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1963: Jonas, Britta, Reni und Robert. Jeder erzählt aus seiner Sicht die Geschichte ihres vorletzten gemeinsamen Schuljahrs. Britta ist vor fast drei Jahren aus Stralsund in den Westen gekommen, der schüchterne Robert wird zum Klassensprecher gewählt und verliebt sich in Britta. Jonas vermisst seinen an den Kriegsfolgen gestorbenen Vater. Die aufmüpfige Reni hat einen Studenten-Freund in der Stadt, der sie in eine politische Aktion hineinzieht. Die Geschichten der vier kulminieren in einem Kriminalfall, den der junge Kommissar Lembeck aufklären soll. Dabei bekommt der Kommissar selbst die…mehr

Produktbeschreibung
1963: Jonas, Britta, Reni und Robert. Jeder erzählt aus seiner Sicht die Geschichte ihres vorletzten gemeinsamen Schuljahrs. Britta ist vor fast drei Jahren aus Stralsund in den Westen gekommen, der schüchterne Robert wird zum Klassensprecher gewählt und verliebt sich in Britta. Jonas vermisst seinen an den Kriegsfolgen gestorbenen Vater. Die aufmüpfige Reni hat einen Studenten-Freund in der Stadt, der sie in eine politische Aktion hineinzieht. Die Geschichten der vier kulminieren in einem Kriminalfall, den der junge Kommissar Lembeck aufklären soll. Dabei bekommt der Kommissar selbst die Konsequenzen des Widerspruchs zu spüren, auf den die Jugendlichen gestoßen sind. Fünf Jahre vor 1968 geht es um den schwierigen Neuanfang nach der Nazizeit und um den Wert von Meinungsfreiheit und Demokratie inmitten des aufblühenden Kapitalismus.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.06.2017

Streitthema Demokratie
Jugendliche der Sechzigerjahre erleben die politischen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit
Was ist Politik? Herbert Günther hat einen Roman geschrieben, der auf den ersten Blick „nur“ eine einfühlsam erzählte Geschichte von pubertierenden Pennälern, von Liebeleien, Eifersucht und Rivalitäten ist. Parallel hierzu macht Günther aber auch deutlich, dass gerade die Schule ein gutes, wenn auch anstrengendes Übungsfeld für den friedlichen Ausgleich von Machtinteressen, für Selbstbestimmung und für diverse Konfliktlösungen ist, also für Politik im weiteren Sinne.
„Der Widerspruch“ spielt im Wesentlichen im Jahr 1963 in einer norddeutschen Kleinstadt. Also in einer Zeit, in der es in der Bundesrepublik zu rumoren begann, in der die Väter zum Teil erstmals gefragt wurden, wie sie zum Nationalsozialismus standen und was sie konkret in dieser Zeit getan hatten. Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen mussten auch an den Schulen NS-Verfolgte neben und zusammen mit Tätern und Mitläufern arbeiten, was für die Opfer der Diktatur kaum erträglich war. Zumal die Täter in der Regel keinesfalls kleinlaut oder gar schuldbewusst waren, sondern zumeist ihren autoritären, rechthaberischen und tendenziell demokratiefeindlichen Führungsstil unbeeindruckt weiter pflegten. Herbert Günther, Jahrgang 1947 und in der Nähe von Göttingen aufgewachsen, hat das exakt selbst so erlebt. Insofern hat „Der Widerspruch“ sicherlich auch autobiografischen Charakter. (Der Autor feierte am 14. Juni seinen 70. Geburtstag.)
Die Antipoden an der beschriebenen Realschule sind Richard Hartmann, genannt „Der Nachtjäger“ und Klassenlehrer der 9a, ein früherer Kampfflieger, der gerne gegen die „Nestbeschmutzung“ zu Felde zieht, und Dr. Erwin Freytag, der sich aus gutem Grund immer wieder über die Naziverbrecher erregen kann und es eine „heilige Pflicht“ der jüngeren Generation nennt, es nun besser zu machen. Derlei Pathos kommt bei den meisten Jugendlichen nicht gut an, sie müssen kichern, worauf der Lehrer eine Herzattacke erleidet. Erst als einige Schüler sich bei ihm entschuldigen wollen, erfahren sie, dass seine Frau, eine Jüdin, vor seinen Augen erschossen wurde. Der Schulrektor wiederum will die Jugendlichen auf „das richtige Leben“ vorbereiten, macht aus der Schülerzeitung eine Aktiengesellschaft und erwirbt gleich selbst den größten Anteil, womit er alles in der Zeitung bestimmen kann. Die aus der DDR übergesiedelte Britta, die das unerschrocken „Zensur“ und „Diktatur“ nennt, wird vom Rektor als Vize-Chefredakteurin sofort abgesetzt.
Die Spaltung geht auch quer durch die Familien, der Vater eines Schülers, der kurz vor Kriegsende desertierte, starb wenige Jahre später an den Folgen der Folterungen durch die SS. Sein Bruder, nicht frei vom Verdacht, ihn verraten zu haben, machte dagegen Karriere, wurde Bankdirektor. Auf dessen Villa verübt ausgerechnet der linksextreme Sohn eines Landesgerichtsrats einen Anschlag. Letzterer ist natürlich mit dem Polizeichef befreundet – was den jungen Polizeiermittler vor einige Probleme stellt, da ihn sein Chef wegen der im Raum stehenden „höheren Interessen“ unter Druck setzt.
Die noch holprigen Demokratieversuche in der jungen Bundesrepublik verknüpft der Autor geschickt, indem er immer wieder in die Episoden „Zeitungssplitter“ mit seinerzeit aktuellen Nachrichten einfließen lässt: unter vielem anderen von Kennedys Deutschlandbesuch (und seiner späteren Ermordung) bis zu KZ-Prozessen und gescheiterten Fluchtversuchen aus der DDR. Überzeugend schildert Günther die Geschehnisse aus der Sicht verschiedener Schüler. Ihm gelingt das glaubwürdig, weil er sich – und das ohne Anbiederung – erstaunlich gut in die Gefühlswelt der Jugendlichen hineinzuversetzen vermag.
Auch wenn es mutig ist, junge Leute von heute für das gesellschaftliche Klima der Sechzigerjahre interessieren zu wollen, kann das Experiment gelingen. Schließlich ist das Streitthema „Demokratie“ immer aktuell und in der anstrengenden Gegenwart sogar von besonderer Brisanz. (ab 14 Jahre)
RALF HUSEMANN
Herbert Günther: Der Widerspruch. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2017. 221 Seiten, 16,95 Euro.
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