Produktdetails
  • Verlag: Holzhausen
  • Seitenzahl: 204
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 313g
  • ISBN-13: 9783854930037
  • ISBN-10: 3854930038
  • Artikelnr.: 10805797
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.04.2000

Europas Feinkostladen
Österreich in der Meinungsforschung – ein köstliches Panoptikum
RUDOLF BRETSCHNEIDER, JOHANNES HAWLIK, RUTH PAULI: Maßgenommen. Österreich in der Meinungsforschung, Verlag Holzhausen, Wien 1999. 204 Seiten, 45 Mark.
Österreich: kaum ein Land, das im vereinigten Europa derzeit so negativ auffällt. Wie sie schmecken und fühlen, diese Österreicher – daran versuchen sich die Autoren. Gleich der erste Satz hält kategorisch fest, was eigentlich selbstverständlich ist: „Eine österreichische Seele gibt es nicht. ” Auch nach Jahrzehnten der empirischen Forschung verfüge man, so die Autoren, über keine eindeutige Vorstellung vom „Österreicher”. ” Diese reflektierte Distanz – Rudolf Bretschneider ist schließlich einer der führenden Meinungsforscher Österreichs – ist dem Band gut bekommen.
So wurde an den Österreichern „massgenommen”, aber die Ergebnisse sind nicht maßgeschneidert. Allerdings scheut das Buch das Klischee, ohne es ganz loszuwerden. Explizit ausgeführt wird etwa „der urösterreichische Hang zum Raunzen” – einer Art von Kritik, die, wie die Autoren unterstellen, keine Veränderungen zulassen will und bei der das „Wenn’s einen nur lasserten” (etwa: Wenn man mich nur machen ließe) nicht so ernst gemeint sei. Immerhin wünschen sich satte 45 Prozent der Österreicher einen starken Mann, der Ordnung schafft. Dass Jörg Haider gerade hier groß geworden ist, ist eben kein Zufall. Die Selbstdarstellung als Opfer der Anderen funktioniert hier zu Lande wie ein eherner Mechanismus. Wir mögen zwar gegeneinander sein, aber aufeinander lassen wir nichts kommen. Ein Reflex, der gegenwärtig über alle erodierenden Lager hinweg greift. Nicht trotz, sondern wegen der EU-Sanktionen trägt die im Band beschriebene „Mir san mir”-Stimmung einmal mehr einen Sieg davon. Die trotzige Selbstüberschätzung lautet: Wir sind die Vorzeigedemokratie und der Feinkostladen Europas.
Allerdings zieht sich durch alle Kapitel eine etwas verharmlosende Sicht der ansässigen Spezies. Dabei sind viele Österreicher gerissener, als sie wirken. Hinter dem Dirndl und dem Steireranzug versteckt sich aggressive Modernität. Das Buckeln in den Fremdenverkehrszentren korrespondiert oft mit einer schieren Verachtung der „lieben Gäste”. Insbesondere „die Deitschn” sind bevorzugtes, wenn auch nicht unschuldiges Objekt heimtückischen Spottes. Die Hinterwelt offenbart sich als Hinterhalt.
Österreich – ein Land mit einer nachgerade idealtypischen Parteien-Demokratie: Hier haben sich nach dem Krieg die beiden Staatsparteien SPÖ und ÖVP das Land in Einflusszonen aufgeteilt; in alle Sektoren, ja Poren der Gesellschaft sind sie eingedrungen. Ob es um Arbeitsplätze ging oder um Wohnungen – das wichtigste Dokument war oft das Parteibuch. Parteiunabhängigkeit war ein Luxus, den sich wenige leisten konnten. In allgemeinen Verruf gekommen ist das System freilich erst in den letzten Jahren, als es die Untertanen nicht mehr ausreichend versorgen und absichern konnte.
Doch die festen Bindungen nehmen sukzessive ab, nicht nur zur Partei, sondern auch zur Kirche. Die rasch vonstatten gehende Entkatholisierung der Alpenrepublik, beschleunigt auch durch eine krisengeschüttelte Amtskirche, ist nicht mehr zu stoppen. Waren 1970 noch 88 Prozent der Bevölkerung römisch-katholisch, so sind es inzwischen nur mehr 74 Prozent. In der Bundeshauptstadt sank die Marke sogar unter 50 Prozent.
Alles in allem ein gefälliges Buch, das mit Gewinn und Vergnügen gelesen werden kann, selbst wenn einige Male doch etwas zu salopp dahinschwadroniert wird. Etwas weniger Geschichte im Eilzugtempo wäre dem Band nicht abträglich gewesen. Zuträglich, ja geradezu köstlich sind aber die den Kapiteln vorangestellten Nestroy-Zitate.
FRANZ SCHANDL
Der Rezensent ist Historiker und
Publizist in Wien.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Geteilter Meinung ist Franz Schandl hinsichtlich dieses Bandes. Einerseits begrüßt er, dass die Autoren aufgrund ihrer Untersuchungen einräumen, dass es den Österreicher nicht gibt. Andererseits sei auch dieser Band nicht frei von Klischees. Schandl nennt dafür das Beispiel des "urösterreichischen Hangs zum Raunzen" und die "Mir san mir"-Einstellung vieler Österreicher. Gleichzeitig erläutert Schandl, was genau gemeint ist und lässt damit durchblicken, dass er diese Klischees andererseits für nicht ganz aus der Luft gegriffen hält. Insgesamt findet er, dass sich das Buch durch eine "verharmlosende Sicht der ansässigen Spezies" auszeichnet. So werde etwa der Heuchelei, insbesondere Touristen gegenüber, nicht ausreichend Rechnung getragen. Er lobt jedoch den außerordentlichen Unterhaltungswert des Bandes und besonders die "köstlichen" Nestroy-Zitate, die den Kapiteln vorangestellt sind.

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