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Produktdetails
  • Verlag: Molden
  • Seitenzahl: 222
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 382g
  • ISBN-13: 9783854850601
  • ISBN-10: 3854850603
  • Artikelnr.: 09558383
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2001

"Man wird euch isolieren"
Als Staatspräsident Chirac Österreichs Innenpolitik beeinflussen wollte und die ÖVP vor der Koalition mit der FPÖ warnte

Andreas Khol: Die Wende ist geglückt. Der schwarz-blaue Marsch durch die Wüste Gobi. Molden Verlag, Wien 2001. 223 Seiten, 42,- Mark.

Noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs vollzog sich im demokratisch gefestigten, zivilisierten Teil Europas eine Regierungsbildung unter dramatischeren Umständen als jene vom Januar/Februar vorigen Jahres in Österreich. ÖVP und FPÖ, die das Regierungsbündnis eingingen, standen unter massivem Druck von innen wie von außen. Die Zweite Republik und ihre Bürger sahen sich strengster Observation unterworfen, politisch und publizistisch herabgewürdigt auf die Stufe von Parias der Staaten- und Völkergemeinschaft.

Am 31. Januar 2000 drohte die unter halbjähriger Turnuspräsidentschaft Portugals stehende Europäische Union (EU) dem Mitgliedsland Österreich bilaterale "Maßnahmen" an, falls die FPÖ an der Wiener Bundesregierung beteiligt werden sollte. Was dann geschah, ging alsbald unter dem Begriff "Sanktionen" in die Annalen ein. Wie kam es dazu? Infolge der Nationalratswahl vom 3. Oktober 1999 nahmen bei einer Mandatsverteilung von 65 für die SPÖ, 52 für die FPÖ, 52 für die ÖVP und 14 für die Grünen am 15. Dezember die jahrzehntelangen Regierungspartner SPÖ und ÖVP formelle Koalitionsverhandlungen auf. Als sie in der Nacht des 21. auf den 22. Januar 2000 von der SPÖ abgebrochen wurden, war ein neuerliches Regierungsübereinkommen ausgehandelt. Aber führende SPÖ-Gewerkschaftler und SPÖ-Vorständler verweigerten dem Parteivorsitzenden und amtierenden Kanzler Klima die Gefolgschaft.

Bundespräsident Klestil nahm den negativen Bericht Klimas entgegen. Obschon zu erkennen war, daß nach einem positiven Abschluß von Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ eine aus diesen Parteien gebildete Regierung ernannt und angelobt (vereidigt) werden mußte (was am 4. Februar unter entwürdigenden Umständen geschah), betraute Klestil den SPÖ-Vorsitzenden abermals mit "Sondierungsgesprächen": Klima sollte und wollte für eine Minderheitsregierung im Nationalrat entweder eine ausreichende Unterstützung der ÖVP oder der FPÖ oder beider erhalten. Statt dessen intensivierten ÖVP und FPÖ ihre Verhandlungen und schlossen ein Regierungsbündnis ab.

Zu besagter "Wende"-Zeit ging das unsägliche Gebot von Lissabon aus, das namens der Staats- und Regierungschefs von 14 Mitgliedern den 15. im Bunde bei Anwendung rechtlich fragwürdiger Mittel präventiv unter Unions-Acht stellte. Vieles spricht dafür, daß Bundespräsident Klestil und Kanzler Klima in die Abläufe zwischen den Hauptstädten involviert waren. Klima dürfte auf der Stockholmer "Holocaust-Konferenz" seine Regierungsgenossen von der Sozialistischen Internationale aufmunitioniert haben. Die portugiesische Präsidentschaft verkündete dann über "Primenet" - das Kommunikationssystem, das die Büros der Regierungschefs unter Umgehung der Außenministerien verbindet - die "Reaktionen", um der sich abzeichnenden Regierung in Wien entgegenzuwirken. Klestil verfehlte aber sein mutmaßliches Ziel, über die vorzeitige Veröffentlichung der Sanktionen die ÖVP-"Granden" gegen Schüssel aufzuwiegeln und "in letzter Minute" die "Wende-Koalition" zu verhindern.

