Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 2,50 €
  • Broschiertes Buch

Gronemeyer zeigt, dass die Zerstörung der afrikanischen Lebenswelt - der Familie, der Subsistenz, der Normen - die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des Virus geschaffen hat. Aids ist in Afrika eine Modernisierungskatastrophe. Der Autor hat zahlreiche Gespräche mit Experten und mit Betroffenen geführt. So stirbt man in Afrika an Aids ist ein leidenschaftliches Plädoyer für einen respektvollen Umgang mit den kulturellen und sozialen Traditionen Afrikas im Kampf gegen Aids.

Produktbeschreibung
Gronemeyer zeigt, dass die Zerstörung der afrikanischen Lebenswelt - der Familie, der Subsistenz, der Normen - die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des Virus geschaffen hat. Aids ist in Afrika eine Modernisierungskatastrophe. Der Autor hat zahlreiche Gespräche mit Experten und mit Betroffenen geführt. So stirbt man in Afrika an Aids ist ein leidenschaftliches Plädoyer für einen respektvollen Umgang mit den kulturellen und sozialen Traditionen Afrikas im Kampf gegen Aids.
Autorenporträt
Prof. Dr. Dr. Reimer Gronemeyer, geb. 1939, Studium der Theologie in Hamburg, Heidelberg und Edinburgh, dann lutherischer Pfarrer in Hamburg ist seit 1975 Professor für Soziologie an der Universität Gießen. Er ist Mitleiter des Graduiertenkollegs 'Palliative Care' am IFF Wien, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz und Mitglied der Arbeitsgruppe Sterbebegleitung im Hessischen Sozialministerium.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.11.2002

