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Deutschland, 1941. Auf einem Fliegerhorst in Brandenburg geht Alfredo Guzman seiner Arbeit nach - als Gynäkologe im Dienst des Führers. Wie es dazu gekommen ist, erstaunt ihn, sobald er darüber nachdenkt. Eines Tages wird hoher Besuch erwartet: Fliegerheld Ernst Udet hat sich angesagt. Auf dem Empfang zu seinen Ehren bringt sich Guzman in Turbulenzen, die ihn zur Flucht zwingen, gleich am nächsten Morgen. Nur: wohin? Überraschenderweise hilft ihm Udet, nach Venezuela zu entkommen, von wo Guzmans Vater stammte. So wird die Flucht vor dem Deutschen Reich zugleich zur Suche nach einer…mehr

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Produktbeschreibung
Deutschland, 1941. Auf einem Fliegerhorst in Brandenburg geht Alfredo Guzman seiner Arbeit nach - als Gynäkologe im Dienst des Führers. Wie es dazu gekommen ist, erstaunt ihn, sobald er darüber nachdenkt. Eines Tages wird hoher Besuch erwartet: Fliegerheld Ernst Udet hat sich angesagt. Auf dem Empfang zu seinen Ehren bringt sich Guzman in Turbulenzen, die ihn zur Flucht zwingen, gleich am nächsten Morgen. Nur: wohin? Überraschenderweise hilft ihm Udet, nach Venezuela zu entkommen, von wo Guzmans Vater stammte. So wird die Flucht vor dem Deutschen Reich zugleich zur Suche nach einer Vergangenheit, die hinter dem Schleier von Familienlegenden liegt.Es stellen sich dem Ich-Erzähler, der von seinem Vater und dessen Vater erzählt, entscheidende Fragen: Was tun in einer Zeit, die Haltung verlangt, wenn man wenig hat, dafür aber Sehnsucht und die Begabung, ganz im Augenblick aufzugehen? Was geschieht, wenn man sich der Welt nicht mit Prinzipien nähert, sondern sich einfach überwältigen,davontreiben lässt? Die Reise, auf die Jochen Jung seinen Protagonisten in einer kühnen Mischung aus Dichtung und Wahrheit schickt, ist voller überraschender Wendungen (und Einsichten), sie führt um die halbe Welt - und mitten ins Zentrum der eigenen Existenz.
Autorenporträt
Jochen Jung geboren 1942 in Frankfurt am Main, lebt in Salzburg. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte, seit 2000 Verleger des Jung und Jung Verlags. Ständiger Mitarbeiter der ZEIT, des Berliner Tagesspiegels, der Wiener Presse und der Salzburger Nachrichten. Bei Haymon: Ein dunkelblauer Schuhkarton. Hundert Märchen und mehr (2000), Täglich Fieber. Erzählungen (2003), Venezuela. Roman (2005) und Das süße Messer. Eine Novelle (2009). Im Herbst 2012 erscheint sein neues Buch Wolkenherz. Eine Geschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.04.2006

Weltreise auf Segelohren
Kleiner Roman, ganz groß: Jochen Jung reist nach Venezuela
Nicht zu zählen sind die Bücher, denen das Etikett „Roman” aufgeklebt wird, obwohl sie hinter den Anforderungen der Gattung peinlich zurückbleiben. Dieses hier nennt sich in listiger Bescheidenheit „Ein kleiner Roman” und sieht auch genauso aus, aber nach der Lektüre hat man das Gefühl, in einem Epos von beträchtlichen Dimensionen spaziert zu sein. Die Imagination schweift ins Weite, eine Geschichte von durchaus romanhaftem Format hat sich vor dem inneren Auge entfaltet, und zugleich empfindet man so etwas wie Erleichterung, weil einem der Wälzer erspart geblieben ist, der sich damit hätte füllen lassen. Jochen Jung, Schriftsteller und Verleger in Salzburg, hat einen kuriosen, komischen und klugen, zwischen Dichtung und Wahrheit fast schwerelos changierenden Miniatur-Roman geschrieben. Was man nicht unbedingt erwartet, wenn die Erzählung mit dem Satz anhebt: „Mein Vater war ein Nazi, kein Zweifel.”
Der zweite Satz allerdings lautet: „Er stand immer daneben.” Das klingt ein wenig kryptisch, deutet aber schon darauf hin, dass hier nicht von Täterschaft und Schuld, ja nicht einmal von Mitläufertum die Rede sein soll. Denn wer steht, der läuft nicht und marschiert nicht, und der fiktive Erzählervater Alfredo Guzman, um 1940 als Stabsarzt auf einem Fliegerhorst der Wehrmacht in Brandenburg stationiert, steht in der Tat nicht hinter dem Nazi-System, sondern allenfalls in ihm herum, weil er eigentlich immer neben sich steht. Seltsam genug, dass er, der seinen fremdartigen Namen, seinen dunklen Teint und seine - von den Segelohren abgesehen - exotische Schönheit südamerikanischen Vorfahren verdankt, einen Ariernachweis ergattert hat. Seltsamer noch, dass er, der ausgebildete Gynäkologe, im militärischen Bereich tätig ist: Dafür hat die Gattin eines Generals gesorgt, weil sie den schönen Alfredo, seinerseits Ehemann und Familienvater, regelmäßig zu ihrer Verfügung haben möchte, und nicht nur als Mediziner.
Unter diesen Bedingungen versieht Guzman nicht ungern, wenn auch politisch recht unbedarft, seinen Dienst für den Führer, bei gelegentlicher Zweckentfremdung des gynäkologischen Stuhls im Dienste der Leidenschaft. Erst als der General hinter die Liaison kommt, sieht der Arzt, den die Frauen lieben, sich zum Handeln genötigt, nämlich zur umgehenden Desertion. Dabei hilft ihm ausgerechnet der Kriegsheld und Kunstflieger Ernst Udet, selbst ein schillernder Opportunist und Schürzenjäger.
Das reine Dschungelblut
In einer Berliner Villa kommt es am historischen Datum, freilich unter grotesk veränderten Umständen, zum Selbstmord des notorischen Starktrinkers Udet. Alfredo Guzman indes kann dank dessen großzügiger Unterstützung eine Schiffspassage nach Venezuela antreten, in das Land seiner Ahnen, das er zu seiner eigenen Überraschung als Fluchtziel angegeben hat. An Frau und Kinder, die er ohne Abschiedsgruß zurücklässt, verschwendet er kaum einen Gedanken. Während der Überfahrt sieht sich der merkwürdig halt- und haltungslose, zu Anfällen von Euphorie und Melancholie gleichermaßen neigende Guzman erstmals mit der grausamen Wirklichkeit des Nazi-Regimes konfrontiert, durch Berichte seiner jüdischen Kabinengenossen. Dass er unterwegs einem Knaben namens Isaak Alfredo Heinrich auf die Welt hilft, beruhigt ein wenig sein frisch erwachtes Gewissen. Nach einem Zwischenhalt samt amourösem Abenteuer auf Curaçao landet er endlich in Venezuela und trifft - man glaubt es kaum - in der wiederum realhistorischen Colonia Tovar, einer Schwarzwalddorf-Attrappe in den Kordilleren, seinen leibhaftigen, verschollen geglaubten Vater Alfredo Guzman senior.
Dass der Reisende in diesem gespenstischen Ambiente in Wahrheit sich selbst begegnet, ist unübersehbar. Nicht nur hat der Erzeuger die gleichen abstehenden Lauscher, auch er hat seine Familie einst schnöde sitzenlassen, und er lebt mit einer einheimischen Frau zusammen, zu der Alfredo junior sich sogleich unwiderstehlich hingezogen fühlt. Der alte Guzman aber ist nun wirklich ein Nazi oder jedenfalls ein Rassist, der mitten im Urwald seine Wahnvorstellungen von der Reinhaltung deutschen Blutes durchsetzen will. Das Vater-Sohn-Drama nimmt seinen Lauf, doch komisch bleibt es bis zuletzt, schon wegen der Szene, in der die beiden Herren mit ihren Fledermausohren einander in die Quere kommen, oder wegen des Einfalls, den unsympathischen Arzt der deutschen Kolonie mit dem Namen des Barockdichters Quirinus Kuhlmann zu schmücken.
Traurig ist, dass es für Alfredo Guzman den Jüngeren, der erst in Venezuela die Notwendigkeit erkennt, „Deutschland, seinem Deutschland, zu entkommen, endgültig”, nur eine radikale Lösung gibt. Er kippt tot vom Stuhl, mit dem Geschmack von Blutwurst auf der Zunge, als wollte ihn nun auch noch sein Großvater, ein Hamburger Saitlingfabrikant, aus der Ferne heimsuchen. Sein gerade begonnener Brief an den Vater (lugt da nicht der segelohrige Franz Kafka um die Ecke?) bleibt ungeschrieben. Wie so vieles in diesem kleinen Roman, dem es trotzdem an nichts mangelt, weil er den Leser elegant und schwungvoll über Weltmeere, epochale Nebelschluchten und ein paar menschliche Abgründe trägt.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
JOCHEN JUNG: Venezuela. Ein kleiner Roman. Haymon Verlag, Innsbruck 2005. 128 Seiten, 15,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kristina Maidt-Zinke preist dieses als "kleinen Roman" publizierte Buch als "Epos von beträchtlichen Dimensionen" und ist trotzdem erfreut, dass ihr der Riesenwälzer, den Jochen Jung aus der Geschichte hätte machen können, "erspart geblieben" ist. "Venezuela" ist ein "kurioser, komischer und kluger" Roman, der "fast schwerelos" Erfindung mit historischer Wahrheit mischt, schwärmt die Rezensentin. Der Vater des Erzählers, ein Gynäkologe mit venezuelanischen Vorfahren, der als Stabsarzt eines Fliegerhorsts der Wehrmacht arbeitet, desertiert wegen eines aufgeflogenen Verhältnisses zu einer Offiziers-Ehefrau nach Venezuela und trifft dort auf seinen verschollen geglaubten Vater. Dieser versucht in der "realhistorischen" Colonia Tovar seine rassistischen "Wahnvorstellungen von der Reinerhaltung deutschen Blutes" durchzusetzen, erklärt die Rezensentin. Dem "kleinen Roman" fehle es wahrhaftig an nichts, schwärmt sie, obwohl so manches, wie beispielsweise ein Brief des Gynäkologen an den Vater, nicht ausformuliert wird. "Elegant und schwungvoll" führe Jung seine Leser durch Zeiten und Orte und "ein paar menschliche Abgründe", jubelt Maidt-Zinke.

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