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Über das Glück, Vater und Kind zu sein.Kindsein ist bei David Wagner nicht zu denken ohne Vatersein, ja, erst das Eingebettetsein in die Abfolge der Generationen macht den besonderen Zustand der Kindheit aus. Der Anblick des eigenen Kindes weckt Erinnerungen an das Kind, das man selbst einmal war, über das einen, später dann, die eigenen Eltern informiert haben.David Wagner geht in Spricht das Kind den kleinen Ritualen und Abläufen auf den Grund, die 'das Kind' tagtäglich vorführt. In ihnen spiegeln sich die Moden der unmittelbaren Gegenwart, aber auch die Kindheit des Vaters und sogar der…mehr

Produktbeschreibung
Über das Glück, Vater und Kind zu sein.Kindsein ist bei David Wagner nicht zu denken ohne Vatersein, ja, erst das Eingebettetsein in die Abfolge der Generationen macht den besonderen Zustand der Kindheit aus. Der Anblick des eigenen Kindes weckt Erinnerungen an das Kind, das man selbst einmal war, über das einen, später dann, die eigenen Eltern informiert haben.David Wagner geht in Spricht das Kind den kleinen Ritualen und Abläufen auf den Grund, die 'das Kind' tagtäglich vorführt. In ihnen spiegeln sich die Moden der unmittelbaren Gegenwart, aber auch die Kindheit des Vaters und sogar der Großeltern. Ein ruhiger, ganz unaufgeregter Blick ist in diesem Buch am Werk, und dazu ein ebenso gutes Gehör für die Sprachen der Kindheit. 'Und so wie ich, das mag man mir ja vorwerfen, nicht erwachsen werden will, so wollen meine Eltern nicht aufhören, Eltern zu sein. Wollen nicht loslassen, wollen nicht Großeltern sein.'Spricht das Kind ist ein wohltuend liebevolles Buch, in dem nichts an der Kindheit zum Problem wird, aber alles Anlass zu Betrachtung und Nachdenken.Berliner Kindheit um zweitausend. Walter Benjamins berühmtes autobiographisches Buch steht im Hintergrund dieses ganz außergewöhnlichen Skizzenbuchs, das allerdings nicht in die Vergangenheit hinabtaucht, wie Benjamin in seiner Berliner Kindheit um neunzehnhundert, sondern in das Kindsein an sich. 'Es liegt ein Trost in der Wiederholung der immergleichen Geschichte. Zum Glück. Also nochmal.'
Autorenporträt
David Wagner, geboren 1971, studierte Literatur und Kunstgeschichte in Bonn, Paris und Berlin. Nach zahlreichen Auslandsaufenthalten lebt er als freier Autor und Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen, Auszeichnungen u.a. mit dem "Alfred-Döblin-Stipendium" und dem "Walter-Serner-Preis". David Wagner lebt in Berlin. 2014 wurde er für seine "Sprachvirtuosität" mit dem Kranichsteiner Literaturpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2009

Das Leben ist keine Märchenstunde

Hundertelf Variationen über das Sein: Der Berliner Autor David Wagner blickt in seinem neuen Buch "Spricht das Kind" mit ganz anderen Augen auf die eigene Vergangenheit.

Von Sandra Kegel

Es ist ein kleines Buch, von dem ein großer Zauber ausgeht. Auf nicht einmal hundertfünfzig luftig gesetzten Seiten wagt David Wagner sich an die elementaren Fragen des Seins. Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was passiert dazwischen, und warum geht der Kinderwagen immer dann kaputt, wenn wir ihn brauchen? In hundertelf literarischen Miniaturen, die oft nicht einmal eine Seite füllen, brütet der 1971 geborene Schriftsteller, der mit seinem ersten Roman "Meine nachtblaue Hose" im Jahr 2000 bekannt wurde, über die Dinge des Lebens: "Durst" und "Anrufbeantworter" heißen die Kapitel, "Spucke" und "Spielplatz", "Regenwürmer", "Ähnlichkeit" und "Sehnsucht".

In seinem Debüt erzählte der damals achtundzwanzigjährige Autor, der zehn Jahre zuvor von Bonn nach Berlin übergesiedelt war, von einer Dreiecksbeziehung zwischen zwei Männern und einer Frau im studentischen Berlin der Jahrhundertwende. Zugleich aber, und das machte den besonderen Reiz aus, schrieb David Wagner, weil sein Ich-Erzähler sich aus der Gegenwart stets wegträumte, über eine Kindheit in der Bonner Republik. Aus der Distanz einiger Jahre und Hunderter Kilometer zum Schauplatz jener traumverlorenen rheinischen Welt der siebziger und achtziger Jahre entstand ein feinnerviges Erinnerungsgewebe, das mehrere Zeitebenen ineinander verflocht. In langen, rhythmischen Sätzen improvisierte David Wagner über das zurückliegende, zwischen Sofagarnitur und Eisschrank eingeklemmte Leben und über die Sehnsucht, ein anderer zu sein.

Auch Wagners neues Buch kreist, wiederum ausgehend von der Zentralperspektive der Berliner Mitte, um die Zeitläufte und Orte dieser westdeutschen Kindheit. Doch nicht nur formal ist das Buch "Spricht das Kind" anders gebaut, es ist ja auch kein Roman, sondern eine Sammlung literarischer Impromptus. Vor allem aber ist es mit einem anderen Blick auf die Welt geschrieben, denn der Autor oder zumindest das literarische Ich, das zu uns spricht, ist Vater geworden - ein Ereignis, das sein Dasein neu definiert und auch die Perspektive auf Vergangenes verändert hat.

Der Wandel tritt in banalen Alltagssituationen zutage. Seit das Kind da ist, schreibt David Wagner, trenne er den Müll. Er bringt jede Batterie zur Sammelstelle und kauft nur noch umweltverträgliche und phosphatfreie Waschmittel. Auch findet er sich an Orten wieder, die immer schon da, für ihn jedoch unsichtbar waren. Plötzlich sind sie wieder wichtig, Spielplätze beispielsweise. "Älter werden heißt auch immer jünger werden", schreibt er an einer Stelle: Das Kind macht den Vater wieder zum Kind.

Dieser Vater hört Lieder, die er jahrzehntelang nicht gehört hat, nun täglich. Er kauft Fahrradpuppensitze, Pixibücher und Buntstifte, auch Bettwäsche, Brausestäbchen und Fruchtzwerge. Er staunt darüber, wie das Gesicht des Kindes sich verändert, wenn es den Pullover auszieht und ihn wie eine Schwesternhaube über den Haaransatz hängen lässt. Und er ist von dieser ohnmächtigen Angst gepackt, die Eltern nicht selten umtreibt: "Ist das Kind nicht da, möchte ich tot sein. Sonst aber immer leben. Dabei erinnert das Kind mich immer daran, dass ich sterben muss."

Dieses Kind, eine Tochter, die namenlos bleibt, hat mit seinem Eintritt in die Welt alles für immer verändert: Sie ist da, wo vorher nichts gewesen ist, und der Erzähler hört nicht auf, sich darüber zu wundern. Dabei kann die Verbundenheit zum Kind auch zur Fessel werden: "Ich bin sein Leibwächter, ich passe auf, bin immer da, halte es fest, halte es an der Hand. Trage seine Sachen."

Das Kind ist die Projektionsfläche, die dem Erzähler die Augen öffnet: Plötzlich blickt er als ein anderer auch auf die eigene Kindheit. Seit er Vater ist, schreibt Wagner, ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Eltern, dem schwierigen Vater und der frühverstorbenen Mutter, nicht mehr die alles bestimmende Geschichte. Beinahe schon trotzig klingt es, wenn er sagt: "Ich habe jetzt eine eigene Firma." Die Kämpfe mit den Älteren werden nur noch angedeutet, ausgefochten werden sie nicht mehr. Auch wenn nach Jahrzehnten manch familiäre Szene noch Groll hervorruft - die Erinnerung an den Vater mit seinen Bohrern, die er von jeder Dienstreise heimbrachte, oder an die Mutter, die alle Jahre wieder zu Weihnachten die Familie fürs scheinheilige Postkartenidyll im Musikzimmer versammelte -, scheint der Erzähler doch so etwas wie Frieden gefunden zu haben.

Keinesfalls Groll, aber doch ein offensichtliches Bemühen um Distanz tritt gelegentlich auch im Blick auf das eigene Kind zutage, vor allem dann, wenn dieses eine Rolle spielt, den Kinderpart: "Jede ihrer Handbewegungen, jede Geste hat etwas Theatralisch-Überbetontes, Theaterhaftes - als bestünde das Leben des Kindes aus der Vorführung seines Kindseins. Jede Bewegung scheint zu sagen: ,Ich führe euch etwas vor, was ihr sehen wollt.'" Und manchmal vergreift der Autor sich auch im Bild, etwa wenn er beim Einkaufen mit der Tochter in der blauen Cordhose das Etikett "made in Bangladesh" entdeckt und wohlfeil darüber sinniert, ob die Kinder in Bangladesh wohl mit ihren Eltern einkaufen gehen oder sie auch samstags den Stoff für die Kinderhosen färben, nähen und verpacken müssen. Dafür aber entschädigen in diesem beseelten Textgefüge viele andere kleine und kluge Beobachtungen über Kindsein und Erwachsenwerden, Eltern, Liebe und Leben. Das Buch zieht in seinen Bann durch die Ruhe und Klarheit der Sprache, und es hebt sich ab von der Flut der sogenannten Väterliteratur, in der von ihrer neuen Rolle überwältigte Mittdreißiger sich in geschwätzigen Platituden ergehen.

Diese Aufgeregtheit erlaubt sich David Wagner nicht. Er macht sich vielmehr die eigene Position als ein kleines Rädchen im endlosen Gefüge der Generationen bewusst: "Das alles gab es schon so oft. Das ist doch schon so oft passiert. Über Tausende Generationen hinweg. Immer wieder." Doch klingt das hier nicht resignativ, sondern fast schon erleichternd. Der "Trostföhn" für Kopf und Herz, den David Wagner sich wünscht, um die Schmerzen wegzupusten - auf diesen Seiten bläst er mit maximaler Stärke.

David Wagner: "Spricht das Kind". Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2009. 144 S., geb., 18,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensent Dirk Knipphals ist ganz verzaubert über das in Worte gefasste und auch eingelöste unprätentiöse Staunen, dass dem Schriftsteller und Vater David Wagner mit seinen Miniaturen gelungen ist, die sich im Großen und Ganzen mit dem Dasein von Kindern im Leben beschäftigen: "Das Kind ist da, wo vorher nichts gewesen ist", so Wagner. Obwohl viele der kleinen Stücke und Reflexionen en passant daher kommen, hat der Schriftsteller "Widerhaken" eingebaut, die in alltäglichen Situationen, wie Einschlafen, Aufstehen oder Bauchschmerzen, ganze Poetiken aufscheinen lassen. Trotzdem ist es nicht so, dass dies ausschließlich ein "Buch übers Kinderhaben" wäre, da Wagner sich auch vor den philosophischen Fragen nach der Bedeutung von Geburt, Leben, Wachsen und Sterben nicht scheut. Deshalb ist das kleine Buch für Kinderlose wie Kinderhabende gleichermaßen geeignet, betont Knipphals.

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