Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 15,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Lenos
  • Originaltitel: L' Homme foudroye
  • 2000.
  • Seitenzahl: 495
  • Deutsch
  • Abmessung: 200mm
  • Gewicht: 484g
  • ISBN-13: 9783857873003
  • ISBN-10: 3857873000
  • Artikelnr.: 08928498
Autorenporträt
Blaise Cendrars, geboren 1887 als Frédéric Louis Sauser in La Chaux-de-Fonds. Mit sechzehn lief er von zu Hause weg und kam nach längeren Reisen durch Russland, die Mandschurei und China 1910 erstmals nach Paris. Freundschaft u.a. mit Apollinaire, Chagall, Robert und Sonia Delaunay, Léger, Modigliani. Spätere Reisen führten den Schriftsteller u.a. nach Rom (1921), Brasilien (1924-1928) und Spanien (1931). Ab 1950 lebte Cendrars in Paris, wo er 1961 starb. Sein Gesamtwerk umfasst rund vierzig Bände.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000

Mit dem Auto in die Akademie der kleinen Chaplins
Die blinkenden Signallampen der Poesie: Die Wiederkehr des Blaise Cendrars / Von Volker Breidecker

In der Galerie der dickköpfigen und kriegsversehrten Artisten vom Schlage eines Max Beckmann oder Fernand Léger ist noch Platz für einen einarmigen Poeten: Blaise Cendrars war einer jener wirbelnden Draufgänger und tollkühnen Tausendsassas, die es den Kuratoren künftiger Museen des zwanzigsten Jahrhunderts beispielsweise unmöglich machen, die bildende Kunst, die Fotografie und den Film, die Literatur und die populäre Musik in getrennten Abteilungen unterzubringen. Die Tastatur seiner Schreibmaschine bediente er mit derselben Verve, wie andere die Leinwände bemalten, die Kameraobjektive schwenkten oder die Tanzbeine schwangen. Wer die Ausgrabungsstätten, Bilderwelten und Zeichenvorräte der Moderne besichtigt, wird ihm buchstäblich an allen Ecken und Enden über den Weg laufen, auch ohne zu wissen, woher Cendrars eigentlich kommt und wohin er gehört.

Diese Unbestimmtheit ist ganz im Sinne eines Autors, der seinen angenommenen Namen der Asche (französisch cendre) entlehnte: "Denn Schreiben bedeutet lebendigen Leibes verbrennen, bedeutet aber auch aus der Asche wiedergeboren werden."

So pathetisch darf nur einer schreiben, der von den Brandmalen des Jahrhunderts gezeichnet und vom gelebten Leben wie vom Blitz geschlagen (französisch foudroyer) ist. Der Satz steht am Anfang des 1945 in Paris erschienenen Buchs "L'Homme foudroyé", in dem Cendrars, der während der Zeit der deutschen Besatzung in Aix-en-Provence untergetaucht war, die Menschen, Dinge und Schauplätze seines Lebens aus der doppelten Perspektive der Erinnerung des einstigen Stellungskriegers von 1914 und der Gegenwart des zurückgezogenen Schriftstellers von 1944 Revue passieren läßt. Entlang seiner Lebensspur, die zum Zeitpunkt des Schreibens von neuem auf einen passiven Wartestand festgenagelt war, auf eine bedrückende Erstarrung, die nach einem blitzartigen Bewegungsschub verlangte - Cendrars' unübersetzbares Schlüsselwort für diese Generationserfahrung heißt "cafard" -, schildert er, ausgehend von seinen früheren Kriegserlebnissen und im steten Wechselgang auf der Zeitachse nach vorne und wieder zurück, die bewegten Jahre vor und zwischen den beiden Weltkriegen. Es sind durchweg verschüttete Geschichten, und ihre Lokale reichen von den Schützengräben des Ersten Weltkriegs über den Alten Hafen von Marseille - Europas heimlichem Mittelpunkt bis zu seiner Sprengung Anfang 1943 durch die SS -, nach der Pariser Banlieue, dem einstigen Umschlaghafen für Europas fahrende Völker. Unter dem Titel "Die Signatur des Feuers" und in der kongenialen, einem Feuerwerk auch der sprachlichen Eingebungen folgenden Übersetzung von Giò Waeckerlin Induni ist dieses Buch der Erinnerung jetzt erstmals vollständig auch auf deutsch zugänglich. Hier war es in den sechziger und siebziger Jahren lediglich in zerstückelten Auszügen oder in kunterbunt zusammengewürfelten Anthologien greifbar. Erst jetzt liest es sich wie ein atemberaubender Reisebericht aus einem zum Zeitpunkt seiner Niederschrift bereits versunkenen Europa.

