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Die frühen Texte von Kenzabur e kreisen um das Problem auseinanderfallender Identitäten im Kontext der Krise des japanischen Subjekts nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie können als Dokumente der Ambivalenz ihrer Zeit gelesen werden, die nicht nur die Krise des modernen Subjekts bewirkt, sondern auch kritische Subjektivität, und damit engagierte Literatur, erst ermöglicht. Der Band enthält den Originaltext sowie die Erstübersetzung eines bisher nur vom Hörensagen bekannten skandalisierten Frühwerks des japanischen Nobelpreisträgers aus dem Jahr 1961, Seiji sh nen shisu - Tod eines politischen…mehr

Produktbeschreibung
Die frühen Texte von Kenzabur e kreisen um das Problem auseinanderfallender Identitäten im Kontext der Krise des japanischen Subjekts nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie können als Dokumente der Ambivalenz ihrer Zeit gelesen werden, die nicht nur die Krise des modernen Subjekts bewirkt, sondern auch kritische Subjektivität, und damit engagierte Literatur, erst ermöglicht. Der Band enthält den Originaltext sowie die Erstübersetzung eines bisher nur vom Hörensagen bekannten skandalisierten Frühwerks des japanischen Nobelpreisträgers aus dem Jahr 1961, Seiji sh nen shisu - Tod eines politischen Jungen in der von Irmela Hijiya-Kirschnereit bearbeiteten Übersetzung von Anton Wolf. In einem Essay zum Text, der die Radikalisierung eines jungen Mannes "vom Onanisten zum Terroristen" ( e) nachzeichnet und der mit der Ermordung eines Politikers und dem Selbstmord des Täters in der Haft ein aktuelles Ereignis aufgreift, wird gefragt: Was war das eigentliche Ärgernis des Textes? Wie wird das Verhältnis von Realität und Fiktion gestaltet? Was verbindet den Text mit anderen zeitgenössischen Erzählwerken? Was macht seine literarische Qualität aus? Und was bezweckte der Autor selbst mit dem Text und seinen ambigen Botschaften? Kenzabur es von ihm selbst so genannte "Drahtseilakte" geben Einblick in eine politisch und intellektuell brodelnde Zeit. Wir schauen in eine nahe Vergangenheit, in der die Literatur noch im Zentrum des geistigen und kulturellen Lebens stand und die öffentlichen Debatten entscheidend mitgestaltete.
Autorenporträt
e, Kenzabur Japanischer Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger von 1994.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2015

Das Ende der Selbstzensur eines Nobelpreisträgers
Kenzaburo Oe gibt seine seit 1961 nicht mehr publizierte Erzählung "Tod eines politischen Jungen" erstmals frei

Wenn in Japan ein Verleger nach der Publikation eines Textes eine schriftliche Erklärung folgenden Inhalts abgibt: "Wir gestehen offen ein, dass sich in besagtem Werk, ungeachtet seines fiktionalen Charakters, Elemente finden, die Unannehmlichkeiten bereitet haben, und bitten dafür zutiefst um Entschuldigung", dann ist dieser Text diskreditiert. So geschah es 1961 einer Erzählung von Kenzaburo Oe, dem späteren Literaturnobelpreisträger. Oe war damals 26 Jahre alt und galt als ein junger Wilder der japanischen Literatur. In seinen frühen Romanen und Erzählungen brachte er gesellschafts- und geschichtskritische Betrachtungen genauso zum Ausdruck wie explizite Sexualität. Letzteres bedeutete in der japanischen Literaturtradition zwar nichts Neues, doch im Zusammenhang mit der kritischen Haltung des Autors wurde das Verhalten von Oes Figuren als obszön empfunden - weil ihre sexuellen Handlungen wechselseitig mit den politischen Ansichten zur Charakterisierung herangezogen wurden. Damit, nicht mit der Explizität, war ein landesspezifisches Tabu berührt.

