Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 9,80 €
  • Gebundenes Buch

Hinter dem provokanten Titel, der den Tagebüchern Friedrich Hebbels entnommen ist und die rückschrittlichsten Theorien etwa Otto Weiningers zu unterstreichen scheint, verbirgt sich ein eigentümlicher, fiebriger Roman: Bibiana geht durch die Hände verschiedener Männer, die sie jeweils völlig neu formen, die ihr eine vollständig andere Identität verleihen, vom Namen bis zu ihrem Auftreten. In vollkommener Passivität nimmt sie diese unterschiedlichen Schicksale an, lässt sie diese Einschreibungen über sich ergehen.Krass wie in einem Kolportageroman sind diese Existenzen: sie ist nacheinander das…mehr

Produktbeschreibung
Hinter dem provokanten Titel, der den Tagebüchern Friedrich Hebbels entnommen ist und die rückschrittlichsten Theorien etwa Otto Weiningers zu unterstreichen scheint, verbirgt sich ein eigentümlicher, fiebriger Roman: Bibiana geht durch die Hände verschiedener Männer, die sie jeweils völlig neu formen, die ihr eine vollständig andere Identität verleihen, vom Namen bis zu ihrem Auftreten. In vollkommener Passivität nimmt sie diese unterschiedlichen Schicksale an, lässt sie diese Einschreibungen über sich ergehen.Krass wie in einem Kolportageroman sind diese Existenzen: sie ist nacheinander das Werkzeug eines Hochstaplers, die Muse eines armen Komponisten, die Geliebte eines reichen Geschäftsmannes und die Gefährtin eines sozialistischen Arbeiterführers, und in dieser letzten Rolle erleidet sie dann einen sinnlosen Tod auf den Barrikaden.Der Roman verstört. Bald nach Erscheinen schon zur Verfilmung vorgesehen (mit Greta Garbo in der Hauptrolle), rief er sehr bald kritische Stimmen hervor, die ihn auf der Folie des damaligen Emanzipationsstandes gelesen sehen wollten. Seine Kraft zeigt dieser noch ganz im expressionistischen Gestus geschriebene Roman gerade auch darin, wie fruchtbar er für die zeitgenössische Theoriediskussion zur Gender-Frage noch immer ist.
Autorenporträt
Mela Hartwig (1893-1967) wurde mit der posthumen Veröffentlichung ihres Romans "Bin ich ein überflüssiger Mensch?" wiederentdeckt. Sie wurde geboren in Wien, wurde bekannt als Schauspielerin, heiratete nach Graz, wo sie bis zu ihrer Vertreibung durch die Nationalsozialisten 1938 lebte; gefördert wurde sie u.a. von Döblin. Sie erlangte mit ihren Erzählungen und dem Roman schnell Skandalberühmtheit. Im Exil in London wurde sie als Malerin in kleinerem Kreis bekannt, als Schriftstellerin aber völlig vergessen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.01.2003

Frau unter Einfluss
Mela Hartwigs Debüt-Roman
aus dem Jahr 1929
Mela Hartwig, Jahrgang 1893, Wienerin und Jüdin, zunächst Schauspielerin, verheiratet mit einem jüdischen Rechtsanwalt, erregte 1928 mit ihrem Novellenband „Ekstasen”, der auf Vermittlung von Alfred Döblin erschienen war, große Aufmerksamkeit. Ein Jahr später erschien ihr erster Roman „Das Weib ist ein Nichts”. Ab dann war ihre gerade beginnende Karriere abgeschnitten. Nach 1929 wurde nichts mehr von ihr publiziert, außer 1936 in einem Pariser Exilverlag. Sie emigrierte 1938 nach London und wurde schließlich vergessen. Sie starb 1967.
Im vorigen Jahr erlebte die Autorin eine kleine Wiederauferstehung, als ihrem bisher unveröffentlichten Roman „Bin ich ein überflüssiger Mensch?” eine späte Erstveröffentlichung widerfuhr. Und nun wurde ihr Roman „Das Weib ist ein Nichts” wieder aufgelegt. Das Motto ist von Friedrich Hebbel entlehnt: „Ein Weib ist ein Nichts; nur durch den Mann kann sie etwas werden.. .” Da zieht man sich innerlich etwas zusammen. Klingt nach allen verschmockten Geschlechter-Klischees, die wir immer abschütteln wollten. Mit genau diesem Unbehagen arbeitet die Autorin und nimmt uns mit in ihre kleine Geschichte, die sich zunehmend ins Monströse ausweitet und konsequenterweise tödlich endet.
Aufbruch aus dem Puppenheim
Das nichtige Weib, das uns Mela Hartwig vorstellt, heißt Bibiana. Sie ist „sehr gepflegt, sehr eitel, sehr schwach”, und von Beginn an lächelt sie ihrem Spiegelbild und ihrem „unentrinnbaren Schicksal” zu. Nacheinander verfällt sie einem Hochstapler, einem armen Komponisten, einem reichen Geschäftsmann, einem sozialistischen Arbeiterführer. Jeder Mann formt sie nach seinem Bilde, implantiert der Willenlosen einen Lebensinhalt: „Wer eine Mission hat, muss auf sein Leben verzichten.” Bibiana ist ein Geschöpf, eine Schwester der Lulu vielleicht, sie lässt sich locken und lockt selbst die Männer „wunderbar ins Leben hinein”. Das kennen wir: Halb zog sie ihn, halb sank er hin. Aber sie bringt kein Glück. Indem sie sich selbst immer mehr abhanden kommt, straucheln auch die Männer und bringen sich um, verschwinden spurlos, brechen zusammen oder werden verhaftet.
Derart glücklos taumelt sie von einem Leben ins nächste, hört mal auf den Namen Nastasja und spricht russisch, ist Muse, hochbezahlte Geliebte, ist Anna und geht als Klassenkämpferin auf die Barrikaden. Sie ist eine „Figurine” (wie der Roman ursprünglich hieß, bevor ein beherzter Lektor den kräftigen neuen Titel erfand), die sich in ein fremdes Spiel verirrt hat. Das Spiel geht so lange, bis die letzte Spur ihres eigenen Lebens erloschen ist. „Ich lebe ja nicht mich, ich lebe – ich glaube, ich lebe dich”, sagt sie einmal tiefgründig ihrem männlichen Gegenüber. Als sie versucht, ihrem Schicksal auf die Spur zu kommen, ist es schon zu spät. Am Schluss findet sie nicht sich, sondern nur den Tod. Grässlich verstümmelt, förmlich zerstampft von Pferdehufen findet man sie auf der Straße. Dass auf ihrem unversehrten Gesicht am Ende noch ein fragendes Lächeln steht, lässt immerhin ein wenig hoffen.
Ein bisschen Bewegung, bitte!
Ein großstädtisches Schicksal in der modernen Lebenswelt? Im Hintergrund immer wieder scheint ein „verfaulendes” und „verpestetes” Europa. Der Roman ist auch ein Zeitbild; die Krise manifestiert sich wirtschaftlich, moralisch und politisch. So – scheint die Autorin zu sagen - sieht die neue Freiheit aus, der Aufbruch aus dem Puppenheim ist missglückt, da wartet eine andere Unbehaustheit. Die Frauen sind aus ihrem Schattenleben herausgetreten, aber stehen sie jetzt im Licht? Und sind sie Zeitgenossinnen ihrer Geschichte?
Das Buch war ein Erfolg, wurde ins Italienische übersetzt und schien ein blendender Stoff für die Filmindustrie zu sein. Metro-Goldwyn-Mayer hielt den Roman 1931 für ein ausgezeichnetes Sujet für einen Greta Garbo-Film. Das Projekt wurde nie realisiert, doch stellen wir uns Greta Garbo, die perfekteste Kinophantasie, als Idealverkörperung der Bibiana vor. Die Frau mit ihrem dekorierten Körper, die immer in anderen Rollen lebte und die am selbstgewählten Ende ihrer Laufbahn feststellte, wie sehr Bild und Wirklichkeit ihres Lebens auseinanderklafften.
Mela Hartwig führt uns ein Frauenbild vor, das uns an Zeiterscheinungen wie Weiningers „Geschlecht und Charakter” oder Möbius „Über den physiologischen Schwachsinn der Weiber” erinnert. Sie umspielt unerbittlich Männerphantasien und fixierte Frauenrollen und kommt zu einer unbehaglichen Beschreibung des Status quo. Doch ab und zu würden wir uns ein wenig mehr Bejahung und Subversion wünschen in dem allzu tödlichen Ton des Romans. Ein bisschen Bewegung bitte nach all dem Untergang. Etwas weitergedacht mag das heißen, dass die Liebe manchmal wohl ein Totentanz ist, aber manchmal eben auch ein Fest. Wie wäre es, im Fluss zu bleiben? Von diesem Ausblick schreibt die französische Philosophin Luce Irigaray: „Eine Genese der Liebe zwischen den Geschlechtern steht noch aus. Eine Welt ist zu schaffen oder wieder zu erschaffen, damit der Mann und die Frau erneut oder endlich zusammen wohnen, sich begegnen und zuweilen am selben Ort verweilen können.”
YVONNE GEBAUER
MELA HARTWIG: Das Weib ist ein Nichts. Roman. Literaturverlag Droschl, Graz 2002. 192 Seiten, 19 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2003

Partisanin des Herzens
Mela Hartwig erzählt von einer weitreichenden Verführung

Der Titel ist eine Provokation. Entlehnt ist er dem Dichter Friedrich Hebbel, der den Satz einst in sein Tagebuch schrieb: "Das Weib ist ein Nichts". Das klingt knallig und frauenverächtlich. Und nach Ansicht des Wiener Zsolnay-Verlags klang das 1929 genau richtig für das Romandebüt einer Frau, die sich zuvor bereits als streitbare Stimme des Geschlechterkampfes profiliert hatte. Die Rede ist von Mela Hartwig, eine jener unglücklichen, vergessenen Schriftstellerinnen, deren Karriere mit der nationalsozialistischen Machtergreifung abrupt ein Ende fand.

Dabei hatte alles so verheißungsvoll für die 1893 geborene Tochter eines zum Katholizismus konvertierten Juden angefangen. Nachdem Hartwig zunächst als Schauspielerin am Berliner Schillertheater mäßige Erfolge feierte, zog sie zusammen mit ihrem Mann, dem jüdischen Rechtsanwalt Robert Spira, nach Graz, um dort als Autorin eine zweite Laufbahn zu beginnen. In ihren stark von der Psychoanalyse beeinflußten Novellen bemühte sie sich, die Brutalität von Familien- und Liebesbeziehungen zu enttarnen.

Stefan Zweig und Alfred Döblin wurden auf die junge Autorin aufmerksam. Döblin empfahl Hartwig dem Zsolnay-Verlag, wo 1928 ihr Erzählungsband "Ekstasen" erschien. Nur ein Jahr später folgte, auf Druck des Hauses, ihr erster Roman, den die Schriftstellerin selbst mit "Figurine" überschrieben hatte. Ein Arbeitstitel, der den Inhalt tatsächlich besser trifft als das Hebbel-Zitat, erzählt Hartwig in ihrem Buch doch vom altbekannten Experiment, wonach ein Meister versucht, sich ein Geschöpf nach seinem Willen zu formen. Ein Versuch, der in der Regel an der Emanzipation des Geschöpfs scheitert und seit der Sage von "Pygmalion" als Gleichnis für den Frevel menschlichen Größenwahns gilt. Hartwigs Heldin Bibiana ist so eine bedauernswerte Kunstfigur. Im Alter von sechzehn Jahren gerät sie ähnlich wie das Shawsche Blumenmädchen Eliza Doolittle in die Fänge eines skrupellosen Erziehers. Nur, daß dieser kein erotisch desinteressierter Professor ist, sondern ein rechter Schwerenöter und "Abenteurer", der sie in nur "einer einzigen Nacht" zum Werkzeug eines Staatsbetrugs macht.

Er nennt sie "Nastasja", dichtet ihr einen fürstlichen Stammbaum an und läßt sie Russisch lernen. Kurzum: Der Abenteurer radiert Bibianas alte Identität so vollständig aus, daß es vor seinem Tod zum hochsymbolischen Akt eines unseligen Vermächtnisses kommen kann. Hier trägt der Guru seiner Schülerin "mit magischen Zeichen und Zahlen" ebenjenen "Dämon" auf die Haut und Seele ein, der sie fortan umtreiben wird. Der neuralgische Punkt ist erreicht, das Monster beginnt zu atmen. Oder, wie es der Abenteurer ganz in Manier von Goethes Zauberlehrling ausdrückt: "Eine Figurine in meinem Spiel ist lebendig geworden. Das ist das einzige, was ich nicht vorhergesehen habe."

Bibiana ist also nicht allein Opfer. Sie ist auch (Mit-)Täterin und keineswegs lediglich passives "Nichts", wie Rezensenten bis heute im Hinblick auf den Titel leider immer wieder behaupten. Gern wird dann Friedrich Lorenz aus dem Nachwort zitiert, der 1929 im "Neuen Wiener Journal" etwas hilflos von einem "Frauenroman gegen die Frau" sprach, von einer "Bloßstellung ihres Geschlechts", von einer "Kapitulation vor dem Mann". Leerstelle Frau? "Ich war immer nur ein Gefäß, in das irgendeiner sein Leben hineingestopft hat", klagt Bibiana an einer Schlüsselstelle. Diesen Satz kann man mit Bedacht auf Hartwigs Lust an der Dechiffrierung allerdings auch anders als Lorenz verstehen. Als Aussage einer mit dämonischem Auftrag ausgestatteten Partisanin nämlich. In dieser Lesart würde sich Bibiana Männern nur vordergründig anpassen, um ihnen um so besser ins "Herz eindringen" zu können. Eine Formulierung, die sich bezeichnenderweise gleich mehrfach in Hartwigs Roman findet. Darin wandert Bibiana nach ihrem ersten, im wahrsten Sinne prägenden Liebeserlebnis noch durch die Hände dreier weiterer Männer, die ihr wiederum neue Namen und damit neue Stempel aufdrücken.

Ob als dirigistische Muse eines "Künstlers", ob als kindlich-naive "Bibi" eines "Bankiers" oder kämpferische "Anna" eines sozialrevolutionär gesinnten "Fabrikarbeiters": Bibiana bleibt immer beides - Verführte und Verführerin. Tatsächlich übt sie unter dem Deckmantel unterwürfiger Sorge auf ihre Geliebten entscheidenden, ja geradezu fatalen Einfluß aus, die in ihrer Namenlosigkeit allesamt eher Prinzipien als Charaktere verkörpern. Sie ist es, die mit einem Patzer den Abenteurer in den Selbstmord treibt. Sie ist es, die dem Künstler sein desaströses Konzert verschafft. Und sie ist es schließlich auch, die dem Fabrikarbeiter ein gemeinsames Kind versagt. Für alle ihre Männer wird Bibiana zur Unglücksbringerin. Und spätestens an der Stelle, wo sie sich gegen eine Mutterschaft mit exakt den gleichen Worten ausspricht, mit denen ihr vorher auch der Abenteurer davon abgeraten hat, wird klar: Der so oft im Text erwähnte "Dämon" hat sich erfolgreich fortgepflanzt.

Passend zur Geschichte einer Besessenheit spart Hartwig nicht mit Emotionen. Ihr Text strotzt vor Superlativen und schon damals eher abgegriffener Bilder. In "Das Weib ist ein Nichts" fließen schnell "Sturzbäche" von Tränen, "wallt" häufig das "Blut", pocht ein "Herz". Das geht nicht immer glatt am Kitsch vorbei und wirkt stellenweise symbolisch überladen. Dem Sog dieser höchst beunruhigenden Parabel auf die zerstörerische Macht männlicher Manipulation aber kann man sich schwer nur entziehen.

GISA FUNCK

Mela Hartwig: "Das Weib ist ein Nichts". Roman. Mit einem Nachwort von Bettina Fraisl. Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2002. 189 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Spannend und doppelbödig findet die Rezensentin Gisa Funck diesen 1929 erstmals veröffentlichten Roman. Sie entdeckt in der Erzählung um die Protagonistin Bibiana und ihre schwierigen Männerbeziehungen Ebenen, die in früheren Kritiken des Buches eher wenig Beachtung fanden. Dem Titel entsprechend wurde sie in den damaligen Rezensionen oft als Opfer dargestellt, doch Funck findet, dass dieser Ansatz nur die halbe Wahrheit ist: "Tatsächlich übt sie unter dem Deckmantel unterwürfiger Sorge auf ihre Geliebten entscheidenden, ja geradezu fatalen Einfluss aus." Die Anpassung von Bibiana bleibt nach Ansicht der Rezensentin vordergründig. Doch Funck spart auch nicht mit Kritik: um dem Motiv der Besessenheit, das sich durch das Buch zieht, Ausdruck zu verleihen, habe sich Mela Hartwig oft "schon damals abgegriffener Bilder" bedient. Die Geschichte "strotzt vor Superlativen", was dem Roman oft einen kitschigen Anstrich gibt, meint Funck. Und doch findet sie das Buch am Ende durchaus lesenswert: "Dem Sog dieser höchst beunruhigenden Parabel auf die zerstörerische Macht männlicher Manipulation aber kann man sich nur schwer entziehen."

© Perlentaucher Medien GmbH
»Dem Sog dieser höchst beunruhigenden Parabel auf die zerstörerische Macht männlicher Manipulation kann man sich schwer nur entziehen.« (Gisa Funck, FAZ)