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"Es war ein schreckliches Abschlachten, ein Strafgericht. Für mich war in dieser einen Stunde alles aus. Etwas in mir zerbrach." So brachte Siegfried Pitschmann auf den Punkt, was die vernichtende Kritik des DDR-Schriftstellerverbandes an seinem Manuskript "Erziehung eines Helden" am 3. Juli 1959 bei ihm bewirkt hatte. Der Roman wurde literaturpolitisch als abschreckendes Beispiel für "Amerikanismus" und die nun offiziell verpönte "harte Schreibweise" missbraucht; er konnte in der DDR nie gedruckt werden. Es ist an der Zeit, diesem kleinen Meisterwerk endlich zu der Anerkennung zu verhelfen,…mehr

Produktbeschreibung
"Es war ein schreckliches Abschlachten, ein Strafgericht. Für mich war in dieser einen Stunde alles aus. Etwas in mir zerbrach." So brachte Siegfried Pitschmann auf den Punkt, was die vernichtende Kritik des DDR-Schriftstellerverbandes an seinem Manuskript "Erziehung eines Helden" am 3. Juli 1959 bei ihm bewirkt hatte. Der Roman wurde literaturpolitisch als abschreckendes Beispiel für "Amerikanismus" und die nun offiziell verpönte "harte Schreibweise" missbraucht; er konnte in der DDR nie gedruckt werden. Es ist an der Zeit, diesem kleinen Meisterwerk endlich zu der Anerkennung zu verhelfen, die es verdient.

Ein junger Pianist, der seinen Lebensunterhalt als Barmusiker verdient, verzweifelt daran, keines seiner Lebensziele erreicht zu haben: nicht als Künstler, nicht als Liebender, nicht als ein nützliches Mitglied der Gesellschaft. Er flieht in den Alkohol. Als letzte Rettung vor dem persönlichen Untergang erscheint ihm die Bewährung in der harten Arbeitswelt der seinerzeit größten Baustelle der DDR, dem Braunkohlekombinat "Schwarze Pumpe". Hier verdingt er sich als Betonarbeiter und erfährt in den nächsten Monaten an Leib und Seele, was es bedeutet, den Anforderungen des Arbeitsalltags auf einer sozialistischen Großbaustelle zu genügen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2015

Beton ist keine Literatur
Siegfried Pitschmanns "Erziehung eines Helden"

1957 ließ der damals 27 Jahre alte Schriftsteller Siegfried Pitschmann Haus, Hof, Familie, Schaffens- und Alkoholprobleme hinter sich. Er zog auf die Großbaustelle von Schwarze Pumpe in die Lausitz. Er nannte es ein "unverschämtes Experiment". Pitschmann wurde Betonarbeiter, seine Kollegen wussten nicht, dass sie es mit einem Dichter zu tun hatten. Bald schon gab er die Sache wieder auf, wollte aber über seine Erlebnisse schreiben. "Sieben Stücke mit einem Thema oder Erziehung eines Helden" nannte er seinen Roman, der dann allerdings nicht erscheinen durfte. Mit knapp sechzig Jahren Verspätung und 13 Jahre nach dem Tod des Autors liegt das Buch jetzt vor. Weil Pitschmann damals die finanzielle Hilfe des Schriftstellerverbandes benötigte, musste er dem Verband sein Manuskript noch in der Entstehung vorlegen. Es entbrannte eine Diskussion über die "harte Schreibweise", was den Vorwurf meinte, Pitschmann orientiere sich in seinem Schreiben an Ernest Hemingway und Norman Mailer, an Westautoren also. Und er stelle das Leben auf der Baustelle dar, als wären dort alle Arbeiter nur auf viel Geld und Alkohol aus. Pitschmann hatte während der Arbeit am Roman Brigitte Reimann kennengelernt, mit der er dann ein paar Jahre lang verheiratet war und die ihn nach Kräften unterstützte. Einer der Gegenspieler war Erwin Strittmatter, damals Erster Sekretär des Schriftstellerverbandes. Reimann schrieb in ihrem Tagebuch, dass die "harte Schreibweise" eine fixe Idee Strittmatters gewesen sei. Pitschmann, hochsensibel, reagierte auf die Ablehnung seines Buches mit einem Selbstmordversuch, legte dann das Manuskript beiseite und wagte sich nie wieder an einen Roman.

Nun endlich kann gelesen werden, worum es eigentlich ging. Herausgeberin Kristina Stella hat bislang eine Reimann-Bibliographie vorgelegt und den Briefwechsel zwischen Reimann und Pitschmann veröffentlicht. Im Literaturzentrum Neubrandenburg, wo der Nachlass beider Autoren liegt, stieß sie zufällig auf das Manuskript "Erziehung eines Helden" sowie eine unveröffentlichte Erzählung "Ein Mann namens Salbenblatt" von 1976, die das Thema noch einmal aufgriff. Lohnt sich die Lektüre der beiden Texte? Ja und nein. Das Buch ist eine Wiedergutmachung an Pitschmann, aber sechs Jahrzehnte zu spät. Eine der typischen kulturpolitischen DDR-Affären kann nunmehr als aufgeklärt gelten. Das an sich ist lobenswert. Schwieriger ist es schon mit den Texten selbst. Was daran "harte Schreibweise" sein soll, erschließt sich heute nicht mehr. Sicher lässt sich erkennen, wie Pitschmann um Form und Sprache ringt, sein Talent ist unbestritten. Und dennoch wirkt der Text so grau und staubig wie die Betonlandschaft, in der er spielt. Ja, dem Leser kommt irgendwann die Ungeheuerlichkeit ein, Strittmatters Kritik von damals habe etwas für sich: dass es an Leben fehle und an interessanten Figuren. Das Ringen des Helden, sozusagen am Beton innerlich zu genesen - kann man so etwas ernst nehmen? Freilich: Pitschmann selbst lieferte ein Beispiel dafür. Aber war es nicht schon bei ihm eine Schnapsidee? Sollte er wirklich nicht gewusst haben, dass Betonmischer keine Literatur auswerfen?

FRANK PERGANDE.

Siegfried Pitschmann: "Erziehung eines Helden". Roman.

Hrsg. von Kristina Stella. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2015. 249 S., geb., Abb., 19,95 [Euro].

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