Andreas Khol, ÖVP-Fraktionschef, war einer der Architekten der ÖVP/FPÖ-Koalition. Soeben hat er ein fesselndes Buch über deren Entstehung veröffentlicht. Die wirtschafts-, sozial-, finanz- und haushaltspolitische Wende war schon das Ziel der ÖVP, als der "Großkoalitionär" Schüssel die Partei 1995 übernahm. Mit Vranitzkys SPÖ war sie nicht möglich. Schüssel erzwang vorgezogene Wahlen. Diese gewann die SPÖ 1995 mit Hilfe von Vranitzkys Brief an die Pensionäre. Da man einander brauchte, trug das ausgehandelte Regierungsprogramm Schüssels Handschrift. An der Verwirklichung - über das ritualisierte Einbinden der "Nebenregierung" Sozialpartnerschaft - scheiterte erst Vranitzky, dann Klima, da Sparpakete wieder aufzuschnüren waren. Am 3. Oktober 1999 ließen die österreichischen Wähler SPÖ und ÖVP auf historische Tiefststände absacken und beförderten die FPÖ zur zweitstärksten politischen Kraft. Dennoch wollte es die zunächst zaudernde ÖVP noch einmal mit der SPÖ versuchen.

Zu den spannendsten und erhellendsten Kapiteln des Buches gehört jener Abschnitt, in dem Khol einen - für die Genese der "Sanktionitis" entscheidenden - Mitschnitt eines Telefongesprächs wiedergibt: Der französische Staatspräsident Chirac gab "Empfehlungen" für die ÖVP und malte das Bevorstehende für den Fall des Zuwiderhandelns aus. Die maßgebliche Passage: "Am 27. Jänner telefoniert Jacques Chirac mit mir und fordert mich anfangs sehr freundlich, aber im Laufe des Gesprächs immer ultimativer auf, den Plan einer Regierung mit der FPÖ fallenzulassen. ,Eine Regierung mit Haider wird euch teuer zu stehen kommen. Man wird euch isolieren.' Ich erkläre ihm langmächtig alles im Detail und warum wir dies auf keinen Fall tun könnten - Chirac gibt an, auch im Namen von Helmut Kohl und José Maria Aznar zu sprechen (die CDU bestätigt dies nicht und ist sofort an unserer Seite . . .). Auf meinen Einwand, daß die CDU gegen Österreich nicht mitmachen würde, sagte Chirac, Leute der CDU hätten sich am Donnerstag abend beim Bundespräsidenten über die Lage erkundigt, Jospin habe ihm über die Konferenz berichtet. Wir sollten entweder eine Minderheitsregierung unterstützen oder wieder die alte Koalition machen, das seien die richtigen Alternativen."

In der luzide durchkomponierten Publikation des Staats-, Verfassungs- und Völkerrechtlers Khol handelt es sich um eine minutiöse, detailgetreue Verlaufschilderung, die auf den Aufzeichnungen des passionierten Tagebuchschreibers beruht. Somit handelt es sich um eine authentische Quelle aus erster Hand, die dem Leser stets die unter der "Machtfrage" wirksam gewordenen Kategorien Kalkül, Taktik und Strategie vor Augen führt.

REINHARD OLT

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Reinhard Olt macht in seiner Rezension keinen Hehl daraus, dass er die EU-Sanktionen gegenüber Österreich nach der Bildung der Koalition zwischen ÖVP und FPÖ für einen Fehler hält. Umso mehr begrüßt er dieses Buch des ÖVP-Fraktionschefs Andreas Khol, der für diese Koalition maßgeblich mitverantwortlich ist. Khol ist es nach Ansicht des Rezensenten in seinem "fesselnden" Buch gelungen, "minutiös und detailgetreu" aufzuzeigen, welcher Druck auf die ÖVP ausgeübt worden sei, von einer Koalition mit der FPÖ abzusehen. So hebt der Rezensent besonders die Passagen des Buchs hervor, in denen der Autor ein Telefonat mit dem französischen Staatspräsidenten Chirac schildert, in dem dieser u. a. gesagt haben soll: 'Eine Regierung mit Haider wird euch teuer zu stehen kommen. Man wird euch isolieren'. Olt zeigt sich äußerst angetan von diesen "authentischen Quellen aus erster Hand", zumal dies einen Einblick gebe in politische Taktik und Strategie.

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