfer krankenhausreif schlägt, bevor er ihn vergewaltigt. Der detailliert geschilderte Gewaltakt ist für den Leser schwer erträglich. Das auch aus den Nachbarländern bekannte, lange Zeit tabuisierte Phänomen trifft im zölibatären katholischen Milieu auf günstige Voraussetzungen – auch des Schweigens –, es steht aber nur für eine von vielen Varianten des Grundproblems geschlossener Anstalten, gleich ob katholisch, protestantisch, weltlich oder was auch immer.

  Mit seiner furiosen Suada ist der monologisierende Ich-Erzähler lediglich Zeuge eines Geschehens, das seine Abscheu erweckt und mit ihr die Zweifel an seiner Eignung zum Klosterleben, in das er hineingeschliddert ist, samt zugehörigen Armuts- und Keuschheitsgelübden: „Wo tut’s denn weh, Bruder des heiligen Franz?“, fragt ihn – symbolträchtig – ein Zahnarzt. Für dessen Behandlungssitzungen erhält der Bruder Bonaventura die Genehmigung, die Klostermauern kurzzeitig zu verlassen. Natürlich ist es sein Geschlechtsorgan, das ihn plagt, auch wenn er, anders als manche seiner Mitbrüder, nicht den Knaben nachsetzt. Erleichterung verschafft er sich vielmehr durch exzessive Masturbation.

  Und doch naht für Bruder Bonaventura Erlösung in Gestalt einer mit allen Wassern gewaschenen jungen Witwe. Ihr Name wird bald durch das „X“ des unter ihrer Anleitung erlernten und auch praktisch durchbuchstabierten Wortes „Sex“ zum heilsbringenden Christogramm „PX“. Weder Erzähler noch Autor ficht es an, dass es gleich beim ersten Geschlechtsakt – in sprachlichem Widerspruch zur romantischen Erweckung – pornografisch und zotig zugeht. Ebenso in den sado-päderastischen „Parallelhandlungen“ des zunächst das Passions-„Holz“ seines Prügels und danach den „Klöppel“ seiner Begierden schwingenden, dazu schweinisch „grunzenden“ Schulleiters.

  Eine Klimax führt in diese Szenen. „Im Duschraum stehen die Jungen nackt herum, bevor sie in eine Kabine dürfen, Handtuch und Seifendose verlegen vor dem Unterleib. Tiburtius schwingt seine Rede. Über die Reinigung des Körpers. Jeden Freitag aufs Neue. Zur Demonstration zeigt er auf irgendeinen der Jungen, der mit hochrotem Kopf vor die Truppen nach vorne treten muss und nicht weiß, wie er gucken soll. Hände weg. Die Beurteilung dessen, was sich dahinter verbirgt, wird er auf dem Schulhof von seinen Kameraden zu hören bekommen.“

   Es bleibt nicht bei diesem Hervorzerren ins Sichtbare. Die Körper insgesamt werden physisch in Besitz genommen. „Der ehrwürdige Bruder labt sich an sadistischen Demütigungen. Der ehrwürdige Bruder befingert, betatscht, belauscht den reizenden Knaben. Der ehrwürdige Bruder zwingt den blonden Schüler, seinen Penis in den Mund zu nehmen. Der ehrwürdige Bruder penetriert den auserwählten Schüler mit dem Finger, mit der Zunge, mit dem Schwanz in der viel zu schmalen Öffnung, bis Blut fließt. Der ehrwürdige Bruder spritzt dem uns anvertrauten Zögling seinen Samen ins Gesicht. Dabei denken wir an die Güte des Heilands, dessen Leib wir täglich verzehren, und das Beispiel unseres Ordensgründers.“

  Außer drastisch pornografisch geht es auch noch blasphemisch zu. Hier posaunt einer seinen Hass auf alles Katholische in die Welt hinaus. In den mehrheitlich reformierten Niederlanden wirkt das freilich als Anbiederung, außer an militante Atheisten, an eingefleischte Katholikenfresser. Über die Gleichung „braun“ (Mönchskutte) = „braun“ (Faschismus) wird rückwirkend sogar der heilige Franziskus zum Nazi erklärt. Außerdem: „Hitler war Katholik.“ Andernorts sitzt der Erzähler als Alter ego des Autors aber auch über Christus und den Gott der Hebräer mit Hitler-Stalin-Vergleichen zu Gericht.

  Das vordergründige Anliegen, sexuellen Missbrauch anzuprangern, wird dadurch allerdings unglaubwürdig. Denn auch in den Niederlanden haben Untersuchungen ergeben, dass Missbrauch und Misshandlungen in katholischen Einrichtungen nicht häufiger vorkommen als in protestantisch-freikirchlichen und nicht-konfessionell gebundenen privaten oder staatlichen Anstalten. Zumindest dann, wenn sie – so schreibt des Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch in seinem „Sex ABC“ unter dem Stichwort „Missbrauch, sexueller“ – „wie Wagenburgen organisiert sind, nach außen abgeschottet und nach innen eine familienähnliche verschworene Gemeinschaft“. Wie die reformpädagogische „Odenwaldschule“ unter ihrem Schulleiter Gerold Becker.

  Und erst die „natürlichen“ Familien, aus denen noch weniger nach außen dringt: Beinahe nahtlos schließt daran die Lektüre von A. F. Th. van der Heijdens Roman „Das Biest“ an, ebenbürtig in seiner spätbarocken Bilderlust und Sprachmächtigkeit. Beide Romane bieten Glanzleistungen auch der Übersetzungskunst. Und wo sich bei Brouwers ein lüsternes „Hilfe, es brennt im Stall“ meldet, da lässt Van der Heijden einen Familienvater durch die eigene minderjährige Tochter deren Spielkameradin ausrichten: „Nico hat Bock“.

  Für Tientje hat die Sache Folgen, über die nicht gesprochen werden darf, die aber „weggemacht“ werden müssen. Dies übernimmt die Engelmacherin mit bloßen, unter den gespitzten Fingernägeln stark verschmutzten Händen, was die Kleine beinahe das Leben kostet, sie nach einer Notoperation für immer unfruchtbar macht. Aber kein Wort darüber, schon gar nicht, wenn es heißt: „Es sind Kinder im Raum.“ Und dabei bleibt es über Generationen – auch dieser Roman ist in einem stockkatholischen Milieu angesiedelt. Für Tientje, die für Jahre im Haus eingekerkert wird und dabei einen neurotischen Putzfimmel entwickelt, bleibt es beim einmal gepachteten Unglück, unterbrochen von rasender Wut, ewigem Zorn und unstillbarer Rachelust – bis zum Tag der Abrechnung.

  Auch Van der Heijden lässt allerhand Körperflüssigkeiten fließen, schwappen, spritzen, tränken, schmelzen, schmieren, spuken, sabbern, schleimen, schwitzen, eitern, rotzen, kotzen, sickern, schluchzen, fruchten und – wegspülen, als könnten die Niederlande doch noch einmal im Meer versinken. Die ganze zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts erscheint hier als familiäres Schreckenskabinett.

Viele geschilderte Szenen
sind kaum zu ertragen in ihrer
pornografischen Drastik

Misshandlungen kommen
vorzugsweise in abgeschotteten
Gemeinschaften vor

      
    
    
A.F.Th. van der Heijden:
Das Biest. Roman. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016.
304 Seiten, 24 Euro.
E-Book 20,99 Euro.

                
  
  
Jeroen Brouwers: Das Holz. Roman. Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby unter Mitarbeit von Herbert Post. Weissbook Verlag, Frankfurt 2016. 240 Seiten, 24 Euro. 20,99 Euro.

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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de

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