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Politische-Kultur- und Demokratieforschung gehören spätestens seit der dritten Demokratisierungswelle zu den dynamischsten Subdisziplinen der internationalen Politikwissenschaft. Diese Studie modifiziert und überführt das Konzept der "Embedded Democracy" in eine wertezentrierte, zweidimensionale Typologie politischer Kultur. Sie unterscheidet Haltungen zu obligatorischen von Haltungen zu fakultativen Elementen konstitutioneller Demokratie und widmet sich im empirischen Teil der Frage, ob es in Deutschland nach über zwei Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung so etwas wie eine "innere Einheit"…mehr

Produktbeschreibung
Politische-Kultur- und Demokratieforschung gehören spätestens seit der dritten Demokratisierungswelle zu den dynamischsten Subdisziplinen der internationalen Politikwissenschaft. Diese Studie modifiziert und überführt das Konzept der "Embedded Democracy" in eine wertezentrierte, zweidimensionale Typologie politischer Kultur. Sie unterscheidet Haltungen zu obligatorischen von Haltungen zu fakultativen Elementen konstitutioneller Demokratie und widmet sich im empirischen Teil der Frage, ob es in Deutschland nach über zwei Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung so etwas wie eine "innere Einheit" gibt. Der subnationalen Analyse verschiedener Umfragedaten zufolge lässt sich diese These (ebenso wie die zweier politischer Kulturen) allerdings kaum aufrechterhalten - vielmehr haben sich durch historische, sozioökonomische und konfessionelle Friktionen mehrere Regionalkulturen in der Bundesrepublik etabliert, die sich durch je unterschiedliche demokratisch-konstitutionelle Vorstellungen auszeichnen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass die Spaltung der politischen Kultur Deutschlands gar nicht mehr zwischen Ost und West verläuft, sondern vielmehr zwischen unterschiedlichen Regionalkulturen innerhalb der beiden Landesteile, entnimmt Rezensent Frank Decker diesem seiner Ansicht nach klugen, gewissenhaft recherchierten, methodisch und empirisch ausgezeichneten Buch des Politologen Tom Mannewitz. So liest der Kritiker in dieser Studie, die nach den Wertorientierungen der Bürger gegenüber dem Verfassungsstaat fragt, etwa nach, dass im Süden Deutschlands vor allem eine freiheitlich-wettbewerbliche Grundhaltung vorherrsche, während im Nordwesten eine demokratisch-konstitutionelle Regionalkultur dominiere und in eher sozialistisch-revolutionären Kulturen wie Berlin, Brandenburg und Sachsen das autoritäre Erbe des DDR-Sozialismus stärker nachwirke als etwa in Thüringen, wo die Kirche größeren Einfluss hatte. Ein bedeutender Beitrag zur politischen Kulturforschung in der Bundesrepublik, der aufzeigt, dass die politisch-kulturellen Unterschiede abnehmen und künftige Spaltungslinien mit Blick auf ökonomische Faktoren eher zwischen Ballungsräumen und ländlichen Regionen verlaufen, schließt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2016

In Vielheit vereint
Zur oft behaupteten Spaltung der deutschen politischen Kultur

Die These der zwischen Ost- und Westdeutschland gespaltenen politischen Kultur gehörte in der Politikwissenschaft lange Zeit zum Gemeingut. Willy Brandts berühmtes Wort, nach dem Mauerfall 1989 ausgesprochen, wonach jetzt zusammenwachse, was zusammengehört, wurde von den kontinuierlich erhobenen demoskopischen Befunden, die die tiefgreifenden Einstellungs- und Mentalitätsunterschiede zwischen den Alt- und Neubürgern scheinbar zuverlässig dokumentierten, als Wunschdenken entlarvt. Sowenig es gelungen sei, die materiellen Lebensbedingungen im Osten denen des Westens anzugleichen, so wenig habe man die sprichwörtliche "Mauer in den Köpfen" überwunden. Besonders markant stach in den Untersuchungen das deutlich geringere Niveau der Demokratiezufriedenheit in den neuen Bundesländern ins Auge, das manche Beobachter um die künftige Stabilität des Gemeinwesens fürchten ließ. Die stärkere Ausprägung rechtspopulistischer und rechtsextremer Erscheinungen, die jüngst zum Beispiel durch die überwiegend in Ostdeutschland (und hier vor allem in Sachsen und Dresden) beheimatete Pegida-Bewegung sichtbar geworden ist, wirkt wie ein zusätzlicher Beleg dieser These.

