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Sie waren kommunistischer als die Sowjetunion und kamen ohne Geld und Privatbesitz aus: Die utopischen Kommunen in den USA des 19. Jahrhunderts. 'Amana' zum Beispiel, eine religiöse Gemeinschaft mit deutschen Wurzeln in Iowa, existierte von 1855 bis 1932. Die rund 2.000 Mitglieder speisten in kommunalen Küchen und verfügten über eigene Produktionsmittel, sie arbeiteten je nach Bedarf in ihren Fabriken, in der Landwirtschaft oder im Handwerk. Was sie zum Leben brauchten, holten sie sich in den gemeinschaftlichen Warenhäusern. Wirtschaftlich waren diese utopischen Kommunen sehr erfolgreich. Das…mehr

Produktbeschreibung
Sie waren kommunistischer als die Sowjetunion und kamen ohne Geld und Privatbesitz aus: Die utopischen Kommunen in den USA des 19. Jahrhunderts. 'Amana' zum Beispiel, eine religiöse Gemeinschaft mit deutschen Wurzeln in Iowa, existierte von 1855 bis 1932. Die rund 2.000 Mitglieder speisten in kommunalen Küchen und verfügten über eigene Produktionsmittel, sie arbeiteten je nach Bedarf in ihren Fabriken, in der Landwirtschaft oder im Handwerk. Was sie zum Leben brauchten, holten sie sich in den gemeinschaftlichen Warenhäusern. Wirtschaftlich waren diese utopischen Kommunen sehr erfolgreich. Das machte sie auch für den Journalisten Charles Nordhoff interessant, der sie 1874 auf einer Reise quer durch den amerikanischen Kontinent in Augenschein nahm. 2014 folgte Rudolf Stumberger seinen Spuren. In seinem Reisebericht, der zugleich eine soziologisch-historische Analyse ist, erzählt der Autor die Geschichte von acht Kommunen. In Zeiten des herrschenden Neoliberalismus wirken diese Schilderungen eines Lebens jenseits von Existenzangst und individueller Konkurrenz wie eine Kontrastfolie aus einer anderen Welt. Doch der Autor steht nicht für die Verklärung dieser Kommunen, sondern verortet sie in ihren historischen und ideologischen Bezügen. Darüber hinaus finden sich zu allen Stationen praktische Hinweise auf Anfahrtswege, Öffnungszeiten entsprechender Museen u.v.a.m.
Autorenporträt
Rudolf Stumberger lehrt als Privatdozent Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und arbeitet als freier Journalist und Publizist in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2016

Der Glaube stärkt den Kommunismus
Rudolf Stumberger erzählt die Geschichte utopischer Gemeinschaften in Amerika

Levi Bimeler sah keine Zukunft für den Kommunismus in Amerika. Der Nachfahre von Auswanderern aus Württemberg druckte in Zoar, Ohio, eine eigene Zeitung, um gegen den Kollektivbesitz zu argumentieren, der Faulheit fördere: "Nimms easy und lasz fuenfe grad sein" gelte im Kommunismus, so Bimelers Befund von 1896 in deutsch-englischer Sprachmischung. Dass der Kommunismus damals im kapitalistischen Amerika aber schon eine erstaunlich lange Vergangenheit hatte, daran erinnert der Soziologe Rudolf Stumberger in seinem Buch über acht utopische Gemeinschaften des neunzehnten Jahrhunderts.

Mitglieder dieser Kommunen erhielten kein Geld für ihre Arbeit, denn die Gemeinschaft bot ihnen Unterkunft und Verpflegung. In Zoar, einer unter Bimelers Urgroßvater entstandenen Siedlung religiöser Separatisten, holten sich die Familien ihre Lebensmittel an "Fasstagen" aus dem gemeinschaftlichen Magazin. Andere Kommunen richteten Kollektivküchen ein. Jenseits der landwirtschaftlichen Selbstversorgung basierte der Kommunismus im Inneren bisweilen auf erfolgreichen kapitalistischen Beziehungen nach außen. Die Kommune der Perfektionisten von Oneida, New York, etwa verkaufte Tierfallen und Obstkonserven aus ihren Fabriken.

Doch selbst ohne Privatbesitz waren nicht alle gleich. Oft hielten charismatische Leitfiguren die Gemeinschaften zusammen. John Humphrey Noyes, Gründer von Oneida, ersetzte zwar zunächst die Zweierbeziehung durch den Partnerwechsel der "komplexen Ehe", führte dann aber ein Präferenzsystem ein, das nur ausgewählte Mitglieder zur Kinderzeugung zuließ. In der Amana-Kolonie in Iowa, die bis 1932 bestand, entschieden die Dorfältesten nicht nur über Heirats- und Arbeitsfragen, sondern auch darüber, "wer nach ,draußen' reisen durfte und warum".

Zumindest für den Aufbau der Kommunen trifft Bimelers Faulheitsbefund kaum zu, sonst wäre es, gerade in neubesiedelten Gebieten von Ohio oder Iowa, sicher nicht gelungen, die Grundlagen für Gemeinschaften zu legen, die Jahrzehnte überdauerten. Langlebiger als weltlich orientierte Kommunen waren die religiös geprägten. In der Zeit der Auflösung schwächten neben nachlassenden religiösen Bindungen auch interne Spannungen oder die wirtschaftliche und lebensweltliche Konkurrenz von außen den Zusammenhalt. Als 1898 in Zoar die Gütergemeinschaft endete, wurden Land, Wohnhäuser und Werkstätten aufgeteilt. Die einstigen Kommunen von Oneida und Amana gingen stattdessen in Aktiengesellschaften über und vergaben Anteile an ihre Mitglieder.

Stumberger verknüpft Geschichtsdarstellung und Reisereportage, wenn er schildert, wie das Erbe der Kommunen heute touristisch erschlossen wird. Als "lebendige Utopie" erscheint ihm dagegen eine Siedlung der Hutterer, die er in Montana besucht. Die nach dem Tiroler Täuferführer Jakob Hutter benannte Glaubensgemeinschaft kam im späten neunzehnten Jahrhundert nach Amerika und hält am Kollektivbesitz fest. Die Kolonie in North Harlem betreibt Landwirtschaft mit modernsten Maschinen. Elf Familien teilen sich ihre Autos und essen zusammen, aber nach Geschlecht und Alter getrennt, im zentralen Speisesaal. Bei der weltanschaulich konservativen Gemeinschaft könnte es für den Kommunismus in Amerika vielleicht eine Zukunft geben.

THORSTEN GRÄBE

Rudolf Stumberger: "Das kommunistische Amerika". Auf den Spuren utopischer Kommunen in den USA.

Mandelbaum Verlag, Wien 2015. 240 S., Abb., br., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Thorsten Gräbe lernt von Rudolf Stumberger, welch lange Geschichte der Kommunismus in den USA hat. Acht utopische Lebensgemeinschaften des 19. Jahrhunderts stellt ihm der Soziologe vor, von den Perfektionisten in Oneida bis zu den Hutterern in North Harlem. Gräbe erfährt über erfolgreiche kapitalistische Beziehungen durch Konservenverkauf und über interne Spannungen. Wie der Autor seine geschichtliche Darstellung mit einer Reisereportage zu den Relikten der alten Kommunen verbindet, hat dem Rezensenten gut gefallen.

© Perlentaucher Medien GmbH