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Über den gescheiterten Versuch einer Renazifizierung der frühen Bundesrepublik durch Goebbels` ehemaligen Staatssekretär Werner Naumann.Der ehemalige Staatssekretär von Goebbels, Werner Naumann (1909 - 1982), hielt über das Jahr 1945 hinaus nicht nur an seinen politischen Überzeugungen fest, er versuchte auch unter den radikal veränderten politischen Handlungsbedingungen wieder aktiv zu werden. So bemühte sich Naumann zwischen 1950 und 1953, die »in den Trümmern der Reichskanzlei« begrabenen Ideen zu »reinigen«, um auf der Grundlage eines kaum modifizierten Neo-Nationalsozialismus das…mehr

Produktbeschreibung
Über den gescheiterten Versuch einer Renazifizierung der frühen Bundesrepublik durch Goebbels` ehemaligen Staatssekretär Werner Naumann.Der ehemalige Staatssekretär von Goebbels, Werner Naumann (1909 - 1982), hielt über das Jahr 1945 hinaus nicht nur an seinen politischen Überzeugungen fest, er versuchte auch unter den radikal veränderten politischen Handlungsbedingungen wieder aktiv zu werden. So bemühte sich Naumann zwischen 1950 und 1953, die »in den Trümmern der Reichskanzlei« begrabenen Ideen zu »reinigen«, um auf der Grundlage eines kaum modifizierten Neo-Nationalsozialismus das vermutete rechtsextreme Massenpotential zu sammeln und für eine maßgebliche Rolle in der westdeutschen Politiklandschaft zu organisieren. Im Januar 1953 gab die britische Besatzungsmacht bekannt, eine Verschwörung ehemals führender NS-Funktionäre aufgedeckt zu haben, denen es gelungen war, den nordrhein-westfälischen Landesverband der FDP zu unterwandern und in einflussreiche Positionen zu gelangen.Das Projekt scheiterte aus zwei Gründen: Zum einen lag ihm eine unrealistische Analyse der politischen Nachkriegskrise zugrunde, zum anderen stieß Naumann auch auf eine breite Abwehrfront verfassungstreuer politischer Kräfte. Diese waren zwar bereit, ehemalige Nationalsozialisten massenhaft in die allmählich sich konsolidierende Nachkriegsgesellschaft zu integrieren, nicht aber, die Etablierung einer NSDAP-Nachfolgepartei zu tolerieren.Mit seiner Analyse der Naumann-Affäre vor dem Hintergrund der innenpolitischen Kräftekonstellation der frühen fünfziger Jahre schärft Günter Trittel den Blick für zentrale vergangenheitspolitische Problemlagen und deren mentale Komponenten als Basis des westdeutschen Demokratiegründungs- und Konsolidierungsprozesses.
Autorenporträt
Günter J. Trittel, 1941-2021, war Historiker und außerplanmäßiger Professor der Universität Göttingen.Veröffentlichungen u. a.: Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 3: Von der preußischen Mittelstadt zur niedersächsischen Großstadt, 1866 -1989 (Mitherausgeber und Autor, 1999); Hunger und Politik. Die Ernährungskrise in der Bizone (1945 -1949) (1990)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2013

Gesinnung ohne Parteigenossen
Werner Naumann machte unter Goebbels Karriere und scheiterte im Kalten Krieg

Rechtsradikale stellten schon für die junge Bundesrepublik ein Gefahrenpotential dar. Werner Naumann, Kristallisationsfigur der neuen Rechten und nur Eingeweihten als glühender Verfechter des NS-Regimes bekannt, trug mit einem Kreis Gleichgesinnter maßgeblich dazu bei. Nach dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei 1952 verhaftete die britische Besatzungsmacht Naumann im Januar 1953 und unterband die Aktivitäten. Bei der Bundestagswahl im Herbst gaben die Wähler ihre Antwort: Abenteuer am rechten Rand lehnten sie ab. Die Deutsche Reichspartei (DRP), eine Sammlungsbewegung rechtsgerichteter Parteien, erhielt nur 295 700 Stimmen, das entsprach 1,1 Prozent der Zweitstimmen.

