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Solange es währt, fühlt sie sich in einem fort glücklich, doch tatsächlich ist es ein bizarres Liebesverhältnis, das da gerade gescheitert ist. Das Scheitern ist nichts Neues, immerhin endeten auch alle früheren Verhältnisse unglücklich, aber warum das Unglück gerade diesmal so unendlich groß ist, verwundert sie nun doch. Immerhin war das ein Verhältnis, in dem sie in Wirklichkeit gar nicht existierte. Noch größer aber ist die Frage, warum sie sich auf dieses Verhältnis überhaupt eingelassen hatte warum sie sich überhaupt seit vielen Jahren nur auf heimliche Verhältnisse eingelassen und…mehr

Produktbeschreibung
Solange es währt, fühlt sie sich in einem fort glücklich, doch tatsächlich ist es ein bizarres Liebesverhältnis, das da gerade gescheitert ist. Das Scheitern ist nichts Neues, immerhin endeten auch alle früheren Verhältnisse unglücklich, aber warum das Unglück gerade diesmal so unendlich groß ist, verwundert sie nun doch. Immerhin war das ein Verhältnis, in dem sie in Wirklichkeit gar nicht existierte. Noch größer aber ist die Frage, warum sie sich auf dieses Verhältnis überhaupt eingelassen hatte warum sie sich überhaupt seit vielen Jahren nur auf heimliche Verhältnisse eingelassen und geglaubt hatte, darin "a whole lotta love" zu finden. Aber ebenso brachial wie das Stück von Led Zeppelin war auch jeweils die Liebe.
Obwohl Iris Hanika ein weiteres Mal die Technik der Psychoanalyse vorführt und am konkreten Beispiel zeigt, wie das auf der Couch gelernte Handwerkszeug hilft, durchs Leben zu kommen, ist es keine Fallgeschichte, die sie hier vorlegt, sondern vielmehr ein kluger Roman im typischen Hanika-Sound nicht nur über Formen der Liebe, sondern vor allem auch über Musik und die Unerträglichkeit der Gegenwart, und nicht zuletzt über die Folgen sexueller Gewalt, die ein Leben lang fortwirken und es durchaus bestimmen können.
Autorenporträt
Iris Hanika, geboren 1962 in Würzburg, lebt seit 1979 in Berlin. Sie war feste Mitarbeiterin der Berliner Seiten der "FAZ" und führte eine Chronik im "Merkur". 2006 erhielt Iris Hanika den Hans Fallada Preis und 2011 den Preis der LiteraTour Nord.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2012

Kaskaden von immer neuen Fragen

In ihrem Roman "Tanzen auf Beton" erzählt Iris Hanika von einer Frau, die von ihrem Geliebten nicht loskommt: Hier wird Psychoanalyse zu einem poetischen Verfahren, das ständig neue Erinnerungen generiert.

Lassen sich Bücher wie Pflanzen züchten? Etwa auf der Grundlage Mendelscher Gesetze? Die Familienähnlichkeit von Iris Hanikas drei bislang erschienenen Romanen legt diesen Gedanken nahe. Hanikas Debüt "Treffen sich zwei" erzählte eine Liebesgeschichte, wie sie gegenwärtiger nicht sein konnte. In "Das Eigentliche" erprobte die Autorin einen waghalsigen Grenzgang entlang der deutschen Gedächtniskultur. Kreuzt man beide Romane, ermendelt sich ein Liebesgedächtnishybrid: Hanikas dritter Roman "Tanzen auf Beton" besteht aus Erinnerungen an eine längst vergangene Liebe.

Hauptfigur ist eine knapp fünfzig Jahre alte, namenlose Ich-Erzählerin, die vom Dichterberuf bis zum Geburtsjahr auffällig viele Eigenschaften mit ihrer Autorin teilt. Autobiographische Spuren zu legen hat schon deshalb seinen Reiz, weil Hanika eine befremdliche Liebesbeziehung entwirft: "Ich sah ihn nicht oft, wir hatten ein heimliches Verhältnis. Wir haben dann immer miteinander gevögelt, obwohl wir das eigentlich gar nicht können, also nicht miteinander. Wir haben wenig miteinander geredet, denn das können wir nun wirklich nicht, und das war viel klarer als die körperliche Inkompatibilität." Zwischen den beiden passt überhaupt nichts: "Länger als zwei Stunden halten wir uns nicht aus." Einem Verhältnis, das ausschließlich auf schlechtem Sex beruht, traut man wenig Dauer zu.

