Produktdetails
  • Verlag: Pendo Verlag
  • ISBN-13: 9783858423665
  • ISBN-10: 3858423661
  • Artikelnr.: 24290789
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2001

Kullernde Katzenköpfe
Grausige Griechen: Christina Buchmüller bemüht den Mythos

Wer bedeutungsträchtige Wortspiele liebt, braucht bei diesem Buch nicht lange zu suchen. Schon der Titel lädt zu tiefsinnigen Spekulationen ein. Denn Mona, die junge Heldin des Romans, liebt Anders, den spröden Schauspieler, der allerdings immer wieder aus der engen Zweisamkeit ausbricht. Für Mona ist das freilich kein Grund, ihre Bindung an ihn aufzugeben, schließlich - wir ahnen es seit der ersten Seite - liebt sie anders, anders als die vielen jungen Menschen ihrer Umgebung, die sich dem Zeitgeist der späten sechziger Jahre ergeben und die Parolen der Hippie-Bewegung auf ihre Bettlaken geschrieben haben: "Make love, not war".

Die Andersartigkeit von Monas Liebe erklärt Christina Buchmüller zu einem großen Geheimnis, das erst am Ende gelüftet wird. Zunehmend häufen sich jedoch die Hinweise darauf, was es tatsächlich mit der Beziehung auf sich hat. Zur Zürcher Künstlerszene, in der das junge Paar zunächst zusammenlebt, gehört auch der Maler Albrecht, dem es vor allem der Mythos von der Nymphe Echo und dem selbstverliebten Jüngling Narziß angetan hat. Davon aber existiert, so werden wir mit dem Zaunpfahl belehrt, noch eine unbekannte, inzestuös gefärbte Variante, "in der Narziß seine Schwester sucht, die im Teich ertrank. Diese Griechen schreckten vor nichts zurück."

Auch die Autorin läßt sich durch nichts aufhalten, wenn es darum geht, die Handlung ihres Romans symbolisch aufzuladen. In Wien tritt Anders passend in der "Antigone" auf, dem antiken Meisterwerk über unerschütterliche Geschwisterliebe. Die Affäre mit einer anderen beichtet er Mona vor der Kulisse eines mediterranen Vulkanausbruchs - man ahnt das Grollen der olympischen Götter. Und wenn man bei allen penetranten Fingerzeigen noch nicht verstanden hätte, was Mona schicksalsschwer an ihren Anders bindet, der sie vor Jahren von der Last ihrer Jungfräulichkeit befreit hat, würde man spätestens bei den Andeutungen über Monas Kindheit hellhörig: Die Mutter starb früh, der Vater vergnügte sich mit wechselnden Freundinnen, und wann immer die Tochter männliche Nähe suchte, wurde sie zu ihrem Bruder geschickt. Ist das der Stoff, aus dem moderne Tragödien gewirkt sind?

Kein Zweifel, Christina Buchmüller ist von dem tragischen Gewicht ihrer Inzest-Geschichte tief überzeugt. Mit geradezu majestätischem Ernst erzählt sie von Monas lebensbestimmender Liebe, von Erlebnissen in Zürich, Wien und Paris. Für ein Trauerspiel von antiken Dimensionen sind diese Kulissen aber denkbar ungeeignet, denn im Milieu der Schauspieler, Kunsthändler, Indien-Freaks und Modeschöpfer erregt Monas Neigung zu ihrem Bruder kaum Aufsehen und erst recht keinen Anstoß: Wo alles erlaubt ist, gibt es keinen Frevel und auch keine strafenden Götter mehr.

Während Mona unter den immer längeren Abwesenheiten ihres Bruders leidet, kann sie sich auf einen anderen Begleiter sicher verlassen. Die schöne Siamkatze Nur bleibt fast anderthalb Jahrzehnte lang an ihrer Seite, anhänglicher als Anders und ihm doch auf seltsame Weise verbunden. Denn Nurs Verhalten und ihr Gesundheitszustand spiegeln zuverlässig den Status der Geschwisterliebe: Kaum läßt sich Mona zum ersten Mal mit einem anderen Mann ein, zerreißt das gescheite Tier einen Rosenkranz und macht Radau mit den umherkullernden Perlen. Sein qualvolles Sterben schließlich, mit tiermedizinischer Genauigkeit geschildert, ist mit der Einsicht seiner inzwischen vierzigjährigen Besitzerin verknüpft, daß die erotische Einheit mit dem Bruder endgültig vorüber ist.

Schon in ihrem ersten Roman "Winterhaus", einer komplizierten Familiengeschichte aus der Schweiz, hatte Christina Buchmüller von der Liebe eines Mädchens zu einer Katze erzählt. Originalität kann die Autorin mit diesem Motiv aber kaum für sich beanspruchen, ist doch die Verbindung von weiblicher Empfindsamkeit und eigenwilligem Katzenleben längst zu einem Klischee erstarrt. Immerhin gelingt Buchmüller die Beschreibung der Symbiose von Mensch und Tier überzeugender als Einblicke in die Figurenpsychologie oder die großstädtischen Milieuschilderungen. Der eitle Galeriebesitzer Hugo, die überdrehte Schauspielerin Judith, der gerissene Geschäftsmann Selim: Sie alle betreten die Bühne dieses Romans, ohne daß die Erzählerin wirklichen Anteil an ihnen nimmt, weshalb ihr Schicksal denn auch dem von Statisten gleicht - man vergißt sie, sobald sie nicht mehr gebraucht werden.

Auch das Zeitkolorit, an dem Buchmüller offenkundig viel liegt, bleibt erstaunlich blaß. Von den Verlockungen eines freien Lebens abseits der bürgerlichen Konvention ist immer wieder die Rede; eine Zeitlang lebt Mona sehr malerisch in einem Möbellager inmitten von Glastischen und Schaufensterpuppen. Weshalb aber ihr jahrelanger Aufenthalt in Paris illegal bleibt und sie komplizierte Manöver gegenüber den Behörden ersinnen muß, gehört zu den vielen Rätseln dieses Romans. Man verliert zunehmend die Lust, dergleichen Geheimnisse aufzuklären. Vielleicht liegt die Lösung ja in der Einsicht, daß sich die Geschichte einer außergewöhnlichen Liebe auch anders erzählen ließe, ganz anders.

SABINE DOERING

Christina Buchmüller: "Anders". Roman. Pendo Verlag, Zürich und München 2000. 187 S., geb., 29,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

An ein impressionistisches Gemälde hat der zweite Roman der 1948 geborenen Autorin die Rezensentin Elsbeth Pulver erinnert: viele weiße Flecken in einer "subtilen Komposition" des Erzählten und Angedeuteten. Es geht darin um die Liebe, nämlich die zwischen Mona und Anders, respektive Echo und Narziss; die Handlung bewegt sich im Milieu des Mode- und Photogeschäfts zwischen Zürich, Paris und schließlich der Rückkehr der Protagonistin Mona in die Schweiz. Durch immer wieder "atmosphärisch dicht beschriebene" Randbehausungen ziehend und im Hin und Her vieler Begegnungen ringt sich Mona am Ende zu einer eigenen Stimme (nicht mehr nur Echo!) und Lebenshaltung durch. Eine "überaus interessante Variante" des in der Schweizer Literatur recht bekannten Motivs "Heimkehr aus der Fremde", findet Elsbeth Pulver.

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