Oe hatte 1961 im Januarheft der Literaturzeitschrift "Bungakukei" eine lange Erzählung namens "Seventeen" veröffentlicht, die einen jungen Rechtsextremisten zum Gegenstand hat, der mit seinen Gesinnungsgenossen gegen die Studenten antritt, die 1960 auf die Straße gehen, um gegen den Sicherheitsvertrag zwischen Japan und den Vereinigten Staaten zu protestieren. Die realen Ereignisse waren die erste innere Zerreißprobe für die junge japanische Demokratie, und die resultierenden Gräben brachten Links- und Rechtsextremisten in eine Oppositionsstellung, die sich bis in die siebziger Jahre hinein ständig radikalisierte. Das spürten mehrere Schriftsteller voraus, besonders Yukio Mishima, der sich auf rechter Seite als politischer Ästhet profilierte, und auf der Gegenseite eben Oe, der dem siebzehnjährigen Protagonisten seiner Erzählung ein Psychogramm verpasste, das jeden nationalkonservativen Japaner empören musste. Und deren gab es auch nach der Kriegsniederlage von 1945 viele.

Oe arbeitete die tatsächlichen Ereignisse des Jahres 1960 in seine Literatur ein. Vor allem interessierte ihn die Ermordung von Inejiro Asanuma, des Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, durch den Schüler Otoja Yamaguchi, der zum Vorbild des namenlosen Siebzehnjährigen der Erzählung wurde. Einen Monat später veröffentlichte Oe wieder in der gleichen Zeitschrift eine zweite Erzählung, die zwar den Titel "Seiji shonen shisu" (Tod eines politischen Jungen), aber zugleich den Zusatz "Seventeen, Teil II, Ende" trug. Darin schilderte Oe die weitere Radikalisierung seines Ich-Erzählers bis hin zu einem Mord, der genau dem an Asanuma entspricht. Die Fortsetzung schließt mit dem Selbstmord des Siebzehnjährigen in Untersuchungshaft, auch das nach dem realen Vorbild geschildert.

Literarische Freiheit nahm sich Oe dagegen bei den Erlebnissen und Reflexionen seines Erzählers, aus denen er ein Generationenporträt der kurz vor Kriegsende Geborenen komponiert, die den verlorengegangenen Halt, den die Älteren noch im Nationalismus hatten, kompensieren müssen durch jeweils andere metaphysische Bezüge. War in "Seventeen" gerade die erwachende Sexualität ein Mittel der Neuorientierung, verabschiedet Oes Protagonist sich in der Fortsetzung nach einem deprimierenden Beischlaferlebnis davon und setzt sich eine symbolkräftige Gewalttat zum Ziel: "ich verachtete jetzt diese einzelnen, kleinen Erektionen und Orgasmen; ich sparte meine Samen und meine sexuelle Energie für die große Erektion, den großen Orgasmus, in den ich mein gesamtes Leben setzen würde, genau wie in meiner Offenbarung." Im Sterben für den durch die Entgöttlichung von 1945 gedemütigten japanischen Kaiser erkennt der Siebzehnjährige nun seinen Lebenszweck.

Als "Tod eines politischen Jungen" im Februar 1961 erschien, war gerade ein anderer Zeitschriftenverleger, der eine die nationalistische Kaisertreue kritisierende Erzählung veröffentlicht hatte, von einem jugendlichen Rechtsradikalen überfallen, seine Ehefrau dabei verletzt und eine Bedienstete ermordet worden. Vor diesem Hintergrund entstand die eingangs zitierte schriftliche Entschuldigung von Oes Verleger, die im Märzheft von "Bungakukei" erschien. Damit war aber auch der Schriftsteller selbst diskreditiert, und Oe zog einen konsequent japanischen Entschluss: Er verbot jeden Nachdruck der Erzählung - "Seventeen" dagegen wurde weiter publiziert - und ließ in Zusammenarbeit mit dem Verlag die entsprechenden Seiten aus sämtlichen Exemplaren des Februarheftes, deren man habhaft werden konnte, entfernen. Das betraf vor allem die Ausgaben, die in öffentlichen oder Universitätsbibliotheken lagen, so dass der Text tatsächlich kaum mehr aufgefunden werden konnte. Übersetzt werden durfte er natürlich auch nicht.

Kann man aber in unseren Tagen einen einmal publizierten Text der Öffentlichkeit konsequent entziehen? Was jahrzehntelang zu gelingen schien - vor allem durch die Rücksichtnahme in Japan auf Oes Entscheidung -, das scheiterte an den Verbreitungsmöglichkeiten des Internets, in dem sich vor ein paar Jahren eine unautorisierte Abschrift fand. Das wird Oe die Entscheidung erleichtert haben, nun doch eine Genehmigung für einen wortgenauen Nachdruck zu erteilen: an die deutsche Japanologin Imela Hijiya-Kirschnereit, die in der von ihr herausgegebenen Reihe "Iaponia Insula" (Iudicium Verlag) einen Band zur frühen Prosa von Kenzaburo Oe vorbereitete. Und wir haben das Glück, nicht nur den ersten japanischen Nachdruck von "Tod eines politischen Jungen" in diesem Buch zu finden, sondern auch eine kommentierte deutsche Übersetzung, die Anton Wolf, ein Schüler von Hijiya-Kirschnereit, unter ihrem Redigat angefertigt hat.

Sie liest sich gut, weil der seit der Nobelpreisverleihung auch im Westen vertraute Ton Kenzaburo Oes hier konsequent getroffen wird. Mit der Geburt seines behinderten Sohnes 1963 hat sich zwar das Themenfeld Oes mehr ins Private verschoben, doch seine spezifische Poetik einer durchaus auch mystisch grundierten Gesellschaftskritik, die sich des japanischen Natur- und Jenseitsverständnisses bedient, war schon in den Frühschriften angelegt. Durch die Überhöhung des Kaisers in der Gedanken- und Traumwelt des Ich-Erzählers von "Tod eines politischen Jungen" gibt es reichlich Gelegenheit, den späteren Oe schon vorwegzulesen. Leider haben Wolf und Hijiya-Kirschnereit sich bei einigen zeitgenössischen Wendungen für Aktualisierungen entschieden, um "vertrauter" zu klingen - eine ziemlich dumme Idee, wenn dadurch etwa "Wochenschau"- zu Fernsehkameras werden. Es sollte nicht darum gehen, "eine zeitgemäße Form für einen inzwischen schon historischen Ton zu finden" (Hijiya-Kirschnereit), sondern eine deutsche Übersetzung, die dieses Historische verdeutlicht, ohne unverständlich zu sein.

Dessen ungeachtet ist die Publikation eine literaturgeschichtliche Sensation, die um eine Studie zu Oes noch früheren Werken ergänzt wird, die Christoph Held, ein weiterer Hijiya-Kirschnereit-Schüler, geschrieben hat, und um eine Hinführung der Japanologin selbst zu der nun wieder zugänglichen Erzählung. Doch wer die Verstörung, die dieser Text immer noch zu erzeugen weiß, verspüren will, der lese das Buch besser auf japanische Weise: von hinten nach vorne, also erst Oes Erzählung und dann die erläuternden Texte. So wird der "Drahtseilakt", wie Oe selbst sein damaliges Schreiben bezeichnet hat, zum hochdramatischen Schauspiel. Über je weniger Netz man als Leser dabei verfügt, desto besser. Kenzaburo Oes Prosa will empfunden, nicht rationalisiert werden.

ANDREAS PLATTHAUS

Irmela Hijiya-Kirschnereit, Christoph Held: "Drahtseilakte". Der junge Kenzaburo Oe. Mit Originaltext und Erstübersetzung der Erzählung "Sheiji shonen shisu" - Tod eines politischen Jungen.

Aus dem Japanischen von Anton Wolf, überarbeitet von Irmela Hijiya-Kirschnereit. Iudicium Verlag, München 2015. 293 S., br., 32,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Für Uwe Schmitt gehört die Erzählung "Tod eines politischen Jungen" zu den besten Werken des japanischen Nobelpreisträgers Kenzaburō Ōe. Entsprechend begeistert zeigt sich der Rezensent davon, den Text 55 Jahre nach seiner Entstehung nun erstmals in einer deutschen Übersetzung lesen zu können. So wie die Japanologen Irmela Hijiya-Kirschnereit und Christoph Held in ihrem Buch ordnet auch Schmitt die Erzählung literarisch und historisch ein und betont dabei, wie soghaft und "beängstigend zeitlos" er Ōes Porträt eines rechtsextremen Attentäters findet. Die Sprache der Erzählung, die 1961 in einer Zeitschrift erschienen war, aber anschließend von Ōe selbst aus dem Verkehr gezogen wurde, ist in Schmitts Augen "getränkt von blumigem Hass, Gewalt- und Masturbationsfantasien wechseln mit Schwärmereien für den Kaiser". Warum der greise Autor nach jahrzehntelanger Selbstindizierung gerade jetzt einer Übersetzung zustimmte, kann sich der Kritiker allerdings nicht erklären.

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