Hanikas Erzählerin aber bleibt - trotz mehrerer Unterbrechungen - zwanzig Jahre in dem Beziehungsgeflecht gefangen. Selbst als sie den Geliebten nicht mehr trifft, behauptet das Erlebte seinen Platz: "The memory of all that - No, no - they can't take that away from me" lautet das Motto des Buches. Da die Flucht vor sich selbst ausgeschlossen ist, fruchten die verschiedenen Ersatzdrogen nur bedingt: Reisen (Schanghai, Moskau, Sankt Petersburg, Frankfurt, Mainz und so weiter), Russophilie und Heavy Metal verdrängen die Erinnerung zeitweise. Auf Dauer hilft, sich dem Rätsel der eigenen Vergangenheit zu stellen. Zwei Jahre benötigt die Erzählerin, um das Geschehene zu begreifen und um eine Haltung zu finden, aus der sie berichten kann. Mit dem Schreibbeginn setzt der Roman ein.

Den Hintergrund der literarischen Selbstenträtselung bildet Sophokles' Ödipus-Drama. Formal, weil im Drama alle Ereignisse vor dem Einsatz der Handlung abgeschlossen sind. Das Schauspiel stellt zur Schau, wie Ödipus die schmerzliche Wahrheit von Vatermord und Mutterliebe enthüllt. Hanika übersetzt das analytische Drama in einen analytischen Roman. Thematisch, weil Ödipus, obwohl er das Menschenrätsel der Sphinx löst, sich bis zuletzt ein Rätsel bleibt. Er stellt den Prototyp des Menschen dar, der alles versteht, außer sich selbst. Man kann dieses Faszinosum durch alle Künste verfolgen, bis hin zu Freud und Lacan, die Ödipus' Prozess nachhaltig vom öffentlichen Gericht und aus dem Juristischen in das Intime und Psychologische verlagern. In der Antike endete die ödipale Nabelschau in Schuldspruch und Strafe. Später führte sie auf die Couch des Psychiaters. Bei Hanika mündet sie in den Schreibakt der weiblichen Protagonistin.

Zu einem ambitionierten Gegenwartsroman avanciert "Tanzen auf Beton", weil die Rückblicke sich mit subtilschnoddrigen Gedanken zur Einsamkeit, zum Älterwerden, zur sexuellen Unlust und zum Gefühl überlagern, irgendwie nicht mehr in Clubs wie ins Berghain zu gehören. Die Erzählerin nimmt die Aporien von Gedächtniskultur, romantischem Liebesmodell und Sprache in den Blick. Für sie gibt es kein Zurück hinter die Postmoderne. Aber anstatt in Jämmerlichkeit zu versinken, setzt sie dem Aporetischen ein "Dennoch" entgegen: Wir wissen um die Problematik von Erinnerung, Liebe und Sprache. Wir erinnern, lieben, schreiben und sprechen aber doch. Erinnerungsarbeit bedeutet unter diesen Voraussetzungen, punktuelle Einsichten immer nur zu erlangen, indem sie Kaskaden neuer Fragen aufwerfen.

Warum hat die Erzählerin sich auf diese Beziehung eingelassen? Wieso hat sie dieses Leben und Lieben über zwanzig Jahre hinweg ertragen? Aus welchen Gründen hat sie es gewollt und als Glück (im Unglück) empfunden? Ist das - damit sind wir zurück bei der Vererbungslehre - vielleicht genetisch determiniert? Oder fallen die Würfel in der Prägungsphase? Durch ein - wie die Erzählerin einmal mutmaßt - misogynes Elternhaus? Oder in dem Moment, als die Erzählerin einmal um ein Haar vergewaltigt wurde? Die Selbstenträtselung bleibt offen und fungiert nur als "weiterer Bericht von der unendlichen Analyse". Aus literarischer Sicht ist das ein Gewinn. Hanika instrumentalisiert die Psychoanalyse als hochproduktives poetisches Verfahren, das am laufenden Band neue Erinnerungen, Szenen und Reflexionen generiert.