Das Buch des jungen Chemnitzer Politologen Tom Mannewitz kann die behauptete Spaltung der politischen Kultur in weiten Teilen widerlegen. Grundlage seiner Studie ist ein subnationaler Vergleich der politischen Einstellungsmuster der Bürger in den deutschen Bundesländern. Gefragt wird dabei nach den Wertorientierungen gegenüber dem demokratischen Verfassungsstaat, jeweils getrennt nach dessen obligatorischen und fakultativen Bestandteilen. Erstere umfassen das Wahlregime, die Grundrechte, die politischen Partizipationsrechte, die Rechtstaatlichkeit und die Verfassungsgerichtsbarkeit, Letztere die Relevanz von Freiheit und Gleichheit, das Äquidistanzgebot gegenüber politischem Extremismus, die Expansion des Sozialstaates, gesellschaftliche Verhaltensnormen (Kooperation versus Wettbewerb), individuelle versus staatliche Verantwortung, die Natur politischen Wandels, den Wert politischer Teilhabe, direktdemokratische Verfahren, das Föderalismusprinzip und die öffentliche Rolle der Kirchen.

Das daraus abgeleitete "Zwei-Ebenen-Modell" der politischen Kultur mündet in eine Kartographie unterschiedlicher Regionalkulturen, deren Grenzen weniger zwischen dem Osten und Westen Deutschlands verlaufen als innerhalb der beiden Landesteile. Im Süden der Republik (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz) dominiert eine freiheitlich-wettbewerbliche Grundhaltung, welche die Eigenverantwortung stärker betont als den Sozialstaat und die demokratische Gleichheit. Eine eher demokratisch-konstitutionelle Regionalkultur sieht der Autor im Nordwesten - Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen - gegeben. Sie zeichne sich im Vergleich zum Süden durch eine größere Akzeptanz der demokratischen Institutionen und Betonung der gesellschaftlichen Gleichheit aus, was der Autor unter anderem auf den Protestantismus zurückführt.

In den eher sozialistisch-revolutionär geprägten Kulturen Berlins, Brandenburgs und Sachsens wirke demgegenüber das autoritäre Erbe des DDR-Sozialismus stärker nach, weil die Gegenmacht der Kirche hier weniger immunisierend gewesen sei als etwa im benachbarten Thüringen. Zumindest für Sachsen erscheint vor diesem Hintergrund allerdings die bisherige Dominanz der CDU im Parteiensystem erklärungsbedürftig. Zwei ostdeutsche Länder nehmen eine Sonderstellung ein. Während sich Mecklenburg-Vorpommern durch eine Mélange aus sozialistischen Wertorientierungen, einer dezidiert reformerischen Grundhaltung und einer Reserve gegenüber rechtsstaatlichen Grundsätzen bei gleichzeitig hoher Akzeptanz des Wahlregimes auszeichne, sei in Sachsen-Anhalt neben der ausgeprägten Status-quo-Orientierung vor allem die starke Befürwortung einer Expertenherrschaft auffällig, die sich hier neun von zehn Menschen herbeisehnen.

Der Autor weist darauf hin, dass die Regionalkulturen in ihren grundsätzlichen Wertorientierungen ähnlich seien, sie betonten diese nur unterschiedlich stark. Die Rede von der "inneren Einheit" Deutschlands sei insofern missverständlich. Für die Unterschiede sind neben den religiös-konfessionellen Prägungen einerseits die sozioökonomische Entwicklung verantwortlich, andererseits zivilgesellschaftliche Strukturen, die zwischen den Menschen Vertrauen schafften (Sozialkapital). Die Erosion der Religiosität und die nachlassende Prägewirkung der DDR-Vergangenheit lassen erwarten, dass sich die politisch-kulturellen Unterschiede zwischen den Ländern und Regionen weiter einebnen. Weil die ökonomischen Faktoren im Gegenzug an Bedeutung gewinnen, werden die künftigen Spaltungslinien eher zwischen den prosperierenden Ballungsräumen und strukturschwachen ländlichen Regionen verlaufen.

Diese Erwartung erscheint nicht nur mit Blick auf den zum Entstehungszeitpunkt des Buches noch ungebrochenen Abwanderungstrend aus den neuen Ländern plausibel, sondern auch im europäischen Vergleich. Sie steht am Ende einer methodenbewussten, theoretisch versierten und empirisch gehaltvollen Untersuchung, die einen der wichtigsten Beiträge zur politischen Kulturforschung in der Bundesrepublik aus den letzten Jahren darstellt.

FRANK DECKER

Tom Mannewitz: Politische Kultur und demokratischer Verfassungsstaat. Ein subnationaler Vergleich zwei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung. Nomos Verlag, Baden-Baden 2015. 548 S., 128,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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