Welche Gefahr ging von Naumann und seinen Gesinnungsgenossen aus? Bezweckten sie eine Renaissance der NS-Ideologie? Und warum wurde ihnen Gefolgschaft verweigert? In Zeiten des Antikommunismus und heterogener politischer Strömungen in Westdeutschland waren die Voraussetzungen doch keineswegs schlecht. Warum gelang es Naumann nicht, dieses Stimmungspotential auszunutzen?

Anfang der 1950er Jahre war die öffentliche Meinung über die Idee des Nationalsozialismus zwiegespalten. Die Kriegspolitik wurde abgelehnt, der Volksgemeinschaftsgedanke hingegen gutgeheißen und die Kollektivschuld-These nur bedingt geteilt. Im Kalten Krieg hielt Naumann den Bolschewismus und sowjetischen Imperialismus, einst Kernelement der NS-Ideologie, unverändert für die größte Gefahr. Zudem setzte er auf demokratie-skeptische Stimmen, die dem neuen Parteiensystem wie früher der Weimarer Republik misstrauten. Mit dem Postulat einer modifizierten Volksgemeinschaft suchte er, nationale Flügel der bürgerlich denkenden Parteien, vor allem der FDP in Nordrhein-Westfalen, der Deutschen Partei und beim BHE, in einer rechten Einheitsfront für ein unabhängiges Deutschland zusammenzubringen.

In der verdienstvollen Studie zeichnet Günter J. Trittel den Lebensweg Naumanns akribisch nach, untersucht die Wirkungen auf sein Weltbild und erklärt daraus sein Scheitern. Naumann gehörte zu jenen Nationalsozialisten, die von dem Segen eines autoritären Führerstaates seit ihrer Jugend fanatisch überzeugt waren. Was den jungen Mann aus altem schlesischem Feudaladel in das radikale Lager trieb, bleibt unklar. 1909 geboren, wuchs er im protestantisch-nationalistischen Milieu im deutsch-polnischen Grenzgebiet, Kreis Guhrau, auf. In der nationalistisch aufgeheizten Region erlebte er die Volkstumskämpfe hautnah. Zu seinen Vorbildern gehörte Helmuth Brückner, beteiligt am Sturm auf den Annaberg und Gründer der schlesischen NSDAP. Vor Gewaltanwendung schreckte der SA-Truppenführer in blutigen Saalschlachten mit Kommunisten nicht zurück. Joseph Goebbels, damals Berliner NSDAP-Gauleiter, hielt seine Hand über den Karrieristen, so dass ihre Beziehung bis Kriegsende 1945 immer enger wurde. Mit 24 Jahren befehligte der SA-Sturmbannführer schon einige hundert Mann. Bereit, im stark radikalisierten Pommern durch Umstrukturierung der SA den "revolutionären Kräften" brutal zum Sieg gegen die Kommunisten zu verhelfen, betrieb Naumann den Sturz des dortigen SA-Chefs Hans Friedrich.

Im Zuge des "Röhm-Putschs" 1934 erwies sich Naumann als politischer Überlebenskünstler. Im Gegensatz zu seinen exekutierten Mentoren Peter von Heydebreck und Edmund Heines überlebte er die von Adolf Hitler, Hermann Göring, Joseph Goebbels und Heinrich Himmler initiierte politische Entmachtung der SA-Führung. Anschuldigungen gegen Naumann wegen Hochverrats wurden schließlich nach seiner Intervention bei Hermann Göring fallengelassen, jedoch nicht der Parteiausschluss. Sein Antrag auf vollständige Rehabilitierung wurde 1936 vom Gaugericht Schlesien unter fadenscheinigen Gründen zur Wahrung der parteiinternen Rechtseinheit positiv beschieden. Daraus folgende Widersprüche für sein Weltbild schob er beiseite. Die Vernichtung der persönlichen Leitfiguren Heydebreck und Heines durch Hitler standen dem Glauben an erforderliche "harte Eingriffe eines totalitären Systems" entgegen. Naumann übertünchte alles mit dem "Führer", der die nationalsozialistische Idee verkörpere, die unantastbar über allen Personen stehe. Die Ideologiefixierung legte er nie mehr ab.

Albert Hesse und Günter Schmölders, angesehene Nationalökonomen, bewerteten 1936 seine Dissertation über "Probleme der Einkommenspolitik" zur theoretischen Untermauerung der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Sozialpolitik mit "sehr gut". Brillanter Intellekt, "scharfsinnig, schneidig und gescheit", der NS-Idee hörig, stets um äußerste Loyalität bemüht und skrupelloses Vorgehen ermöglichten ihm einen rasanten Aufstieg.

Von Goebbels 1937 zum persönlichen Referent erkoren und mit Förderung Hitlers und Himmlers startete Naumann ein Jahr später den Durchmarsch. Mit 28 Jahren Ministerialrat, vier Jahre später 1941 Ministerialdirigent, 1942 Ministerialdirektor, 1944 dann Staatssekretär im Propagandaministerium und Chefplaner für den "totalen Krieg". Obwohl seine SS-Bindungen auf Bedenken stießen, gelang ihm verschiedentlich die Vermittlung zwischen seinem Haus und Himmler. Nach militärischen Tiefpunkten der alliierten Invasion 1944, in letzten Kriegswochen in Posen oder vor Parteifunktionären versprühte er Zuversicht und Durchhalteparolen. Vor dem Selbstmord übergab Goebbels ihm die Tagebücher. Als sein Nachfolger tauchte Naumann sofort für fünf Jahre mit geänderter Identität als Landarbeiter und Maurergeselle unter.

Eine Katharsis blieb ebenso aus wie eine Verurteilung für Kriegsverbrechen. Bei seinem Wiedererscheinen 1950 in Düsseldorf kam er bei den Briten ungeschoren davon. Naumann fühlte sich als Bewahrer der NS-Idee, wollte eine kraftvolle Nationale Sammlung zur Therapie für die in Existenznot geratene deutsche Gesellschaft etablieren, die alle Reste der NS-Ideologie in einem autoritären Staat vereint und die abendländische Kultur unter deutscher Führung stellt.

Trittel sieht die Ursachen für Naumanns Scheitern in dessen rückwärts gewandtem Denken und Handeln. Selbstüberschätzung, starre Fokussierung auf die NS-Ideologie, Unbelehrbarkeit und mangelnde Realitätssicht für die Wirkung des Grundgesetzes und der parlamentarischen Demokratie auf den jungen Parteienstaat spielten eine Rolle, wie auch die vertragliche Westbindung der Bundesrepublik und der Volksaufstand in der DDR. Umso überraschter war Naumann von dem Wahldebakel der DRP. Dem NS-Ideologen wurde politisch die Substanz entzogen und damit das Ende des Naumann-Kreises besiegelt. Strafrechtlich waren seine Aktivitäten irrelevant, doch eine politische Gefahr allemal. Sie forderte die Bundesrepublik zur wehrhaften Demokratie auf. Adenauer betonte die Gefährdung der Demokratie durch Unterwanderung von rechts und suchte, die Koalitionspartner FDP und DP zu disziplinieren. Das Projekt einer nationalen rechten Massenpartei hatten die Wähler selbst diskreditiert.

HANNS JÜRGEN KÜSTERS

Günter J. Trittel: "Man kann ein Ideal nicht verraten . . .". Werner Naumann - NS-Ideologie und politische Praxis in der frühen Bundesrepublik. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 347 S., 39,90 [Euro].

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»ein erhellendes Buch« (Niels Beintker, Deutschlandradio, 08.07.2013)