Vielleicht lässt sich aus dem Bilderstrom dennoch eines herauslösen. An einer Stelle erklärt sich die Erzählerin ihre Beziehung zu dem "ehemals Geliebten" damit, dass er ein Schmetterlingssammler sei: "Wie zart er die Dinge in die Hand nimmt, alle Dinge, jedes Ding. So zart wie einen Schmetterling. Wenn er einen Schmetterling in die Hand nimmt, dann drückt er ihn an einer bestimmten Stelle; dadurch wird der Schmetterling betäubt. Dann schaut er ihn sich genau an. Weil er immer alles auf einmal sieht, dauert es nicht lange, bis er entschieden hat, ob er den Schmetterling behalten will oder nicht. Wenn nicht, macht er die Hand auf und läßt ihn fliegen, sobald die Betäubung nachlässt. Wenn doch, dann macht er das Glas mit dem Giftgas auf und legt ihn zu den anderen." Der Schmetterling gilt als Attribut der Göttin Psyche. Er verkörpert die flüchtige Schönheit der Seele. Das Schmetterlingsbild schildert, wie die Erzählerin in die Fänge des Geliebten geraten ist. Allerdings löst es das Beziehungsrätsel nicht, sondern verwandelt es in einen poetischen Moment.

Tatsächlich lässt sich das Sammeln von Schmetterlingen als poetologische Metapher lesen. Denn die Erzählerin hält mit ihrem Bericht ihrerseits die flüchtigen Augenblicke ihres Lebens und ihres Erinnerns fest. Und dem Psychogramm selbst bleibt die Flüchtigkeit des Schmetterlings eigen. Der Roman verzichtet auf eine zusammenhängende Handlung. Er besteht ausschließlich aus Episoden, Miniaturen, Reflexionen und Notizen, mit denen die Erzählerin ihr Denken, Fühlen und Erleben in möglichst großer Intensität einzufangen versucht. Leben schreiben, darum geht es. Die Sprache dient einerseits als Betäubungsmittel, um des flüchtigen Moments habhaft zu werden. Andererseits ermöglicht sie, per Sprachspiel und Witz aufzufliegen und Erinnerungen, gegenwärtige Einsamkeit und Zukunftstristesse hinter sich zu lassen. Vielleicht ist seit Rolf Dieter Brinkmann, dem Hanika in ihrem Roman mehrfach huldigt, keiner mehr so wortmächtig an der Sprache verzweifelt wie diese Erzählerin, hat sich derart dringlich in die Musik hineingesehnt und war gleichzeitig doch jederzeit zum sprachlichen Glücksritt bereit. Punktuelle Raffinesse, gewagtes Sprachdribbling, Tanzen auf Beton lassen eines nicht vergessen: Augenblicke wie Schmetterlinge einfangen bleibt die Methode des ehemals Geliebten. Ob das einen Ausweg eröffnet? Und der Roman selbst? Degradiert der sich zum flatterhaften Leichtgewicht? Sicherlich nicht. Und spätestens im Zusammenspiel ihrer drei Romane hat Iris Hanikas literarische Stimme großes Gewicht.

CHRISTIAN METZ

Iris Hanika: "Tanzen auf Beton. Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse". Roman.

Literaturverlag Droschl, Graz 2012. 167 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Schwer zu sagen, worum es in den Buch geht, Rezensentin Barbara Weitzel macht es einem nicht gerade leicht, dies herauszufinden. Es hat auf jeden Fall etwas mit Analyse, Berlin, Led Zeppelin und der unglücklichen Liebe zu tun. Weitzels Begeisterung ist dagegen offensichtlich. Denn Iris Hanika schreibt in diesem neuen Buch irgendwie ganz genau wie in ihren großen Erfolgen "Treffen sich zwei" oder die "Die Wette auf das Unbewusste", aber eigentlich auch ganz anders, etwas albern, aber auch sehr hart gegenüber sich selbst oder "voller Erfahrungslust". Oder wie Weitzel weiter das poetische Konzept umreißt: Manche Sätze sind in Stein gemeißelt, andere "watteleicht", nichts wird ausgelassen, vieles Weggelassen. Hanika eben: irritierend und beglückend.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.02.2013