Tod und Tabu
Eine düsteres Resümee der Aids-Aufklärungskampagnen in Afrika
REIMER GRONEMEYER: So stirbt man in Afrika an Aids – Warum westliche Gesundheitskonzepte im südlichen Afrika scheitern. Eine Streitschrift, Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt 2002. 176 Seiten, 15,90 Euro.
Eine Streitschrift verfasst, wer aufrütteln will. Der Missstand, dem der Soziologe Reimer Gronemeyer sein Buch widmet, das als Streitschrift firmiert, ist in der Tat unerträglich: 6230 Aids-Tote pro Tag in Afrika, obwohl die Vereinten Nationen den Feldzug gegen die Seuche auf ihre Fahnen geschrieben haben, Pharmakonzerne nach massiver Kritik Aids-Medikamente wesentlich billiger oder sogar kostenlos abgeben und eine vielköpfige Helfer- Armada im Einsatz ist. Der HI-Virus, den fast ein Drittel der sexuell aktiven Bevölkerung im südlichen Afrika in sich trägt, breitet sich weiter aus, wenngleich es mit dem Kondom ein einfaches Mittel dagegen gibt.
Aber die Männer in Afrika, so scheint es, mögen den Gummi nicht. Woran liegt das, und warum bestehen die Frauen nicht darauf, dass ihre Partner Kondome anlegen? Die Erforschung dieser Fragen erfordert Taktgefühl und die Kenntnis von Regeln und Tabus in Gesellschaften, in denen über Sexualität nicht gesprochen wird. Gronemeyer, Professor in Gießen, hat mit seinem Team in Namibia mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft zahlreiche Interviews geführt. Auf die Titelfrage des Buches, „warum westliche Gesundheitskonzepte im südlichen Afrika scheitern”, erhielten die Deutschen aber offenbar keine Antwort.
Stattdessen liefert Gronemeyer Momentaufnahmen vom Leben unter dem Aids-Regime. Mütter, die zu schwach sind, um für ihre Kinder Essen zu kochen, und Aids-Waisen, die für noch jüngere Geschwister sorgen müssen, haben die Wissenschaftler in der Township Katutura nahe Windhuk und in abgelegenen Rundhütten-Gehöften aufgesucht. Warum sich die Menschen trotz Aufklärungs- und Präventionskampagnen angesteckt haben, erfährt der Leser nicht. Dabei geht es hier nicht um Aids-Voyeurismus, sondern um Erkenntnisse über Lebens- und Sexualverhältnisse, die den Virus ungebremst weitertransportieren.
Dass afrikanische Liebespaare Sexualität nicht von Fruchtbarkeit und Fortpflanzung trennen wollen, gilt für den früher als Pastor tätigen Autor als eine Grunderkenntnis. Erst ganz am Ende des Buches erzählt ein 21-Jähriger, wie er sich gleich beim ersten Geschlechtsverkehr angesteckt hat: „Sie war ein so hübsches Mädchen, sie hat so schön ausgesehen.” Derartige Verwirrung bei der ersten Liebe ist allerdings nicht spezifisch afrikanisch.
Fatale Regierungspolitik
Jenseits der Übermacht der Gefühle gibt es allerdings Faktoren, die Aids begünstigen. Untersuchungen aus Zimbabwe zeigen, dass Verletzungen produzierende Sexualpraktiken, Machtverhältnisse in sexuellen Beziehungen, die der Frau ein „Nein” unmöglich machen, und ein schlechter allgemeiner Gesundheitsstatus die Ansteckungsgefahr insbesondere für Frauen erhöhen.
Die zerstörerischen und selbstzerstörerischen Beziehungsaspekte zwischen Mann und Frau im südlichen Afrika erwähnt der Autor höchstens beiläufig, wenn er auf die horrende Zahl von Vergewaltigungen hinweist. Kaum ein Wort auch zur fatalen Regierungspolitik, deren Vertreter lieber schweigen, als offensiv aufzuklären. Um so mehr Seiten verwendet Gronemeyer unter dem wohlfeilen Schlagwort der Globalisierung auf die Bedingungen, unter denen sich die Seuche ausbreitet. Lastwagenfahrer, die entlang ihrer Routen mit jedem ungeschützten Geschlechtsverkehr den Virus verteilen, werden ebenso als Sinnbilder der dekadenten Konsumgesellschaft ins Feld geführt wie Schülerinnen, die „für eine Cola” Sex mit älteren Männern haben. Die Informationen stammen nicht aus erster Hand, sondern von Angehörigen des „Aids-Bekämpfungskomplexes” aus Aids-Beratern, Ärztinnen und medizinischem Personal, deren Erfolglosigkeit Gronemeyer wortreich geißelt.
„Edle Formen der Armut”
Nun gehört Polemik zum Wesen einer Streitschrift. Überzeugend ist sie, wenn über gelungene Formulierungen hinaus die Gedanken neu und die Beweisführungen einleuchtend sind. Ein Lobgesang auf Tradition und Subsistenz, gar auf „edle Formen der Armut” in den Rundhütten, schafft dagegen keine neue Erkenntnis, sondern wirkt zynisch angesichts des Lebensstandards in Europa und der Hoffnungen afrikanischer Dorfbewohner auf ein Leben jenseits des eigenen Maisfeldes.
Unredlich wird der Autor, wenn er den Eindruck erweckt, seine Bestandsaufnahme gelte für den gesamten Kontinent. Noch vor zehn Jahren spielte Uganda in puncto Aids die Rolle, die heute dem südlichen Afrika zukommt: Horrende Infektionsraten und entvölkerte Landstriche prägten das Bild, nachdem Lastwagenfahrer und marodierende Soldaten den Virus verbreitet hatten. In Uganda machte die Regierung das Thema aber zur Chefsache, brach das Tabu. HIV-Infizierte engagierten sich in Aufklärungskampagnen, Männer gewöhnten sich an Kondome. Heute ist Uganda aus den Aids-Schlagzeilen verschwunden, die Infektionsrate der besonders gefährdeten Gruppe junger Frauen liegt weit unter zehn Prozent. Diese afrikanische Erfolgsgeschichte erzählt Reimer Gronemeyer nicht.
GABY MAYR
Die Rezensentin ist Historikerin und Journalistin in Bremen.
Ein Schicksal unter vielen: In einer Hütte in Durban betreut ein Mädchen seine aidskranke Mutter. 40 Prozent aller Einwohner sind in dieser Region Südafrikas infiziert.
Foto: Sepp Spiegl/SZ
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Während sich in Afrika mit Ausbreitung von Aids eine humanitäre Katastrophe ungeahnten Ausmaßes anbahnt, kursiert hierzulande noch immer die Meinung, den sexuell unkontrollierten Afrikanern sei nicht zu helfen. Reimer Gronemeyer sieht darin die Fortschreibung alter, wirkungsmächtiger Vorurteile über Afrika und die Afrikaner, berichtet Rezensent Andreas Eckert. Jenseits dieser Vorurteile will Gronemeyer eine Antwort auf die Frage finden, warum westliche Gesundheitskonzepte in Afrika scheitern, erläutert Eckert. Dabei präsentiert der Soziologe nach Ansicht des Rezensenten "viele nachdenkenswerte Einsichten". Allerdings werde seine Analyse immer wieder durch "Essenzialismen und ahistorische Sozialromantik" getrübt. Aids in Afrika ist für Gronemeyer vor allem ein "Modernisierungs-" beziehungsweise "Globalisierungsproblem" - die westlichen Kulturen hätten durch Missionierung, Kolonialismus, Entwicklungshilfe und Ökonomisierung die afrikanische Lebenswelt zerstört und damit erst die Voraussetzung für das Übel geschaffen, das sie nun bekämpften, referiert der Rezensent. Gronemeyers Kritik an den "Gesundheitskriegern" geht Eckert dann allerdings zu weit. Zwar räumt er ein, dass Aids auch ein Milliardengeschäft sei, doch findet er Gronemeyers Darstellung des Sachverhalts zu eindimensional. Für problematisch hält er zudem dessen sozialromantische Konstruktion einer afrikanischen Alterität. "Ein aufrüttelndes und ärgerliches Buch zugleich", resümiert der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr