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Friedrich Sieburg gehörte zu den intellektuellen Gründungsvätern der Bundesrepublik, doch sein Vermächtnis hat man bis heute kaum wahrgenommen. Dieser "sonderbare Kopf" (Thomas Mann) war ein Schriftsteller und Journalist von europäischem Format, der sich mit der rheinischen Provinz-Republik anfreunden musste, ein als Nazi-Kollaborateur Verfemter, der sich zum Propagandisten einer neuen, reizbaren Bürgermoral wandelte. Friedrich Sieburg entwickelte einen konservativen Avantgardismus mit oppositionellem Temperament und versuchte aus den ideologischen Zerklüftungen des 20. Jahrhunderts…mehr

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Produktbeschreibung
Friedrich Sieburg gehörte zu den intellektuellen Gründungsvätern der Bundesrepublik, doch sein Vermächtnis hat man bis heute kaum wahrgenommen. Dieser "sonderbare Kopf" (Thomas Mann) war ein Schriftsteller und Journalist von europäischem Format, der sich mit der rheinischen Provinz-Republik anfreunden musste, ein als Nazi-Kollaborateur Verfemter, der sich zum Propagandisten einer neuen, reizbaren Bürgermoral wandelte. Friedrich Sieburg entwickelte einen konservativen Avantgardismus mit oppositionellem Temperament und versuchte aus den ideologischen Zerklüftungen des 20. Jahrhunderts Geisteskräfte zurückzugewinnen für die Zivilisierung der Deutschen in einem künftigen demokratischen Europa. Dieser Kritiker hat seit den frühen fünfziger Jahren Entscheidendes zur Profilierung der Intellektuellenfigur im Nachkriegsdeutschland beigetragen. Seine historische Gestalt lässt die These von der "linken" Geistesgründung der Bundesrepublik in einem neuen Licht erscheinen.
Zimmermann berücksichtigt eine große Zahl unbekannter Archivalien zu Sieburg und bietet in seiner essayistischen Biographie das komplexe Bild einer schillernden Persönlichkeit.

"Der große Sieburg, ... der verehrteste Deuter des Traditionellen wie des Zukünftigen."
Gottfried Benn

" ... die größte, stinkende Kanalratte."
Alfred Andersch

"Ein Letterngefräßiger, Formsüchtiger, Fabelverliebter."
Fritz J. Raddatz

" ... ein großer Lump, ... ein Arschloch."
Arno Schmidt

"Ein Weltjournalist mit angenehmer Leichtigkeit."
Ernst Jünger
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Wilhelm von Sternburg respektiert Harro Zimmermanns Respekt für den Stilisten und Ästheten Friedrich Sieburg und sein publizistisches und schriftstellerisches Werk, das der Autor ihm genau lesend vorstellt. Allerdings ist Sternburg auch froh darüber, dass Zimmermann Sieburgs Opportunismus und seine Ruhmsucht ebenfalls thematisiert, die ihn zwar nicht zum Antisemiten und Gewalttäter, aber doch zum aktiven Mitläufer des NS-Regimes werden ließen, wie der Rezensent weiß. Wie Sieburg Heine diffamierte und gegen die deutsche Nachkriegsliteratur wetterte, erfährt der Rezensent in Zimmermanns "wichtiger" Sieburg-Biografie außerdem.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015

Lebensweg einer publizistischen Vollpersönlichkeit

Causeur mit Untiefen und Abgründen: Harro Zimmermann legt eine elegant geschriebene Biographie des Geistesaristokraten Friedrich Sieburg vor.

Von Lutz Hachmeister

Die elegische Prosa des einstigen F.A.Z.-Literaturchefs Friedrich Sieburg (1893 - 1964) wird in regelmäßigen Abständen neu entdeckt und gefeiert - von einer recht stabilen Erinnerungsgemeinde. Womöglich wünschen sich manche Intellektuelle den Typus der abgründigen publizistischen Vollpersönlichkeit wieder. Für Sieburg zählte tatsächlich nur die erratische Intuition, das subjektive Stilempfinden, das allerdings auf einem soliden bürgerlich-literarischen Bildungsfundament ruhte. Überdies inszenierte der Essayist, Reiseschriftsteller und kulturpolitische Polemiker sein Leben konsequent als geheimnisvollen Abenteuerroman, immer auf der Flucht vor den eigenen Masken und den Bedrohungen durch reale oder eingebildete Gegner.

Ein Jahr nach der umfangreichen Sieburg-Biographie von Klaus Deinet (F.A.Z. vom 28. Mai 2014) hat der Literaturwissenschaftler und ehemalige Bremer Rundfunkredakteur Harro Zimmermann nun noch einmal eine ausführliche Lebensbeschreibung des Geistesaristokraten und Causeurs vorgelegt. Die Bücher von Deinet und Zimmermann gehen im Prinzip vom gleichen archivalischen Arsenal aus - so dem Tagebuch 1944/45, das von der irgendwie sadomasochistischen Beziehung Sieburgs zu seiner dritten Ehefrau Dorothee Gräfin Pückler kündet, und dem Nachlass des Publizisten im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Deinets Arbeit hat einen stärker auf Frankreich bezogenen Schwerpunkt, Zimmermann pointiert mehr und, durchaus erhellend, die Kontakte Sieburgs zum "Tat"-Kreis um Hans Zehrer, der mit General Schleicher die nationalsozialistische Bewegung 1932 in eine "Querfront" mit Reichswehr, Teilen der Sozialdemokratie und Gewerkschaften emporzuheben trachtete. Zudem möchte Zimmermann den wankelmütigen Helden seiner Biographie als einen der intellektuellen Mitbegründer der Bundesrepublik gewürdigt wissen, eben nicht nur als reaktionären Antipoden in den mitunter infantilen Auseinandersetzungen um die Geltung der "Gruppe 47" um Hans Werner Richter. Diese kam dem selbsternannten freien Radikalen Sieburg bald als Pseudo-Avantgarde und "völlig uniformes" Literatur-Politbüro vor.

Dabei hatte Sieburg selbst als junger Student in Heidelberg die Gruppenwärme des "geheimen Deutschland" gesucht, also des Kreises um Stefan George, Friedrich Gundolf und den "Jüngling Maximin". Allerdings hatte man den gerade Zwanzigjährigen als vermuteten Schnorrer und Hochstapler aus diesem Zirkel unsanft wieder ausgestoßen. Sieburgs intellektuelle Formung durch Hölderlin, Nietzsche, Hofmannsthal, Rilke und George, auch die expressionistische Verarbeitung der Fronterlebnisse im Ersten Weltkrieg ist für eine bestimmte Generation von Deutschromantikern nicht ungewöhnlich. Sieburgs große Karriere beginnt dann 1926 als Pariser Korrespondent für die "Frankfurter Zeitung" (FZ), wo er seinen typischen Stil aus feuilletonistischen Detailbeobachtungen, völkerpsychologischen Stereotypen und politischen Versöhnungsentwürfen formt. Der Kern seines Sinnens und Trachtens blieb aber stets die vertrackte Sehnsucht nach der metapolitischen "Deutschwerdung" Europas. Nach 1945 war es damit natürlich auch für Sieburg vorbei.

Harro Zimmermanns durchweg elegant und im Sinne seines Protagonisten einleuchtend argumentierte Biographie macht aber vor allem - und vielleicht unfreiwillig - eines deutlich: substantiell bleibt von Sieburgs kulturpolitischer Publizistik wenig Brauchbares übrig. Schon dessen linke Essays für die "Weltbühne" vom Anfang der zwanziger Jahre sind konfus, mal verteidigt er George Grosz gegen Muckertum und Zensurbehörden, mal warnt er vor der Bubikopf-Mode als Zeichen drohender Entweiblichung. Seinen Bestseller "Gott in Frankreich?" (1929) haben schon alarmierte französische Zeitgenossen als mäßig getarnten deutschnationalen Umarmungsversuch gelesen. Ein noch ärgeres Durcheinander stiftete Sieburg mit seiner ebenso eiligen wie schwefligen Monographie "Es werde Deutschland" (1933) im Frankfurter Societäts-Verlag, die von Verleger Heinrich Simon gegen erhebliche Widerstände im Haus der "Frankfurter Zeitung" durchgedrückt wurde; der neue "Star" Sieburg hatte mit Abwanderung in neukonservative Gefilde gedroht.

Nach 1933 fanden die zahlreichen deutschen Emigranten in Paris das mondän-herablassende Auftreten des "FZ"Korrespondenten, während im Hitlerstaat gemordet und gefoltert wurde, nicht mehr so lustig. Zimmermann nennt das nobel die "Sieburgsche Mimikry an die außenpolitische Repräsentanz des Dritten Reiches". 1939 wird der Ex-Journalist Botschaftsrat für das Ribbentropsche Außenamt in Brüssel und Paris; es stehe fest, so Zimmermann, "dass er seit Sommer 1940 für alle sichtbar zur Elite-Formation des deutschen Besatzungspersonals gehört". Der Rest, etwa Sieburgs antisemitische Ausfälle gegen Heinrich Heine 1942/43 in Karl Eptings Zeitschrift "Deutschland-Frankreich", ist bekannt. Nüchtern hatte der einstige Sieburg-Freund Kurt Tucholsky schon früher geschrieben: "Ein Talent, doch kein Charakter. Die Franzosen glauben es ihm nicht mehr. Er soll Botschafter werden. Und uns in Ruhe lassen".

Einmal verwechselt Zimmermann in seinem Buch den "FZ"-Redakteur Bernard von Brentano mit dessen Bruder Heinrich, dem späteren deutschen Außenminister unter Adenauer. Dieser an sich unwichtige Fauxpas weist aber in eine interessante Richtung: die Karrieremuster, Freundschaften und Mentalitäten in der "Frankfurter Zeitung" der zwanziger und dreißiger Jahre wären einmal eine Studie über strategische und intellektuelle Publizistik in Deutschland wert. Und dass ein öffentlich-rechtliches Fernsehen, das auf sein Ansehen bedacht wäre, aus der farbigen Lebensgeschichte Friedrich Sieburgs eine spannende Spielserie machen könnte - als Weltreisender kam er bis Timbuktu und auf die Faröer -, steht außer Frage. Dafür könnte Zimmermanns Biographie eine gute Grundlage liefern.

Harro Zimmermann: "Friedrich Sieburg - Ästhet und Provokateur". Eine Biographie.

Wallstein Verlag, Göttingen 2015. 488 S., geb., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Stilistisch von der imposanten Sprachgewalt Sieburgs inspiriert, zeichnet Zimmermann ein Bild des 20. Jahrhunderts nach, seiner Brüche, politischen Debakel und Katastrophen" (Alexander Kluy, Wiener Zeitung, 12.12.2015) "eine bedeutende und wichtige Biographie" (Wilhelm von Sternburg, Frankfurter Rundschau 14.11.2015) "Das Buch, geschrieben in einer ebenso eleganten wie präzisen Sprache, ist von Anfang bis Ende eine fesselnde Lektüre." (Johann Strasser, Neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte, Januar 2015) "eine verdienstvolle Sieburg-Biografie" (Oliver Pfohlmann, Deutschlandfunk, 20.04.16) "zitierfreudig und quellennah ist Zimmermanns verdienstvolle Sieburg-Biografie geschrieben" (Oliver Pfohlmann, literaturkritik.de, Nr. 7, Juli 2016) "eine kenntnisreiche und gut lesbare Biografie dieses widersprüchlichen und zugleich hochinteressanten Mannes" (Christian Hacke, Das Historisch-Politische Buch, 3/2016) "ein kleines stilistisches Meisterwerk" (Jörg Thunecke, Newsletter of the International Feuchtwanger Society Volume 21, 2016) "Eine umsichtige Biographie, die den Leser mit Stil Erzählfreude und Urteilsvermögen in Sieburgs intellektuelle Verwirrungen von der Kaiserzeit bis in die frühe Bundesrepublik hineinführt." (Hans Jörg Hennecke, Die Politische Meinung, Ausgabe 549, 2018)