Ach, wäre doch Ruhe im Karton
Zwischen Lebensknotenentwirrung und Weltbeobachtung: Iris Hanikas Prosaband „Tanzen auf Beton“
Selten hat eine Schriftstellerin ihre ästhetischen Ansprüche so radikal, ja tollkühn formuliert wie Iris Hanika. In einer essayistischen Passage ihres neuen Prosabandes „Tanzen auf Beton“ fragt sich die 1962 geborene Autorin mit geradezu neoromantischem Pathos, „wie man bei der Herstellung von Kunst etwas anderes anstreben kann als das Unhintergehbare, Letztgültige, Maßstäbesetzende, Absolute, das einen so deutlichen Punkt setzt, dass danach lange nichts mehr kommen kann“.
  Zuvor hat sie erläutert, für sie gebe es zwei Varianten von Kunst, und nur eine davon interessiere sie, nicht aber die andere, die „nicht nach dem Absoluten strebt, sondern nach dem Zeitvertreib. Die nicht das Unhintergehbare, Letztgültige, Maßstäbesetzende im jeweiligen Genre der jeweiligen Gattung oder gleich in der Gattung überhaupt sein will, sich nicht am Goldstandard orientiert“. Genau, denkt die Kritikerin, das ganze Zeug interessiert uns eigentlich auch nicht, frisst aber permanent unsere Lebenszeit. Wie war noch mal gleich der Goldstandard?
  Die Crux ist nur: Wer so hoch erhobenen Hauptes die Messlatte ganz nach oben hängt, tappt leicht in eine selbstgestellte Falle oder tritt auf schlafende Hunde. An dieser Stelle hat die Kritikerin schon 136 Seiten in dem Band gelesen, dessen Verfasserin deutlich signalisiert, dass sie sich zu jenen Kunstschaffenden rechnet, die nach dem Absoluten streben. Und deshalb schlägt die freudige Zustimmung sogleich in Bedauern um: Warum hat hier kein fürsorglicher Lektor auf „Weglassen“ plädiert, um Iris Hanika den Auftritt im unbarmherzigen Licht ihrer eigenen Forderungen zu ersparen?
  Denn der autobiografische Bericht über eine Psychoanalyse und deren Nachwirkungen, aus dem das Buch zum größten Teil besteht, hat mit Kunst etwa so viel zu tun wie Wein mit dem Auspressen von Trauben. Es handelt sich jeweils um die Primärstufe eines komplizierten Vorgangs, auf die weitere Schritte folgen müssen, wenn am Ende etwas herauskommen soll, das den Namen verdient. Auch die Winzer der großen Châteaus mögen sich mitunter fragen, wie man es überhaupt fertigbringt, etwas anderes produzieren zu wollen als einen „maßstäbesetzenden“ Tropfen. Aber sie würden solche Überlegungen kaum auf dem Etikett einer Flasche naturtrüben Traubensaftes veröffentlichen, so ehrenwert dieses Getränk auch sein mag.
  Iris Hanika betreibt insofern keinen Etikettenschwindel, als sie im Untertitel einen „Weiteren Bericht von der unendlichen Analyse“ ankündigt. Ihre Lesergemeinde weiß, was das bedeutet: Die Autorin, aus Unterfranken stammend und schon lange in Berlin lebend, hat sich in den Neunzigerjahren einer psychoanalytischen Behandlung nach der Methode Lacan unterzogen und daraus den Stoff für ihre literarische Produktion gewonnen, zunächst für Erzählungen und kurze Texte, dann für ein gemeinsam mit ihrer Therapeutin verfasstes Buch unter dem Titel „Die Wette auf das Unbewusste“, zuletzt für die vielbeachteten Romane „Treffen sich zwei“ und „Das Eigentliche“.
  Die Theorie, vielleicht auch die Erfahrung, dass die Analyse einen prinzipiell nie endenden Erkenntnis- und Entwicklungsprozess in Gang setzt, impliziert, dass (um im Bild zu bleiben) auch der daraus gepresste Saft nie versiegt. Der Verlag hat Hanikas neues Werk mit dem Etikett „Roman“ versehen, was nun allerdings geschwindelt ist. Aber an den fröhlichen Missbrauch der Gattungsbezeichnung haben wir uns ja längst gewöhnt. Es gilt hier lediglich festzuhalten, dass es eben nicht das Leben ist, das die besten Romane schreibt.
  Indes: Als „Zeitvertreib“ oder auch als Lebenshilfe taugt das langwierige, mittels Therapie nun anscheinend bewältigte Beziehungsdrama der Autorin allemal. Für Psycho-Voyeure oder für Leser, die mit wohligem Grusel sich selbst und ihre Neurosen darin wiedererkennen. Anders gesagt: Wir haben es hier mit dem Genre der Fallgeschichte zu tun, das die beliebte Ratgeber-Literatur konstituiert.
  Der Fall einer Beziehung, die weder intellektuell noch emotional noch erotisch erfüllend ist, aber dennoch zu einer über Jahre sich hinschleppenden psychischen Abhängigkeit führt, dürfte einen relativ hohen Wiedererkennungswert besitzen. Das Spezifische an ihrer Geschichte bringt Iris Hanika sowohl „ungeschützt“, wie man früher sagte, als auch mit einigem Unterhaltungswert herüber: „Er wollte mich haben, weil ihm mein Körper gefiel, denn er mag nicht nur große Brüste, sondern auch dicke Bäuche. Das kannte ich sonst nicht.“
  Dann wieder schulbuchmäßig trocken: „Unsere Beziehung war statisch, weil sie nur aus Begegnungen bestand, welche jeweils einen Aufenthalt in der Neurose bedeuteten.“ Und dann sind da natürlich, weniger lustig, die tieferen Ursachen: Das Trauma einer Beinahe-Vergewaltigung mit dreizehn Jahren fiel bei der Erzählerin auf den „fruchtbaren Boden“ der im Elternhaus herangereiften Vorstellung, dass „eine Frau in Beziehung auf einen Mann nichts zu melden habe“. Fazit, um drei Ecken: „Das Grauenvolle, das absolut Schreckliche, dessen Eintreten ich für den Fall, als Frau erkannt zu werden, fürchtete, war die Auslöschung.“
  Der „Geliebte“, über den wir erfahren, dass er zehn Jahre älter, verheiratet und wahnsinnig intelligent ist, einen „schönen Beruf“ hat und Schmetterlinge sammelt, dürfte ebenfalls sein Päcklein zu tragen haben. So geht das eine Weile fort, wird hin- und hergewendet, untersucht und gedeutet, bis zur „Entwirrung des Knotens“, nach der dann hoffentlich („Stand vom 23. Juni 2011“) Ruhe im Karton war.
  Zwischen die Episoden der Beziehungschronik sind essayistische Fragmente, Feuilletons und Reiseberichte gestreut, die überall dort, wo die Autorin sich vom persönlichen Bekenntnis und von der Privatphilosophie löst und sich auf das Beobachten und Beschreiben beschränkt, durchaus zur kunstvollen Seite des Genres tendieren. Dass sie „im Alter von siebenundvierzig Jahren, fünf Monaten und vier Tagen“ die Heavy-Metal-Musik entdeckte und dadurch nachträglich ihr Pubertätsproblem löste, fällt noch in die Kategorie der Therapiehistorie; ihre Einlassungen über Musik im Allgemeinen dagegen enthalten zu viel nachgeholte Pubertät, um druckreif zu sein. Aber ihre Impressionen aus Zügen, aus Städten, aus heimatlichen und exotischen Milieus erinnern bisweilen an die Notatkunst von Robert Gernhardt oder Wilhelm Genazino, und ihre Schilderung des Vitebsker Bahnhofs in Sankt Petersburg ist, wie der historische Bau selbst, „eine Perle“.
  In der Gemischtwaren-Abteilung des Bandes findet sich die Notiz: „Ich kenne mich schon ganz gut. Es wäre mir lieb, mehr kennenzulernen als mich allein, mich nicht allein mit mir beschäftigen zu müssen. Mich mit anderem zu beschäftigen, das würde ich gerne können. Gerne ginge ich in die Welt hinaus.“ Zaghaft, aber hellsichtig deutet Iris Hanika damit die Richtung an, in der die „Kunst“ für sie liegen könnte. Der Buchtitel, der sich vordergründig auf eine Nacht im Berliner „Berghain“ bezieht, ist übrigens auf seine Art genial, wenn man sich den psychoanalytischen Blick zu eigen macht: Aus Hanikas biografischen Daten ist zu entnehmen, dass ihr Vater in Bad Königshofen ein Betonwerk betrieb.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
Es ist eben nicht
das Leben, das die
besten Romane schreibt
„Es wäre mir lieb, mehr
kennenzulernen als mich allein.“
Den Goldstandard der Literatur fest im Blick: Iris Hanika.
FOTO: JÜRGEN BAUER
  
  
  
  
Iris Hanika: Tanzen auf Beton – Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse. Roman. Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2012. 167 Seiten, 19 Euro.
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