Bei einem Autor von der Statur eines modernen Barons Münchhausen erübrigt sich die Frage, ob man es hier mit einer Lebensschilderung, mit Bekenntnissen oder mit einem Roman zu tun hat: Blaise Cendrars, 1887 noch als Frédéric Louis Sauser in der Schweizer Gebirgsstadt La Chaux-de-Fonds geboren, ist eine selbstgeschaffene Kunstfigur, die sich in jedem von ihr bedienten Medium und Metier, in jeder Gattung und an jedem Ort niemals länger aufhielt, als sie zum Hinterlegen von Spuren benötigte. Sobald es Cendrars irgendwo zu eng oder zu laut wurde, begab er sich an Bord eines Überseeschiffes, oder er bestieg sein Lieblingsgefährt, den Alfa Romeo mit der von Georges Braque entworfenen Karosserie, und machte sich auf und davon.

Die Nationalstraße 10 besingt er von ihrem Anfang beim Portikus von Notre-Dame bis zu ihrem fernen, nach Asunción in Paraguay verlegten Ende: "Mein Motor brummt. Mein Kopf summt. Ich flitze geradeaus und sehe mich im Rückspiegel. Hinter jeder Biegung der Landstraße habe ich eine Liebe." Das war ein wenig übertrieben, doch Cendrars folgte der Devise: "Quand tu aimes il faut partir" - "wenn du liebst, geh auf Reisen". Sie schützte vor Abnutzung und versprach noch in der trennenden Abschiedsgeste die Aussicht auf Wiederkehr. Vielleicht kehrt Cendrars auch deshalb erst heute, nach dem Versiegen der großen Ideen und dem Verhallen der einst aus monotonen Schalltrichtern tönenden Manifeste, wieder zurück. Dabei wirkt er so taufrisch, als sei er soeben erst dem Urknall seines Säkulums entronnen, auch um den Beweis dafür zu erbringen, daß das letzte Wort über das Jahrhundert noch lange nicht gesprochen ist.

Cendrars hinterließ ein mehr als vierzig Bände umfassendes literarisches Werk, dem es innerhalb wie außerhalb seiner französischen Wahlheimat schwerfiel, sich gegenüber der abenteuerlichen Legende des schnellebigen Autors zu behaupten. Der Globetrotter hatte einen Teil seiner Kindheit in der Hafenstadt Neapel verbracht, bevor er als Halbwüchsiger von zu Hause nach Rußland ausriß, um sich auf der Großbaustelle der Transibirischen Eisenbahn bis nach China durchzuschlagen. Über New York war er nach Frankreich eingewandert, wo er sich bei Kriegsausbruch der Fremdenlegion anschloß.

Wie sein Freund Léger, mit dem er im Buch den Pariser Vorstadtgürtel durchstreift und den er in die von Zigeunern betriebene "Akademie der kleinen Chaplins" einführt, liebte Cendrars wirbelnde Hüte, blinkende Signallampen und die Rhythmen des modernen Lebens. Für Abel Gance' legendären Film über das rotierende Rad ("La Roue") assistierte er, und mit gutem Recht hätte er sich den ersten Autorenfilmer der Filmgeschichte nennen können, wäre nicht bei dem einen Dreh in Afrika der Kameramann weggelaufen und bei dem anderen in Rom die Produktionsfirma in Konkurs gegangen.

In jeder literarischen Gattung, von der Lyrik bis zur Reportage, war er zu Hause, und auf unzähligen künstlerischen Experimentierbühnen gastierte er. Nur für avantgardistische Gruppenbildungen und Dauermanifestationen hatte er wenig übrig, und die Schelte, die er den Pariser Intellektuellen austeilt, ist nicht immer zart, doch stets humorig. Folgt man seinem Lebensroman, so zog Cendrars sich, außer an einsame Schreiborte, am liebsten unter Nomaden von seinesgleichen zurück, unter Zigeuner und Zirkusleute sowie unter die schwankenden Bewohner der Meere, der Hafenstädte und der Banlieue: "die Porzellan- und Schirmflicker, die Stuhlflechterinnen und Matratzennäherinnen, die Trödler und Schnorrer, die Straßensänger und Säuferpaare mit ihren Bälgern, ihren Rotznasen, ihren Pißrieken, ihren Kötern, ihrem Müll, ihren verlausten Klamotten und ihren Mummelgreisen". Das Epitaph für seine ideale letzte Ruhestätte hatte er sich selbst gedichtet: "Dort unten liegt / Blaise Cendrars / Zwei oder drei Zehntel südlich / des Breitengrades Null / Ein, zwei, drei Dutzend Grade / Westliche Länge / Im Bauch eines Pottwals / In einem großen Faß Indigo."

