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Die Nationale Volksarmee unterlag seit ihrer Aufstellung 1956 dem totalitären Führungsanspruch der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Die SED verfügte über einen eigenständigen Polit- und Parteiapparat, der nach sowjetischem Vorbild die militärische Führungsorganisation doppelte und der Staatspartei so einen unmittelbaren Zugriff auf die Truppe - unabhängig vom militärischen Befehls- und Meldeweg - sicherte. Frank Hagemann arbeitet in seiner Studie heraus, daß gerade viele Truppenoffiziere jenseits der grundsätzlichen Anerkennung des Primates der SED nicht bereit waren, sich ohne…mehr

Produktbeschreibung
Die Nationale Volksarmee unterlag seit ihrer Aufstellung 1956 dem totalitären Führungsanspruch der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Die SED verfügte über einen eigenständigen Polit- und Parteiapparat, der nach sowjetischem Vorbild die militärische Führungsorganisation doppelte und der Staatspartei so einen unmittelbaren Zugriff auf die Truppe - unabhängig vom militärischen Befehls- und Meldeweg - sicherte. Frank Hagemann arbeitet in seiner Studie heraus, daß gerade viele Truppenoffiziere jenseits der grundsätzlichen Anerkennung des Primates der SED nicht bereit waren, sich ohne weiteres den Parteiorganen in den Verbänden unterzuordnen. So zog der Grundwiderspruch von militärischer Führungsorganisation und Politsystem in der Praxis der Volksarmee zeitweise heftige Konflikte nach sich, denen die Parteiführung auch mit brachialen Methoden begegnete. Der Autor beleuchtet eingehend, wie im Spannungsfeld von ideologischen Normen, militärischen Notwendigkeiten und sowjetischen Fo rderungen die "führende Rolle" der SED in der Nationalen Volksarmee verwirklicht wurde, welche Schwierigkeiten daraus resultierten und wie man damit in Partei und Armee bis Ende der sechziger Jahre umging.
Autorenporträt
Hagemann, Frank
Jahrgang 1968, Eintritt in die Bundeswehr 1988, Ausbildung zum Offizier, 1991-1995 Studium der Geschichtswissenschaft und der Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr Hamburg, anschließend Verwendung im Truppendienst, von Ende 1996 bis 2001 Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam, 2001 Promotion.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Frank Hagemanns Studie "Parteiherrschaft in der NVA" hat Rezensent Karl Wilhelm Fricke rundum überzeugt. Wie Fricke ausführt, untersucht Hagemann darin, eingegrenzt auf die Jahre 1956-1971, die bestimmende Rolle der SED in der NVA - schließlich sahen sowohl Ulbricht wie Honecker die Führung durch die marxistisch-leninistische Partei als Schlüsselfrage. Hagemann lotet Wirksamkeit und Grenzen der Parteiherrschaft in der NVA aus, berichtet Fricke. Sein Befund sei eindeutig: bei aller politischen Zuverlässigkeit des Kaderbestandes habe es zwischen Kommandeuren und "Politruks" ständig Reibungen gegeben. "Der Alltag in der NVA", fasst Fricke zusammen, "wurde bei Bataillonskommandeuren und Kompaniechefs vorwiegend von professionellem Pragmatismus und soldatischem Selbstbewusstsein bestimmt, weniger durch 'sozialistisches Bewusstsein'." Nichtsdestoweniger sei die NVA bis 1989 militärisches Instrument einer sozialistischen Diktatur im Dienste der Partei geblieben.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2003

Sicherheit vor dem eigenen Volk
Der Nationale Verteidigungsrat und die DDR-Streitkräfte während der Ulbricht-Ära / Von Karl Wilhelm Fricke

Eine Revolution ist nur dann etwas wert, wenn sie sich zu verteidigen versteht." Dies Lenin-Wort hat die SED, solange sie in der DDR das Sagen hatte, als Maxime ihrer Militär- und Sicherheitspolitik begriffen und in Agitation und Propaganda bis zum Überdruß strapaziert. Von der Geschichte ist es auf paradoxe Weise bestätigt worden: Weil sie "nichts wert" war, hat es die SED 1989 nicht "verstanden", ihre "revolutionäre" Herrschaft zu verteidigen. Wie stark Lenins Doktrin die Militär- und Sicherheitspolitik der SED geprägt hat, veranschaulichen die zwei vorliegenden Monographien. Es handelt sich um vorzügliche und außerordentlich fundierte wissenschaftliche Studien zur Erforschung der Militär- und Sicherheitspolitik in der Ära Ulbricht.

Armin Wagner erarbeitet neue Erkenntnisse zur Sicherung der Macht unter der Diktatur der SED. Seine Untersuchung umspannt die Zeit zwischen dem Aufstand vom 17. Juni 1953 und dem Führungswechsel von Ulbricht zu Erich Honecker, der formell am 3. Mai 1971 vollzogen wurde. Forschungsgegenstand sind einerseits die sicherheits- und militärpolitischen Folgerungen, die Ulbricht aus der für ihn traumatischen Erfahrung der Juni-Erhebung zog, andererseits thematisiert er die Konsequenzen, die der DDR aus der Bündnispolitik und ihren Auflagen für die Landesverteidigung erwuchsen.

Die erste strukturelle Maßnahme der SED nach der Juni-Erhebung sah die Bildung spezieller Bezirks- und Kreiseinsatzleitungen unter Führung der jeweiligen Bezirks- und Kreisparteichefs vor. Durch operative Führung und Koordinierung von Sicherungskräften sollten fortan Streiks oder Unruhen in der DDR - anders als am 17. Juni - möglichst frühzeitig unterbunden werden können. Ulbrichts nächster Schritt bestand in der Schaffung einer (geheimen) Sicherheitskommission beim Politbüro, die nach längerem Hin und Her am 6. Juli 1954 erstmals zusammentrat. Die letztgültige Entscheidungshoheit des Politbüros, eigentlich aber Ulbrichts, blieb trotz dieser Kommission "in Grundsatzfragen unberührt".

Für das komplexe System zur Machtsicherung, dessen Auf- und Ausbau die SED nun forcierte, führt der Autor den originären Begriff einer "Sicherheitsarchitektur" ein. Während sie zunächst hauptsächlich den Schutz vor "Konterrevolutionären" und "Diversanten" im Innern bezweckte - Sicherheit vor dem eigenen Volk sozusagen -, änderte sich das in den späten fünfziger und in den sechziger Jahren. Angesichts des "imperialistischen Feindes" bestimmten mehr und mehr äußere Zielsetzungen die Sicherheits- und Militärpolitik der SED, zumal nach Schaffung der Warschauer-Pakt-Organisation 1955, der auch die DDR beitrat, und nach Umwandlung der Kasernierten Volkspolizei zur NVA (Nationalen Volksarmee), die übrigens 1956, im Jahr ihrer Gründung, bereits die Ist-Stärke von 85 650 Mann erreichte.

Aus der Sicherheitskommission ging durch gesetzliche Regelung vom 10. Februar 1960 der Nationale Verteidigungsrat der DDR hervor, wodurch formaliter aus dem Parteigremium ein Staatsgremium geworden war. Den Vorsitz behielt sich Ulbricht vor. Mit dem Verteidigungsgesetz vom 20. September 1961 wurde die Verortung des Verteidigungsrates in Herrschaft und Gesellschaft juristisch komplettiert. Seine personelle Zusammensetzung aus handverlesenen Kadern sowie seine Befugnisse und Zuständigkeiten gegenüber den "bewaffneten Organen" blieben gleichwohl weithin geheimnisumwoben.

Hier schafft Wagner restlos Klarheit. Konkret arbeitet er in seinem Buch heraus, wie der Verteidigungsrat im Sicherheits- und Militärbereich der DDR als oberstes Planungs- und Lenkungsgremium (wie zuvor die Sicherheitskommission) fungierte, auch hinsichtlich Rüstung und Militärökonomie. Zugleich aber macht er deutlich, daß in einschlägigen Grundsatzfragen stets das Politbüro der SED entschied, sofern ihm die politische und militärische Führung der Sowjetunion oder das Oberkommando der Warschauer-Pakt-Organisation überhaupt Handlungsspielraum beließen.

Ulbricht selbst, der sich allseitig kompetent dünkte, neigte lange Zeit dazu, möglichst viele Entscheidungen auch in der Militärpolitik persönlich an sich zu ziehen. Erst in den sechziger Jahren glaubte er sich durch Honecker entlastet, der ihn zunächst stützte und dann stürzte. Als für Sicherheitsfragen verantwortliches ZK-Sekretär und Politbüro-Mitglied sowie als Sekretär des Verteidigungsrates hatte er schon unter Ulbricht wachsenden Einfluß auf militärpolitische Entscheidungen. Für die groteske Militarisierung der DDR war nicht zuletzt er verantwortlich. Wagner stellt das Spannungsfeld zwischen dem militär- und sicherheitspolitischen Eigennutz der SED und speziell Ulbrichts, den imperialen Belangen der sowjetischen Vormacht und den Verpflichtungen der DDR gegenüber der Warschauer-Pakt-Organisation heraus: "Auf grundsätzliche Entscheidungen der Warschauer Vertragsorganisation besaß der Nationale Verteidigungsrat der DDR keinen Einfluß", so resümiert er nüchtern: "Ostdeutsche Vorstellungen fanden nicht über institutionelle Intervention, sondern auf der Ebene persönlicher Kontakte Gehör." Wenn überhaupt.