Wer wie Cendrars die Geschwindigkeitsproben des modernen Betriebs mit Bravour bestanden hat und zeit seines Lebens nicht nur der Herr, sondern auch der willige Knecht seiner Schreibmaschine war, der weiß auch um die Bedeutung verlangsamter Takte und schätzt das Innehalten und den Aufschub. Einem mehr als drei Jahre währenden, selbst auferlegten Schreibmoratorium, nach dessen Ablauf die wiedergefundene Sprache wie aus Geschützbatterien hervorbrach, ist die Entstehung des "L'Homme foudreoyé" zu verdanken. Deprimiert über den Ausgang des "drôle de guerre", an dem er auf seiten der britischen Luftwaffe als Militärkorrespondent teilgenommen hatte, und wie in den Unterständen des Ersten Weltkriegs zur Tatenlosigkeit verdammt, brachte der notorische Vielschreiber vom Frühjahr 1940 bis zum Spätsommer 1943 keine einzige Zeile mehr hervor. Als er nach den ersten Hoffnungszeichen auf die Wende des Kriegs seine verstaubte Schreibmaschine endlich wieder hervorholte, mußte sein wohl bestes und bedeutendstes Werk entstehen. Mit ihm bewies er, daß er seine stürmischsten Taten eben doch nicht im Leben, sondern auf den in der Schreibmaschinenwalze eingezogenen weißen Blättern vollbracht hatte.

Angetrieben von der hüpfenden, springenden und wirbelnden Gangart der Poesie und seine Augen nicht in der Hosentasche herumtragend, läßt Cendrars' bildhafte Sprache und Aufnahmetechnik keine Abschweifung aus und ähnelt doch dem kubistischen Verfahren seiner Malerfreunde. Als "wie aus hundert Blickwinkeln gleichzeitig von außen betrachtet und mit Teleskopen und Mikroskopen untermauert, doch von innen heraus beleuchtet" beschreibt Cendrars im Porträt des Gustave Le Roue, eines anderen Vielschreibers seiner Zeit, indirekt auch sein eigenes Verfahren: Facetten reihen sich an Facetten, Einzelheiten an Einzelheiten, Fragmente an Fragmente. Sie reiben sich und sie überschneiden sich wie die Bahnschwellen und Schienenstränge in den Pariser Vorortzonen. Nach und nach entstehen vollständige Bilder und Porträts, Mosaiken gleich, die ihre Bruchstellen als Narben mit sich tragen.

Hinter der Maske des Hasardeurs und des für jeden Spaß und Schabernack aufgelegten Kumpans nicht enden wollender Boulepartien und Pastisrunden entpuppt sich auch der Abenteurer Blaise Cendrars, dem man jede Aufschneiderei verzeiht, weil auch seine verwegensten Kunstlügen stets ein Stück Wahrheit über seine Zeit enthüllen, als ein eher kontemplativer Zeitgenosse: "So einsam wie das letzte Haus der Welt", rezitiert seine Schilderung von langen Nächten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs den Vers aus Rilkes "Stundenbuch von der Pilgerschaft". So wie Blaise Cendrars konnte nur einer unterwegs sein, der unentwegt Abschied nahm - auch von sich selbst. Unter der "Signatur des Feuers" kehrt ein fulminantes Jahrhundertwerk in die Gegenwart zurück.

Blaise Cendrars: "Die Signatur des Feuers". Aus dem Französischen übersetzt von Giò Waeckerlin Induni. Lenos Verlag, Basel 2000. 499 S., geb., 46,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ralph Rainer Wuthenow erhofft sich, dass das Buch hierzulande das Interesse am Werk des französischen Schriftstellers schweizerischer Abstammung erneuert. Dessen Berichte seien zwar von ihren Sujets her nicht besonders bemerkenswert, zeichneten sich aber durch ihre Erzählweise aus. Der Rezensent preist den Autor als "faszinierenden, niemals schwelgerischen Erzähler", der die Raffinesse seiner Texte hinter der scheinbar ungeordneten, "zufälligen" Struktur verbirgt. Die Sprache ist von "ungeheurer" Suggestionskraft, schwärmt der Rezensent, der sich immer wieder an Texte von Gérard de Nerval erinnert fühlt. Er ist fasziniert von der temporeichen Erzählweise, die nicht "konsequent auf einen Zielpunkt hin" konzipiert ist und preist die Art, mit der der Autor "Erinnerungen, Reportagen und Berichte des ihm Zugetragenen" verarbeitet.

© Perlentaucher Medien GmbH