Frank Hagemann greift eine spezielle Problematik aus der Militärpolitik der SED auf, indem er - eingegrenzt auf die Jahre 1956 bis 1971 - die absolut bestimmende Rolle der SED in der NVA untersucht. Nach Auffassung Ulbrichts und Honeckers bedeutete "die Führung durch die marxistisch-leninistische Partei auch für die Armee eine Schlüsselfrage" - und danach hat die SED seit der Aufstellung erster militärischer Formationen in der sowjetischen Besatzungszone immer gehandelt. "Schon Anfang der fünfziger Jahre hatte sie zur Durchsetzung ihres Führungsanspruchs einen eigenständigen Polit- und Parteiapparat in der Kasernierten Volkspolizei aufgebaut, der nach sowjetischem Vorbild die militärische Führungsorganisation doppelte und der Staatspartei einen unmittelbaren Zugriff auf die Truppe - unabhängig vom militärischen Befehls- und Meldeweg - sicherte." Neben jedem Kommandeur stand der Politoffizier als Stellvertreter, in jeder Einheit der KVP existierte eine Parteiorganisation der SED.

1956 wurden die politischen Strukturen der KVP auch auf die NVA übertragen. Polit-Stellvertreter der Kommandeure und Parteisekretäre als Chefs der Parteiorganisationen wurden auf allen Ebenen bis hin zur Kompanie etabliert. Mobilisierung, politische Disziplinierung und ideologische Erziehung - darin lag für die SED der Sinn von Parteiarbeit in der Armee. Überwachung und Spionageabwehr dagegen waren Sache der Staatssicherheit, die in den Streitkräften über einen eigenen Apparat verfügte.

Ein halbes Jahr nach Errichtung der Berliner Mauer wurde durch Gesetz vom 24. Januar 1962 in der DDR die Allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Die NVA sollte nun erst recht "Schule der politisch-militärischen Ausbildung und Erziehung" sein. Doch da sich die Politoffiziere in der Armee (und in den Grenztruppen) auf politische Aufgaben keineswegs beschränkten, sondern sich auch in militärische Entscheidungen einmischten, waren Spannungen zwischen ihnen und den Militärs dauerhaft programmiert.

Hagemann lotet Wirksamkeit und Grenzen der Parteiherrschaft in der NVA aus. Sein Befund ist eindeutig. Bei aller politischen Zuverlässigkeit des Kaderbestandes gab es zwischen Kommandeuren und "Politruks" ständig Reibungen. "Das von der SED propagierte ,Leitbild eines Parteifunktionärs in Uniform', welches für Truppen- und Politoffiziere gleichermaßen Geltung haben sollte, ließ sich im Offizierkorps der NVA allen Anstrengungen zum Trotz nicht durchsetzen." Der Alltag in der NVA wurde bei Bataillonskommandeuren und Kompaniechefs vorwiegend von professionellem Pragmatismus und soldatischem Selbstverständnis bestimmt, weniger durch "sozialistisches Bewußtsein".

Die mit der politischen Arbeit in der NVA verbundenen Hoffnungen der SED erfüllten sich nicht. Ihre Erfolge waren beschränkt, wie sich an "besorgniserregenden Vorkommnissen" ablesen ließ. Disziplinverstöße, Alkoholismus, Schikanen, Befehlsverweigerung, Gewalttätigkeit, Suizide, Straftaten und Desertionen - nichts war der NVA fremd. Hagemann warnt allerdings vor Fehleinschätzung: "Die Nationale Volksarmee war und blieb bis 1989 das militärische Instrument einer sozialistischen Diktatur. Sie stand im Dienste der Partei."

Armin Wagner: Walter Ulbricht und die geheime Sicherheitspolitik der SED. Der Nationale Verteidigungsrat der DDR und seine Vorgeschichte (1953 - 1971). Ch. Links Verlag, Berlin 2002. 615 Seiten, 34,80 [Euro].

Frank Hagemann: Parteiherrschaft in der NVA. Zur Rolle der SED bei der inneren Entwicklung der DDR-Streitkräfte (1956 - 1971). Ch. Links Verlag, Berlin 2002. 266 Seiten, 24,90 [Euro].

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